Vertrag über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand, 14. Mai 1955

Einleitung

Kommentar zum Warschauer Pakt: Auf der Berliner Außenministerkonferenz der Vier Mächte (25. Januar bis 18. Februar 1954) hatte die UdSSR dem Westen die Schaffung eines kollektiven Sicherheitssystems in Europa vorgeschlagen. Mit dieser Offerte beabsichtigte sie die Verhinderung der Ratifikation des vor allem in Frankreich heftig umstrittenen Vertrages über eine Europäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG) und eine deutschlandpolitische Kurskorrektur. Zwar sollte ein wiedervereinigtes Deutschland bündnispolitisch neutral sein, doch gestattete das Konstrukt eines kollektiven Sicherheitssystems auch den Beitritt beider deutscher Staaten, die als Subjekte des Völkerrechts nunmehr über Vorbereitung und Realisierung der deutschen Einheit miteinander verhandeln sollten. Die Verhinderung einer militärischen Westintegration unter Einschluss der Bundesrepublik blieb auch nach dem Scheitern des EVG-Projekts im August 1954 das strategische Ziel der UdSSR. Konzeptionell setzte sie auf das Zustandekommen westlicher Volksfronten gegen die militärische Einbindung der Bundesrepublik und auf neue "innerimperialistische" Meinungsverschiedenheiten insbesondere zwischen den USA und Frankreich in der deutschen und der Sicherheits-Frage. Der NATO-Beitritt der Bundesrepublik im Rahmen der Pariser Verträge (19.-23.10.1954) aktivierte die Politik der UdSSR, die prinzipiell an den Prämissen deutscher Neutralität und eines gesamteuropäischen Sicherheitssystems festhielt. Angesichts der drohenden Unumkehrbarkeit einer westdeutschen Mitgliedschaft in der NATO entwickelte die sowjetische Führung einen intensiven Doppelkurs zur Ver- bzw. Behinderung der Ratifikation des Beitritts der Bundesrepublik zur NATO.

Einerseits versuchte sie verstärkt Einfluss auf die parlamentarische Auseinandersetzung in der Bundesrepublik und auf den Verlauf oppositioneller Aktionen (Paulskirchenbewegung) zu nehmen. Andererseits intensivierte sie ihre diplomatisch-politischen Aktivitäten, wobei neue Offerten, Propagandakampagnen und Entschlossenheitsdemonstrationen miteinander verbunden wurden. So lud die UdSSR die Westmächte zu einer "1. Konferenz europäischer Staaten zur Gewährleistung des Friedens und der Sicherheit in Europa" nach Moskau ein. Erwartungsgemäß verweigerte sich der Westen einer derartigen propagandistischen Aktion. Die Konferenz tagte vom 29. November bis 2. Dezember 1954 als Beratung der acht Länder des europäischen sozialistischen Lagers. In der Deklaration vom 2. Dezember 1954 offerierten ihre Teilnehmer, die östlichen Partei- und Regierungschefs, zur "Verhinderung der Teilung der Welt in Militärblöcke" noch einmal den Abschluss eines Vertrages über kollektive europäische Sicherheit, billigten einem Gesamtdeutschland die historische Rolle einer "Großmacht" zu, insofern es einen neutralen "friedlichen" Weg gehe und am europäischen System der kollektiven Sicherheit teilnehme und kündigten im Falle der Ratifizierung der Pariser Verträge Gegenmaßnahmen an. Damit wurde der Weltöffentlichkeit Verhandlungsbereitschaft signalisiert und assoziiert, dass mögliche Aktionen des Ostens nur eine Folge der Haltung der USA und der Westmächte sein würden.

Nach der Ratifizierung der Pariser Verträge und ihrem Inkrafttreten (5. Mai 1955) annullierte die UdSSR zunächst ihre Bündnisverträge mit England (1942) und Frankreich (1944). Auf der "2. Konferenz europäischer Länder zur Gewährleistung des Friedens und der Sicherheit in Europa" vom 11. bis 14. Mai 1955 in Warschau unterzeichneten Albanien, Bulgarien, die ČSSR, die DDR, Polen, die UdSSR, Rumänien und Ungarn den "Vertrag über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand", der den Warschauer Pakt als Militärbündnis der kommunistischen Staaten Europas unter Führung der Sowjetunion konstituierte. Damit erhielt das faktisch längst bestehende östliche militärische Paktsystem seine endgültige Form als internationales Gegenstück zur seit 1949 bestehenden NATO.

Der von den Ministerpräsidenten der acht Teilnehmerstaaten unterzeichnete und von ihren nationalen Parlamenten zügig ratifizierte elf Artikel umfassende Vertrag wurde für zwanzig Jahre mit der Option auf eine automatische Verlängerung um weitere zehn Jahre abgeschlossen. Nach Ablauf dieser Frist erhielt er durch ein Protokoll (vom 27. Juni 1985) eine Erweiterung seiner Gültigkeitsdauer um noch einmal zwanzig Jahre. Albanien trat im September 1968 (Austrittserklärung) und die DDR 1990 (Protokoll vom 24. September) aus dem Pakt aus. Durch den Beschluss seiner verbliebenen Mitglieder vom 25. Februar 1991 löste sich seine Organisation (mit Wirkung vom 1. Juli 1991) vollständig auf.

Der Warschauer Pakt verstand sich als Defensivbündnis zum Schutze des sozialistischen Lagers und zur Erhaltung des Friedens in Europa. In einer präambelähnlichen Erklärung bekundeten die Signatarstaaten ihr anhaltendes Interesse an der Schaffung eines Systems der kollektiven Sicherheit in Europa durch alle europäischen Staaten "unabhängig von ihrer gesellschaftlichen und staatlichen Ordnung." Dieser plakativen Zielstellung schloss sich die offizielle Begründung für den neuen Pakt an: In Europa sei durch die Ratifizierung der Pariser Verträge eine veränderte Lage entstanden. Die Bildung neuer militärischer Gruppierungen in Gestalt der Westeuropäischen Union "unter Teilnahme eines remilitarisierten Westdeutschland und dessen Einbeziehung in den Nordatlantikpakt" habe die Gefahr eines neuen Krieges erhöht und eine "Bedrohung der nationalen Sicherheit der friedliebenden Staaten" entstehen lassen. Deshalb müsse man (folgerichtig) "notwendige Maßnahmen" ergreifen und – geleitet von den Zielen und Grundsätzen der Satzung der Organisation der Vereinten Nationen – diesen Vertrag abschließen. Das geschehe im Interesse der Festigung und Entwicklung der Freundschaft, der Zusammenarbeit und des gegenseitigen Beistands in "Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Achtung der Unabhängigkeit und Souveränität der Staaten, sowie der Nichteinmischung in ihre inneren Angelegenheiten." Diese sich auf die UNO-Charta berufende Willenskundgebung nahm in gewisser Weise auch das wenige Monate später auf dem XX. Parteitag der KPdSU verkündete Prinzip der friedlichen Koexistenz von Staaten mit unterschiedlicher Gesellschaftsordnung vorweg. Doch blieb der Eintritt der Bundesrepublik in die NATO als der rationale Kern der Pakt-Begründung erkennbar.

Nicht nur, aber besonders angesichts der Betonung der Unabhängigkeit und Souveränität der Unterzeichnerstaaten – und des Grundsatzes der Nichteinmischung in ihre inneren Angelegenheiten – stellte sich von Anfang an die Frage nach dem Verhältnis von Text und Wirklichkeit des Vertrages. Dabei spielten sowohl dessen tatsächliche Ziele als auch die systeminterne Auslegung und Umsetzung seiner Artikel eine wichtige Rolle.

Zunächst war nicht nur ihr UNO-Bezug, sondern auch ihre enge inhaltliche Anlehnung an den NATO-Vertrag von 1949 auffällig. Sie erklärte sich eben in hohem Maße aus den westlichen Friedens- und defensiven Sicherheitszielen. Daraus resultierte auch die weitgehende formale Wertneutralität des Warschauer Vertrages, der sich der üblichen propagandistischen Aussagen beispielsweise über die historische Rechtmäßigkeit und Überlegenheit des Weltsozialismus und die "klassenkämpferische" Solidarität enthielt, tatsächlich aber – wie später die Praxis bewies – höchst ideologisch fundiert und geleitet war. So verpflichteten sich die vertragsschließenden Seiten im Artikel 1 zu einem allgemeinen Gewaltverzicht, verletzten ihn aber bei Auseinandersetzungen im "Sozialistischen Lager" (Ungarn 1956, ČSSR 1968) gröblich. Dadurch wurde auch die Aussage relativiert, man wolle internationale Streitfragen mit friedlichen Mitteln lösen, also so, "dass der Weltfrieden und die Sicherheit nicht gefährdet werden." Im Artikel 2 wurde diese Verpflichtung durch die Bereitschaft erweitert, an allen internationalen Handlungen teilzunehmen, die zur Gewährleistung des Weltfriedens und der Sicherheit beitrügen. Das umfasste auch ein diesbezügliches Angebot zu Vereinbarungen mit anderen Staaten über eine allgemeine Abrüstung und zum Verbot von Kern- und anderen Massenvernichtungswaffen. Zwar schimmerte hier das Interesse der dem Westen in Europa an konventionellen Waffen überlegenen Sowjetunion durch, die Dominanz der USA auf dem Gebiet der nuklearen Rüstung zu beseitigen, doch schlossen sowjetische Ambitionen zur Erlangung eines militärstrategischen Übergewichtes in Europa Gespräche über Sicherheitsprobleme nicht aus. Der Artikel 3 stellte die Verbindung zu den Ernstfall-Bestimmungen des Vertrages dar: Seine Teilnehmer würden sich in allen wichtigen internationalen Fragen konsultieren, die ihre Interessen berührten. Sie berieten sich unverzüglich, wenn nach Meinung einer der Seiten die Gefahr eines bewaffneten Überfalls auf einen oder mehrere Signatarstaaten des Vertrages entstünde. Der Bündnisfall (Artikel 4) trete dann ein, wenn in Europa auf einen oder mehrere seiner Teilnehmer seitens "irgendeines oder einer Gruppe von Staaten" ein Überfall erfolge. Er habe – in Übereinstimmung mit dem Artikel 51 der UNO-Satzung – für den oder die Betroffenen den Beistand des Bündnisses zur Folge – individuell oder in Vereinbarung mit den anderen Teilnehmerstaaten. Es gab also formal keinen Automatismus, der sie auf kollektiven Beistand und dabei nur auf militärische Maßnahmen festgelegt hätte. Doch sei er mit allen Mitteln zu leisten: "einschließlich der Anwendung militärischer Gewalt". Diese interpretierbare Bestimmung entsprach internationalem Recht. Zum einen lag ihr formal eine defensive Konzeption zugrunde. Sie beschränkte sich zudem auf bewaffnete Konflikte in Europa und verzichtete formal auch auf eine "antiimperialistische" Feinddefinition. Zum anderen erklärten die Mitglieder des Paktes, dem UNO-Sicherheitsrat ihre Maßnahmen mitteilen zu wollen und sie einzustellen, wenn er Aktivitäten ergreife, "die zur Wiederherstellung und Erhaltung des Weltfriedens und der Sicherheit erforderlich" seien. Sachlich und logisch schloss sich der Artikel 7 mit der Verpflichtung aller Signatarstaaten an, sich an keinen Bündnissen oder Abkommen zu beteiligen, die den Zielen des Warschauer Vertrages widersprächen. Die Artikel 5 (Vereintes Kommando) und sechs (Bildung eines Politischen Beratenden Ausschusses und von Hilfsorganen dieses Gremiums) regelten organisatorische und Führungsangelegenheiten und schufen die rechtliche Grundlage auch für die Kontrolle der nationalen (inneren) Wehrfähigkeit. Der Artikel 8 ging über ein "herkömmliches" Verteidigungsbündnis hinaus, wenn er die Vertragsteilnehmer faktisch auf eine "Weiterentwicklung und Festigung der wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen untereinander" festlegte. Hier äußerte sich die Logik der umfassenden Kontrolle und Integration nationaler Gesellschaften im sowjetisch bestimmten Machtbereich. Rein propagandistisch hingegen gestaltete sich die Erklärung im Artikel 9, dass der Vertrag für andere Staaten, unabhängig von ihrer gesellschaftlichen und staatlichen Ordnung, zum Beitritt "offen" stünde. Einerseits war er seitens "kapitalistischer" Staaten kaum zu erwarten und andererseits keineswegs offen, weil er nur "mit dem Einverständnis der Teilnehmerstaaten des Vertrages", also nicht durch die einseitige Erklärung eines interessierten Landes, vollzogen werden konnte. Hier äußerte sich wiederum das propagandistische Ziel des Systems der kollektiven Sicherheit in Europa; denn mit dem Inkrafttreten eines "Gesamteuropäischen Vertrages" über dieses Projekt sollte der Warschauer Vertrag seine Gültigkeit verlieren (Artikel 11), was ihn formal zum Provisorium machte.

Bei der Beantwortung der bereits aufgeworfenen Frage nach den Zielen des Warschauer Vertragswerkes muss zum einen nach den tatsächlichen Interessen der UdSSR in der Mitte der fünfziger Jahre gefragt werden. Benötigte sie einen östlichen Militärpakt aus Sicherheitsgründen oder verfolgte sie mit seiner Konstruktion eher andere Ziele? Auch ist eine Bewertung des Vertrages vom Mai 1955 nur durch den Vergleich mit seiner konkreten Realisierung in den Jahrzehnten danach möglich. Wie wurde er mit welchen Tendenzen und Ergebnissen durchgesetzt?

Die Forschung hat klar herausgearbeitet, dass ein Pakt, wie er in der Folge der Vertragsunterzeichnung in Warschau entstand, auch in sowjetischer Perspektive militärpolitisch nicht als notwendig erschien, weil 1955 ein dichtes Netz von bilateralen Bündnisverträgen bestand, die seit dem Kriegsende zwischen der UdSSR und den europäischen Staaten in ihrem Machtbereich bzw. zwischen ihnen abgeschlossen worden waren. Hinzu traten Truppenverträge zwischen der Sowjetunion und denjenigen Pakt-Mitgliedsstaaten, in denen Truppen der Roten Armee stationiert waren. Im Weiteren existierte ein Geflecht verschiedener systeminterner Abkommen, die nicht zuletzt aus der Arbeit des Rates für Gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) hervorgingen. Das Desinteresse der Sowjetunion an einer kollektiven Struktur des Warschauer Paktes kam in dem nur zögerlichen Aufbau seiner militärischen Organisation, Führungsgremien und Bewaffnungssysteme zum Ausdruck. So fand beispielsweise die erste inhaltliche Tagung des leitenden Gremiums der Organisation, des Politischen Beratenden Ausschusses, der sich am 27. Januar 1955 formal konstituiert hatte, erst im Januar 1958 statt, die beschlossene Frequenz seiner Sitzungen (nicht weniger als zweimal im Jahr) wurde nie eingehalten und auch die Einrichtung gemeinsamer Kommandozentralen verzögerte sich. Erst zu Beginn der sechziger Jahre vergrößerte sich die Effizienz der militärischen Zusammenarbeit, und der Pakt entwickelte sich insgesamt zu einem multilateralen militärischen Instrument. Offenbar hatte er bis zu diesem Zeitpunkt im sowjetischen Verständnis mehr die symbolische Rolle einer politischen Gegenkraft zur NATO zu spielen als Eigengewicht zu entwickeln. Aber auch danach verstärkte sich die desintegrative, den Buchstaben des Vertrages als Bündnis Gleichberechtigter widersprechende Tendenz, die wichtigen militärischen Führungsgremien mit sowjetischen Offizieren zu besetzen. Obwohl im Politischen Beratenden Ausschuss jeder Teilnehmerstaat unabhängig von seiner territorialen Größe und Bevölkerungszahl formal gleichberechtigt Sitz und Stimme besaß, wurde die sowjetische Dominanz schon durch die Wahl Moskaus als Sitz der Vereinten Streitkräfte und anderer zentraler Gremien augenfällig. Der Unterschied zum integrierenden Prinzip der Gleichberechtigung und der Mitverantwortung der NATO-Mitglieder wurde dadurch verstärkt, dass der Warschauer Militärpakt über keinen dem westlichen Bündnis ähnlichen Schlichtungsmechanismus für interne Streitfälle verfügte. Auch mit dem 1962 geschaffenen Militärrat und dem Komitee der Verteidigungsminister sowie mit dem 1976 konstituierten Vereinigten Sekretariat (wie auch dem Komitee der Außenminister) unterstrich die Moskauer Führung den hegemonialen Anspruch der UdSSR und setzte ihre Militärdoktrin durch. Ein Angriff des Paktes auf das "imperialistische" Lager wurde zwar ausgeschlossen, die offensive Kriegsfähigkeit und die Sicherstellung von Überlegenheit jedoch zur strategischen Hauptaufgabe erhoben. Nach Beginn von Kampfhandlungen sollten örtliche konventionelle Kräfte rasch die strategischen Räume der Kriegsschauplätze besetzen und einen schnellen Sieg des Warschauer Paktes sicherstellen. Bis weit in die achtziger Jahre hinein galt seinen Strategen ein Atomkrieg als führbar und gewinnbar.

Wichtiger als seine militärische Aufgabe war die Funktion des Warschauer Vertrages als ein zentrales Organ der Sowjetunion zur sozialistischen Integration seiner Mitgliedstaaten in den Ostblock und zur Aufrechterhaltung der von der UdSSR definierten Bündnisräson. Der systeminterne Kontrollmechanismus wirkte während der gesamten Vertragszeit, insbesondere aber in der Anfangsperiode des Paktsystems. Ein Austrittsrecht für seine Mitglieder bestand faktisch nicht. Das Ausscheiden des marginalen und faktisch mit der Volksrepublik China liierten Albanien bildete eine unproblematische Ausnahme. Einzig und allein die Regierung der DDR durfte beim Abschluss des Vertrages mit Blick auf die Einbindung der Bundesrepublik in die NATO davon ausgehen, "dass das wiedervereinigte Deutschland von den Verpflichtungen frei sein wird, die ein Teil Deutschlands in militärpolitischen Verträgen und Abkommen, die vor der Wiedervereinigung Deutschlands abgeschlossen wurden, eingegangen ist." [Meldung des Allgemeinen Deutschen Nachrichtendienstes (ADN), 14.5.1955, in: Dokumente zur Außenpolitik der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik, Hg. vom Deutschen Institut für Zeitgeschichte, Band II, Berlin 1955, S. 231.] Als Ungarn im Umfeld des Volksaufstandes im Herbst 1956 seine Mitgliedschaft im Warschauer Pakt kündigte, verhinderten sowjetische Besatzungstruppen den Vollzug einer entsprechenden Erklärung seiner Revolutionsregierung. Wie in Ungarn zeigte sich in der ČSSR 1968 die nach innen gewandte disziplinierende Funktion des Paktes militant. Militärische Gewalt wurde nicht gegen irgendeinen Mitgliedstaat der NATO, sondern wider dem geltenden Völkerrecht gegen die eigenen Verbündeten eingesetzt, um für die sowjetische Führung unliebsame Entwicklungen – auch reformsozialistische wie in der ČSSR – zu verhindern. Auch insofern war es nicht verwunderlich, dass die Führung der KPdSU und die obersten Gremien der kommunistischen Parteien der Mitgliedstaaten im Warschauer Pakt zunehmend die Entscheidungen fällten, die dann auf der Regierungsebene weitgehend nur noch exekutiert und nach außen als völkerrechtlich verbindliche kollektive Äußerungen dargestellt wurden.

Als zentrales Dokument des Ost-West-Konfliktes und des Kalten Krieges ist der Vertrag über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand vom 14. Mai 1955 sowohl ein Zeugnis des konfrontativen Blockbildungsprozesses auf der Grundlage der bipolaren Weltlage als auch – weit darüber hinausgehend – einer umfassenden Systemkonkurrenz, die alle Bereiche der ostwestlichen Gesellschaften erfasste. Der Vertrag und seine Ausgestaltung basierten ideologisch einerseits auf marxistisch-leninistischen Klassenkampftheorien und der "Lehre" vom gesetzmäßigen revolutionären Übergang des Kapitalismus zum Sozialismus und andererseits auf dem "Prinzip der friedlichen Koexistenz". Dieses politisch-ideologische Spannungsverhältnis führte zu einer widersprüchlichen Strategie und Politik der kommunistischen Paktstaaten gegenüber der NATO und dem Westen, was sich unter den Bedingungen eines atomaren "Gleichgewichts des Schreckens" insbesondere in der ambivalenten östlichen Entspannungspolitik niederschlug. Dennoch hat der Warschauer Pakt – wie das westliche Bündnis – zum globalen und europäischen Gleichgewicht und damit zur Stabilisierung des empfindlichen Sicherheits- und Friedenssystems in der Nachkriegszeit beigetragen. Eindeutiger noch sind Theorie und Praxis des Warschauer Vertrages als ein Ausdruck des Führungswillens der UdSSR gegenüber ihren Bündnispartnern zu werten, die mit Hilfe der Paktorganisation auf einer sowjetisch bestimmten politischen und gesellschaftlichen "Generallinie" gehalten wurden.

Anmerkungen: 1) Der Vertragstext findet sich in verschiedenen Dokumentensammlungen und Darstellungen. (Für die DDR: Dokumente zur Außenpolitik der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik, hrsg. vom Deutschen Institut für Zeitgeschichte, Band II, Berlin 1955, S. 231 -236) Internet: www.verfassungen.de/ddr/warschauervertrag55.htm. 2) Der Vertrag wurde "in einem Exemplar in deutscher, russischer, polnischer und tschechischer Sprache" ausgefertigt, "wobei alle Texte gleiche Gültigkeit haben." (Allgemeiner Deutscher Nachrichtendienst – ADN, 14.5.1955). 3) Dispositärstaat war die VR Polen (Warschau).

Michael Lemke