DIE GRÜNEN. Das Bundesprogramm von 1980 in der zweiten überarbeiteten Fassung von 1982

Einführung

Entstehungsgeschichte und Bedeutung für die Partei "Die Grünen"

Das "Bundesprogramm" entstand in der turbulenten Anfangsphase der wenige Wochen zuvor gegründeten Bundespartei "Die Grünen". So heterogen die dabei vertretenen Gruppierungen waren, so wenig geschlossen, präzise und zusammenhängend war das Programm. Der Programmparteitag von Saarbrücken verhandelte hastig und der Entscheidungsablauf über das Programm war in vielem zufällig. Die Partei befand sich in der Phase grundlegender Richtungsentscheidungen, sie hatte noch keine gefestigte Identität gefunden. Vielmehr war gerade die Formulierung und Verabschiedung des Programms Mittel dazu. Insofern ist sein Name "Bundesprogramm" treffend, weil sein Zweck weniger das Grundsätzliche, sondern vielmehr das Einigende war.

In der Gründungsphase der Bundespartei kämpften mehrere Richtungen sowie zahlreiche Gruppierungen und Vorgängerparteien in einem verwirrenden Hin und Her um die Vorherrschaft in den Grünen (Klotzsch und Stöss, S. 1513-1539). Wichtig waren zum einen bürgerlich-konservative oder bürgerlich-national orientierte Ökologen. Deren Führungspersonen waren unter anderem GlossarHerbert Gruhl, ehemaliger CDU-Politiker und Vorsitzender des "Bunds für Umwelt und Naturschutz Deutschland" (GlossarBUND), GlossarAugust Haußleiter mit der "Aktionsgemeinschaft Unabhängiger Deutscher" (GlossarAUD) sowie der rechtskonservative Biobauer GlossarBaldur Springmann.

Doch auch die so genannten bunten und alternativen Listen (GlossarAL) mit ihren insgesamt linken Positionen drängten in die neue Partei hinein. Die Listen hatten sich, vor allem in großen Städten, aus einer Vielzahl unterschiedlicher Initiativen und politischer Gruppierungen zu Wahlbündnissen zusammengeschlossen. Darunter waren Vertreter der Alternativkultur, Frauengruppen, verschiedenste Minderheitenorganisationen, GlossarBürgerinitiativen und Ökologievertreter, soziale Selbsthilfegruppen, Gewerkschafter, aber auch Vertreter linker und kommunistischer Parteien. Im Prozess der Programmformulierung wurde ihre eher undogmatische Richtung von GlossarErnst Hoplitschek und GlossarManfred Zieran, links-dogmatische Positionen von GlossarJürgen Reents vertreten.

Aber auch Anthroposophen, die sich im "Achberger Kreis" auf der Suche nach einem "Dritten Weg" zusammengefunden hatten, rangen um Einfluss. Zu ihnen rechnete sich GlossarMilan Horacek, ebenso stand ihnen der Künstler GlossarJoseph Beuys mit seiner "Freien Internationalen Universität" nahe. Auch christlich orientierte Personen, etwa GlossarChrista Nickels, engagierten sich.

Sieg und Niederlage der einzelnen Positionen im Programm blieben in Bewertungen der Forschung umstritten: Sieht van Hüllen in nicht wenigen Punkten eine Verschiebung des endgültigen Programmtextes zu sozialistischen, gar marxistischen Positionen, liegt für Wiesenthal das Programm auf einer ausgewogeneren Linie alternativ-ökologischer Orientierungen (Van Hüllen, S. 263-274; Wiesenthal, S. 104-130).

Eindeutig war allerdings die Niederlage des bürgerlichen Parteiflügels, der in der Vor- und Gründungsgeschichte der Grünen seit 1977 eine maßgebliche Kraft gewesen war. Die Verabschiedung des Programms in der vorliegenden Fassung bildete einen der Wendepunkte für die Abkehr Gruhls und der Bürgerlichen von den Grünen und ihre spätere Formierung in der neuen Ökologisch-Demokratischen Partei (GlossarÖDP). So war es also nicht gelungen, ökologisch orientierte Politik dauerhaft in nur einer Partei zu bündeln. Über die Programmformulierung verfestigte sich das politische Spektrum der Grünen als links, ökologisch und bunt-alternativ. Damit ging ein massiver Mitgliederaustausch in der jungen Partei einher. Bürgerliche und Konservative gingen, die Vertreter der bunten und alternativen Listen kamen.

Der die Grünen seit 1983 prägende Konflikt zwischen "Realos" und "Fundis" erscheint im Bundesprogramm von 1980 noch nicht ausgeprägt. Der spätere Konflikt zielte auf die taktische Frage einer Regierungskoalition mit der SPD, ihm lagen aber unterschiedliche Grundkonzeptionen zugrunde: Während die "Fundis" etwa um GlossarRainer Trampert und GlossarJutta Ditfurth von einer Systemkrise der Gesellschaft, Wirtschaft und Politik ausgingen, welche letztlich einen Systemwandel als Lösungsstrategie voraussetzte, sahen die "Realos", angeführt unter anderem vom späteren Bundesaußenminister GlossarJoschka Fischer, die Ziele der Grünen durch eine Abfolge von Reformschritten als einlösbar an. Das Bundesprogramm kennt diesen Gegensatz so nicht, schon allein deswegen, weil zu seiner Entstehungszeit die Möglichkeit einer Regierungsbeteiligung noch in weiter Ferne lag.

Im Text werden systemische Ursachen der Krisen genannt oder schwingen zumindest implizit in vielen Passagen mit, ohne aber Zentrum eines einheitlichen Begründungsschemas zu sein. Der äußerst umfangreiche, oft ins Detail gehende Forderungskatalog des Programms mischt kleine Einzelmaßnahmen, die im bundesrepublikanischen parlamentarischen System der achtziger Jahre prinzipiell realisierbar waren, mit Detailforderungen, welche nur nach grundsätzlichen Umwälzungen des Rechts-, Wirtschafts- und Politiksystems der Republik einlösbar gewesen wären.

Diese Gegensätze wurden im Programm nicht thematisiert und blieben unausgetragen. Insofern bot das Bundesprogramm dem das nachfolgende Jahrzehnt der Partei prägenden Konflikt zwischen "Realos" und "Fundis" einen gemeinsamen Bezugsrahmen, er konnte sich in seinen Grenzen entwickeln. Erst der parteiinterne weitgehende Sieg des Realoflügels in den neunziger Jahren mit den Regierungsbeteiligungen in Ländern und im Bund führte nach zweiundzwanzig Jahren zu einem neuen Programm, dem "Grundsatzprogramm" von 2002, in dem Systemumwälzungen keine Rolle mehr spielen.

Das Verhältnis zu den Neuen sozialen Bewegungen

Die Grünen entstanden hauptsächlich aus den Neuen sozialen Bewegungen heraus, also aus der Umwelt- und Antiatomkraftbewegung, den GlossarAlternativen, der GlossarFrauenbewegung, der GlossarDritte-Welt-Bewegung, der Friedensbewegung usw. Keineswegs aber organisierten sich diese Bewegungen parteipolitisch nur in den Grünen, wenn sie sich denn überhaupt in die organisierte Politik begaben. Auch in die GlossarSPD und, in geringerem Umfang, in die anderen Parteien gingen die Anhänger der Bewegungen. Oft blieben sie weitgehend in die Gesellschaft der Bundesrepublik integriert, nur das Anliegen ihrer Bewegung drängte sie zum Aufbegehren und zu neuen Partizipationsweisen im gegebenen politischen System.

Das Bundesprogramm von 1980 ist daher nicht der programmatische Basistext der Neuen sozialen Bewegungen. Er ist es aber für denjenigen Teil von ihnen, der Lösungswege für die analysierten Probleme innerhalb des parlamentarischen Systems sah und zugleich keine Integrationsmöglichkeit in die bestehenden Parteien mehr empfand. Das Bundesprogramm steht für eine milieuartige Alternativkultur, die dennoch politisch beteiligungswillig war. In dieser Mischung lag die zeithistorische Bedeutung und Entwicklungsmöglichkeit der Grünen.

Wesensmerkmale des Programms

Das Bundesprogramm wirkt unfertig. Einzelne Themenfelder waren noch nicht erarbeitet; die Präambel wird als Entwurf bezeichnet. Die Ausführlichkeit und Begründetheit der einzelnen Passagen schwankt. Die argumentative Qualität der Abschnitte entspricht dem damaligen Zustand der Arbeitsgruppen in der Partei und den beteiligten sozialen Bewegungen (van Hüllen, S. 265-281; Markovits und Gorski, S. 231-263). Dem Programm fehlte die durchgängig gestaltende, also zentrierende Kraft. Insofern spiegelt es den Aufbruch der Partei und die unentschiedenen Machtverhältnisse in ihr wider. Es markiert den Beginn, weniger die zukünftige Entwicklung eines neuen Segments im Parteiensystem der Bundesrepublik.

Dennoch und zugleich erhebt das Programm den Anspruch, eine Gesamtanalyse der Gesellschaft zu leisten und ein umfassendes Lösungskonzept zu bieten. Es umfasst tendenziell alle Bereiche, denen sich auch eine die Regierung tragende Fraktion stellen müsste, und begründet damit von Anbeginn der Partei an deren Selbstverständnis, in machttragender Position die Gesellschaft umzugestalten. So sehr es aus innerer Oppositions- und Anti-Haltung formuliert erscheint, so selbstbewusst, gestaltungsfordernd und wahrheitsüberzeugt ist es zugleich. Bei aller Brüchigkeit formt es einen dichten grün-alternativen Vorstellungskosmos, in dem der sich seit den sechziger Jahren entwickelnde Wertewandel der westdeutschen Gesellschaft verdichtet manifestiert erscheint.

Singulär in der Reihe der Parteiprogramme der Bundesrepublik ist das Bundesprogramm bis heute durch seinen umfassenden gesellschaftlichen Ansatz, der das Politische weit übersteigt: Viele der aufgestellten Forderungen sind politisch überhaupt nicht einzulösen. Sie können nur durch die Mitglieder der Gesellschaft selbst erfüllt werden, wie etwa die Vermeidung diskriminierender Haltungen, partizipatorische Aktivität oder verändertes Konsumverhalten.

In eigenartigem Kontrast dazu, tatsächlich aber ergänzend, erscheint die Staatsfixiertheit des Bundesprogramms: Zentrale politische Eingriffe sind das Standardmittel, mit dem die Gesellschaft verändert werden soll. Sie basieren auf Mehrheitsentscheid der politisch Aufgeklärten, und darin liegt das Bindeglied zum Ansatz beim Einzelnen. Die Berufung auf den Staat und das politische System ist signifikant.

Wirtschaft, Wissenschaft und Militär dagegen erscheinen als je monolithische Gegner, als das Andere, von dem sich die Partei abgrenzt und dem die Verursachung aller Krisen zugeschoben wird. Eigengesetzlichkeiten dieser gesellschaftlichen Subsysteme, aus denen sich Anforderungen oder Notwendigkeiten an Politik, Gesellschaft und Einzelnen ergeben, werden nicht gesehen oder thematisiert. Es geht durchgängig darum, alle Lebens- und Gesellschaftsbereiche aus der Basissicht der Beteiligten oder Betroffenen heraus dem politischen Willen zu erschließen, sie steuerbar zu machen, um sie durch Reformen umfassend zu humanisieren. Diese Humanität entspricht der abendländischen Wertegeschichte, und ihre Besonderheit liegt nicht in ihren Inhalten, sondern in ihrer von gesellschaftlichen Umständen und Zwängen sowie von Interessen losgelösten Unbedingtheit.

Die Wirkungsgeschichte des Programms

Das Bundesprogramm selbst betont seine Vorläufigkeit und proklamiert eine kontinuierliche Programmdiskussion durch die Parteimitglieder. Tatsächlich folgte dem Bundesprogramm in rascher Abfolge bis heute eine Vielzahl weiterer programmatischer Texte, welche die politischen Positionen auf den einzelnen Politikfeldern immer wieder in andere Richtungen verschoben. Dabei wurden zum Teil aber auch die Positionen des Bundesprogramms wieder eingenommen (Wiesenthal, S. 105-125).

Auch der Umgang der Parteimitglieder und der Parteieliten selbst mit dem Programm blieb undogmatisch. Zwar stellten die in ihm formulierten vier "Grundsätze": ökologisch, sozial, basisdemokratisch und gewaltfrei über zwanzig Jahre hinweg und mangels eines Nachfolgeprogramms einen Bezugspunkt der Selbstvergewisserung dar. Doch hatten die Grünen besonders in den neunziger Jahren viele Aussagen ihres Bundesprogramms aufgegeben, lange bevor das Grundsatzprogramm von 2002 eine neue programmatische Zusammenfassung brachte. Exemplarisch für diese Abläufe waren die Debatten und Beschlüsse über Militäreinsätze und Krieg, insbesondere die Debatte um den GlossarKosovo-Einsatz im Jahr 1999. Überhaupt verhinderte schon die basisbezogene, unhierarchische politische Kultur der Grünen eine zentralisierende, disziplinierende und dauerhafte Wirkung des Bundesprogramms.

Spezifische Bedeutungen des Bundesprogramms für die deutsche Zeitgeschichte

War die Bindung der Grünen an ihr Bundesprogramm von 1980 auch nur eingeschränkt gegeben, so markiert dieses Programm doch den Beginn derjenigen Partei, die es als erste und einzige vor der Wende von 1989/90 vermochte, in das seit den fünfziger Jahren stabilisierte und geschlossene System bestehender Parlamentsparteien einzudringen und sich von da ab in ihm zu behaupten. Diese grundlegende Veränderung des Parteiensystems, die weit und tief reichende Auswirkungen in alle anderen Parteien hinein zur Folge hatte, entschied über die politische Reintegration eines guten Teils der Generationen zwischen der Glossar68er-Studentenbewegung und den Neuen sozialen Bewegungen. Hatten sich die politisch Aktiven der Jahrgänge 1945 bis 1965 in großer Zahl zunächst im Protest abgewandt, begann für sie mit den Grünen eine Rückwendung zum eingespielten repräsentativen Parlamentarismus der Bundesrepublik, wenn auch zunächst in Form einer "Anti-Parteien-Partei". Unter dem Banner dieses Begriffs von GlossarPetra Kelly, einer der zentralen Gründungsfiguren der Partei, stellten die Grünen das etablierte Parteien- und Parlamentssystem massiv in Frage. Die Integration der Partei geschah dann in einem zwanzigjährigen Weg der inneren Anpassung bis hin zum Grundsatzprogramm von 2002.

Das Bundesprogramm von 1980 setzte Themen und eine Agenda, die bis heute für alle Industrienationen relevant geblieben sind. Die humanistischen und ökologischen Forderungen gerade in ihrer ungestümen Unbedingtheit, wie sie in der Frühphase einer Partei üblich sind, wiesen auf Wahrnehmungslücken der damals etablierten Politik hin. Sie führten unangegangene Probleme in den öffentlichen Diskurs zurück und eröffneten damit die Chance, Legitimationsdefizite des wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Systems, die in der sich modernisierenden bundesrepublikanischen Gesellschaft seit den fünfziger Jahren entstanden waren, zu beheben. Die im Programm geleistete Krisendiagnose ist in vielem bis heute gültig geblieben, die Debatten um die thematisierten Probleme halten an. Die Verbindung von Ökologie und Ökonomie, Frauenemanzipation, die Legitimität pluraler Lebensstile und der erhöhte Rechtfertigungsdruck für politische Akteure sowie die Öffnung politischer Verhandlungs- und Entscheidungsabläufe sind einige der Beispiele aus dem Beitrag der Grünen zum öffentlichen Diskurs, welcher damit zugleich eine freiere politische Kultur in der Bundesrepublik herbeiführte. Tatsächlich lassen sich viele der Detailforderungen des Bundesprogramms als inzwischen "erledigt", als eingelöst abhaken. Erfolgreich war insbesondere auch die "Ökologisierung" des Bewusstseins. Insofern erwies sich das Programm als realgeschichtlich wirkungsmächtig.

Zeittypisch und damit vergangen erscheint dagegen die Katastrophenannahme, aus der heraus das Programm zum Teil geschrieben wurde. Keineswegs durchgängig, aber immer wieder geht es von einer finalen Gesamtkrise der Industriegesellschaft der Bundesrepublik, ja der Menschheit aus. Die Unbedingtheit der eigenen Überzeugungen, der selbstverständliche Wahrheitsanspruch, der seit 1968 in linken Gruppierungen üblich, nach den achtziger Jahren dann kaum mehr anzutreffen war, basiert auf dieser Krisensicht. Letztere gab dem Handeln grüner Akteure eine über demokratischen Mehrheitsentscheidungen stehende, lediglich selbst zugesprochene Legitimität.

Insgesamt konserviert das Bundesprogramm von 1980 die Träume und Hoffnungen, die Werte und Ziele derjenigen jungen Generation, die in der Bundesrepublik wie in allen westlichen Ländern von einem grundlegenden Wertewandel geprägt war. Es ist damit ein herausragender Spiegel des Sehnsuchts- und Seelenzustands in diesem Teil der westdeutschen Gesellschaft. Eigenartig verschränkt sich im Programm der in die Zukunft gerichtete, grenzenlose Glaube an die Gestaltungsfähigkeit der Gesellschaft zugunsten humaner Werte mit der seit den frühen siebziger Jahren hereingebrochenen Erfahrung, dass sowohl das industrielle Wachstum als auch die Belastbarkeit der Umwelt deutliche Grenzen besitzen. Erstmals lag einem parteipolitischen Programmtext die Überzeugung vom Ende traditioneller Wachstumserwartungen zugrunde.

Von den radikalen Forderungen, die aus den Neuen sozialen Bewegungen in das Programm von 1980 hineingetragen wurden, ist wenig geblieben. Das gilt insbesondere für die Forderung nach Unterordnung der Wirtschaft unter eine generelle Humanisierung der Gesellschaft. Die Grünen sind nach wie vor eine kleine Partei und Fraktion mit begrenzten Wirkungsmöglichkeiten. Die Anpassung von Programm und Partei an die Mehrheitsgesellschaft der Bundesrepublik und deren seit 1980 unveränderte wirtschaftliche und politisch-institutionelle Grundstruktur überwiegt bei weitem den Einfluss der Grünen auf die Gesellschaft (Raschke, Machtwechsel).

Zur Forschung

Das Bundesprogramm wurde in der politikwissenschaftlichen Forschung vor allem in den achtziger Jahren diskutiert, bevor es durch den Schwenk der Gesamtpartei zum "Realo"-Kurs an Aufmerksamkeit verlor. Gute zeithistorische Einordnungen dagegen liegen wegen der Gegenwartsnähe der grünen Parteigeschichte noch nicht vor. Van Hüllen beschreibt wohl immer noch am detailliertesten den Entstehungsprozess des Programms und kritisiert seine Inhalte auf anregende, wenn auch politisch wertende Art (Van Hüllen, S. 259-281). Raschke, der die Neuen sozialen Bewegungen und die Grünen seit ihrer Entstehung politikwissenschaftlich begleitet hat, sieht in den Grünen eine "ideologische Rahmenpartei" und wirft dem Programm vor, geringe analytische Tiefe und zu viele Formelkompromisse aufzuweisen (Raschke, Die Grünen, S. 131-139). Diese Kritik übersieht aber die spezifische Situation, in der das Programm entstand, und seine Funktion als erstes einigendes Band einer zunächst heterogenen politischen Sammlungsbewegung. Wiesenthal ordnet das Bundesprogramm von 1980 in die nachfolgende Programmentwicklung bis Anfang der neunziger Jahre ein und sieht in der Fragmentiertheit der programmatischen Entwicklungen der Partei eine Behinderung ihrer politischen Handlungsfähigkeit (Wiesenthal, S. 95-130). Das trifft zu, doch erscheint aus historischer Sicht die Entstehungs- und Reifungsgeschichte der Grünen als eher ungewöhnlich schnell und auf dem Wählermarkt, in den Parlamenten und Regierungen recht erfolgreich. Aus der Perspektive der Regierungsposition der Grünen seit 1998 betrachtet dann Egle das Programm von 1980 nur mehr als überholte Altlast (Egle, S. 96).

International erweisen sich Markovits und Gorski als sehr gute Kenner der Grünen. Ihre Beschreibung des Programms von 1980 erhellt durch den Blick von außen in besonderer Weise deutsche geistesgeschichtliche und politische Traditionen (Markovits und Gorski, S. 173-278). Grüne und ökologische Parteien sind ein internationales, ja inzwischen weltweites Phänomen. Die deutschen Grünen waren dabei nicht die erste Partei, und gerade in der Transformationsperiode der osteuropäischen Länder seit 1989 spielten ökologische Bewegungen und Parteien oft eine wichtige Rolle, die jedoch meist von kurzer Dauer war (Heinrich-Böll-Stiftung (Hg.), Die Grünen in Europa). Das Bundesprogramm von 1980 war das erste Programm derjenigen grünen Partei, die im internationalen Vergleich die einflussreichste Position in ihrer Gesellschaft und ihrem politischen System erringen konnte. Das lag neben der Stärke der deutschen Neuen sozialen Bewegungen an vielerlei Umständen jenseits der Grünen, so an deutschen Geistestraditionen, am besonders scharfen Generationenbruch in Reaktion auf den Nationalsozialismus, am Wahlrecht und -system, an den vielfältigen parlamentarischen Chancen im deutschen Föderalismus und am Koalitionsmechanismus.

Josef Boyer