Ansprache an die Sowjetbürger. Rede des Staatspräsidenten der UdSSR im Fernsehen, 25. Dezember 1991

Einführung

Die Ansprache GlossarGorbačevs an die sowjetische Bevölkerung vom 25. Dezember 1991 wird in der Historiographie als der letzte Amtsakt des GlossarPräsidenten der UdSSR und gleichzeitig als ein Schlußpunkt der GlossarPerestrojka interpretiert. Die Anhänger Gorbačevs heben hervor, daß er aus prinzipiellen Überlegungen auf die Macht verzichtete. Gorbačevs Gegner sind allerdings der Ansicht, daß er zu diesem Zeitpunkt noch versucht hätte, seine politischen Positionen aufrechtzuerhalten und auf verschleiernde Rhetorik als Mittel der Politik zurückgriff.

Nach dem GlossarPutsch im August 1991 ging die Macht Moskaus als politisches Zentrum der Sowjetunion jäh zurück. Gorbačev versuchte, die UdSSR in Form einer konföderativen GlossarGemeinschaft Unabhängiger Staaten (SNG) aufrechtzuerhalten. Doch die Führer der Unionsrepubliken befürchteten, daß der Präsident der UdSSR – obwohl nur mit unbedeutenden Machtbefugnissen ausgestattet – es im Laufe der Zeit schaffen könnte, seinen Einfluß zurückzugewinnen und das Unionszentrum zu stärken. Der Kampf gegen die Politik Gorbačevs verband sich daher mit dem Kampf gegen das Unionszentrum. Das GlossarReferendum über die Unabhängigkeit der Ukraine am 1. Dezember 1991 und das GlossarAbkommen über die Auflösung der UdSSR vom 8. Dezember 1991 in Belovežskaja Pušča krönten die Bemühungen der Eliten in den Unionsrepubliken, sich die volle Selbstständigkeit zu sichern.

Als der Zerfall des Sowjetimperiums unabwendbar schien, erstattete der GlossarPräsident der Russischen FöderationGlossarBoris El'cin dem amerikanischen Präsidenten GlossarGeorge Bush unverzüglich Bericht und erhielt dabei dessen Versprechen, daß die amerikanische Seite die Auflösung der UdSSR juristisch anzuerkennen wird. Gorbačev erfuhr davon später als der Präsident der USA und zeigte sich empört. Dies bewies ein weiteres Mal, daß man dem Präsidenten der UdSSR die Macht bereits entzogen hatte. Am 9. Dezember 1991 schlug Gorbačev vor, den GlossarVolksdeputiertenkongreß der UdSSR einzuberufen, um die Frage der Gründung der SNG zu diskutieren. "Das Schicksal des Vielvölkerstaates kann nicht durch den Willen der Führer von drei Republiken entschieden werden", erklärte Gorbačev. Doch die Abkommen von Belovež'e wurden bereits am 10. Dezember durch die Parlamente der drei Republiken – der Russischen Föderation, der Ukraine und Weißrußlands – ratifiziert (für die Ratifizierung stimmte die Mehrheit der Glossarkommunistischen Abgeordneten).

Am 18. Dezember 1991 richtete Gorbačev an die Führer der einstigen Unionsrepubliken ein Schreiben, in dem er vorschlug, eine Schlußsitzung des GlossarObersten Sowjetsder UdSSR abzuhalten, die den Beschluß über die Auflösung der Sowjetunion und die Übertragung seiner sämtlichen Gesetzesbefugnisse und -verpflichtungen an die GlossarGemeinschaft der Europäischen und Asiatischen Staaten (SEAG) verabschieden sollte. Dieser Weg der Auflösung der UdSSR hätte gestattet, überstaatliche Strukturen aufrechtzuerhalten. Doch dies kam für El'cin, GlossarKravčuk und GlossarŠuškevič nicht mehr in Frage.

Am 19. Dezember 1991 wurde per Beschluß des Präsidenten der RSFSR das GlossarKGB der UdSSR und das GlossarKGB der RSFSR sowie das GlossarMVD der UdSSR und das GlossarMVD der RSFSR aufgelöst.

Am 21. Dezember 1991 fand in Alma-Ata das Treffen der Staatsoberhäupter der ehemaligen Unionsrepubliken statt. 11 Republiken – Aserbaidschan, Kasachstan, Rußland, Usbekistan, Armenien, Kyrgyzstan, Tadschikistan, die Ukraine, Weißrußland, Moldova und Turkmenistan – unterzeichneten die GlossarDeklaration des SNG und weitere Dokumente. Bei der gleichen Gelegenheit erklärte der Präsident Kasachstans GlossarNursultan Nazarbaev feierlich, daß die Sowjetunion nicht mehr existiere.

Am 24. Dezember 1991 trat Rußland die Nachfolge der UdSSR in der UNO an; auf den russischen Staat gingen auch die Rechte des ständigen Mitglieds im Sicherheitsrat der UNO über.

Gorbačev versuchte bis zum letzten Augenblick, zumindest das Phantom einer einheitlichen Staatsbildung an Stelle der UdSSR aufrechtzuerhalten. Am 25. Dezember sagte er dem Präsident G. Bush am Telephon: "Es kommt auf die Unterstützung der GUS als einer zwischenstaatlichen Gründung, und nicht nur ihrer Mitglieder im einzelnen an". Doch die USA hatten zu diesem Zeitpunkt bereits andere Ziele.

Am 25. Dezember 1991, nach einem neunstündigen Gespräch mit Boris El'cin, bei dem Gorbačev seinem rußländischen Kollegen die wichtigsten politischen Probleme der UdSSR darlegte und die Staatsgeheimnisse mitteilte, wandte sich Gorbačev um 19 Uhr im Zentralen Fernsehen mit einer Abschiedsrede an das sowjetische Volk. Darin erklärte er, er verlasse den Präsidentenposten "aufgrund [seiner] Prinzipien", da er mit der Auflösung des Unionsstaates nicht einverstanden sei: "Die Linie der Zerstückelung und Auflösung des Landes hat sich durchgesetzt. Damit kann ich mich nicht einverstanden erklären".

Gorbačev war der Ansicht, daß Beschlüsse wie die Auflösung der UdSSR nur auf der Grundlage eines Volksreferendums getroffen werden konnten. Wie bekannt, legitimierte das GlossarVolksreferendum vom 17. März 1991 den Fortbestand der UdSSR. Gleichzeitig anerkannte Gorbačev die GlossarVereinbarungen von Alma-Ata über die Gründung der SNG, da er hoffe, sie können den "Weg aus der Krise und den Reformprozeß erleichtern".

Gorbačev ging ausführlich auf die Ergebnisse seiner Reformen ein, die unter dem Namen Perestrojka bekannt geworden waren. Der Präsident folgte der politischen Konjunktur des Jahres 1991 und betonte den radikalen, tiefgreifenden Charakter seiner Reformen, während seine Gegner gerade auf die Inkonsequenz dieser Reformen, auf die fehlende Bereitschaft des letzten sowjetischen Präsidenten, die GlossarNomenklatura der GlossarKPSS entschieden zu bekämpfen, hinwiesen.

Der scheidende Präsident unterstrich überdies die positiven Folgen der Reformen: die politische Freiheit, die Emanzipation der Gesellschaft, die Schaffung von Grundlagen für ein vielschichtiges Wirtschaftssystem, die freie Marktwirtschaft bei gleichzeitigen Bemühungen um soziale Sicherheit und die Beendigung des Kalten Krieges.

Gleichzeitig mußte sich Gorbačev für die Verzögerung der Reformen rechtfertigen, die er auf den Widerstand der Partei- und Wirtschaftsnomenklatura, der "alten Kräfte", zurückführte. Als er von der allseits erfolgten Kritik an seine Adresse sprach, meinte Gorbačev, die "grundlegenden Veränderungen in einem derartig riesigen Land und dazu noch mit einem solchen Erbe [konnten] nicht schmerzlos, ohne Schwierigkeiten und ohne Erschütterungen vollzogen werden." Diese Bemerkung gab auch Gorbačevs Erben im politischen Amt Grund zum Überlegen.

Es war kein Zufall, daß der Redner den radikalen Reformern keine Schuld an seinem Mißerfolg gab und von der Notwendigkeit sprach, die Errungenschaften der Demokratie zu bewahren. Schließlich waren auf diese Weise auch die Möglichkeiten für eine weitere politische Tätigkeit Gorbačevs zu sichern. Doch El'cin und seine Mannschaft haben die Schwierigkeiten bei der Durchführung der Reformen unterbewertet, und machten in der Rede Gorbačevs in erster Linie auf Passagen aufmerksam, die der Kritik an der Aufteilung des Staates galten.

Gorbačevs Auftritt empörte El'cin, und das geplante Abschiedstreffen zwischen den beiden fand nicht statt. Der Präsident der UdSSR übergab den Mitarbeitern des russischen Präsidenten den Glossar"Atomkoffer" und die Geheimarchive.

Um 19 Uhr 30 Minuten wurde die Staatsflagge der UdSSR über den Kreml eingeholt und die russische Trikolore gehißt. Noch am gleichen Tag gab der Präsident der USA George Bush die offizielle Anerkennung Rußlands, der Ukraine, Weißrußlands, Armenien, Kasachstans und Kirgisiens durch sein Land bekannt.

Am 26. Dezember 1991 wurde in der letzten Sitzung des GlossarRepubliksowjets des Obersten Sowjets der UdSSR eine Deklaration verabschiedet, die das Ende der UdSSR als Staat und als Subjekt des internationalen Rechts festschrieb.

Gorbačev wurde rasch aus seiner Präsidentenwohnung hinausgebeten. Die wichtigsten persönlichen Versprechen, die El'cin gegenüber Gorbačev machte, wurden jedoch eingehalten: Der Präsident der UdSSR wurde zum ersten Staatsoberhaupt, der nach seiner Amtsenthebung die volle Freiheit weiterhin genoß. Da er der Meinung war, daß in der "Ära Gorbačev" das "wichtigste erst noch beginnt", unternahm er wiederholte Versuche, in die große Politik zurückzukehren, genoß jedoch als Politiker keine große Popularität.

Indem die Auflösung der Sowjetunion den Zerfall der Beziehungen zwischen den einzelnen Regionen des Landes beschleunigte, trug sie im erheblichen Maße zur Verschärfung der wirtschaftlichen und sozialen Krise bei. Die Tatsache, daß in Zuge der staatlichen Desintegration Völker und Ethnien durch die Grenzen der nationalen Republiken voneinander getrennt wurden, die sich in Staatsgrenzen verwandelten, führte zur Verschärfung von zwischennationalen Problemen. In den folgenden Jahren wurde der Zerfall der UdSSR sogar von denjenigen, die ihn initiiert hatten (einschließlich des damaligen Präsidenten Rußlands El'cin), als negativ, obwohl unvermeidlich, bewertet. Gorbačev bestand bis zuletzt darauf, daß man die Union aufrechterhalten konnte.

Natalija Gerulajtis

(Übersetzung aus dem Russ. von L. Antipow)