Beschluß des Plenums des CK der KPSS "Über den Genossen Chruščev N.S.", 14. Oktober 1964

Einführung

Anfang der 1960er Jahre stieß GlossarChruščevs Kurs auf wachsende Schwierigkeiten, und seine Antworten auf die Herausforderungen der Innen- und Außenpolitik riefen Unzufriedenheit in verschiedenen sozialen Schichten der sowjetischen Gesellschaft sowie auf den höchsten Machtebenen hervor. 1962 gab es Arbeiterunruhen; die Versorgungslage verschlechterte sich. Chruščevs scharfe Angriffe gegen Vertreter der Kultur verärgerten die Intelligencija. Sein Abrüstungsprogramm wurde von den Militärs, insbesondere in Anbetracht einer Verschärfung des Konfliktes mit China, mißbilligt. Chruščevs Reformen, die Unberechenbarkeit und der "Voluntarismus" seiner Politik (insbesondere seine Auseinandersetzungen mit kommunistischen Führern und seine administrativen Reorganisationsmaßnahmen) stießen auf Ablehnung bei der GlossarNomenklatura. Unter diesen Bedingungen entschied sich seine nächste Umgebung dazu, ihn von der Macht zu entfernen.

Chruščev bevorzugte es, Entscheidungen selbstständig zu treffen; häufig beriet er sich dabei mit anderen Mitgliedern der Partei- und Staatsführung nicht. Bei weitem nicht alle diese Entscheidungen waren durchdacht und adäquat. Als begeisterungsfähiger und impulsiver Mensch war er nicht dazu geneigt, den Einwänden nachzugeben, zumal wenn sie vorsichtig und zaghaft vorgebracht wurden. Sein "Voluntarismus" und seine barsche Umgangsweise führten zu seiner Isolation und untergruben seine Autorität sowohl im Volk als auch in der Parteiführung. Die Idee, Chruščev auszuschalten, wurde seit dem Frühjahr 1964 in zwei Kreisen des Partei- und Staatapparats diskutiert. Die eine Gruppe war die Umgebung des GlossarCK-Sekretärs und eben abgelösten GlossarVorsitzenden des Präsidiums des Obersten SowjetsGlossarL. Brežnev, der einen Draht sowohl zur älteren Gegenration an der Spitze der Nomenklatura als auch zum militärisch-industriellen Komplex hatte. Am aktivsten traten für Chruščevs Absetzung die von ihm geförderten jungen "Aufsteiger" ein, der GlossarVorsitzende des Komitees für Partei- und StaatskontrolleGlossarA. Šelepin und der GlossarVorsitzende des Komitees für Staatssicherheit (KGB)GlossarV. Semičastnyj, die man als Gruppe der sogenannten Glossar"Komsomolzen" kannte (in der Vergangenheit hatten beide an der Spitze der GlossarVLKSM gestanden). Die in Privatgesprächen geäußerte Idee, Chruščev seines Amtes zu entheben, wurde vom ersten stellvertretenden GlossarVorsitzenden des MinisterratesGlossarA. Kosygin, dem Mitglied des GlossarСK-PräsidiumsGlossarN. Podgornyj und anderen Mitgliedern des Präsidiums unterstützt. Chruščevs Gegnern war es gelungen, sich mit dem GlossarVerteidigungsminister, Marschall GlossarP. Malinovskij, und dem Chefideologen der Partei, GlossarM. Suslov, zu einigen. D. Boffa meint, daß "der Haupturheber der Aktion" Suslov war. R. Pichoja zeigte jedoch auf der Grundlage von Archivdokumenten, daß A. Šelepin die zentrale Rolle bei der Vorbereitung von Chruščevs Amtsenthebung spielte. Auch die Rolle Brežnevs ist nicht zu unterschätzen, der sowohl im Falle eines Erfolgs als auch im Falle der Niederlage die Hauptverantwortung getragen hätte.

Jeder von diesen Personen nahm Chruščev irgend etwas übel oder trug Bedenken hinsichtlich seiner unberechenbaren Politik. Nach Ansicht der höchsten Parteiführung hatte er viele Fehler begangen. Einige konservativ eingestellte Funktionäre konnten ihm die Entlarvung GlossarStalins nicht verzeihen, der für sie weiterhin der schreckliche Halbgott blieb, und dessen Politik sie für richtig hielten. Unter Aufgebot aller Kapazitäten des GlossarKomitees für Partei- und Staatskontrolle übte Šelepin Druck auf die unentschiedenen CK-Mitglieder aus.

Bis zum letzten Moment war die Position GlossarA. Mikojans, des letzten alten GlossarBolschewiken, der im Präsidium verblieben war, unklar. Für seine politische Erfahrung genoß er die Achtung Chruščevs und der ganzen Partei. Mikojan war ein Gegner des GlossarStalinismus, doch auch mit Chruščevs "Voluntarismus" war er unzufrieden.

Chruščev wurde gewarnt, daß Vorbereitungen zu seiner Machtenthebung getroffen würden. Über seinen Sohn GlossarSergej berichtete ihm darüber GlossarGoljukov, der früher die Leibwache von GlossarN. Ignatov, dem GlossarVorsitzenden des Obersten Sowjets der RSFSR, leitete. Auf Chruščevs Beschluß traf sich Goljukov sogar mit Mikojan, doch dieses Treffen blieb ohne Folgen.

Nachdem Chruščev und Mikojan in den Urlaub nach Picunda abgereist waren, traf am 12. Oktober das Präsidium des CK zusammen, um über die Situation zu beraten. Es wurde beschlossen, ein GlossarPlenum des CK durchzuführen, weil Chruščevs Vorschläge zum bereits geplanten November-Plenum "viele Fragen aufwerfen" würden. Es handelte sich um einen formalen Vorwand, um Chruščev nach Moskau einzubestellen.

Chruščev war in Picunda isoliert. Nachdem er begriffen hatte, daß seine Macht bedroht war, hatte er die Möglichkeit, in eine der Hauptstädte der Unionsrepubliken zu fliegen und zu versuchen, sich dort die Unterstützung der ihm ergebenen Funktionäre und Militärs zu sichern. Doch die Gefahr einer Spaltung der Partei mit ihren für die UdSSR katastrophalen Folgen hielt ihn davon ab. Er ordnete sich dem CK-Präsidium unter.

Am 13. und 14. Oktober hielt das CK-Präsidium eine Sitzung ab, zu der Chruščev einbestellt wurde. Chruščevs Kollegen vom Präsidium kritisierten ihn hart. Zuerst kritisierte ihn Brežnev in zweitrangigen Fragen, dann aber machte man dem GlossarErsten Sekretär zu allen Bereichen seiner Politik Vorwürfe. Alle Anschuldigungen liefen darauf hinaus, daß Chruščev gegen den kollektiven Charakter der Führung verstoßen, seine Genossen in höchst wichtigen politischen Fragen nicht konsultiert und Entscheidungen getroffen hatte, die nicht immer adäquat waren. Die ausführlichste kritische Analyse unternahm Šelepin. Er konfrontierte Chruščev nicht nur mit persönlichen, sondern auch mit politischen Schuldzuweisungen und legte dar, daß Chruščevs Kurs gegen die Interessen des sowjetischen Volkes gewesen sei. Er versuchte zu zeigen, daß Chruščev von Stalin in vielerlei Hinsicht dessen autoritären Stil übernommen hatte und daß er eine Abenteuerpolitik betrieb, ob es sich nun um die GlossarKubakrise oder um das "Karussell" in der Landwirtschaft handelte. Brežnev, der die Thesen für seine Rede selbst verfaßt hatte (offensichtlich konnte er eine derart wichtige Sache sogar seinen nächsten Mitarbeitern nicht anvertrauen), sagte: "Wenn Sie, Nikita Sergeevič, an solchen Lastern wie Machtgier, Selbstverblendung, Glaube an die eigene Unfehlbarkeit nicht gelitten hätten, wenn Sie zumindest ein wenig Bescheidenheit besessen hätten, dann hätten Sie die Schaffung Ihres eigenen Persönlichkeitskultes verhindert, doch Sie taten umgekehrt alles dafür, um diesen Kult zu festigen."

Am 14. Oktober stellte der stellvertretende Vorsitzende der Regierung GlossarD. Poljanskij den Antrag zu Chruščevs Enthebung von allen Ämtern. Man stimmte diesem Antrag zu. Nur Mikojan plädierte für Chruščevs Verbleib an der Macht, allerdings mit eingeschränkten Vollmachten. Zwar hatte Chruščev die Richtigkeit seiner Entscheidungen vorsichtig verteidigt. Gleichzeitig erkannte er jedoch einen Teil der Kritik als berechtig an und äußerte seine Bereitschaft, sie zur Kenntnis zu nehmen. Damit konnte er jedoch die Entscheidung in der Machtfrage nicht mehr beeinflussen. Letzten Endes sah sich Chruščev gezwungen, um einer härteren Bestrafung zu entgehen, die eigene Entlassung selbst zu beantragen und sein Rücktrittsgesuch einzureichen. Diesem wurde auf dem Plenum des CK der KPSS, das am 14. Oktober 1964 stattfand, stattgegeben. Im Unterschied zu 1957, als es Chruščev gelungen war, die Mehrheit des CK gegen die Mehrheit des Präsidiums aufzubieten, wurden die CK-Mitglieder diesmal von Chruščevs Gegnern "vorbereitet". Wie bereits 1957 hielt M. Suslov eine Rede, in der er diesmal Chruščev verurteilte. Ohne eine vorausgehende Diskussion wurde der Beschluß getroffen, ihn aller Ämter zu entheben, L. Brežnev zum Ersten Sekretär des CK der KPSS und Kosygin zum Vorsitzenden des Ministerrates der UdSSR zu wählen. Chruščev wurde in Pension geschickt.

Unter Bezugnahme auf "leninsche Prinzipien der kollektiven Führung" behauptete der Beschluß, daß Chruščev eine "nicht normale Atmosphäre" geschaffen habe, die den anderen Mitgliedern des Präsidiums die Wahrnehmung ihrer Pflichten erschwerte. Lenins Vorwurf an Stalin fast wörtlich zitierend, stellten Chruščevs Gegner fest, daß er "eine große Macht in seinen Händen konzentrierte".

Nach dem Oktoberplenum bemerkte Chruščev voller Traurigkeit, daß Stalin sie alle erschossen hätte, während er ihnen erlaubt habe, ihn seines Amtes zu entheben. In der Tat wurde Chruščev, nachdem er den Kampf um die Macht verloren hatte, nicht physisch beseitigt, sondern nur in die Pension geschickt. Möglichweise war die Veränderung des politischen Stils, der Verzicht auf Rache und Kampf bis aufs letzte eines der wichtigsten Ergebnisse des Glossar"Tauwetters". Mit Chruščev Amtsenthebung ging die Epoche des Tauwetters zu Ende. An der Macht hatten sich konservative Kreise der Nomenklatura durchgesetzt. Es kann Boffa jedoch nicht zugestimmt werden, wenn er meint, daß nach Chruščevs Amtsenthebung die Keimzellen des politischen Pluralismus allmählich beseitigt wurden, die sich während der Wiederaufnahme der antistalinistischen Offensive entwickelt haben. Im Gegenteil, unter der Oberfläche der Glossar"Stagnation" entwickelten sich das andere Denken, die Glossarinformellen Bewegungen, die Meinungsverschiedenheiten innerhalb der politischen Elite weiter. Die Gesellschaft kehrte nicht zur stalinistischen Einheit und Geschlossenheit zurück; sie bewegte sich auf die GlossarPerestrojka zu.

Den Rest seines Lebens bis zum Tod 1971 verbrachte Chruščev de facto unter Hausarrest auf der Regierungsdatscha. Dank der Hilfe seiner Nächsten konnte Chruščev seine Memoiren diktieren und in den Westen schleusen.

Aleksandr Šubin

(Übersetzung aus dem Russ. von L. Antipow)