Beschluß des Politbüros des CK der VKP(b) über die Einstellung der Verfahren vor Trojkas, Militärtribunalen und dem Militärkollegium des Obersten Gerichtshofes der UdSSR, 15. November 1938, und Beschluß des Rates der Volkskommissare der UdSSR und des CK der VKP(b) "Über Verhaftungen, staatsanwaltschaftliche Aufsicht und Untersuchungsführung", 17. November 1938

Einleitung

Am 15. November 1938 fasste das Politbüro des Zentralkomitees der Allsowjetischen Kommunistischen Partei (Bol’ševiki) einen knappen Beschluss mit weitreichenden Folgen, der als gemeinsame Entschließung des Politbüros und des Rates der Volkskommissare in Kraft trat: Mit sofortiger Wirkung waren Verfahren vor "Trojkas" und solche vor Militärtribunalen und dem Militärkollegium des Obersten Gerichts, die aufgrund von Sonderbefehlen oder aufgrund einer anderen vereinfachten Prozedur eingegangen waren, einzustellen. Das bedeutete nach fast eineinhalb Jahren das Ende der "Massenaktionen", die sich seit dem Juli 1937 zum Großen Terror summiert hatten und denen rund 1,5 Millionen Menschen zum Opfer gefallen waren. Mehr als 700.000 von ihnen waren erschossen worden, während die übrigen auf lange Jahre in die Lager des GULag geschickt worden waren. In einem zweiten Beschluss, der einen Tag später erging, erfolgte eine eingehende Begründung der vorausgegangenen Weisung zusammen mit weiteren Anordnungen, wie die Bekämpfung der "Volksfeinde" künftig zu vollziehen sei.

Den "Massenaktionen" des Großen Terrors lag die Vorstellung Stalins und seiner Umgebung zugrunde, die Sowjetunion sei nicht nur von Staaten umgeben, die ihrer politischen und Gesellschaftsordnung feindlich gegenüberstünden, sondern auch im Inneren von zahlreichen Feinden unterschiedlichster Art bedroht, die mithilfe von Untergrundorganisationen, Spionagedienste für diverse Länder und sogar mittels Sabotage und terroristischer Attacken gegen die Führungspersonen der Kommunistischen Partei die "sozialistische" Ordnung der UdSSR zerstören und als Agenten ausländischer Kräfte den Kapitalismus wiederherstellen wollten. Die grundlegenden Szenarien waren bereits in den großen Schauprozessen vom August 1936 und Januar 1937 breitenwirksam propagiert worden. Während hier und in den noch folgenden Moskauer Prozessen gegen General Tuchačevskij (11. Juni 1937) und gegen Bucharin und weitere Angeklagte (März 1938) sowie in einer Fülle von Filialprozessen in der ganzen Sowjetunion Angehörige der Sowjetelite betroffen waren, richtete sich der Große Terror zwar nicht ausschließlich, aber doch überwiegend gegen bereits marginalisierte Personen, wie ehemalige "Kulaken" und ganz normale Bürger der UdSSR. Angehörige nationaler Minderheiten, besonders wenn sie in Grenznähe lebten, sowie Emigranten galten als in besonders hohem Maße spionageverdächtig.

Die Zielgruppen des Terrors und die gegen sie zu richtenden Maßnahmen wurden in speziellen Operativbefehlen des NKVD festgelegt, die vom Politbüro bestätigt wurden.

Am 25. Juli 1937 erging der Operativbefehl Nr. 00439, der die Verhaftung aller spionageverdächtigen Deutschen vorsah, am 30. Juli der Operativbefehl Nr. 00447 über die "Repression ehemaliger Kulakaen, Verbrecher und anderer antisowjetischer Elemente" – unter letzterem waren z. B. ehemalige Angehörige antisowjetischer Parteien aller möglichen Richtungen oder einstiger Formationen der "weißen" Truppen zu verstehen waren. Am 11. August erging der Operativbefehl Nr. 00485 der sich gegen Angehörige einer angeblichen "Polnischen Militärorganisation", polnische Grenzverletzer und Emigranten, ehemalige Anghörige der Polnischen Sozialistischen Partei PPS und anderer polnischer Parteien und weitere verdächtigte Polen richtete. Am 22. August erging der Operativbefehl Nr. 00486, der Repressionen gegen die Ehefrauen verurteilter "Landesverräter" und die Verbringung ihrer Kinder in staatliche Erziehungsheime vorsah. Am 20. September wurden Repressionen gegen die in die Sowjetunion zurückgekehrten Mitarbeiter der 1935 von Russland an die Kolonialmacht Japan verkaufte Ostchinesischen Eisenbahn, die sowie Remigranten aus Mandschuko angeordnet. Weitere Repressionsbefehle richteten sich gegen Angehörige weiterer nationaler Minderheiten wie Griechen oder Iraner. Die Verhängung der Repressionen erfolgte durch außergerichtliche Instanzen, von denen die Trojkas des NKVD die wichtigsten waren.

Die Anweisung, solche Trojkas zu bilden, war in dem Politbürobeschluss vom 2. Juli 1937 "Über die antisowjetischen Elemente" enthalten, der gewissermaßen der "Startschuss" für den Großen Terror war. Die Trojkas, so die Anweistung an die Parteisekretäre auf Oblast’- und Kraj-Ebene sowie jene der nationalen autonomen Republiken, sollten entscheiden, wer von den zu verhaftenden, aus der Verbannung geflüchtete Kulaken und Verbrechern als "besonders feindlich" zu erschießen war. Der bereits erwähnte Operativbefehl Nr. 00447, der hierauf basierte, sah feste Kontingente von zu Erschießenden und in die Lager Einzuweisenden für alle Regionen vor und gab Auskunft über die Zusammensetzung der über 60 Trojkas, die über die Zuordnung der Verhafteten und vom NKVD "überführten" in die erste oder zweite Kategorie (Erschießung bzw. Lagerhaft) zu entscheiden hatten. Es komme darauf an, so erläuterte NKVD-Chef Nikolaj Ežov in dem Befehl, "diese ganze Bande antisowjetischer Elemente mit äußerster Erbarmungslosigkeit zu zerschlagen". Den Vorsitz in den Trojkas führte der jeweilige Oberste Repräsentant des NKVD, weitere Mitglieder waren der Parteisekretär und der Generalstaatsanwalt (Prokuror) der jeweiligen Republik, der Oblast’ oder des Kraj. Die "Urteile" beruhten auf den Ermittlungsergebnissen des NKVD. Die Beschuldigten selbst wurden bei dieser administrativen, rein formellen Prozedur nicht gehört. So konnten die Trojkas pro Sitzung Hunderte von Entscheidungen über Leben und Tod treffen. Die "Kulakenaktion", wie die Massenverfolgung aufgrund des Operativbefehls 00447 auch genannt wird, sollte ursprünglich nicht länger als vier Monate dauern. 268.950 Menschen waren zur Verhaftung vorgesehen, von denen 75.950 erschossen werden sollten. Aus den allermeisten Regionen kamen jedoch sehr bald Anträge, die festgesetzten Limits zu erhöhen, da noch mehr "Volksfeinde" ausfindig gemacht worden seien. Der Operativbefehl sah ausdrücklich vor, das bei der Untersuchung die "verbrecherischen Verbindungen" der Verhafteten aufgedeckt werden sollten. Hundertausende von erfolterten und manipulierten Geständnissen erbrachten hier eine reiche Ernte, die zu weiteren Verfolgungen führte. Am Ende hatte sich die Zahl der Opfer der "Kulakenoperation" mehr als verdoppelt.

Das Prozedere der "nationalen Operationen" unterschied sich von dem der Kulakenoperation. Die Zuteilung in die erste bzw. zweite Kategorie (Erschießung bzw. Lagerhaft) erfolgte hier nicht durch Trojkas, sondern durch sogenannte Dvojkas, die aus dem regionalen NKVD-Chef und dem entsprechenden Oberstaatsanwalt (Glavnyj prokuror) bestanden. Im Unterschied zu den Trojkas entschieden die Dvojkas nicht endgültig, sondern übersandten der "Obersten Dvojka", die offiziell "Kommission des NKVD und der Prokuratura der UdSSR" hieß und aus Nikolaj Ežov und Andrej Vyšinskij bestand, Listen, sogenannte "Alben", mit knappen Angaben über die "Verurteilten" zur Bestätigung. Die Angehörige einer "Fünfte Kolonne" verdächtigten Angehörigen nationaler Minderheiten und Exilgemeinschaften wurden zu einem bedeutend höheren Prozentsatz zum Tode verurteilt als die im Rahmen der "Kulakenaktion" Verfolgten.

Eine weitere außergerichtliche Instanzen, die in die Massenaktionen des Großen Terrors involviert war, war die Sonderversammlung (Osoboe soveščanie – OSO) beim NKVD der UdSSR, die in den Jahren 1937/38 fast 64.000 Menschen verurteilte, darunter die durch den Operativbefehl 00486 zur Verfolgung vorgesehenen Ehefrauen von "Volksfeinden".

Angehörige der sowjetischen Partei- und Staatselite wurden in den Jahren des Terrors in der Regel vom Militärkollegium des Obersten Gerichts abgeurteilt, das aber tatsächlich keine eigenständigen Verfahren durchführte, sondern nur Entscheidungen Stalins und weiterer führender Mitglieder des Politbüros vollzog. Diese zeichneten vom NKVD vorbereitete Listen ab, die jene Personen aufführten, die vom Militärkollegium zum Tode verurteilt werden sollten. Nur in wenigen Fällen wandelte Stalin die vorgeschlagenen Todesurteile in Lagerstrafen um. Insgesamt zeichneten er, Molotov, Kaganovič, Vorošilov, Ždanov und in einigen Fällen auch Mikojan und der später selbst erschossene Kosior, insgesamt über 370 Listen ab (Molotov unterzeichnete insgesamt 372, Stalin 357), auf denen rund 40.000 Todeskandidaten aufgeführt waren. Formell hatte das ein Gerichtsurteil gegen die Betroffenen zur Folge, jedoch wurden angesichts der unumstößlichen Direktiven des Politbüros dauerten die "Verhandlungen" in der Regel jeweils nur wenige Minuten und waren de facto nichts anderes als die pseudojustitielle Maskierung zuvor beschlossener politscher Morde. Von den insgesamt rund 1,5 Millionen 1937/38 im Rahmen der Massenoperationen Verhafteten wurden insgesamt fast 1,34 Millionen wegen "konterrevolutionärer Verbrechen" verurteilt, davon 767.000 im Rahmen der Antikulaken-Operation und weitere 335.000 im Rahmen der "nationalen Operationen". Eine Viertelmillion Menschen wurde von diversen lokalen Gerichten, Tribunalen und Sonderkollegien verurteilt. Parallel zur politischen "Säuberungskampagne" verfügten die Trojkas der Miliz etwa 400.000 Haft- und Verbannungsstrafen gegen Personen, die als "sozial schädliche Elemente" qualifiziert wurden.

Angehörige der sowjetischen Partei- und Staatselite wurden in den Jahren des Terrors in der Regel vom Militärkollegium des Obersten Gerichts abgeurteilt, das aber tatsächlich keine eigenständigen Verfahren durchführte, sondern nur Entscheidungen Stalins und weiterer führender Mitglieder des Politbüros vollzog. Diese zeichneten vom NKVD vorbereitete Listen ab, die jene Personen aufführten, die vom Militärkollegium zum Tode verurteilt werden sollten. Nur in wenigen Fällen wandelte Stalin die vorgeschlagenen Todesurteile in Lagerstrafen um. Insgesamt zeichneten er, Molotov, Kaganovič, Vorošilov, Ždanov und in einigen Fällen auch Mikojan und der später selbst erschossene Kosior, insgesamt über 370 Listen ab (Molotov unterzeichnete insgesamt 372, Stalin 357), auf denen rund 40.000 Todeskandidaten aufgeführt waren. Formell hatte das ein Gerichtsurteil gegen die Betroffenen zur Folge, jedoch wurden angesichts der unumstößlichen Direktiven des Politbüros dauerten die "Verhandlungen" in der Regel jeweils nur wenige Minuten und waren de facto nichts anderes als die pseudojustitielle Maskierung zuvor beschlossener politscher Morde.

Von den insgesamt rund 1,5 Millionen 1937/38 im Rahmen der Massenoperationen Verhafteten wurden insgesamt fast 1,34 Millionen wegen "konterrevolutionärer Verbrechen" verurteilt, davon 767.000 im Rahmen der Antikulaken-Operation und weitere 335.000 im Rahmen der "nationalen Operationen". Eine Viertelmillion Menschen wurde von diversen lokalen Gerichten, Tribunalen und Sonderkollegien verurteilt. Parallel zur politischen "Säuberungskampagne" verfügten die Trojkas der Miliz etwa 400.000 Haft- und Verbannungsstrafen gegen Personen, die als "sozial schädliche Elemente" qualifiziert wurden.

Schon im Vorfeld der Beschlüsse vom 16. und 17. November 1938 hatte es Anzeichen dafür gegeben, dass der Große Terror, die größte gezielte Massenverfolgungs- und vernichtungsaktion in der Geschichte der Sowjetunion, sich seinem Ende näherte. So wurden am 15. September 1938 die sogenannten Sondertrojkas ("Osobye trojki") gebildet, die die restlichen Fälle von im Rahmen der "nationalen Operationen" bis zum 1. August 1938 Verhafteter innerhalb von zwei Monaten abarbeiten sollten. Die nach dem 1. August 1938 Verhafteten sollten an die jeweils zuständigen Gerichte übergeben werden. Bemerkenswert ist auch, dass die Sondertrojkas das Recht hatten, Verhaftete freizulassen, wenn in den Akten kein ausreichendes Material für die Verurteilung vorlag. Die Sondertrojkas waren in ihrer personellen Zusammensetzung identisch mit jenen, die gemäß dem Operativbefehl 00447 gebildet wurden, d.h. dass der wesentliche Unterschied zu den Dvojkas in der Beteiligung von Vertretern der kommunistischen Partei lag. Zugleich wurde bereits in diesem Beschluss die beabsichtigte Verlagerung des Schwergewichts politischer Verfolgung von der Administrativjustiz, die im Großen Terror dominiert hatte, auf das Justizsystem deutlich. Ein weiterer Schritt in diese Richtung war der Politbürobeschluss vom 8. Oktober 1938, der eine Kommission ins Leben rief, deren Aufgabe darin bestand, binnen zehn Tagen eine Vorlage für einen Politbürobeschluss über Verhaftungen, die Aufsicht durch die Prokuratura und die Untersuchungsführung vorzubereiten. Der Kommission gehörten neben dem NKVD-Chef Ežov und seinem Stellvertreter Berija, der Prokuror der Sowjetunion, Vyšinskij, sowie die Politbüromitglieder Ryčkov und Malenkov an. Die Kommission lieferte die Grundlage für den Beschluss vom 17. November.

Sein Zweck war offensichtlich, den am Terror beteiligten Instanzen den Kurswechsel zu erläutern. Dabei werden auch untere Instanzen angesprochen, die nicht an der Bildung von Trojkas beteiligt waren, auf deren Zuarbeit bei den Verfolgungen aber natürlich nicht verzichtet werden konnte. Bezeichnend ist, dass die Politbüro-Entschließung mit einer grundsätzlichen Rechtfertigung des Terrors beginnt. Das NKVD habe unter Leitung der Partei den Volksfeinden eine vernichtende Niederlage zugefügt und zugleich bedeutsame Leistungen bei der Zerschlagung von Spionageringen vollbracht. Das habe eine positive Rolle für den sozialistischen Aufbau gespielt. Man dürfe indes nicht glauben, "die Säuberung der UdSSR von Spionen, Schädlingen, Terroristen und Diversanten" sei beendet. Nun gehe es vielmehr darum, den Kampf mit zeitgemäßeren und zuverlässigeren Methoden zu führen. Bei den bisher von NKVD und Prokuratura angewandten vereinfachten Methoden, seien Fehler und Unzulänglichkeiten unvermeidbar gewesen. Die Politbüroentschließung enthält also einerseits ein klares Bekenntnis zum Terror, andererseits wird die Partei von jeglicher Verantwortung für die aufgetretenen Probleme freigesprochen. Die Schuld hierfür wird insbesondere den "Volksfeinden" zugeschrieben, die in das NKVD eingedrungen seien. Ohne die "unzulässigen Methoden" wären indes die vom Politbüro erwarteten Verfolgungsergebnisse schwerlich zu erbringen gewesen. Der Beschluss vom 17. November enthält implizit bereits die Legende von der "Ežovščina", wonach Ežov, der am 23. November 1938 seinen Rücktritt einreichte, fünf Monate später verhaftet und am 6. Februar 1940 als "Volksfeind" erschossen wurde, der Hauptverantwortliche für den Großen Terror war. Tatsächlich konnte aber niemand anderer als Stalin dies für sich in Anspruch nehmen. Zu den Widersprüchen, die den Politbürobeschluss vom 17. November kennzeichnen, gehört ferner, dass sich die darin enthaltene Kritik an der Verfolgungspraxis des NKVD vor allem darauf bezieht, dass die Ermittler sich ausschließliche auf die Erlangung von Geständnissen konzentrierten, ohne weitere Ermittlungen und Sachbeweise beizubringen, und das ferner Verfahrensfehler moniert werden, nicht aber die verbreitete Folterpraxis. Es musste auch den Politbüromitgliedern klar sein, dass die von ihnen gestellten Anforderungen an die Massenoperationen mit der im Nachhinein geforderten genauen Untersuchungsarbeit unmöglich vereinbar war und dass die eingangs gepriesenen "Erfolge" auf diesem Wege nicht zu erreichen gewesen wären. Auch dass gefoltert wurde, war bekannt, und mehr als das: Als nach der Einstellung des Großen Terrors vielfach Anklagen gegen die ungesetzliche Folterpraxis laut wurden, sah sich Stalin am 10. Januar 1939 veranlasst, den führenden Parteisekretären und NKVD-Funktionären in einem Chiffretelegramm mitzuteilen, dass die "Anwendung physischer Einwirkungen" seit 1937 mit Erlaubnis des ZK der VKP (b), also des Politbüros bzw. Stalins selbst erlaubt war. Die "Methode physischer Einwirkungen" – wie alle Folterregime nannte auch das stalinistische die Sache nicht beim Namen – werde in den Staaten der Bourgeoisie in den grausamsten Formen gegen die Werktätigen angewandt. Es frage sich, warum sich die sowjetische Aufklärung hier humaner verhalten solle. Die Folter sei als Ausnahmemethode gegen "offenkundige und nicht kapitulationsbereite Volksfeinde" eine völlig richtige und zweckmäßige Methode. Wenn also in dem Beschluss dem NKVD und der Prokuratur alle weiteren Massenoperationen verboten wurden – was der Logik entbehrte, weil Stalin und das Politbüro diese Operationen initiiert und sanktioniert hatten – und die Mitarbeiter von NKVD und Prokuratura auf die strikte Beachtung der Strafprozessordnung verpflichtet wurden, so spielte dabei der Schutz der Bürger der UdSSR vor ungerechtfertigter Verfolgung die geringste Rolle.

Wie das Ende der Massenrepressionen ins Werk gesetzt wurde, wissen wir heute, u.a. dank des hier präsentierten Schlüsseldokuments, recht genau. Welche Motive dahinter standen, dafür gibt es plausible Erklärungen, aber keine eindeutigen Quellenbelege. Zum einen waren die Massenoperationen von vorneherein auf begrenzte Zeit angelegt gewesen. Allerdings bestand auch von Beginn an die Option einer Ausweitung. Der allzu große Verlust qualifizierter Kräfte wurde von der Sowjetführung mit Besorgnis zur Kenntnis genommen und dürfte ebenfalls zu ihrem Kurswechsel beigetragen haben. Schließlich wird in der Forschung auf Eigenmächtigkeiten Ežovs verwiesen, der etwa eine Erhöhung der Repressionslimits in der Ukraine ohne Einschaltung des Politbüros eigenmächtig genehmigt und von dem sich sogar Politbüromitglieder bedroht gefühlt hätten. Zweifelsohne war die Gefahr, dass der Terror bei weiterer Fortsetzung völlig aus dem Ruder laufen würde, nicht gering, und aus der Politbüroentschließung vom 17. November 1938 spricht ein starkes Bedürfnis nach Übersichtlichkeit und Kontrolle. Eben darum ging es bei der Einforderung striktester Beachtung der sowjetischen Gesetze, keineswegs um irgendeine Form von Rechtsstaatlichkeit. Alle Formen der Administrativjustiz wurden nun abgeschafft, mit Ausnahme der Sonderversammlung beim NKVD der UdSSR die weiterhin für die Aburteilung von Staatsverbrechen zuständig war, wenn eine Einschaltung der Gerichte nicht möglich schien. Dass davon noch im Mai 1939 unter recht zweifelhaften Umständen Gebrauch gemacht wurde, davon zeugt ein Schreiben des inzwischen zum stellvertretenden Vorsitzenden des Rats der Volkskommissare aufgestiegenen Vyšinskij an den neuen NKVD-Chef Berija, der unmittelbar nach Antritt seiner Position im November 1938 Ausführungsbestimmungen für den Politbürobeschluss vom 17. November erlassen hatte. In seinem Schreiben vom Mai 1939 führte Vyšinskij aus, dass die Sonderversammlung in jeder Sitzung 200 bis 300 Fälle entscheide, wobei auf jeden Fall im Durchschnitt weniger als eine Minute Beratungszeit entfalle. Abhilfe für diese fehleranfällige Praxis sah Vyšinskij in der Erhöhung Sitzungsfrequenz der OSO.

Nach der Beendigung des Großen Terrors ging bei der Prokuratur der UdSSR eine große Menge von Beschwerden Verhafteter und Verurteilter bzw. ihrer Verwandten ein. Mitte Januar waren es 700 bis 800 Beschwerden pro Tag. Tatsächlich kam es zu Rehabilitierungen, allerdings in recht begrenztem Maße. Es dürfte sich allerhöchstens um einige Zehntausend Fälle gehandelt haben. Auch die Verurteilungen einer Reihe von NKVD-Offizieren wegen gefälschter Untersuchungen hatten wohl eher demonstrativen Charakter. Einen Bruch mit der außergerichtlichen politischen Verfolgung stellte all dies nicht dar. So wurden auch die auf Vorschlag Berijas und Weisung Stalins und des Politbüros im März 1940 im Zuge der "Katyn"-Operation ermordeten polnischen Offiziere, Polizisten und Beamten durch eine Trojka verurteilt, und die Zahl der OSO-Urteile schwankte in den Kriegsjahren zwischen 10.000 und 77.000. In so großem Umfang wie im Großen Terror 1937/38 wurden außergerichtlichen Urteilsinstanzen jedoch nie wieder eingesetzt. Ihre definitive Abschaffung, die nicht mit dem Ende einer den Interessen der Kommunistischen Partei dienenden politischen Justiz gleichzusetzen ist, erfolgte erst nach dem Tode Stalins.

Jürgen Zarusky