Über die Gruppe des Genossen Bucharin. Beschluß des Plenums des Zentralkomitees der VKP(b), 17. November 1929

Einführung

In der Historiographie zur Glossar"rechten Abweichung", die im Westen in den 1970er Jahren und in Rußland in den 1980er/1990er Jahren entstand, sind zwei Richtungen zu unterscheiden. Nimmt man mit S. Cohen und O. Chlevnjuk an, daß die Vorschläge GlossarBucharins eine reale Alternative zur Position GlossarStalins darstellten, so ist die "große Wende" des Jahres 1929 als Sieg Stalins über den Apparat, als eine subjektivistische "Torpedierung" der GlossarNĖP zu sehen. Andere Historiker (E. Carr, M. Gorinov) meinen, die NĖP sei einer schweren Krise zum Opfer gefallen, und Bucharin habe kein reales Mittel für die Rettung des GlossarStaatssozialismus besessen. Die von ihm vorgeschlagene Strategie hätte zur Aufweichung des kommunistischen Regimes, zu seiner Sozial-Demokratisierung geführt. Seit Avtorchanov untersuchen die Historiker die Zerschlagung der "rechten Abweichung" auch als ein klassisches Beispiel für die "Technologie der Macht" des stalinschen Apparats.

Der Kampf zwischen der Stalin-Fraktion und der Gruppe der sogenannten "rechten Abweichung" begann im Januar 1928, d.h. in den Krisenjahren der NĖP, mit Meinungsdifferenzen im GlossarPolitbüro und vollzog sich zunächst in latenten Formen. Bis 1929 wußten weder das Land noch die Partei von den "Sünden" ihrer Führer – des führenden Ideologen N.I. Bucharin , des Regierungsoberhaupts GlossarA.I. Rykov und des Gewerkschaftsführers GlossarM.T. Tomskij. Stalin, der von Tag zu Tag seine Machtposition ausbaute, war sich immer noch nicht sicher, ob ihm die Austragung des Konflikts nach außen den bedingungslosen Sieg bringen werde. Die Hauptangst war, daß das GlossarCK vielleicht doch noch unter dem Eindruck der Reden Bucharins und Rykovs, die offiziell als die kompetentesten Wirtschaftsfachleute galten, ins Schwanken gerät. Nach Bucharins Worten verfolgte deshalb die Stalin-Fraktion nach dem CK-Plenum im November 1928 "zwei Linien": die eine in Resolutionen, die andere in der politischen Praxis. Kompromißzusicherungen wurden nicht eingehalten und Stalin bereitete einen Coup in der Industrie vor. Dabei kamen ihm die GlossarTrotzkisten zur Hilfe. Sie machten Aufzeichnungen eines Gesprächs zwischen Bucharin und GlossarKamenev publik, die – wie der letzte am 27. Januar 1929 bestätigte – aus seiner Feder stammten. Anhand dieser Aufzeichnungen, die die scharfen Urteile Bucharins über Stalin und andere Mitglieder des Politbüros festhielten, wurde er als Führer einer "rechten Abweichung" eines schweren Parteiverbrechens – des Versuchs einer Fraktionsbildung gegen Stalin – überführt.

Das CK stellte Bucharin zur Rede. Am 30. Januar 1929 verlas er in der Sitzung des GlossarCKK eine Erklärung, in der er die Aufzeichnungen Kamenevs samt der darin enthaltenen Kommentare der Trotzkisten als eine "niederträchtige und provokante Proklamation" bezeichnete. Dennoch war er gezwungen, sowohl die Tatsache seiner Begegnung mit Kamenev als auch die Authentizität der eigenen Aussagen zuzugeben. Er gab ebenso zu, daß dieses Treffen ein Fehler war. Nichtsdestoweniger behauptete Bucharin, seine Worte wurden aus dem Kontext gerissen und ihr Sinn verzerrt, und wies alle Unterstellungen einer Fraktionstätigkeit zurück: "Ich habe keine Meinungsdifferenzen mit der Partei, d.h. mit ihren kollektiven Gedanken und ihrem Willen, wie sie in offiziellen Parteiresolutionen zum Ausdruck kommen."

Bucharin ging seinerseits zu einer Gegenoffensive über und warf Stalin die Desorganisation der Arbeit von Organen, die den Rechten unterstellt waren, vor: "Das Bild ist klar: In der Glossar"Pravda" gibt es zwei Politkomitees, im GlossarVCSPS gibt es zwei Zentren, in der GlossarKomintern – die politische Diskreditierung im voraus... Das Dokument – oder besser gesagt seine Versendung usw. – vernichtet alle Zweifel und Bedenken. Gleichzeitig sind die Schwierigkeiten, mit denen das Land konfrontiert ist, so groß, daß der Verlust an Zeit und Kraft durch die inneren Kämpfe an der Spitze ein direktes Verbrechen darstellt. Niemand wird mich auf den Weg des Fraktionskampfes treiben, welche Anstrengungen auch immer er dafür verwendet."

Im Projekt einer Resolution, das von der CKK vorbereitet worden war, wurde Bucharin das "Abschwenken" auf Positionen der "rechten Opportunisten" vorgeworfen, sein Verhalten als "Fraktion" verurteilt und das besagte Treffen zwischen ihm und Kamenev als "Fraktionsverhandlungen" bezeichnet. Bucharin war damit nicht einverstanden, um so mehr, als – wie es in der GlossarAnsprache Bucharins, Rykovs und Tomskijs vom 9. Februar 1929 hieß – "das Projekt der Resolution den Genossen Stalin und die Partei als gleichbedeutende Größen wiederholt nebeneinander stellt bzw. den Genossen Stalin durch das Zentralkomitee und das CK durch den Genossen Stalin direkt wechselseitig ersetzt. Auf dieser "Verwechslung" baut die Anklage auf, Genosse Bucharin habe das CK angegriffen".

In ihren Erklärungen blieben die drei rechten Mitglieder des Politbüros nicht bei der Verteidigung Bucharins stehen; sie kritisierten Stalin dafür, daß er "die Parole des Tributs durchbringen will", die Parole der Ausbeutung der Bauern durch den Staat, was jedoch zu neuen Schwierigkeiten bei der Getreidebeschaffung führen würde. Sie sprachen sich außerdem dagegen aus, daß alle aus der politischen Führung entfernt wurden, die nicht mit der Meinung der Mehrheit einverstanden waren, und riefen zur Versöhnung auf.

Auf dem Vereinigten Plenum des CK und der CKK zwischen dem 16. und 23. April 1929 fand die entscheidende Diskussion zwischen Bucharin und Stalin statt. Bereits am Vorabend des Plenums wurden alle Zusatzanträge der Rechten zur Resolution über den GlossarFünfjahresplan zurückgewiesen. Bucharin wollte vermeiden, daß seine Rede im Plenum als Opposition aufgefaßt wird: "Sie werden keine neue Opposition kriegen! Sie werden sie nicht haben!". Obwohl Bucharin begriffen hatte, daß Stalin die Mehrheit im CK von der Richtigkeit seiner Position bereits überzeugt hatte, strebte er eine Versöhnung auf der Grundlage früherer offizieller Beschlüsse an: "Wieviel Mal muß man wiederholen, daß wir für die GlossarIndustrialisierung, für das eingeschlagene Tempo, für den vorgelegten Plan sind?" In der Tat bildeten die Anhänger Bucharins – anders als die Trotzkisten – keine eigene Organisation; sie hielten an Prinzipien fest, die in Beschlüssen der Parteitage verankert waren. Daraus ergaben sich große Schwierigkeiten für die Stalin-Fraktion.

Die Resolution des Plenums besiegelte die vollständige Zerschlagung der Rechten. "Die politische Haltung der rechten Abweichung in der GlossarVKP(b) bedeutet die Kapitulation vor Schwierigkeiten... In dieser Phase bedeutet die Diktatur des Proletariats die Fortsetzung und Verschärfung (und nicht das Abflauen) des Klassenkampfes...Sowohl die "Aufzeichnungen eines Wirtschaftsfachmanns" des Genossen Bucharin als auch insbesondere die Plattform der drei Genossen vom 9. Februar sowie ihre Reden auf dem Plenum des CK und der CKK zielen eindeutig auf eine Reduzierung des Tempos der Industrialisierung". Die Unterstellungen der Rechten, die Partei "schwankt zum Trotzkismus ab", wurden als eine "unerhörte Verleumdung der Partei" bezeichnet. Die Ansichten Bucharins, Rykovs und Tomskijs wurden als solche, die "im Grunde genommen mit der Position der rechten Abweichung übereinstimmen", offiziell verurteilt. Das Plenum faßte den Beschluß, Bucharin und Tomskij ihrer Ämter zu entheben und zu verwarnen, daß sie beim wiederholten Verstoß gegen die Beschlüsse des CK unverzüglich aus dem Politbüro ausgeschlossen würden. (Tomskij wurde zur Leitung der Chemieindustrie beordert, von der er wenig Ahnung hatte.) Es war bezeichnend, daß die drei nicht direkt für die rechte Abweichung verurteilt wurden, und die Resolution geheim blieb. Stalin hatte noch immer Bedenken, den Konflikt öffentlich zu machen. Vorläufig mußten die Informationen streng dosiert verabreicht werden.

Nach der Zerschlagung der Rechten schuf man die notwendigen Voraussetzungen für die Einberufung der nächsten Parteikonferenz . Die XVI. Parteikonferenz fand zwischen dem 23. und 29. April 1929 statt. Sie erteilte den Rechten erneut eine Rüge – wobei ihnen der Widerstand gegen die Schaffung von Großbetrieben und der Übergang zu Positionen der GlossarKulaken vorgeworfen und zu "Opportunismus" aufgebauscht wurde – und verabschiedete den nächsten Fünfjahresplan .

In den folgenden Monaten wurde die NĖP einer vernichtenden Kritik unterzogen, obwohl sie offiziell nach wie vor nicht widerrufen wurde. Am 8. Juli wurde der "Pravda" verboten, Artikel von Bucharin ohne vorausgehende Absprache mit den übergeordneten Stellen zu veröffentlichen. Im August 1929 setzte die offene Hetze gegen ihn und seine "Schule" ein. In der Presse öffentlich angeprangert, hatten seine Anhänger keine andere Möglichkeit, als ihren Gegnern ebenfalls in aller Öffentlichkeit zu antworten. Gleichzeitig fanden in der Komintern Säuberungen von Rechten statt; Bucharin selbst wurde aus dem GlossarPräsidium der Komintern ausgeschlossen.

Das CK-Plenum zwischen dem 10. und 17. November 1929 unternahm einen weiteren Schritt, um das Vorgehen in der Industrie und bei der GlossarKollektivierung zu beschleunigen, deren Tempo sogar "die optimistischsten Planungen" übertraf. Folglich sei es möglich, auch andere Zahlenvorgaben des Fünfjahresplanes in einem immer optimistischeren Geist zu revidieren. Das Plenum verkündete den "Bankrott der Position der rechten Abweichler (Gruppe des Genossen Bucharin), die nichts anderes ist als Manifestation eines Drucks von seiten des kleinbürgerlichen Elements, als Panik vor dem verschärften Klassenkampf, als Kapitulantentum vor den Schwierigkeiten des sozialistischen Aufbaus". Nachsichtige Formulierungen wurden der Vergangenheit überlassen. Alle Befürchtungen hinsichtlich der möglicherweise katastrophalen Ergebnisse des Vorgehens in der Industrie wurden jetzt mit "Kapitulantentum" und "rechter Abweichung" gleichgesetzt.

Letzten Endes standen die Rechten vor der gleichen Alternative wie einst die Trotzkisten – entweder auf ihren Positionen zu beharren oder ihre Parteimitgliedschaft aufrechtzuerhalten. Am 12. November stellten Bucharin, Rykov und Tomskij im Plenum den GlossarAntrag auf "Ausräumung der Meinungsverschiedenheiten" zwischen ihnen und der Mehrheit des CK. Sie weigerten sich jedoch nach wie vor, ihre Fehler zuzugeben und behaupteten, sie hätten aufgrund der Übermacht der Plenumsmehrheit keine Möglichkeit gehabt, ihre Ansichten darzulegen. Der Antrag wurde vom Plenum als ein "Fraktionsmanöver" gewertet; Bucharin, Rykov und Tomskij wurden in aller Öffentlichkeit zu Führern der "rechten Opportunisten" erklärt. Man stellte eine Verbindung zwischen dem Antrag auf "Ausräumung der Meinungsverschiedenheiten" und dem "Scheitern der Prognosen" der Rechten her, obwohl die Ergebnisse des Fünfjahresplanes noch gar nicht im vollen Umfang vorlagen. Währenddessen warnten die Rechten die Partei weiterhin vor den schädlichen Folgen des stalinschen Kurses, was den Antrag auf "Ausräumung der Meinungsverschiedenheiten" zu einer formellen Deklaration werden ließ.

Bucharin wurde aus dem Politbüro ausgeschlossen; Rykov, Tomskij und GlossarUgarov drohte man mit "Organisationsmaßnahmen", falls sie ihren Kampf nicht aufgeben würden. Am 26. November unterzeichneten die Führer der Rechten eine Erklärung, in der sie ihre Ansichten als falsch anerkannten. Rykov behielt vorläufig seinen Posten als Vorsitzender des GlossarRates der Volkskommissare.

Inzwischen bereitete Stalin den grandiosen sozialen Umbruch vor, die Schaffung eines neuen Systems der bürokratischen Verwaltung der Gesellschaft. Kurz vor Neujahr gab er das Signal zur "Vernichtung der Kulaken als Klasse" und zur "Erfüllung des Fünfjahresplanes in vier Jahren".

Aleksandr Šubin

(Übersetzung aus dem Russ. von L. Antipow)