Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik zur Regelung der Saarfrage [Saarvertrag], 27. Oktober 1956

Einleitung

Die Geschichte des Saarlandes ist vergleichsweise jung. Zu einem Bundesland der 1949 gegründeten Bundesrepublik Deutschland wurde es erst im Januar 1957 durch das "Gesetz über die Eingliederung des Saarlandes vom 23. Dezember 1956". Der Weg bis zu diesem Gesetz führte über kontroverse Entwürfe zur Zukunft der Saar vor dem Hintergrund der spannungsgeladenen internationalen Situation. Die Menschen im teilautonomen Saarstaat mussten schließlich selbst entscheiden, ob sie als unmittelbares Mitglied Europas leben wollten. Angewiesen waren sie dabei zunächst auf die Alliierten, vor allem auf Frankreich, später auch auf die Bonner Politik. Mit dem völkerrechtlichen "Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik zur Regelung der Saarfrage" vom 27. Oktober 1956 liegt ein Schlüsseldokument dieser historisch brisanten Zeit vor. Mit ihrem Beschluss, "die Saarfrage als Gegenstand zukünftiger Meinungsverschiedenheiten der beiden Staaten auszuschließen", schufen Frankreich und die Bundesrepublik eine notwendige Voraussetzung für die Eingliederung der Saar im Jahr 1957. Das im Vertrag formulierte "Bestreben, diese Frage unter Achtung der beiderseitigen Gefühle und Interessen zu regeln und damit zu einer allgemeinen und endgültigen Befriedung beizutragen", verweist auf die zentrale Bedeutung der Saar für wesentliche deutsch-französische Kooperationsstrukturen. Noch heute erfüllt die Region eine Brückenfunktion für die Freundschaft zwischen den beiden Ländern. Die neuere und neueste Geschichte der Saarregion spiegelt die Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich im europäischen und transatlantischen Zusammenhang.1Zum besseren Verständnis des Saarvertrags folgt hier zunächst eine knappe Darstellung der "Saarfrage" nach dem Zweiten Weltkrieg. Im Anschluss werden ausgewählte Kernthemen des Saarvertrags erläutert.

Die "Saarfrage" hat ihren Ursprung in der deutsch-französischen Auseinandersetzung über die territoriale und nationale Zugehörigkeit des gesamten saarländisch-lothringischen Grenzraumes seit dem 18. Jahrhundert. Zentral in diesem Konflikt waren die Bodenschätze dieser Region, die mit der Industrialisierung und der modernen Waffenproduktion an Bedeutung und damit an Konfliktpotential gewannen. Bereits unter der treuhänderischen Verwaltung des Völkerbundes zwischen 1919 und 1935 erhielt Frankreich in wirtschaftlicher Hinsicht umfassende Rechte, beispielsweise wurden die Bergwerke der Saar französisches Staatseigentum. Andererseits initiierte die französische Regierung auch zahlreiche Wohlfahrts- und Bildungsprojekte. Doch sprachen sich die Wahlberechtigten an der Saar in einer Abstimmung 1935 sowohl gegen einen Sonderstatus unter der Hoheit des Völkerbundes als auch gegen eine Vereinigung mit Frankreich aus. Sie stimmten mehrheitlich für einen Anschluss an das nationalsozialistische Deutschland.

Nach dem verlorenen Zweiten Weltkrieg waren Infrastruktur und Bausubstanz an der Saar zerstört, die Gräueltaten der saarländischen Mittäter und Mitläufer des NS-Regimes lasteten auf der Gesellschaft. Dennoch setzte die französische Besatzungsmacht, die ab Juli 1945 die Macht im Land innehatte, positive Signale. So zeigt die jüngere Geschichtsforschung, dass die französische Besatzung nach 1945 nicht mehr die politische Annexion der Saar favorisierte, sondern die ökonomische Nutzung der Region im Vordergrund stand.2Neben einer umfangreichen Entnazifizierung betrieben die Franzosen den kulturellen und wirtschaftlichen Wiederaufbau der Saar. Zu einer gewissen Autonomie kam das Gebiet durch den Wirtschaftsanschluss an Frankreich und die gleichzeitige politische Abkopplung von Deutschland. 1954 verständigten sich der französische Ministerpräsident Pierre Mendès France und Bundeskanzler Konrad Adenauer auf eine Europäisierung des Saarlandes, indem es der neu gegründeten Westeuropäischen Union unterstellt werden sollte. Die Entscheidung darüber oblag jedoch den Saarländern selbst, die sich nach einem harten Abstimmungskampf am 23. Oktober 1955 mit einer Mehrheit von 67,7 % gegen das sogenannte Saarstatut entschieden. Hierfür waren aber nicht allein nationale, sondern auch ökonomische und nicht zuletzt innenpolitische Aspekte ausschlaggebend. Die teilweise undemokratischen Zustände des Saarstaates unter dem Ministerpräsidenten Johannes Hoffmann hatten einen nicht geringen Anteil am Ausgang der Abstimmung.3

Obwohl die Abstimmung rechtlich kein Plebiszit über die nationale Zugehörigkeit darstellte, bot die französische Regierung Adenauer noch in der Wahlnacht Verhandlungen über eine Eingliederung der Saar in die Bundesrepublik an. Der Zeithistoriker Rainer Hudemann wertet dies als "Frankreichs alte[s] Selbstverständnis einer für Selbstbestimmung eintretenden Nation".4 Außerdem lag die Priorität Frankreichs eindeutig auf der Schaffung eines einvernehmlichen Ausgleichs mit der Bundesrepublik. Am 31. Januar 1956 gab der Saarländische Landtag eine Grundsatzerklärung über die politische und wirtschaftliche Integration in die Bundesrepublik heraus. Auf die generelle Zustimmung Frankreichs folgten monatelange, komplizierte Verhandlungen, die schließlich im "Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik zur Regelung der Saarfrage", dem sogenannten Luxemburger Saarvertrag mündeten. Ohne eine aktive Beteiligung saarländischer Politiker erarbeiteten die Vertreter der beiden Staaten die Lösung des Saarproblems. Ausschlaggebend für den geschaffenen Konsens waren zunächst der französische Verzicht auf alte Forderungen, aber auch wirtschaftliche und finanzielle Zugeständnisse der Bundesrepublik. Die Außenminister Deutschlands und Frankreichs, Heinrich von Brentano und Christian Pineau, unterzeichneten das Abkommen. Der Vertrag regelte vor allem die Fortdauer französischer Wirtschaftsinteressen an der Saar. Bis 1959 bestand weiterhin eine Währungs- und Wirtschaftsunion. In einer dreijährigen Übergangszeit sollte sich die saarländische Wirtschaft aus dem französischen Wirtschaftsraum lösen und in den bundesdeutschen eingegliedert werden. Die politische Aufnahme der Saar in die Bundesrepublik wurde auf den 1. Januar 1957 festgelegt, die wirtschaftliche auf einen unbestimmten Tag des Jahres 1959, das tatsächliche Datum fiel auf den 6. Juli 1959.

Der Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik zur Regelung der Saarfrage vom 27. Oktober 1956 umfasst zusammen mit 30 Anlagen zum Vertragstext und den beigefügten offiziellen Briefen zu den einzelnen Artikeln in seiner zweisprachigen Fassung mehr als 500 Buchseiten. Die Fülle der geregelten Fragen ist beachtlich. Der Vertrag legte die Basis für die Gestaltung der Übergangszeit und schuf die Grundlage für das nachfolgende Eingliederungsgesetz. Der Jurist Wilfried Fiedler betont in einer Analyse des Vertrags den Umfang der zu bewältigenden Probleme: Das Werk berücksichtigte nicht nur die Besitzstandswahrung in allen Bereichen des Rechts, sondern auch des Öffentlichen Dienstes. Es regelte wirtschaftliche Übergangsbestimmungen, soziale Leistungen und währungspolitische sowie steuerrechtliche Sicherungen bis hin zu Regelungen münzrechtlicher Art oder der Kriegsgräberfürsorge.

Das erste Kapitel des Vertrags enthält Politische Bestimmungen. Frankreich bestätigt hier den Geltungsbereich des deutschen Grundgesetzes für das Saarland. Auch garantiert das Abkommen an dieser Stelle, dass niemand aufgrund seiner Haltung gegenüber dem Saarstatut diskriminiert werden dürfe. Für die dreijährige wirtschaftliche Übergangszeit legt das zweite Kapitel ein zollpolitisches Sonderregime und eine Währungsunion zwischen dem Saarland und Frankreich fest. Die Wettbewerbsbedingungen der Unternehmen in den beiden Ländern sollten sich im Hinblick auf Subventionen jeweils nicht verschlechtern. Weiterhin finden sich nähere Bestimmungen zu Heilmitteln, Patentrecht, Eisenbahn-, Kraftfahrzeug- und Binnenschifffahrtsverkehr sowie zum Fernmelde- und Postwesen. Die Rechtsprechung wurde auf die spezifischen Regelungen des Vertrags abgestimmt. Um die Einheitlichkeit der saarländischen Rechtsprechung mit der französischen Rechtsprechung zu gewährleisten, erfolgt die Einrichtung eines deutsch-französischen Gemischten Gerichtshofes. Außerdem mussten der Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr zwischen dem Saarland und dem übrigen Gebiet der Bundesrepublik mit der Aufrechterhaltung der französisch-saarländischen Zoll- und Währungsunion vereinbart werden. Der Deutschlandvertrag vom 23. Oktober 1954 wurde an die Übergangszeit des Saarlandes angepasst. Die im dritten Kapitel erläuterten Bestimmungen zur Währungsumstellung traten schließlich am 6. Juli 1959 in Kraft. Um Spekulationsgeschäfte zu verhindern, hielten die Behörden den genauen Termin der Währungsumstellung geheim. Das vierte Kapitel Wirtschaftliche Endregelung enthält Vereinbarungen für die Zeit nach Ablauf der Übergangsregelung. Sie zielen darauf ab, weiterhin enge wirtschaftliche Beziehungen zwischen Frankreich und dem Saarland zu ermöglichen. Ein System von Zollkontingenten gewährleistete, dass Frankreich seinen umfassenden Warenverkehr mit dem Saarland aufrechterhalten konnte. In einer Rede am 29. November 1956 betonte Heinrich von Brentano: "In der Endregelung wird die Saar ein wirtschaftliches Bindeglied zwischen beiden Ländern [Bundesrepublik Deutschland und Frankreich] sein." Das fünfte Kapitel Niederlassung und Grenzverkehr kommt den an der Saar etablierten Franzosen und den in Frankreich seit vier Jahren niedergelassenen Saarländern zugute, die weiterhin berechtigt bleiben, ihr Gewerbe auch nach der Übergangszeit weiter zu betreiben.

Einen besonders kontroversen Punkt behandelt das sechste Kapitel Kohle. Das Warndt-Gebiet mit seinen grenzübergreifenden Kohlefeldern war ein jahrzehntelanges Streitobjekt zwischen Frankreich und Deutschland. Der Saarvertrag regelte nun endgültig die Abbaufrage der Warndt-Kohle und die Überführung der Bergwerke in saarländischen Besitz. Die französischen Ausbeutungsrechte im Warndt wurden auf eine Fördermenge von 66 Mio. Tonnen im Laufe von 25 Jahren festgeschrieben. Außerdem sprach man Frankreich aus dem Warndt 24 Mio. Tonnen Kohle aus dem Warndt zum Selbstkostenpreis der Lothringischen Gruben zu. Gemeinsam mit steuerlichen Ausgleichsbestimmungen für den Kohleabbau löste der Saarvertrag damit eines der strittigsten Probleme des Grenzraumes. Schließlich legte das siebte Kapitel Regelungen für ein internationales Schiedsgericht fest, das für die Streiterledigung aus dem Saarvertrag zuständig war. Zusätzlich ging ein Vertrag über die Kanalisierung der Mosel auf eine wesentliche Forderung der Franzosen ein: Der Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland, der Französischen Republik und dem Großherzogtum Luxemburg über die Schiffbarmachung der Mosel regelte die Großschiffbarmachung der Mosel zwischen Thionville und Koblenz. Für Frankreich bedeutete dies eine optimierte Verkehrsanbindung mit der lothringischen Montanindustrie.

Vor allem dem Entgegenkommen Frankreichs ist es zu verdanken, dass die Verhandlungen zum Saarvertrag zwischen den beiden lange Zeit verfeindeten Nachbarländern schließlich in der "Kleinen Wiedervereinigung" am 1. Januar 1957 mündeten. Heinrich von Brentano kommentierte dies 1956 vor dem Deutschen Bundestag folgendermaßen:

"Die Opfer, die gegenseitig gebracht wurden, zeugen von dem Willen der beiden Regierungen, einen neuen Abschnitt der deutsch-französischen Beziehungen zu beginnen, in dem die beiden Völker gemeinsam einer besseren Zukunft entgegenschreiten sollen. Es soll in Zukunft zwischen beiden Ländern nur noch solche Fragen geben, wie sie sich zwischen guten Nachbarn stellen."

Freilich verlief die Eingliederung des Saarlandes in die Bundesrepublik Deutschland nicht vollkommen reibungslos. Vor allem kleine und mittelständische saarländische Betriebe scheiterten an der bundesrepublikanischen Konkurrenz. Die Verbraucher kämpften mit steigenden Preisen und sinkenden Reallöhnen. Insgesamt stand die Saar vor einem umfassenden Strukturwandel: Für ihre wirtschaftliche Integration war eine Loslösung von den Monostrukturen der Montanindustrie unumgänglich. Zudem galt es, die politische Eingliederung in das föderale System der Bundesrepublik zu bewerkstelligen. Durch die fortschreitende europäische Integration der Bundesrepublik erhielt das Saarland schließlich für das deutsch-französische Verhältnis eine stabile und gleichzeitig dynamische Brückenfunktion.

Ines Heisig

1 M. Hahn u.a., Das Saarland 1945-1957. Zur Einführung in Grundprobleme und Forschungsstand, in: R. Hudemann, A. Heinen in Zusammenarbeit mit J. Großmann und M. Hahn (Hg.), Das Saarland zwischen Frankreich, Deutschland und Europa 1945-1957. Ein Quellen- und Arbeitsbuch, Saarbrücken 2007, S. 15-94, hier S. 19. [1]

2 D. Hüser, Die Saar in den internationalen Beziehungen nach dem Zweiten Weltkrieg. Ungewisse Planspiele, zögerliche Praxis und funktionales Potential in einem nachgeordneten Politikfeld, in: R. Hudemann, B. Jellonnek, B. Rauls (Hg.), Grenz-Fall. Das Saarland zwischen Frankreich und Deutschland 1945-1960, S. 97-120, hier S. 112. [2]

3 A. Heinen, Die Saarfrage und das Europa der Vaterländer. Diskurslogiken, gesellschaftliche Veränderungen und die Pariser Außenministerkonferenz, in: H. Miard-Delacroix, R. Hudemann (Hg.), Wandel und Integration. Deutsch-französische Annäherungen der fünfziger Jahre / Mutations et intégration. Les rapprochements franco-allemands dans les années cinquante, München 2005, S. 125-137, hier S. 135. [3]

4 R. Hudemann, Brücke oder Streitobjekt? Zu Frankreichs Saar-Politik 1919-1959, in: L. Linsmayer (Hg.), Die Geburt des Saarlandes. Zur Dramaturgie eines Sonderweges, Saarbrücken 2006 (Echolot, Historische Beiträge des Landesarchivs Saarbrücken, Bd. 3), S. 102-121, hier S. 119. [4]