Vertrag über den gegenseitigen Beistand zwischen der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken und der Republik Frankreich, 2. Mai 1935

Einführung

Während in der Bewertung des sowjetisch-französischen Beistandsvertrages als eines Höhepunkts der außenpolitischen Bemühungen der Sowjetunion um die Schaffung eines europaweiten Systems der Glossar"kollektiven Sicherheit" Konsens besteht, bleibt die Frage umstritten, wer die Verantwortung für das Scheitern dieser Politik trägt. Die traditionelle sowjetische und einige Vertreter der russischen Historiographie machen dafür Frankreich und Großbritannien verantwortlich. In jüngster Zeit erschienen jedoch Studien, deren Autoren (z.B. Sluč) meinen, daß auch GlossarStalin bereits 1938 zur GlossarAppeasement-Politik neigte. Diese Meinung wird von anderen Autoren (z.B. Mel'tjuchov) bestritten; als Beweis führen sie statistische Daten aus sowjetischen Militärarchiven an, die illustrieren sollen, daß die UdSSR 1938 bereit war, die antideutsche Koalition militärisch zu unterstützen.

Die Wende der sowjetischen Außenpolitik, von der Konfrontation mit den Garantiemächten des GlossarVersailler Systems bis hin zu einem Bündnis mit ihnen, setzte 1933 ein. Nach der Niederlage der Kommunisten in Deutschland und einer rasanten Verschlechterung der deutsch-sowjetischen Beziehungen stellte Stalin fest, daß er sich in einer internationalen Isolation befand. Um eine Alternative für die weggefallene deutsch-sowjetische Kooperation zu schaffen, wurde beschlossen, den politischen Kurs zu ändern und eine Annäherung an den früheren Gegner Frankreich anzustreben. Dies lag auch im Interesse der führenden Kreise in Frankreich, deren Absicht es war, ein politisches Gegengewicht zu Nazideutschland zu schaffen.

Im November 1933 faßte das GlossarPolitbüro des CK der VKP(b) den Grundsatzbeschluß für eine Umorientierung der sowjetischen Außenpolitik von Deutschland auf Frankreich. Mit dem Abklingen der Großen Depression waren die sowjetisch-französischen Wirtschaftsgegensätze aus der Welt geschafft. Am 11. Januar 1934 wurde der Glossarsowjetisch-französische Handelsvertrag unterzeichnet und am 16. Februar des gleichen Jahres ein ähnlicher GlossarVertrag zwischen der Sowjetunion und Großbritannien. Das Problem der außenpolitischen Sicherheit stand dabei ganz oben an.

Die UdSSR war bereit, dem von Deutschland verlassenen GlossarVölkerbund, den Moskau früher als die "Kommandozentrale des Weltimperialismus" betrachtet hatte, beizutreten, und zum loyalen Mitglied dieser "Gemeinschaft" zu werden. Am 19. Dezember 1933 verabschiedete das Politbüro des CK der VKP(b) einen Beschluß, der die endgültige Bereitschaft der sowjetischen Seite dem Völkerbund beizutreten zum Ausdruck brachte, allerdings unter der Bedingung, daß das Schiedsgericht des Völkerbundes nur die Einhaltung solcher Verpflichtungen überwachen dürfe, die die UdSSR nach ihrem Beitritt einging, statt sich in die alten außenpolitischen Streitfragen, z.B. um Bessarabien, einzumischen. Die UdSSR schlug auch andere Vorbehaltsklauseln vor, die jedoch von den anderen Mitgliedern des Völkerbundes ignoriert wurden. Dennoch trat die UdSSR am 18. September 1934 dem Völkerbund bei, "um in [seinem] Rahmen [...] regionale Abkommen über gegenseitige Verteidigung gegen eine Aggression von Seiten Deutschlands abzuschließen". Der französische Außenminister GlossarJean Louis Barthou kommentierte diesen politischen Schritt mit dem Satz: "Mein Hauptziel ist erreicht – die Regierung der UdSSR wird jetzt mit Europa zusammenarbeiten."

Zunächst wollte man Hitler einen "Ostpakt" nach dem Muster der GlossarLocarno-Verträge von 1925, die die Westgrenzen Deutschlands festgeschrieben hatten, vorschlagen. Außerdem sollte Deutschland die Verpflichtung eingehen, keine Veränderung der Ostgrenzen ihres Staates, wie sie im GlossarVersailler Vertrag festgelegt worden waren, zu fordern. Nach einem Plan, der im April 1934 von Barthous Stellvertreter Léger entworfen wurde, sollten Deutschland, die UdSSR, die Tschechoslowakei, Polen und die baltischen Staaten ein "Ost-Locarno" garantieren. Barthou war der Meinung, daß Frankreich und die UdSSR eine Sonderkonvention hätten abschließen sollen, die sowohl den "Ostpakt" als auch die Einhaltung der Locarno-Verträge abgesichert hätte. Die direkte Teilnahme an einem Pakt der osteuropäischen Staaten wäre für Frankreich wenig akzeptabel gewesen. So kam die Idee auf, zwei voneinander getrennte Verträge abzuschließen. GlossarLitvinov schlug vor, beide Entwürfe zu vereinen, und versuchte Barthou von der Notwendigkeit eines "Ostpaktes" unter der Teilnahme Frankreichs ohne Deutschland zu überzeugen.

GlossarHitler war die Idee eines "Ostpaktes" fremd – er hatte vor, im Laufe der Zeit seine Ansprüche an die Nachbarn im Osten zu stellen und sie dazu zu zwingen, als Mindestmaß die Territorien, die Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg weggenommen wurden, sowie die ehemaligen österreichischen Besitztümer mit deutscher Bevölkerungsmehrheit zurückzugeben. Dann versuchte Barthou die Briten, deren Beziehungen zu den Deutschen enger waren, zu überzeugen, dem Pakt beizutreten. Doch im Juli erklärte London Barthou sein grundsätzliches "Nein" zu allen Bündnisverträgen, an denen die UdSSR als Partner beteiligt sein sollte. Daraufhin gab Barthou zu verstehen, daß er auch alleine – ohne Großbritannien und Deutschland – zu einer Einigung mit den Kommunisten kommen könne: "In der fernen Vergangenheit schloß das republikanische Frankreich einen Vertrag mit dem zarischen Rußland, obwohl ihre Regime sich sehr voneinander unterschieden. Doch die Geschichte wurde von der Geographie bestimmt, und so ist ein französisch-russisches Bündnis zustande gekommen." Daraufhin änderten die Briten ihre Meinung und äußerten ihre Bereitschaft zu einer Kompromißlösung: Als Gegenleistung für das "Ost-Locarno" sollte die Gleichberechtigung Deutschlands auf dem Rüstungssektor wiederhergestellt werden. Alle diese Forderungen wurden jedoch hinfällig, da Hitler ohnehin bereits vor hatte, die Beschränkungen von Versailles zu mißachten und zu umgehen.

Bis zum Herbst 1934 wurde klar, daß Deutschland nicht bereit war, an einem "Ostpakt" teilzunehmen. Dieser Entschluß kam weder für Stalin noch für Barthou unerwartet. Jetzt konnte man über einen Pakt zur "kollektiven Sicherheit" zwischen der UdSSR, Frankreich und seinen Verbündeten in Osteuropa verhandeln. Die neue Fassung des "Ostpaktes" besaß einen unverdeckt antideutschen Charakter. Doch im Verhältnis zwischen den Ländern, die daran beteiligt werden sollten, kamen Schwierigkeiten auf. Polen wollte kein Bündnis mit der UdSSR, die ihm gegenüber territoriale Ansprüche hatte. Seine Vertretung bestand außerdem darauf, daß Rumänien ebenfalls am Pakt beteiligt werde, doch diesem wäre die Teilnahme der UdSSR ungelegen gekommen, da die UdSSR die Rückgabe Bessarabiens anstrebte.

Barthou unternahm große Anstrengungen, um eine Lösung für diese Probleme zu finden. Doch am 26. Januar 1934 schloß Polen einen Nichtangriffspakt mit Deutschland – in der Überzeugung, daß die Freundschaft mit Deutschland ungefährlicher sei, als die Freundschaft mit der Sowjetunion.

Am 9. Oktober 1934 traf in Paris König GlossarAleksandar von Jugoslawien ein, der seit vielen Jahren versucht hatte, Serben, Kroaten, Slowenen und Mazedonier zu einer Nation zu vereinen. Als Barthou mit ihm im offenen Auto unterwegs war, fielen Schüsse, die beide Staatsmänner tödlich trafen.

Der neue französische Außenminister GlossarPierre Laval zeigte beim Kampf gegen Deutschland weniger Enthusiasmus, als sein Vorgänger. Fünf Jahre später war Frankreich von Deutschland zerschlagen und Laval zum Oberhaupt der deutschfreundlichen Marionettenregierung aufgestiegen; er wurde nach dem Krieg als Kollaborateur hingerichtet. 1935 spielte Laval nach den alten Regeln und führte die Vorarbeiten Barthous zum "Ostpakt" zu Ende. Dabei hielt er stets Ausschau nach Großbritannien, das gegenüber einem Militärbündnis mit der UdSSR negativ eingestellt war.

So war das Projekt eines "Ostpaktes" im Endeffekt gescheitert und die UdSSR und Frankreich trafen die Entscheidung, das, was davon übrig geblieben war, vertraglich festzuhalten. Und übrig geblieben war das Dreieck UdSSR-Frankreich-Tschechoslowakei. Die Tschechoslowakei geriet als Verbündeter Frankreichs in das "Dreieck"; auf die UdSSR blickte man in Prag mit Besorgnis, doch sie war weit weg, Deutschland dagegen nah. Und wenn sich sogar Frankreich entschied, Deutschland mit der Sowjetunion zu drohen, so war die tschechoslowakische Seite zur Teilnahme bereit.

Am 2. Mai 1935 wurde der Vertrag über den gegenseitigen Beistand zwischen der UdSSR und Frankreich abgeschlossen; am 16. Mai 1935 folgte ein vergleichbarer GlossarVertrag zwischen der UdSSR und der Tschechoslowakei. Wie bereits ihr Titel verrät, sahen die Verträge den gegenseitigen Beistand der drei Länder vor, falls eine der vertragschließenden Parteien mit der Aggression eines fremden Staates konfrontiert werden sollte. Die UdSSR sagte ihren Beistand der Tschechoslowakei nur für den Fall zu, wenn auch Frankreich seiner Verpflichtung nachkommt und ebenfalls Beistand leistet. Die französische Seite machte ihrerseits den Vorbehalt, daß die UdSSR nur dann Hilfe erhält, wenn das Bündnis mit der UdSSR nicht den Verpflichtungen Frankreichs gegenüber den osteuropäischen Nachbarn der UdSSR widerspricht. Der Vertrag sollte in der Schaffung eines umfassenden Systems der "kollektiven Sicherheit" seine logische Fortsetzung finden. Andernfalls konnte er nur im Fall eines deutsch-tschechischen Konflikts, z. B. bei einem Überfall Deutschlands auf das Territorium der Tschechoslowakei in Kraft treten (ein Überfall Deutschlands auf Frankreich war 1935 noch nicht aktuell). Weder Laval noch die späteren politischen Führer Frankreichs waren jedoch an einem Ausbau des Systems der "kollektiven Sicherheit" interessiert. Die Wirkung des Vertrages zeigte sich in der Sudetenkrise von 1938. Frankreich zog es vor, den Bündnisverpflichtungen gegenüber der Tschechoslowakei nicht nachzukommen, was in bedeutendem Maße dazu beitrug, daß Prag kapitulierte. Aufgrund der Haltung Frankreichs hatte die UdSSR keinen Anlaß, in den europäischen Konflikt einzugreifen. Dies wurde auch für die skeptische Haltung der UdSSR während der britisch-französisch-sowjetischen Verhandlungen 1939 ausschlaggebend, als die letzte Chance vor dem Krieg ungenutzt blieb, eine Anti-Hitler-Koalition unter der Beteiligung der UdSSR zu schaffen. Nach dem Abschluß des Glossardeutsch-sowjetischen Nichtangriffsvertrages am 23. August 1939 wurde der sowjetisch-französische Beistandsvertrag hinfällig.

Viktor Iščenko

(Übersetzung aus dem Russ. von L. Antipow)