Botschaft des Ersten Sekretärs des CK der KPSS Nikita Sergeevič Chruščev an den Präsidenten der Vereinigten Staaten John F. Kennedy, 28. Oktober 1962

Quellentext deutsch

28. Oktober 1962

Verehrter Herr Präsident!

Ich habe Ihre Botschaft vom 27. Oktober dieses Jahres erhalten. Ich gebe meiner Befriedigung und Erkenntlichkeit Ausdruck für den von Ihnen gezeigten Sinn für das rechte Maß und Ihre Einsicht für die Verantwortung, die Sie gegenwärtig für die Aufrechterhaltung des Friedens in der ganzen Welt tragen. Ich habe großes Verständnis für Ihre Befürchtung und für die Befürchtung des Volkes der Vereinigten Staaten von Amerika angesichts der Tatsache, daß die Waffen, die Sie als Angriffswaffen bezeichnen, wirklich gefährliche Waffen sind. Sowohl Ihnen als auch uns ist bekannt, was dies für Waffen sind.

Um die Beilegung des den Frieden gefährdenden Konflikts rascher zu beenden, um allen nach Frieden dürstenden Völkern das Gefühl der Sicherheit zu geben, um das Volk Amerikas zu beruhigen, welches, dessen bin ich gewiß, ebenfalls Frieden wünscht wie die Völker der Sowjetunion, hat die Sowjetregierung in Ergänzung zu früher schon erteilten Anweisungen neuerdings angeordnet, die Arbeiten auf den Bauplätzen für die Stationierung von Waffen einzustellen, die Rüstungen, die Sie als Angriffswaffen bezeichnen, zu demontieren, zu verpacken und in die Sowjetunion zurückzuführen.

Herr Präsident, ich möchte nochmals wiederholen, was ich Ihnen schon in meinen vorhergehenden Briefen geschrieben habe: Die Sowjetregierung hat der Regierung der Republik Kuba wirtschaftliche Hilfe erwiesen sowie Waffen zur Verfügung gestellt, weil Kuba, das kubanische Volk der ständigen Gefahr einer Invasion auf Kuba ausgesetzt waren.

Von einem Piratenschiff aus ist Havanna beschossen worden. Man sagt, unverantwortliche kubanische Emigranten hätten geschossen. Möglicherweise ist dem so. Es fragt sich aber, von wo aus sie geschossen haben. Diese Kubaner haben doch kein Territorium, sie sind heimatflüchtig, sie haben keinerlei Mittel, um militärische Aktionen durchzuführen. Also hat ihnen jemand die Waffen für die Beschießung Havannas, für die Piratenakte im Karibischen Meer, in den Hoheitsgewässern Kubas, in die Hand gegeben. In unserer Zeit ist es doch undenkbar, daß ein Piratenschiff unbemerkt bleibt; zudem muß man noch bedenken, daß es im Karibischen Meer nur so von amerikanischen Schiffen wimmelt, von denen aus im Grunde genommen alles gesehen und beobachtet wird. Und unter diesen Umständen kreuzen Piratenschiffe frei um Kuba herum, beschießen Kuba und verüben Piratenüberfälle auf friedliche Transporter. Ist es doch bekannt, daß sie sogar einen englischen Frachter beschossen haben.

Mit einem Wort: Kuba befand sich unter der ständigen Bedrohung von selten aggressiver Kräfte, die aus ihrem Vorhaben, in Kuba einzudringen, kein Hehl machten.

Das kubanische Volk will sein Leben entsprechend den eigenen Interessen, ohne äußere Einmischung, aufbauen. Das ist sein Recht, und man kann es nicht schuldig sprechen, wenn es Herr über sein Land sein will, wenn es über die Früchte seiner Arbeit verfügen will. Die Androhung einer Invasion auf Kuba und alle anderen Unternehmen, die darauf abzielten, Spannungen um Kuba zu erzeugen, sind dazu bestimmt, Unsicherheit beim kubanischen Volk hervorzurufen, es einzuschüchtern und es daran zu hindern, ungestört ein neues Leben aufzubauen.

Herr Präsident, ich möchte nochmals klar und deutlich sagen, daß wir demgegenüber nicht gleichgültig bleiben konnten. Deshalb hat die Sowjetregierung beschlossen, Kuba mit Mitteln gegen eine Aggression, und zwar ausschließlich mit Verteidigungsmitteln, Hilfe zu erweisen. Wir lieferten dorthin Verteidigungsmittel, die Sie als Angriffsmittel bezeichnen, wir haben diese Mittel dort stationiert, damit kein Überfall auf Kuba unternommen werde, damit keine unüberlegten Aktionen erfolgen.

Ich betrachte mit Achtung und Vertrauen Ihre Erklärung in Ihrer Botschaft vom 27. Oktober 1962, daß auf Kuba kein Überfall verübt werde, daß keine Invasion stattfinden wird, und zwar weder von seiten der Vereinigten Staaten noch, wie in der gleichen Botschaft gesagt wird, von seiten anderer Länder der westlichen Hemisphäre. Damit entfallen auch die Beweggründe, die uns veranlaßt haben, Kuba eine derartige Hilfe zu erweisen. Daher haben wir denn auch unseren Offizieren (und diese Mittel befinden sich, wie ich Ihnen bereits mitgeteilt habe, in der Hand sowjetischer Offiziere) Anweisung gegeben, entsprechende Maßnahmen zur Einstellung des Baus der erwähnten Objekte, zu deren Demontage und Rückführung in die Sowjetunion zu treffen. Wie ich Ihnen schon in dem Schreiben vom 27. Oktober mitteilte, sind wir einverstanden, mit Ihnen zu vereinbaren, daß Vertreter der UN sich von der Demontage dieser Mittel überzeugen können.

Somit sind, wenn man von Ihren Zusicherungen und von unseren Anweisungen zur Demontage ausgeht, alle erforderlichen Voraussetzungen für eine Beilegung des Konflikts gegeben. Ich stelle mit Befriedigung fest, daß Sie meinen Wünschen Gehör geschenkt haben, diese gefährliche Lage zu beseitigen sowie Voraussetzungen für eine überlegtere Beurteilung der internationalen Lage zu schaffen, die in unserem Zeitalter der Kernwaffen, der Raketentechnik, der Raumschiffe, der globalen Raketen und sonstiger todbringender Waffen große Gefahren in sich birgt. An der Erhaltung des Friedens sind alle Menschen interessiert.

Daher dürfen wir, die wir mit Vertrauen ausgestattet sind und auf denen eine große Verantwortung ruht, keine Verschärfung der Lage zulassen und müssen die Konfliktherde, in denen eine für den Frieden folgenschwere, gefährliche Situation entstanden ist, beseitigen. Und wenn es uns mit Hilfe anderer Menschen guten Willens gelingt, diese gespannte Situation zu überwinden, so müssen wir auch dafür sorgen, daß keine anderen gefährlichen Konflikte ausbrechen, die zu einer thermonuklearen Weltkatastrophe führen können. Zum Schluß möchte ich mich über die von Ihnen erwähnte Regelung der Beziehungen zwischen der NATO und den Staaten des GlossarWarschauer Vertrags äußern. Wir haben schon vor langem davon gesprochen und sind bereit, mit Ihnen den Meinungsaustausch über diese Frage fortzusetzen und eine vernünftige Lösung zu finden. Wir möchten auch den Meinungsaustausch über ein Verbot der atomaren und thermonuklearen Waffen, über die allgemeine Abrüstung und andere Fragen, die eine Minderung der internationalen Spannungen betreffen, fortsetzen.

Herr Präsident! Ich vertraue Ihrer Erklärung, aber andererseits gibt es verantwortungslose Leute, die jetzt eine Invasion auf Kuba unternehmen und damit einen Krieg auslösen möchten. Wenn wir praktische Schritte unternehmen und erklären, daß wir die erwähnten Mittel demontieren und von Kuba abtransportieren, so wollen wir dabei zugleich dem kubanischen Volk die Sicherheit geben, daß wir zu ihm stehen und uns nicht der Verantwortung entziehen, dem kubanischen Volk Hilfe zu gewähren.

Wir sind überzeugt, daß die Völker aller Länder wie auch Sie, Herr Präsident, mich richtig verstehen werden. Wir drohen nicht, wir wollen nur Frieden. Unser Land befindet sich jetzt im Aufstieg. Unser Volk genießt die Früchte seiner friedlichen Arbeit. Es hat nach der Oktoberrevolution gewaltige Erfolge errungen und größte materielle, geistige und kulturelle Werte geschaffen. Unser Volk nutzt diese Werte und will seine Erfolge mehren, es möchte durch beharrliche Arbeit eine weitere Entwicklung auf dem Wege des Friedens und des sozialen Fortschritts gewährleisten.

Ich möchte Ihnen, Herr Präsident, in Erinnerung rufen, daß militärische Aufklärungsflugzeuge die Grenzen der Sowjetunion verletzten, wodurch wir mit Ihnen in Konflikt gerieten und ein Notenaustausch stattfand. 1960 haben wir eines Ihrer U-2-Flugzeuge abgeschossen, dessen Erkundungsflug über der UdSSR zur Vereitelung des Gipfeltreffens in Paris führte. Sie haben damals, als Sie diese verbrecherische Handlung der damaligen Regierung der Vereinigten Staaten verurteilten, einen richtigen Standpunkt bezogen. Aber in Ihrer Amtszeit als Präsident ereignete sich eine zweite Verletzung unserer Grenze durch ein amerikanisches U-2-Flugzeug im Raum von Sachalin. Über diese Verletzung haben wir Ihnen schon am 30. August geschrieben. Sie antworteten uns damals, diese Verletzung der Grenzen habe infolge schlechter Witterungsverhältnisse stattgefunden, und gaben die Zusicherung, daß sich derartiges nicht wiederholen werde. Wir glaubten Ihrer Versicherung, weil damals in diesem Raum wirklich schlechtes Wetter herrschte. Wenn jedoch Ihre Flugzeuge nicht den Auftrag hätten, in der Nähe unseres Territoriums zu fliegen, so könnte auch schlechte Witterung kein amerikanisches Flugzeug in unseren Luftraum verschlagen. Daraus folgt, daß dies mit Wissen des Pentagons geschieht, das internationale Normen mit Füßen tritt und die Grenzen anderer Staaten verletzt.

Ein noch gefährlicherer Vorfall ereignete sich am 28. Oktober, als eines Ihrer Aufklärungsflugzeuge im Norden, im Raum der Čukotskij-Halbinsel, in die Sowjetunion eindrang und unser Territorium überflog. Es fragt sich, Herr Präsident, wie wir dies bewerten sollen. Ist das etwa eine Provokation? Ein Flugzeug von Ihnen verletzt unsere Grenze, und noch dazu in einer so besorgniserregenden Zeit, in der wir leben, da alles in Kampfbereitschaft versetzt ist. Es ist doch durchaus möglich, daß ein amerikanisches Flugzeug, das die Grenze verletzt, für einen Bomber mit Kernwaffen an Bord gehalten wird, und das kann uns zu einem verhängnisvollen Schritt veranlassen, um so mehr, als die Regierung der Vereinigten Staaten und das Pentagon schon lange erklären, bei Ihnen würden Bombenflugzeuge mit Atombomben an Bord ständig in der Luft sein.

Daher können Sie sich vorstellen, welche Verantwortung Sie übernehmen, besonders jetzt, in einer so alarmierenden Zeit, wie wir sie alle durchmachen. Ich möchte Sie bitten, dies richtig zu überlegen und entsprechende Maßnahmen zu treffen, damit solches nicht als Provokation zur Entfesselung eines Krieges dient.

Ich möchte Ihnen gegenüber auch den folgenden Wunsch äußern. Natürlich ist es eigentlich eine Angelegenheit des kubanischen Volkes. Sie haben ja im Moment keine diplomatischen Beziehungen zu Kuba. Ich aber habe durch unsere Offiziere, die sich auf Kuba befinden, Berichte erhalten, daß über Kuba Flüge amerikanischer Flugzeuge praktiziert werden.

Wir sind daran interessiert, daß es in der Welt überhaupt keinen Krieg gibt und daß das kubanische Volk ungestört leben kann. Aber außerdem, Herr Präsident, ist es kein Geheimnis, daß wir unsere Leute auf Kuba haben. Auf Grund einer Vereinbarung mit der kubanischen Regierung haben wir dort Offiziere, Instrukteure, die Kubaner ausbilden, und eine große Zahl von Zivilpersonen: Experten, Agronomen, Zootechniker, Melioratoren, einfache Arbeiter, Traktoristen usw. Wir sind um diese Leute besorgt.

Ich möchte Sie bitten, Herr Präsident, zu berücksichtigen, daß eine Verletzung des Luftraumes Kubas durch amerikanische Flugzeuge ebenfalls gefährliche Folgen haben kann. Und wenn Sie dies nicht wünschen, wäre es angebracht, keinen Anlaß zum Entstehen einer gefährlichen Situation zu geben.

Wir müssen jetzt sehr vorsichtig sein und dürfen keine Schritte unternehmen, die der Verteidigung der in den Konflikt verwickelten Staaten nicht nützen, sondern nur Verstimmung schaffen und gar die Herausforderung zu einem verhängnisvollen Schritt darstellen könnten. Daher müssen wir Nüchternheit und Vernunft zeigen und uns derartiger Schritte enthalten.

Wir schätzen den Frieden, vielleicht sogar mehr als andere Völker, weil wir den furchtbaren Krieg gegen GlossarHitler durchgemacht haben. Unser Volk aber wird vor beliebigen Prüfungen nicht zurückschrecken. Unser Volk vertraut seiner Regierung, und wir versichern unserem Volk und der Weltöffentlichkeit, daß sich die Sowjetregierung nicht provozieren lassen wird. Wenn die Provokateure aber einen Krieg vom Zaune brechen, so werden sie der Verantwortung und den schweren Folgen, die ein Krieg für sie haben wird, nicht entgehen können. Wir aber sind überzeugt, daß die Vernunft siegen, daß kein Krieg entfesselt wird und daß der Frieden und die Sicherheit der Völker gewährleistet werden.

Im Zusammenhang mit den gegenwärtigen Verhandlungen des amtierenden Generalsekretärs, Herrn GlossarThant, mit Vertretern der Sowjetunion, der Vereinigten Staaten von Amerika und der Republik Kuba hat die Sowjetregierung den Ersten Stellvertretenden Außenminister der UdSSR, GlossarV. V. Kuznecov, nach New York entsandt, um Herrn Thant in seinen vortrefflichen Bemühungen für eine Überwindung der gefährlichen Lage beizustehen.

Hochachtungsvoll

GlossarN. Chruščev

Rev. Übersetzung hier nach: Europa-Archiv, 1962, Folge 23, S. 588-591.