Beschluß des CK der VKP(b) über die Absetzung N.I. Ežovs vom Posten des Volkskommissars für Innere Angelegenheiten der UdSSR, 24. November 1938

Einführung

Anfang 1938 gab es erste Anzeichen dafür, daß der Terror in einer absehbaren Zeit eingestellt wird. Bereits im Januar war GlossarStalin wohl zu der Einsicht gekommen, daß dieser seinen Zweck erfüllt habe. Die Fortsetzung des Terrors in einem Land, dessen gesamte Wirtschaftsleitung in den Händen des Staates lag und dessen politische Führung zu einem bedeutenden Teil beseitigt war, konnte zu einer Wirtschaftskatastrophe führen. Schließlich dürfte dem sowjetischen Staats- und Parteiführer auch die Gefahr Sorgen bereitet haben, daß eine neue Protestwelle gegen seine Politik ausbrechen könnte.

Zwischen dem 11. und dem 20. Januar 1938 versammelten sich die Reste des alten GlossarCK der VKP(b) zu ihrem Glossar"Plenum". Da inzwischen Verhaftungen stattgefunden hatten, konnte das notwendige Quorum nicht mehr erreicht werden – sogar wenn man die CK-Kandidaten dazu rechnete, die auf dem Oktober-Plenum von 1937 unter seine Mitglieder aufgenommen wurden. Die Anwesenden bestätigten den Ausschluß der kurz zuvor verhafteten Genossen aus dem CK. Die Hauptfrage, die auf der Tagesordnung stand, nährte jedoch die Hoffnung auf eine baldige Einstellung der Repressionen. Sie lautete: "Über die Fehler der Parteiorganisationen bei den Parteiausschlüssen der Kommunisten, die formell-bürokratische Behandlung der Berufungsanträge der ausgeschlossen Parteimitgliedern der GlossarVKP(b) und die Maßnahmen zur Behebung dieser Mängel".

Kaum hatte man im Anschluß daran mit dem Prüfungsverfahren begonnen, traten die ersten Fälle von "willkürlichen Verhaftungen" ans Licht. Im April 1938, gleich nach dem letzen Moskauer GlossarSchauprozeß, setzten die Verhaftungen unter denjenigen ein, die an der Organisation des Terrors aktiv beteiligt gewesen waren und jetzt als "Abweichler" und Schuldige am Amtsmißbrauch zur Rechenschaft gezogen wurden. Letzten Endes entschied sich Stalin jedoch dafür, keinen "Schauprozeß für die Schuldigen am Terror" zu inszenieren: Offensichtlich sah er ein, daß die Ergebnisse eines solchen Verfahrens indirekt seine eigene Autorität vor den Massen gefährden könnten. Nun wurde der einstige GlossarVolkskommissar für Innere AngelegenheitenGlossarNikolaj Ežov damit belastet, während des Terrors von der Generallinie der Führung "abgewichen" zu sein und "Amtsmißbrauch begangen" zu haben.

Ežov begriff rasch, daß seine Zeit bald zu Ende ging. Bereits am 22. August wurde CK-Mitglied GlossarLavrentij Berija zu seinem ersten Stellvertreter ernannt. Am 5. September 1938 wurde der Untersuchungsrichter GlossarUšakov verhaftet, der 1937 die sowjetischen Militärs zu Geständnissen gezwungen hatte. Unter Prügel wurde Ušakov sehr schnell dazu gebracht, Aussagen zu Ežovs Amtsmißbrauch zu machen.

Gleichzeitig wurden Maßnahmen zur Reorganisation des bisherigen Untersuchungs- und Gerichtsverfahrens ergriffen. Am 15. November 1938 stellte man die Untersuchung der Straffälle durch die GlossarTrojka unter Verbot. Am 17. November 1938 wurde der GlossarBeschluß des SNK und des CK der VKP(b) "Über Verhaftungen, Staatsanwaltsinspektionen und Untersuchungsverfahren" verabschiedet. Zwar bestätigte er noch einmal, daß "die massenhafte Aktion zur Zerschlagung und Ausrottung der feindlichen Elemente, die die Organe des GlossarNKVD 1937-1938 durchführten", gerechtfertig war. Dennoch, so hieß es weiter, hatten während dieser zweifellos nützlichen Aktion, "beim vereinfachten Untersuchungs- und Gerichtsverfahren", "gefährliche Abweichungen in der Arbeit des NKVD und der GlossarStaatsanwaltschaft" Platz gegriffen. Aufgrund des "vereinfachten" Untersuchungsverfahrens sei das NKVD außerstande gewesen, das tatsächliche Verschwörungsnetz auszuheben, da die Verhafteten sehr schnell hingerichtet wurden. Die Folge sei, daß man an die Keimzelle der Unzufriedenheit mit der Politik Stalins, die weiter fortbestehe, nicht mehr herankomme. Diese "gefährlichen Abweichungen" wurden sowohl auf die Trägheit der Mitarbeiter des NKVD und der Staatsanwaltschaft, als auch auf die bewußte "Schädlingsarbeit der Feinde" zurückgeführt, die man nun mit der Verhaftung von unschuldigen Menschen belastete. Der Beschluß verbot die massenhaften Verhaftungs- und Verbannungsaktionen; alle Verhaftungen hatten in der Zukunft nach Maßgabe der Verfassungsgrundsätze, auf Gerichtsbeschluß oder mit Genehmigung des Staatsanwalts zu erfolgen. Die Familien und Freunde der Glossar"Volksfeinde" sollten daran glauben, daß die Verantwortung für ihren Fall nicht Stalin, sondern seine Vollstrecker trugen.

Am 23. November 1938 richtete Ežov an Stalin ein Schreiben mit der Bitte, ihn aufgrund der begangenen Fehler vom Posten des NKVD-Leiters zu entlassen. Einen Tag später wurde seinem Antrag stattgegeben. Den formellen Vorwand dazu lieferte: Im April 1938 war Ežov zum GlossarVolkskommissar für See- und Binnenschiffahrt ernannt worden und hatte damit gleichzeitig zwei Posten im Staatsapparat bekleidet, was nach offizieller Regelung unzulässig war. Jetzt überließ das GlossarPolitbüro Ežov nur noch seine Stelle als Leiter des Volkskommissariats für See- und Binnenschiffahrt. Bereits im Frühjahr 1939 wurde er jedoch aller Posten enthoben. Am 10. April nahm man ihn in Gewahrsam; im Februar 1940 wurde er erschossen.

Zum neuen Leiter des Volkskommissariats für Innere Angelegenheiten wurde sein bisheriger Stellvertreter Lavrentij Berija ernannt. Er galt bereits seit geraumer Zeit als Vertrauensmann Stalins. Unter seiner Kontrolle stand bereits das ganze GlossarTranskaukasus-Gebiet, wo die Arbeitsbedingungen stets als besonders schwierig galten. 1921-1931 war Berija bei der GlossarČK bzw. bei der GlossarOGPU tätig gewesen. Später wurde er GlossarErster Sekretär des CK der KP Georgiens und seit 1932 wirkte er gleichzeitig als GlossarErster Sekretär des Transkaukasischen Kreiskomitees der VKP(b) und des Stadtkomitees der VKP(b) in Tbilissi. Seit den 1930er Jahren gehörte er zu Stalins engster Umgebung. In dieser Zeit veröffentlichte er auch sein Buch "Zur Geschichte der bolschewistischen Organisationen im Transkaukasus", einen Lobgesang auf Stalin. Als dieser einen treuen und peniblen Vollstrecker brauchte, der Erfahrungen im Sicherheitsdienst besaß und die Repressionspolitik in geordnete Bahnen lenken konnte, ernannte er Berija zum Volkskommissar für Innere Angelegenheiten. Berija bekleidete diesen Posten bis 1945.

Unter Berija erhielt der Terror "überschaubare" Formen. Die gleichen Personen, die kurz zuvor an der Organisation und Umsetzung des Terrors mitgewirkt hatten, widmeten sich jetzt der "Stärkung der sozialistischen Gesetzlichkeit". Selbstverständlich handelte es sich dabei um einen Vorstoß Stalins; von einer Initiative Berijas konnte keine Rede sein.

1939 nahm Berija eine GlossarSäuberung des NKVD vor; diesmal waren die "übereifrigen" Ežov-Kader an der Reihe. Bereits am 1. Februar 1939 berichtete der GlossarGeneralstaatsanwalt der UdSSRGlossarVyšinskij, einer der Organisatoren des Terrors, Stalin und GlossarMolotov von der Entlarvung einer Gruppe von Geheimdienstmitarbeitern, die man der "Fälschung von Strafsachen" überführt hatte. Angeblich machte er sich nun auch Sorgen darum, daß "die Unterbringungsbedingungen der Häftlinge unbefriedigend und in einzelnen Fällen sogar untragbar sind". Seine Haltung war ja verständlich: Da die GlossarGULag-Insassen dem Staat einen großen wirtschaftlichen Nutzen brachten, hatte man mit diesem "Eigentum" sorgsam umzugehen. Auf Druck der inzwischen gewechselten Parteielite, die vor einer weiteren Repressionswelle Angst hatte, wurden die früher zugelassenen physischen Foltermethoden offiziell unter Verbot gestellt. Einige Häftlinge, die "zuviel wußten", wurden beseitigt. Die anderen, die für das System angeblich noch nützlich sein konnten, wurden rehabilitiert. Ihre Strafsachen wurden einer erneuten Revision unterzogen. 1939 wurden mehr als 327 000 Gefangene freigelassen.

Stalin setzte der umfassenden Vernichtung der Führungselite ein Ende. Die Herrschaft des NKVD über die Parteistrukturen, die sich während des GlossarGroßen Terrors etabliert hatte, wurde Schritt für Schritt aufgehoben. Beide Strukturen hatten jetzt nur noch einen Vorgesetzten – den Sowjetführer.

Aleksandr Šubin

(Übersetzung aus dem Russ. von L. Antipow)