Frank Beyer, Spur der Steine, DEFA 1966

Einleitung

Sieben Zimmerleute bewegen sich durch eine Menge, die Verschlüsse ihrer Bierflaschen knallen, eine junge Frau, die den Männern entgegenkommt, wird herumgewirbelt. Die Braven sind auf dem Weg zu einer Parteiversammlung, die glorreichen Sieben, von dem Zimmermann Hannes Balla angeführt, haben offensichtlich Besseres vor. Sie verspotten die Funktionäre als Weltverbesserer und Bleistiftanspitzer, orakeln, dass die DDR keine 20 Jahre bestehen wird, widersetzen sich dem "heiligen" Plan, der auf der fiktiven Baustelle Schkona zu Pannen und Verzögerungen führt. Sie diskutieren über Streik, sind Frauenhelden und Schläger – aber auch hervorragende Arbeiter. Und sympathische, eigenwillige Persönlichkeiten. Ihnen flogen schon 1965/66 die Herzen des Publikums zu.

Die Ungeliebten sind die strammen SED-Funktionäre, die eigentlich die Großbaustelle – ein Sinnbild für den Aufbau des sozialistischen Staates – leiten sollten. Doch sie bringen Zerstörung und vertreiben die jungen und engagierten (Parteimitglieder), wie die junge Ingenieurin Kati Klee und den Parteisekretär Werner Horrath. Am Ende wird gegen Horrath ein Parteiverfahren eröffnet (es bildet die Rahmenhandlung). Und Kati, die ein Kind von dem verheirateten Parteisekretär bekommen hat, verlässt die Baustelle – und der Zuschauer muss selbst entscheiden, was er sich für sie vorstellen und erhoffen kann. Und zwischen diesen beiden Gruppen von SED-Mitgliedern gibt es Parteilose, die aber hervorragende Arbeiter und sympathische Mitmenschen sind. Der eigenwillige Zimmermann Balla – verkörpert von dem damals schon ungeheuer populären Schauspieler Manfred Krug – steht eindeutig im Mittelpunkt.

Warum verbot die SED einen Film, der möglicherweise überaus erfolgreich geworden wäre? Anfang Dezember 1965 hatten die beiden renommierten Dokumentarfilmer Annelie und Andrew Thorndike einen langen und kritischen Bericht über die Lage in der DEFA an das Politbüro geschickt. Sie zeigten sich zutiefst beunruhigt darüber, dass manchem Kollegen das richtige politische Bewusstsein fehle. Und das hatte – aus ihrer Sicht – gravierende Folgen: "Wie aber sollen Künstler, die selbst so ratlos geworden sind, Filme schaffen, die das Publikum unsere sozialistische Welt lieben lehren […]?" 1Vor allem Frank Beyer, der "talentierte Kollege" wurde von ihnen kritisiert, weil er konsequent dagegen sei, dass sich Instanzen des Partei- oder Staatsapparates in Fragen der Filmkunst einmischten. Und auch der Nachwuchs bot aus ihrer Sicht wenig Hoffnung: Die Absolventen der Regiefakultät seien "fast alle total verkorkst: politisch von einer grenzenlosen Naivität und Halbbildung, ideologisch verkümmert, ästhetisch nahezu durchweg im Banne westlicher Auffassungen. Zu glauben, diese Absolventen wären junge Kommunisten, die in sich den Drang fühlen, mit der ihnen anvertrauten Waffe Filmkunst die Welt verändern zu wollen oder gar das Ideengut des Marxismus zu verbreiten und mit Hilfe dieser Lehre Einfluß auf das Bewußtsein der Massen zu nehmen, wäre gewißlich eine Fehleinschätzung." 2Nicht nur Frank Beyer, auch andere Regisseure wie Kurt Maetzig oder Konrad Wolf verdächtigten die Thorndikes "einer ausgesprochenen Kontrastellung gegenüber dem Partei- und Staatsapparat".3 Ihnen erschien es unumgänglich, dass die Parteiführung klare Perspektiven für das Filmwesen ausarbeiten müsse.

Zu der Sitzung vom 15. bis 18. Dezember 1965 wurden nicht nur die Mitglieder und Kandidaten des Zentralkomitees (insgesamt 174 Personen), sondern auch mehr als 200 Gäste aus Politik und Bildung eingeladen. 4"Ich rechnete", so erinnerte sich der Generaldirektor der DEFA, Jochen Mückenberger, der zum 11. Plenum des ZK der SED eingeladen worden war, "mit einer Abreibung, ja. […] Aber ich ahnte nicht, wie geharnischt das sein würde. […] Die Stimmung uns gegenüber war feindlich, […]. Es war eine Art Spießrutenlauf. […] Aber es wurde nicht diskutiert, es wurde verboten, und es wurde entlassen. Man wollte ein Exempel."5

Erich Honecker, seit einigen Jahren der wichtigste Mann neben Walter Ulbricht, machte in seinem Vortrag die Kulturschaffenden dafür verantwortlich, dass es aufmüpfige Jugendliche gab. Grundfalsch sei es, so der Funktionär, mit den Jugendlichen zu diskutieren, was am Sozialismus alles falsch sei. So lernten sie nie das vaterländische Denken, die Liebe zur DDR und den Respekt gegenüber der führenden SED. Vor allem schien Honecker zu beunruhigen, dass Kulturschaffende und Jugendliche die führende Rolle der SED nicht würdigten.

Die Strafe für die angeblich kritischen Kulturschaffenden folgte umgehend: Entlassungen, Umbesetzungen, Berufsverbote, finanzielle Einbußen, Filme wurden verboten oder gar nicht erst beendet. Klaus Wischnewski, damals Chefdramaturg bei der DEFA, bilanzierte das Verbot von zwölf DEFA-Spielfilmen als "Amoklauf der repressiven Bürokratie". 6Nur acht Filme der Jahresproduktion des Spielfilmstudios blieben verschont.

Im Dezember 1965 nahm Frank Beyer als Gast an dem 11. Plenum teil. Zu diesem Zeitpunkt war der Film nach mehr als eineinhalbjähriger Arbeit fast fertig gestellt, die Rohschnittfassung war im Oktober abgenommen und damit die Endfertigung genehmigt worden. Beyer versuchte in Diskussionen, die in den folgenden Monaten innerhalb der DEFA und mit Parteifunktionären geführt wurden, zu überzeugen, dass er in seinem Film positive Charaktere, die als Vorbild dienen konnten, aber auch negative Helden geschaffen habe. Beyer, selbst SED-Mitglied, hatte nicht einfach schwarz-weiß gezeichnet. Die Figur, die den Regisseur am meisten interessierte, war Hannes Balla. Beyer erklärte, dass "eines der Hauptmotive dieses Films eben darin besteht, daß ein solcher anarchistischer Typ, wie es Balla ist, in diese unsere Gesellschaft eingeordnet wird."7

Doch die Debatte brachte keine Einigung. Die Kritiker argumentierten, dass die Filmemacher zwar Recht damit hätten, dass sich das sozialistische Bewusstsein in der Arbeit entwickele, dies habe aber vor allem unter Leitung der Partei zu geschehen. Und genau dieser Aspekt fehle im Film. Stattdessen müsse mit den DEFA-Filmen ein sozialistisches Lebensgefühl geschaffen werden, das vom Vertrauen zur Partei getragen werde. So wie der Film jetzt sei, sei er nicht aufführbar. 8Das Vertrauen zur Partei, darin waren sich die Kritiker einig, werde durch diesen Film bei den Zuschauern nicht verstärkt. Kurt Hager, Sekretär des ZK, Leiter der Ideologischen Kommission beim Politbüro und als Hardliner bekannt, holte zum tödlichen Schlag aus: "Ich würde zum Film gern voll und ganz ja sagen. Ich kann es nicht. Wir stehen vor dem 20. Jahrestag unserer Partei. Ich würde es begrüßen, wenn wir zum 20. Jahrestag der Partei einen Film als wesentlichen Beitrag hätten. Mich beschäftigt stark die Darstellung der Partei. Sie läßt mich tief unbefriedigt. Wenn ich die Frage stelle, ob ich nach dem Sehen des Films in die Partei eintreten würde, dann kann die Antwort so ausfallen: Der Film ist interessant, aber eigentlich hat er mich überzeugt, daß ich nicht in die Partei eintreten soll."9

Sein Fazit war niederschmetternd: "Das Grundproblem bleibt aber, daß die Grundkonzeption falsch ist. D. h. daß die Darstellung der Partei, die Darstellung der Kollektivität der Partei, die Rolle der Partei im Leitungsprozeß nicht der tatsächlichen Rolle und dem Wesen der Partei entspricht." 10Resigniert äußerte einer der Teilnehmer: "Ich fürchte, daß wir keinen Film mehr kriegen. Mit schneiden und Dialog ändern löst man die Hauptprobleme nicht."11 Umso erstaunlicher war es, dass der Film nicht sofort verboten wurde, sondern dass Beyer eine Liste mit Änderungswünschen erhielt. Beyer überarbeitete, nahm aber bei weitem nicht alle geforderten Streichungen vor. Am 12. Mai 1966 tagte der Filmbeirat des Ministeriums für Kultur und empfahl – trotz einiger kritischer Stimmen – die Aufführung. Die vom Publikum begeistert aufgenommene Vorpremiere in Potsdam schien den Weg endgültig zu ebnen, Beyer war voller Zuversicht, dass sein Film ein großer Erfolg werde und fieberte dem Kinostart am 1. Juli 1966 entgegen. Dann entschied das Sekretariat des Politbüro am 28. Juni 1966, dass Spur der Steine zwar die Premiere erleben, doch statt der 56 Filme nur mit wenigen Kopien verbreitet werden sollte. Die Kinos wurden angewiesen, keine Werbung zu machen, der Film wurde weder durch Plakate noch durch Handzettel oder Trailer angekündigt. Nach wenigen Tagen wurde er planmäßig abgesetzt. Trotzdem waren sämtliche Vorführungen ausverkauft. Doch die SED ging einen Schritt weiter und arrangierte Störaktionen in den Kinos. Organisierte Schreihälse brüllten: "Das sind nicht unsere Arbeiter". Beyer schildert in seiner Autobiografie, dass er von den Störaktionen sehr schockiert gewesen sei, weil sie ihn in frappierender Weise an die Aktionen der Nationalsozialisten gegen den Film Im Westen nichts Neues erinnert hätten.

Für Frank Beyer war damit die Geschichte längst nicht zu Ende. Er musste das Studio verlassen. In Dresden inszenierte er in den folgenden zwei Jahren etliche Theaterstücke, bevor er zum Fernsehen und zur DEFA zurückkehrte. Mit großem Erfolg drehte er 1974/75 den Film Jakob der Lügner, der es als einziger DEFA-Film bis zur Oscar-Nominierung brachte. Die Demokratie, so erklärte Frank Beyer anlässlich der Wiederaufführung seines Films Spur der Steine im November 1989, konnte sich in den 23 Jahren nach dem 11. Plenum nicht durchsetzen, weil ungebrochen stalinistische Machtstrukturen herrschten. Sie wurden von der SED-Spitze und mit sowjetischen Waffen verteidigt. Und – so führt er aus: "Weil es Antifaschisten waren, die den Sozialismus stalinistischer Prägung bei uns eingeführt haben, [hätte man] Antifaschisten bekämpfen müssen, um den Stalinismus zu bekämpfen. Das wollten viele nicht." 12Und möglicherweise auch Frank Beyer nicht, der nie – auch nicht nach seinem Ausschluss aus der SED im Jahre 1980 – die Hoffnung auf Reformen in der DDR aufgab.

Susanne Brandt

1 Annelie und Andrew Thorndike, Einige Bemerkungen zur Lage in der DEFA, 2. Dezember 1965, BArch-SAPMO, DY 30 J IV 2/2J 1560, S. 1. [1]

2 Ebd., S. 8. [2]

3 Ebd., S. 15. [3]

4 Günter Agde, Das Plenum. Eine Rekonstruktion, in: ders., Kahlschlag, S. 181-197, hier S. 183. [4]

5 Die besten Jahre. Jochen Mückenberger über seine Zeit als DEFA-Generaldirektor 1961-1966, in: apropos: Film 2001. Das Jahrbuch der DEFA-Stiftung, hgg. von der DEFA-Stiftung, Berlin 2001, S. 10-28, hier S. 25. [5]

6 Klaus Wischnewski, Die zornigen jungen Männer von Babelsberg, in: Agde, Kahlschlag, S. 355-371, hier S. 356. [6]

7 Protokoll der Parteiversammlung in der DEFA, die sich mit den Auswertungen des 11. Plenums beschäftigt, 5.1.1966, BArch-SAPMO, Büro Hager, DY 30 IV A 2/2.024/36, Blatt 35. [7]

8 Ebd., Blatt 63f. [8]

9 Ebd., Blatt 67. [9]

10 Ebd., Blatt 71. [10]

11 Protokoll der Aussprache zum Film "Spur der Steine" in der HV Film des Ministeriums für Kultur am 11.3.1966, BArch-SAPMO, Büro Hager, DY 30 IV A 2/2.024/36, Blatt 74. [11]

12 Frank Beyer, Reden über verbotene Filme, in: 20. internationales forum des jungen films, Nr. 15, Berlin 1990, ohne Paginierung. [12]