Beschluß des Präsidiums des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale über die Auflösung der Kommunistischen Internationale (Komintern), 15. Mai 1943

Einführung

Während die sowjetische Geschichtswissenschaft die Motive für die Auflösung der GlossarKomintern, die im Dokument selbst genannt wurden, für bare Münze nahm, heben zeitgenössische – russische wie westliche – Autoren seinen pragmatischen Charakter hervor. Und in der Tat war bereits während der 1920er und 1930er Jahre im Inneren der Sowjetunion ein allmählicher Wechsel von einer internationalistischen Ideologie zu einer an den Belangen der Großmacht orientierten patriotischen Ideologie zu beobachten. Ihm entsprach die Durchsetzung einer Position innerhalb der Komintern, die die UdSSR zur gemeinsamen Heimat des Weltproletariats erklärte und die Unterstützung ihrer Interessen auf Kosten der nationalen Interessen der eigenen Länder forderte. Dieser Grundsatz, insofern er öffentlich verkündet wurde, stand der Instrumentalisierung der Kommunisten außerhalb der Sowjetunion im Interesse der sowjetischen Außenpolitik im Wege – der Erfolg der Kommunisten wurde mit Sowjetisierung, mit Eroberung des eigenen Landes durch eine andere Macht – mit einer Neuauflage des Russischen Imperiums – assoziiert.

Die Führung der kommunistischen Bewegung und vor allem GlossarStalin selbst waren sich dieses Problems seit langem bewußt. Doch eine Auflösung der Komintern, die noch von GlossarLenin gegründet worden war, wäre einer offensichtlichen Herausforderung der alten bolschewistischen Ideologie gleichgekommen. Erst nach der Zerschlagung des alten GlossarBolschewismus während des GlossarGroßen Terrors 1937-1938 gewann Stalin genügend Macht, um eine Entscheidung über das Schicksal der Komintern zu treffen, ohne Schaden für seinen Einfluß in den kommunistischen Parteien. Schließlich wurde mit Ermordung von GlossarTrockij die letzte Möglichkeit beiseite geräumt, daß ein angesehener Mistreiter Lenins die eingeholte Fahne der Komintern wieder aufziehen und erklären konnte, die von Stalin aufgelöste Kommunistische Internationale bestehe weiter und zwar ohne ihn. Bald darauf "sondierte" Stalin zum ersten Mal die Möglichkeiten, die Komintern aufzulösen. Als Reaktion auf das Verbot der Kommunistischen Partei der USA, stimmte die Komintern dem Austritt der KPA aus ihren Reihen zu, welchen sie seit langem angehört hatte. Bereits dieses Dokument wies darauf hin, daß die Notwendigkeit, die Komintern aufzulösen, schon vor dem Krieg entstanden war.

Ein Beschluß zur Übertragung der Funktionen, die die Komintern als Führungszentrum der kommunistischen Bewegung bisher wahrgenommen hatte, auf die UdSSR und die GlossarVKP(b) hatte einen großen außenpolitischen Erfolg der Sowjetunion und eine genaue Definition der Perspektiven für die Erweiterung des Systems der kommunistischen Regime zur Voraussetzung. Die Niederlagen in der ersten Phase des Großen Vaterländischen Krieges 1941 zwangen Stalin dazu, den Beschluß aufzuschieben – man war auf eine strenge Führung über die Kommunisten in den verschiedenen Ländern angewiesen, außerdem hätte die Auflösung wie eine weitere Niederlage gewirkt. Doch nach dem Sieg bei Stalingrad begann die Autorität der UdSSR in der ganz Welt rasant zu wachsen. In Rahmen der GlossarAnti-Hitler-Koalition setzten die Verhandlungen über die Nachkriegsordnung in Europa ein, die GlossarTeheraner Konferenz wurde vorbereitet. Unter diesen Bedingungen erwies sich die formale Bindung zwischen den kommunistischen Parteien und der UdSSR für die sowjetische Diplomatie als hinderlich. Die von ihr gewählte Strategie bestand darin, die Situation so darzustellen, als ob die kommunistischen Parteien selbständige Subjekte der nationalen politischen Bühne ihrer Länder seien, und der demokratische Aufbau Europas nach dem Kriege dem Recht der Kommunisten auf aktive Beteiligung am politischen Wiederaufbau Rechnung tragen müsse. Der künftige Machtzuwachs der UdSSR in Europa sollte weder die Europäer noch die amerikanischen Partner mit der Perspektive einer unverzüglichen "kommunistischen Transformation" der sowjetischen Einflußsphäre in Angst und Schrecken versetzen. Außerdem brachte die Erfahrung des Spanischen Bürgerkrieges die kommunistischen Führer auf den Gedanken, daß es für sie zweckdienlicher gewesen wäre, statt wie bisher im Namen der kommunistischen Parteien in Vertretung der großen "prosozialistischen" und "Arbeiterparteien" zu agieren.

In Anbetracht dieser Umstände kam die Frage der Auflösung der Komintern im Frühjahr 1943 auf die Tagesordnung. Am 8. Mai 1943 richtete der GlossarVolkskommissar für Auswärtige Angelegenheiten GlossarVjačeslav Molotov an die Führer der Komintern GlossarGeorgij Dimitrov und GlossarDmitrij Manuil'skijeine mit Stalin abgestimmte Anweisung, einen Entwurf für den Beschluß über die Auflösung der Komintern vorzubereiten. Am 11. Mai 1943 stellten Dimitrov und Manuil'skij diesen Entwurf fertig.

Die Entscheidung über die Auflösung der Komintern, die von Stalin und Molotov gefällt und von Dimitrov unterstützt wurde, nahm die eigentliche Beschlußfassung vorweg. Unter einigen alten führenden Mitgliedern der Komintern löste sie einen Schock aus.

Um die negative Reaktion der Kommunisten auf die Auflösung der Komintern abzumildern, ließ Stalin eine Diskussion über diese Frage zu. Alle kritischen Äußerungen waren dabei selbstverständlich sorgfältig festzuhalten, doch sie erfolgten nicht – die Veteranen der kommunistischen Bewegung waren erfahren genug, um sich zurückzuhalten, und beschränkten sich auf die Konstatierung ihrer "Traurigkeit" aus Anlaß der Auflösung einer Organisation, mit der sie ihr ganzen Leben lang verbunden gewesen seien.

Bei der Diskussion über die Auflösung der Komintern, die zwischen 14. und 17. Mai 1943 stattfand, stritten die Mitglieder des GlossarPräsidiums des EKKI eher über Einzelheiten, wie dieser politischer Schritt begründet werden sollte, als über seine Zweckmäßigkeit. So war GlossarRákosi der Meinung, daß die Auflösung der Komintern einen Rückzug von den früheren Positionen bedeute, der Einführung der NĖP vergleichbar. GlossarThorez, seinerzeit vom Verzicht auf die von ihm verfolgte GlossarPolitik der Volksfront betroffen, zählte die Hauptniederlagen der Komintern auf – die Unfähigkeit, die Sozialdemokratie zu besiegen und die Verbreitung des Faschismus aufzuhalten. GlossarWolf korrigierte seine Kollegen, indem er darauf hinwies, daß die Auflösung der Komintern keinen Rückzug, sondern eine Bewegung nach vorne bedeute, denn inzwischen "wurden die Parteien erwachsen" und bräuchten keinen Vormund mehr. Auch im Dokument selbst wurde diese Vorstellung konsequent vertreten.

Seine Zweifel an der Zweckmäßigkeit der Auflösung äußerte schon 1943 GlossarWilhelm Pieck, wobei er diese Zweifel mit dem Argument begründete, daß einige kommunistische Parteien – darunter seine eigene, die deutsche – noch politisch schwach seien. Doch sein Kollege GlossarKolarov erwiderte ihm, solange die UdSSR existiere, würden die Kommunisten eine Führung haben. Und gerade darin bestand ja auch der Sinn des verabschiedeten Beschlusses: Die zentralistische Führung der kommunistischen Parteien von Moskau aus wurde nicht aufgehoben, sondern nahm lediglich verdeckte Formen an. Bei der Diskussion sprach Kolarov auch ein gefährliches Thema an, das die Perspektiven der politischen Entwicklung in der Zukunft betraf, nämlich die Möglichkeit, daß regionale Verbindungen der kommunistischen Parteien, z.B. auf dem Balkan, entstehen könnten. Als GlossarTito und Dimitrov 1948 diese Idee aufgriffen und fortentwickelten, führte dies zu einem scharfen Konflikt zwischen der UdSSR und Jugoslawien. Auch Rákosi "sah" die weitere Entwicklung der Ereignisse "voraus", als er darauf hinwies, daß man nach dem Krieg das Führungsorgan der Komintern in einer neuen Form wiederherstellen können wird. In Tat geschah dies 1947 mit der Gründung des GlossarKominforms.

Auch eine Diskussion über historische Präzedenzfälle für die Entscheidung der Kominternauflösung konnte nicht vermieden werden. Die Notwendigkeit dieses politischen Schrittes wurde mit dem Hinweis darauf begründet, daß GlossarKarl Marx 1876 die GlossarErste Internationale auflöste. Kolarov erinnerte die Anwesenden jedoch daran, daß dies nach der Niederlage der Pariser Kommune geschah, so daß auch der aktuelle Auflösungsbeschluß den Eindruck vermitteln könnte, die gegenwärtige Entscheidung sei ebenfalls durch eine Niederlage hervorgerufen. Selbstverständlich war es den Mitgliedern des Präsidiums nicht bekannt, daß die Auflösung der Ersten Internationale lediglich ihren vollständigen Zerfall konstatierte, der schon 1873 nach dem Austritt der Anarchisten und der Tradeunionisten stattfand. Kolarov wurde belehrt, solche Analogiebildungen seien unangebracht und es komme darauf an, die gegenwärtige Auflösung durch die unbestrittene Autorität von Marx zu kaschieren.

Die Mitglieder des Präsidium des EKKI diskutierten außerdem ausführlich die Übertragung der Funktionen der Komintern an die Führungsgremien der einzelnen kommunistischen Parteien, insbesondere – an das GlossarCK der VKP(b).

In der Nacht vom 19. auf den 20. Mai 1943 wurde während einer Sitzung bei Stalin der Wortlaut eines Briefes des Präsidiums des EKKI an die nationalen kommunistischen Parteien abgestimmt, der anschließend an sie verschickt wurde. Die Abstimmung mußte rasch erfolgen, damit der Brief nicht zufällig in die Hände des Gegners geriet und an die Öffentlichkeit kam, bevor er in der offiziellen Version erschien.

Am 22. Mai wurde der Brief offiziell in der Zeitschrift Glossar"Kommunističeskij international" veröffentlicht. Die Welt erfuhr über seinen Inhalt vor allem aus der Zeitung Glossar"Pravda". In den folgenden Tagen erklärten die kommunistischen Parteien einheitlich ihr Einverständnis mit dem Präsidium. Am 8. Juni 1943 verfügte das Präsidium des EKKI, seine Organe ab dem 10. Juni 1943 als aufgelöst zu betrachten.

Die Auflösung der Komintern, deren Organe sich bereits seit langem in ein bürokratisches Anhängsel des Apparats der VKP(b) verwandelt hatten, hatte auf die praktische Arbeit der kommunistischen Parteien keine Auswirkung. Sie wurden weiterhin von Moskau aus geführt und durch finanzielle Hilfe unterstützt. In der UdSSR löste dieser Beschluß ebenfalls kein Unbehagen aus. Er paßte durchaus zu den Maßnahmen der sowjetischen Führung, zur Normalisierung der Beziehungen zur Orthodoxen Kirche wie zur Einführung der Schulterklappen auf Uniformen der Roten Armee, die auf die Behauptung und Festigung des Großmachtpatriotismus während des Zweiten Weltkrieges ausgerichtet waren. Vor diesem Hintergrund wirkte der Verzicht auf eine weitere Erinnerung an die Weltrevolution, an die "Unterordnung" der führenden Partei gegenüber dem Zentrum der Weltrevolution, nicht außergewöhnlich. Alle Kommunisten, die über diese Entscheidung hätten empört sein können, waren vernichtet, ins Ausland geflohen oder befanden sich im GlossarGULag. Für diejenigen, die in den kommunistischen Parteien verblieben waren, war die Auflösung der Komintern ein weiterer Schritt zur Erweiterung der UdSSR als der "gemeinsamen Heimat des Proletariats" und des "sozialistischen Systems".

Aleskandr Šubin

(Übersetzung aus dem Russ. von L. Antipow)