Sergej Eisenstein, "Iwan der Schreckliche", Mosfil'm 1943/45

Zusammenfassung

1943/1945 drehte Sergej Eisenstein seinen zweiteiligen Film "Iwan der Schreckliche". Entgegen aller Erwartungen auf offizieller Seite stellte Eisensteins kinematographisches Meisterwerk keine Allegorie des sowjetischen Führers und des "sozialistischen Übermenschen" dar. Zwar war dem Regisseur im Teil I ein politisches und charakterliches Portrait gelungen, das einen omnipotenten Autokraten an der Spitze eines modernen säkularen Staates und einer imperialen Großmacht zeigte, einen Machtmenschen, der mit brutaler Gewalt geherrscht hatte. Beim Teil II handelte es sich jedoch um die Tragödie eines "Genies und Despoten", eines autonomen und emanzipierten Individuums der russischen Moderne, das allen kulturellen Sinnsystemen entfremdet war. Der Zar lies eine klare Weltanschauung vermissen, war stets zwischen Ratio und Emotion, zwischen Ordnung und Chaos, zwischen Kultur und Barbarei hin und her gerissen. Seine Ethik, Rechtsauffassung und sein Herrschaftskonzept sowie sein Handeln als Politiker und Mensch waren antinormativ, ambivalent, unberechenbar und selbstzerstörerisch. Darüber hinaus zeichnete Eisenstein das Bild Iwan des Schrecklichen als einer psychisch devianten Persönlichkeit, die ihre Ganzheit verloren hatte, eines angstgesteuerten und mißtrauischen "willenschwachen Melancholikers". Indem Sergej Eisensteins Film den stalinistischen Mythos Iwan des Schrecklichen hinterfragte, regte er eine kritische Auseinandersetzung mit dem sowjetischen Staatssystem seiner Gegenwart an. 1946 wurde Teil II des Films für den sowjetischen Verleih verboten; erst 1958 dürfte er öffentlich gezeigt werden.