Verordnung des Reichspräsidenten, betreffend die Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Gebiet des Landes Preußen sowie Verordnung des Reichspräsidenten, betreffend die Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in Groß-Berlin und Provinz Brandenburg ["Preußenschlag"], 20. Juli 1932

Einführung

Die "Verordnung des Reichspräsidenten über die Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in Preußen" vom 20. Juli 1932 basierte auf dem Notverordnungsrecht des Reichspräsidenten nach Art. 48 der GlossarWeimarer Reichsverfassung. Der Reichspräsident Paul von Hindenburg ernannte den Reichskanzler Franz von Papen zum Reichskommissar für Preußen und ermächtigte ihn, die preußischen Minister abzusetzen und andere Personen mit der Führung der Amtsgeschäfte in Preußen zu betrauen. Konkret bedeutete dies, daß GlossarPapen am 20. Juli den geschäftsführenden preußischen Ministerpräsidenten, den Sozialdemokraten GlossarOtto Braun, und den Chef der preußischen Polizei, Innenminister GlossarCarl Severing (GlossarSPD) absetzte und durch eigene Vertrauensleute ersetzte. Den Essener Oberbürgermeister GlossarFranz Bracht ernannte er zum neuen preußischen Innenminister. Reichspräsident und Reichsregierung verletzten die Reichsverfassung und die preußische Verfassung, indem sie in die Verfassungsordnung über den in Art. 48 vorgesehenen Zuständigkeitsbereich hinaus eingriffen. Der von der preußischen Staatsregierung angestrengte Prozess vor dem Reichsgericht in Leipzig bestätigte die Rechte der Staatsregierung aber nur in ihrer Außenwirkung, d.h. im Instruktionsrecht der preußischen Stimmen im Reichsrat. Im Innenverhältnis bestätigte das Reichsgericht dagegen die Rechte des Reiches, in Preußen die Amtsgeschäfte führen zu können.

Reichspräsident GlossarHindenburg wollte seit längerem einen durchgreifenden autoritären Umbau der Staatsorganisation des Deutschen Reiches und damit ein Ende der parlamentarischen Demokratie, wie sie in der Verfassung von 1919 festgeschrieben war. Der Dualismus zwischen dem Reich und Preußen, dem mit zwei Dritteln bei weitem größten Einzelstaat, stellte auf diesem Weg ein schwer zu überwindendes Hindernis dar, zumal in Preußen die Verfassungsparteien von 1919, MSPD, GlossarZentrum und GlossarDDP, bis 1932 eine parlamentarische Mehrheit besaßen und die Regierung stellten. Auch nach den Landtagswahlen vom 24. April 1932, bei denen die Nationalsozialisten wie erwartet die mit Abstand größte Partei wurden, änderte sich daran zuerst nichts. Die GlossarNSDAP erreichte mit 36 Prozent ziemlich genau den gleichen Stimmenanteil wie im Reich am 31. Juli 1932. Durch eine Änderung der Geschäftsordnung des preußischen Landtages hatte die Weimarer Koalition zuvor durchgesetzt, dass die Wahl einer neuen Regierung mit absoluter Mehrheit zu erfolgen hatte. Die negative Mehrheit aus Nationalsozialisten und GlossarKPD, die fast 13 Prozent der Stimmen erhalten hatte, verhinderte dies. Die Regierung der Weimarer Koalition blieb daher geschäftsführend im Amt.

Nachdem Hindenburg im April 1932 mit Hilfe GlossarHeinrich Brünings und der SPD wiedergewählt worden war und das von der SPD tolerierte Präsidialkabinett Brüning Ende Mai 1932 entlassen worden war, setzten Hindenburg und der neue Reichskanzler Papen auf einen offenen Umbau der Verfassungsinstitutionen. Dafür und für einen Ausgleich mit den Nationalsozialisten mußte die preußische Regierung beseitigt werden. Die Begründung für den verfassungswidrigen Schritt lieferten die bürgerkriegsähnlichen Zustände in Preußen und im Reich. Alleine am 10. Juli 1932 hatte es im gesamten Reichsgebiet in der vor den Reichstagswahlen aufgeheizten Stimmung 17 Tote, 10 tödlich Verletzte und 181 Schwerverletzte gegeben. Reichsinnenminister GlossarWilhelm Freiherr von Gayl forderte am 11. Juli einen Reichskommissar für Preußen. Den unmittelbaren Vorwand zum Eingreifen bildete schließlich der sogenannte "Altonaer Blutsonntag": Am 17. Juli 1932 kamen bei Straßenkämpfen in Altona 19 Menschen zu Tode, wofür die Reichsregierung die preußische Regierung verantwortlich machte. Tatsächlich war die Gewalthäufung seit Mitte Juni 1932 das Resultat der Aufhebung des Verbots von GlossarSA und GlossarSS vom 16. Juni 1932, wodurch GlossarAdolf Hitlers Unterstützung für den Kurs des Reichspräsidenten erkauft werden sollte. Am 18. Juli 1932, dem Tag nach dem Altonaer Blutsonntag, erließ die Reichsregierung ein allgemeines Versammlungsverbot unter freiem Himmel und bestellte drei preußische Minister, den Sozialdemokraten Severing, GlossarHeinrich Hirtsiefer vom Zentrum und den parteilosen GlossarOtto Klepper, in die Reichskanzlei. Dort wurde ihnen am 20. Juli die längst unterzeichnete Notverordnung eröffnet.

Anders als bei dem GlossarKapp-Putsch 1920 kam es beim Staatstreich der Reichsregierung gegen Preußen am 20. Juli 1932 nicht zu einem Generalstreik der Gewerkschaften und zu Protestaktionen der politischen Arbeiterbewegung. Während 1920 Vollbeschäftigung geherrscht hatte, befand sich das Reich 1932 mit über 6 Millionen Arbeitslosen auf dem Höhepunkt der Weltwirtschaftskrise. Der Arbeiterbewegung musste es daher schwer fallen, ihre Klientel zum offenen Widerstand zu motivieren. Die Antwort auf den Preußenschlag sollte bei den Reichstagswahlen am 31. Juli 1932 gegeben werden. Außerdem fürchtete die SPD realistischerweise, dass die KPD Nutznießer einer Protestwelle sein könnte, da sie an Radikalität die reformistische SPD jedes Mal übertrumpfen konnte. Bei den Reichswahlen vom 31. Juli 1932 wurde die NSDAP die stärkste Partei und erreichte ihr bestes Ergebnis bei freien Wahlen.

Indem die Reichsregierung die preußische Regierung gewaltsam absetzte und danach die Geschäfte des größten Einzelstaates in die eigene Regie übernahm, veränderte sie massiv die föderale Verfassungsordnung des Deutschen Reiches, was bezeichnenderweise Proteste der bayerischen konservativen Staatsregierung auslöste. Der Preußenschlag stellte den ersten Schritt auf dem Weg zum Einheitsstaat der NS-Diktatur dar. Die Reichsregierung begünstigte mit der Schwächung der letzten verbliebenen demokratischen Bastion im Reich die Regierungsübernahme Hitlers im Januar 1933 und das Ende des Föderalismus wenige Wochen später.

Siegfried Weichlein