Die Hauptresolution der Harzburger Tagung [Harzburger Front], 11. Oktober 1931

Einführung

Etwa 2.000 Uniformierte von Stahlhelm und SA begleiteten ihre Partei- und Verbandsführer Adolf Hitler, Franz Seldte und Alfred Hugenberg am Herbstwochenende des 10./11. Oktobers 1931 in die Harzstadt, wo sie vom überwiegenden Teil der Bevölkerung und anwesenden Touristen begeistert empfangen wurden. Prominente und illustre Köpfe aus Politik, Offizierskorps, Adel, Wirtschafts- und Bauernvereinigungen waren zu den Kundgebungen, den Gottesdiensten mit einem suspendierten katholischen Geistlichen und einem evangelischen Militärpfarrer im Kalten Tal und der Hauptveranstaltung im überfüllten Kursaal gekommen. Bad Harzburg war aus mehreren Gründen als Versammlungsort gewählt worden: Die Stadt gehörte zu dem von einer Rechtskoalition unter Beteiligung der NSDAP regierten Freistaat Braunschweig. Hier galt im Gegensatz zu Preußen das Uniformverbot nicht. Durch das aggressive Vorgehen des Volksbildungs- und Innenministers Dietrich Klagges (NSDAP) gegen Demokraten, Republikaner und Kommunisten im Freistaat waren die rechten Kampftruppen hoch motiviert und organisiert, Polizei und Justiz weitgehend willfährig Organe ihres Ministers. Bad Harzburg war damals als mondäner Kurort beliebt und bekannt, er bot reichlich Unterbringungsmöglichkeiten und war mit Bahn und Auto gut erreichbar. Die Teilnehmer konnten zudem sicher sein, dass sie auf sympathisierende Einheimische stießen. Ein Gautreffen der Hitlerjugend am 29. September, hatte als eine Art Generalprobe den Weg bereitet.

Die Versammlung organisiert und am 2. Oktober eingeladen hatte ein "Arbeitsausschuss der Nationalen Opposition". Ihm gehörten Otto Schmidt aus Hannover, Mitglied des Reichstags, Hauptmann der Reserve und Adjutant des DNVP-Vorsitzenden Alfred Hugenberg, Wilhelm Frick, Reichstagsabgeordneter und als Volksbildungs- und Innenminister in Thüringen erster NSDAP-Minister einer Landesregierung sowie Siegfried Wagner, Bundeskanzler des Stahlhelms, an. Unter ihrer Federführung wurde die Resolution von Bad Harzburg verfasst. Der Text formuliert die zentralen Elemente antirepublikanischer, antidemokratischer, nationalistischer und antisemitischer Politik der Harzburg folgenden Zukunft. Ziel der Politik sei die Stärkung der "blutsmäßigen Verbundenheit des deutschen Volkes" in einem "starken Staat", der "die zur Herbeiführung einer wahren Volksgemeinschaft notwendigen sozialen Maßnahmen durchführen" müsse. Den "Klassenkampf" gelte es nieder zu halten, den "Kulturbolschewismus" auszuschalten und den "Blutterror des Marxismus" zu bekämpfen, der "politischen, wirtschaftlichen und militärischen Entmannung Deutschlands" durch die "Regierungen und Staatsapparate" der Gegenwart entgegenzutreten. Auch wenn das Wort "Judenrepublik" nicht fiel, war der aggressive Antisemitismus dieses Pamphlets gegenwärtig. Denn ein Begriff wie "Kulturbolschewismus" meinte die kritische jüdische Intelligenz im Kulturbetrieb, hinter der Floskel von der Stärkung der "heimischen Wirtschaft" bei Zurückweisung "weltwirtschaftlicher Utopien (und) einer Politik der Unterwürfigkeit dem Ausland gegenüber" steckte das Feindbild vom jüdischen Weltfinanzkapital. Die Resolution ging über die von Seiten der Rechtsnationalisten bislang verbreiteten Schmähungen der Republik und ihrer Repräsentanten hinaus. Sie sagte ihnen den Kampf an – auch die bewaffnete Aktion. Den Versammelten war es mit dem Sturz der Reichsregierung Brüning und der sozialdemokratisch geführten Regierung Braun in Preußen ernst. "Im vollen Bewusstsein der damit übernommenen Verantwortung erklären wir, dass die in der nationalen Opposition stehenden Verbände bei kommenden Unruhen wohl Leben und Eigentum, Haus, Hof und Arbeitsstelle derjenigen verteidigen werden, die sich mit uns offen zur Nation bekennen, dass wir es aber ablehnen, die heutige Regierung und das heute herrschende System mit dem Einsatz unseres Blutes zu schützen." Um ihren Gewaltcharakter und das Monströse ihres Vorhabens zu unterstreichen "verlangen (wir) von allen Volksgenossen Pflichterfüllung und Opfer." In Kenntnis der Tatsache, dass sich die Rechte prinzipiell als Opfer des "Systems" sah, schon das Vorhandensein von Republik und Demokratie als persönliche und nationale Verletzung und Erniedrigung gebrandmarkt wurde, die man nicht opferwillig hinnehmen könnte, ging die Willenserklärung von Bad Harzburg über die Rechtfertigung schon lang praktizierter Gewaltattacken als angebliche Notwehrmaßnahme hinaus: Sie rechtfertigte Gewalt als Mittel "nationaler" Politik. Hitlers Sturmabteilungen erhielten einen Blankoscheck.

Bei der Versammlung im Großen Kursaal der Stadt saßen Hugenberg, Hitler, Frick, die beiden Stahlhelmer Seldte und Duesterberg und der Führer der nationalen Verbände General v. d. Goltz in der ersten Reihe des Podiums, hinter ihnen mehr als hundert Parlamentarier und Wirtschaftsvertreter. Versammlungsleiter Hugenberg erteilte zunächst dem Ministerpräsidenten des Landes Braunschweig, Dr. Küchenthal, das Wort und eröffnete dann selbst den Redereigen. Am Ende seiner Ausführungen verlas er unter zustimmendem Applaus die Resolution. Hitler trat als nächster Redner auf und betonte: "Wenn der Gegner dem Geiste den Terror entgegensetzt, dann wollen wir auch davor nicht verzagen. … Es ist sicher, dass es (Deutschland, P.S.) nationalistisch regiert werden kann. Es ist unmöglich, dass es ein Deutschland gibt, bei dem eine Hälfte kommunistisch, die andere nationalistisch denkt. Hier muss die Entscheidung gesucht und herbeigeführt werden. Das ist die größte Aufgabe, die uns die Zeit gestellt hat. Heute müssen wir über die negative Erfüllung staatsbürgerlicher Pflichten hinausgehen und zum aktiven Kampf schreiten. Dazu sind wir entschlossen."

Nach ihm sprachen Stahlhelmführer Seldte, Oberstleutnant Duesterberg, zweiter Bundesführer des Stahlhelms, Graf von Kalckreuth, Präsident des Reichslandbundes. Hjalmar Schacht, von 1923 bis zu seinem Rücktritt am 3. März 1930 Reichsbankpräsident, erntete mit seiner Rede internationales Aufsehen und erregte helle Empörung in republikanischen Kreisen. Diese warfen ihm zu Recht vor, mit seiner düsteren Abbildung der deutschen Wirtschaft dem Ansehen Deutschlands geschadet und internationale Investoren abgeschreckt zu haben. Tatsächlich formulierte Schacht, anknüpfend an seine Polemik gegen den Youngplan, das zukünftige wirtschaftspolitische Programm nationalsozialistischer Herrschaft: eine volksgemeinschaftlich organisierten Autarkiepolitik unter Ausschaltung der Gewerkschaften und Kontrolle internationalen Kapitals: "Möglich und bedauerlich, dass auch in der deutschen Wirtschaft Kreise vorhanden sind, die selbst aus dem heutigen System Honig zu saugen verstehen. In jeder Wirtschaft gibt es Schaffende und Raffende. Und es wird dafür zu sorgen sein, dass die nur Raffenden in ihre Schranken verwiesen werden." Dem Publikum war völlig klar, das er die Juden und ihr Finanzkapital meinte. Schacht hatte die NSDAP-Führung im Januar des Jahres kennengelernt und hielt in Bad Harzburg seine Bewerbungsrede für eine zukünftige Verwendung. Am 17. März 1933 ernannte ihn Hitler erneut zum Reichsbankpräsidenten. Mit wenigen Sätzen beteiligten sich dann noch Justizrat Claß, Führer des Alldeutschen Verbandes und General Graf v. d. Goltz für die Vereinigten Vaterländischen Verbände am Redemarathon. In seinem Schlusswort rezitierte Hugenberg Grußmeldungen aus dem Reich und begrüßte ausdrücklich die DVP-Abgeordneten Generaloberst von Seeckt, Hintzmann, Hembeck und Oberst Gilsa.

Obwohl der Begriff Harzburger Front wichtiger Bestandteil im Kanon historischen Wissens ist, hält sich die Beschäftigung mit ihr in den einschlägigen Monografien zur Weimarer Republik in engen Grenzen. Hervorgehoben wird zumeist die von Hitler betont zur Schau gestellte Missachtung seiner nationalbürgerlichen Mitakteure. Er ignorierte den Vorbeimarsch des Stahlhelms, und in seiner Rede sprach er direkt zu seinen Partei- und SA-Genossen, so dass sie von zahlreichen Medien als das "Manifest Hitlers" wahrgenommen wurde. Betont wird, dass ein eigentlicher Zusammenschluss nicht zustande kam, dass die Teilnehmerorganisationen wieder getrennte Wege gingen und Hitler seine Harzburger Partner eher als Gegner begriff. Diese Sicht in der Forschung unterschätzt die Wirkungen, die dieses Treffen in weiten Teilen eines indifferenten nationalistischen Bürgertums hatte. Es war weniger von Bedeutung, dass sich Hitler öffentlich in der Aura Weimarer Rechtsaußenprominenz sonnte, als dass er in seinem Auftreten, in der formulierten Resolution und durch den Aufmarsch der Partei- und SA-Kolonnen einer Woche später in Braunschweig seinen Führungsanspruch in der "nationalen Opposition" ungeschminkt demonstrierte.

Nach Bad Harzburg wurde dieser Führungsanspruch zunehmend in weiten Teilen der öffentlichen Meinung respektiert und erwartet. Hitler wurde durch Bad Harzburg zum starken Mann auch für die sich bislang als bürgerlich-republikanisch verstehenden Rechten. Er avancierte in der für seine Partei wichtigen Provinz zum Medienstar. Die Zeitungen des bürgerlich-konservativen Lagers widmeten ihm und den Aktivitäten seiner Partei breiteren Raum in der Berichterstattung. In Teilen dieser Organe vollzog sich eine messianische Wende, die sich in aggressiven Wahlempfehlungen für Hitler gegen den bislang so verehrten Hindenburg bei den Reichspräsidentenwahlen im Frühjahr 1932 niederschlug. Die mit SA-Truppen beladenen Lastwagenkolonnen rollten unter anschwellendem Beifall bürgerlichen Publikums zu Kundgebungen und Saalschlägereien gegen Andersdenkende durch die Lande. Das Harzburger Treffen wurde als Weck- und Schlachtruf "Das Volk steht auf", so der politische Kommentar in der Goslarschen Zeitung, wahrgenommen. Es ließ die Niederlage dieser im "Reichsausschuss für das deutsche Volksbegehren" so zusammengesetzten "nationalen Opposition" gegen den Youngplan vom 22. Dezember 1929 in den Hintergrund treten. Damals war Hugenberg, seit Dezember 1928 Vorsitzender der DNVP, die führende Figur gewesen, nun übernahm Hitler diese Rolle. In Kreisen rechtsbürgerlich-intellektueller Vereinigungen wie dem Jungdeutschen Orden lösten sich Teile um den Chefideologen Reinhard Höhn, später (1939) hoher Funktionär im Reichssicherheitshauptamt, von ihrer Bindung zur DNVP und suchten bei den Nationalsozialisten Anschluss. Teile des Jungstahlhelms wechselten zur radikaleren SA. Politisch motivierte Gewalt eskalierte zunehmend auch in der Provinz.

Die Resolution formulierte neben dem strategischen Ziel einer "nationalen "Befreiung" die konkrete Taktik zur Republikzerstörung: Sturz der preußischen Regierung Braun und der Reichsregierung Brüning. Das demokratische regierte Preußen war seit den Republikgründungstagen Angriffsziel von Rechtsaußen. Nur wenige Wochen vor Bad Harzburg war mangels Wahlbeteiligung der Versuch von Rechts gescheitert, mit einem Volksbegehren die Auflösung des preußischen Landtags zu erreichen. Preußen, das von einer Koalition aus SPD, Zentrum und DDP unter Otto Braun (SPD) regierte Kerngebiet des deutschen Reiches, müsse "befreit werden", sonst komme "auch das Reich nicht zu einer zielklaren Politik", hieß es in einem Aufruf des Stahlhelms vom 11. März 1931. Die fast halbjährige Propaganda um dieses Ziel, die dramatischen Bankenzusammenbrüche vom Sommer in der anhaltenden Wirtschaftskrise hatten die Stimmung im Lande aufgeheizt – sie brach sich in den Reden im Bad Harzburger Kursaal Bahn.

Bemerkenswert und bezeichnend für den orientierungslosen Zustand und die politische Lähmung republikanischer Demokraten in diesen Tagen von Weimar war die Tatsache, dass es kaum Gegenbewegungen zu diesem Treffen gab. Weder SPD noch Gewerkschaften, noch Reste bürgerlicher Republikaner meldeten sich demonstrativ zu Wort oder Tat. Nur regionale KPD-Vertreter hatten vergeblich, sie wurden am Vortage verhaftet, Gegenpropaganda vorbereitet. Die Gewerkschaftliche Rundschau des ADGB meinte nach dem Treffen, die "drohende Wolke, die vor Harzburg unheilverkündend am politischen Horizont stand, hat sich wieder verzogen". Der sozialdemokratische Pressedienst fokussierte sich auf die parlamentarischen Misstrauensanträge und kündigte im Nachklapp an: "Der Fanfare der Faschisten antworte der Kampfruf der Arbeiterschaft". Man unterschätzte weiterhin die Kraft der "politischen und sozialen Reaktion, der Verschwörung gegen das deutsche Volk", hielt die zunehmend vollen Versammlungen der NSDAP und die Aufmärsche der SA für eine "Massenepidemie". Zwar war die Gründung der Eisernen Front, ein Zusammenschluss von SPD, ADGB, Arbeitersportverbänden, Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold, am 16. Dezember 1931 eine direkte Antwort gegen die Harzburger Front, doch die Gewalt der Straße konnte nicht mehr gebrochen werden. Das "Bündnis von "Mob und Elite" (Hannah Arendt) hatte sich in Bad Harzburg formiert und legte täglich an zerstörerischer Energie und Massenwirksamkeit zu. Die Resolution von Bad Harzburg bildete die Partitur für den Marsch zur Diktatur.

Peter Schyga