Zur Gründung der Öffentlichen Gruppe zur Förderung der Durchführung der Beschlüsse von Helsinki in der UdSSR [Moskauer Helsinki-Gruppe (MHG)], 12. Mai 1976

Zusammenfassung

Am 1. August 1975 – fast nach drei Jahren der multilateralen Verhandlungen und dem Beginn Entspannungspolitik – unterzeichneten die 35 Staats- und Regierungs- bzw. Parteichefs die Schlußakte der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. Die Menschenrechte waren noch nicht das zentrale Element dieses rein politischen Dokuments und sogar der kühnste Optimist auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs hätte sich weder die breite öffentliche Rezeption noch die langfristige Wirkung dieser konsensorientierten Vereinbarung vorstellen können.

Am 12. Mai 1976 wurde in der Sowjetunion eine von den 11 Dissidenten unterschriebene Deklaration bekannt gegeben, welche die Gründung einer Öffentlichen Gruppe zur Förderung der Durchführung der Beschlüsse von Helsinki in der UdSSR (Obščestvennaja gruppa sodejstvija vypolneniju chelsinkskich soglašenij v SSSR), der Moskauer Helsinki-Gruppe (MHG), proklamierte. Ausgehend von dem Prinzip VII des Helsinki-Dekalogs und der Überzeugung, daß Menschenrechte einen unteilbarer Teil der internationalen Sicherheit darstellen, hat sich der noch aktive Kern der sowjetischen Menschrechtsbewegung mit Jurij Orlov an der Spitze zum Ziel gesetzt, die Beschwerden der Sowjetbürger über die Verletzungen ihrer in der Helsinki-Akte festgehaltenen Grundrechte entgegenzunehmen und darüber die breite Öffentlichkeit sowie die Regierungschefs der KSZE-Teilnehmerstaaten zu informieren. Der Preis dieser Zivilcourage war hoch: Beschattung durch die KGB, strafrechtliche Verfolgung, Exil, psychiatrische Zwangsinternierung mit anschließender Selbstauflösung der ganzen Gruppe im Jahr 1982.

Rückblickend betrachtet waren aber ihre ursprünglichen Ziele mehr als übertroffen: Als moralische Instanz haben sie den Absolutheitsanspruch des eigenen Staates mit seiner sozialistischen Menschenrechtskonzeption in Frage gestellt und somit die Grundlagen für den langfristigen innerstaatlichen Wandel in Osteuropa sowie auf der Strukturebene der Internationalen Beziehungen geschaffen. Die MHG hatte die Helsinki-Bewegung in den Warschauer-Block Staaten ausgelöst und als nichtstaatlicher Akteur auf den KSZE-Prozeß eingewirkt, indem sie die Menschenrechtsverletzungen ihrer Staaten auf den Folgekonferenzen problematisierte und der bis dahin im Völkerrecht geltenden „domestic jurisdiction“-Klausel zum internationalen „Recht auf Einmischung“ verholfen hat.