Vorbereitung zur Gründung der DDR: Schreiben der SED an den Generalsekretär des Zentralkomitees der VKP(b) Stalin, 19. September 1949 und Vorschläge des Politbüros des CK der VKP(b) an den Parteivorstand der SED zur Bildung einer Provisorischen Regierung der DDR, ohne Datum

Einführung

Die Vorgeschichte der DDR-Gründung reicht letztlich bis 1945 zurück. Wie aus einer Äußerung GlossarStalins gegenüber dem späteren GlossarKPD/GlossarSED-Vorsitzenden GlossarWilhelm Pieck vom Juni 1945 hervorgeht, hielt der sowjetische Diktator bereits damals die deutsche Teilung für möglich, wenngleich er wohl ein einheitliches, sowjetfreundliches Deutschland vorgezogen hätte. Seit 1945 war die sowjetische Deutschlandpolitik daher nicht auf einen Nenner zu bringen. Stalin versuchte, sich mehrere Optionen offenzuhalten, wobei die Teilungsoption anfangs eine geringere Rolle spielte als die gesamtdeutsche. In den ersten Jahren nach Kriegsende war die sowjetische Politik in und gegenüber Deutschland ambivalent: Trotz erster Bemühungen, die in Richtung einer sozioökonomischen Umgestaltung der eigenen Zone wiesen (GlossarEntnazifizierung, GlossarBodenreform, "Industriereform"), war Moskau noch darauf bedacht, die Eintracht unter den Alliierten nicht zu gefährden.

Das änderte sich, als sich 1947/48 die Gegensätze zwischen den Westmächten und der Sowjetunion verstärkten: Der beginnende Kalte Krieg und der Abschluß bestimmter zoneninterner Prozesse führte zur forcierten Einführung "volksdemokratischer" Elemente auf zentralen Gebieten. SED-intern wurde spätestens Mitte 1948, als die GlossarGründung der Bundesrepublik absehbar wurde, ein eigenes, in den sowjetischen Machtbereich integriertes Staatswesen ins Auge gefaßt. Doch Stalin pfiff die deutschen Genossen bei einer Besprechung am 18. Dezember 1948 in Moskau zurück: Der Übergang zur "Volksdemokratie" sei in der SBZ erst möglich, wenn die innenpolitische Entwicklung der SBZ weiter vorangekommen sei. Obwohl Stalin noch immer an dem gesamtdeutschen Anspruch festhielt, wurden jedoch Vorkehrungen getroffen, um im Fall einer Weststaatsgründung nachziehen zu können.

Noch 1949 hielt die Sowjetunion an ihrer Doppelstrategie fest: Einerseits war sie daran interessiert, auf der von ihr geforderten Pariser Außenministerkonferenz (23. Mai bis 20. Juni) die Chancen für eine einvernehmliche Lösung der deutschen Frage in letzter Minute auszuloten; andererseits war sie entschlossen, auf die bevorstehende Gründung der Bundesrepublik mit der Herausbildung staatlicher Strukturen auch in der SBZ zu reagieren.

Dazu nutzte sie vor allem den sogenannten "Deutschen Volkskongreß". Der 1. Deutsche Volkskongreß war im Dezember 1947 zusammengetreten und diente, neben seiner Funktion als propagandistischer Begleiter der sowjetischen Deutschlandpolitik, vor allem der Brechung des Widerstandes der bürgerlichen Parteien in der SBZ. Der zweite Volkskongreß, der im März 1948 zusammentrat, wählte aus seiner Mitte den "Deutschen Volksrat". Dieser wurde beauftragt, mittels eines "Volksbegehrens" zu klären, ob das deutsche Volk eine Volksabstimmung über die deutsche Einheit verlange. Der Volkskongreß wählte darüber hinaus einen Verfassungsausschuß, der im Oktober 1948 einen (im März bestätigten) Verfassungsentwurf vorlegte. Waren die ersten beiden Volkskongresse noch von Betriebsversammlungen und öffentlichen Konferenzen bestimmt worden, wurde der 3. Volkskongreß, der Ende Mai 1949 zusammentrat, erstmals auf der Grundlage von Einheitslistenwahlen gebildet. Dieser wählte einen Volksrat von 330 Mitgliedern, der am 30. Mai – sieben Tage nach Verkündung des GlossarGrundgesetzes – den bereits im März bestätigten "Entwurf einer Verfassung für die Deutsche Demokratische Republik" verabschiedete.

Die Planungen für einen ostdeutschen Separatstaat konkretisierten sich also: Pieck stellte im Mai bereits Überlegungen über die Zusammensetzung einer künftigen Regierung an. Dennoch bekundete Stalin sogar nach der Pariser Außenministerkonferenz noch Interesse an einer gesamtdeutschen Lösung. Die SED-Führung ließ sich auch dafür einspannen, indem sie am 4. Juli vorschlug, einen "Deutschen Konsultativrat" zu schaffen, der gesamtdeutsche Interessen gegenüber den Alliierten vertreten und die wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen den Besatzungszonen verstärken sollte. Doch nach den ersten Bundestagswahlen am 14. August wurden derartige Initiativen ad acta gelegt und die Bildung eines ostdeutschen Separatstaates forciert. Dies war nicht nur auf die Verfestigung der staatlichen Strukturen im Westen, sondern vor allem darauf zurückzuführen, daß die von SED und GlossarVKP(b) angeleitete KPD lediglich 5,7 Prozent der Stimmen erhalten hatte. Damit war klar, daß die "Massen" in Westdeutschland vorerst nicht gegen die junge Bundesrepublik in Stellung zu bringen waren. Am 15. September, als GlossarAdenauer zum Bundeskanzler gewählt wurde, verfaßte Pieck ein Arbeitspapier, das die Abfolge der Schritte zur Staatsgründung in der SBZ festlegte. Doch zuvor mußte die Zustimmung Stalins eingeholt werden.

Zu diesem Zweck reisten Pieck, GlossarOtto Grotewohl und GlossarWalter Ulbricht nach Moskau, wo sie am 17. September mit den für die Deutschlandpolitik zuständigen Politbüromitgliedern der VKP(b) zusammentrafen. Während dieses ersten Treffens erhielt die SED-Delegation offensichtlich den Auftrag, ein Papier mit ihren Vorstellungen vorzubereiten, das als Entscheidungsgrundlage dienen sollte. Es ist durchaus möglich, daß die SED-Führer bereits vor der Niederschrift von den sowjetischen Genossen "beraten" worden waren. Ergebnis war der Brief an Stalin vom 19. September 1949, der aus unbekannten Gründen nicht an den Beratungen teilnahm.

Kern des Dokuments bildet das Prozedere bei der Bildung "einer provisorischen deutschen Regierung in der sowjetischen Besatzungszone". In der ersten Oktoberhälfte sollte sich der Deutsche Volksrat zur "Provisorischen Volkskammer" umbilden. Diese hatte der Verfassung Gesetzeskraft zu verleihen und die Einberufung einer Länderkammer zu beschließen. Beide zusammen sollten den Präsidenten der DDR wählen. Der Ministerpräsident war von der stärksten Fraktion – also der SED – zu bestimmen. Die Inhalte der Regierungserklärung wurden ebenso festgelegt wie die personelle Zusammensetzung der Regierung. Ein entscheidender Punkt war, daß Wahlen für die endgültige Volkskammer erst zu einem späteren, von der Provisorischen Volkskammer festzulegenden Zeitpunkt und auf der Grundlage von Einheitslisten stattfinden sollten. Wie Pieck bei der Vorstellung des Papiers ausführte, sei "die gegenwärtige Lage [...] nicht günstig für die Durchführung von Wahlen": Die SED befürchtete zu Recht, unter den damaligen Umständen bei einer nach dem Verhältniswahlrecht durchgeführten Volkskammerwahl eine Niederlage zu erleiden. Daher setzten die SED-Führer alles daran, diese Wahlen zu verschieben, bis "die demokratische Ordnung unserer Zone noch mehr verstärkt" worden sei und die Wirtschaft sich erholt habe. Die SED setzte somit darauf, daß es ihr gelingen würde, im Zuge der Ausbildung diktatorischer Strukturen die GlossarBlockparteien für ihren Wahlmodus zu gewinnen.

Hinzu kommen mußte eine Reihe von Lieferungen aus der Sowjetunion, um den 1948 verabschiedeten Zweijahresplan erfüllen zu können und damit die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der DDR unter Beweis zu stellen. Außerdem bat die SED-Führung darum, einige auf den Krieg und die Besatzungszeit zurückgehende Maßnahmen rückgängig zu machen, um der Bevölkerung die Zustimmung zu dem neuen ostdeutschen Staat zu erleichtern: Die von der Entnazifizierung betroffenen Bürger sollten ihr Wahlrecht zurückerhalten und, abgesehen von einigen Ausnahmen, wieder ins Berufsleben zurückkehren dürfen; die Kriegsgefangenen sollten bis Ende 1949 zurückkehren und die Speziallager in der SBZ aufgelöst werden. Gegenüber diesen auf die innere Entwicklung gerichteten Maßnahmen fielen die Planungen in Richtung Bundesrepublik weniger ins Gewicht. Diese betrafen einmal die von Stalin angeordnete Bildung der "Nationalen Front", die nicht nur innerhalb der DDR etabliert werden, sondern auch in Westdeutschland Fuß fassen sollte; der Kampf gegen die "Westregierung als Organ der Westmächte" sollte verstärkt werden, indem die KPD noch stärker als bisher unterstützt wurde (wozu man um finanzielle Unterstützung bat).

Ob das undatierte, nach der Abschlußbesprechung vom 27. September erstellte Abschlußdokument von sowjetischer Seite formuliert wurde oder ob es lediglich der sowjetischen Führung zur Kontrolle vorlag, muß offen bleiben. Der handschriftliche Vermerk Piecks "von M." könnte entweder auf GlossarMikojan, GlossarMolotov oder – am wenigsten wahrscheinlich – auf den Moskauer Ursprung der "Vorschläge des Politbüros an den Parteivorstand zur Bildung einer Provisorischen Regierung der Deutschen Demokratischen Republik" hindeuten. Das in 19 Punkten gegliederte Papier war etwas präziser als der "Brief" vom 19. September – etwa durch die Festlegung der Tagesordnung der Volksrats- und Volkskammersitzung sowie des Wahltermins auf Herbst 1950; es verdeutlicht, daß die SED mit ihren Anliegen in fast jeder Hinsicht auf Zustimmung gestoßen war – was freilich angesichts der sowjetischen "Formulierungshilfen" nicht weiter verwundert.

Am 28. September nach Berlin zurückgekehrt, kam es nun zu Verhandlungen vor allem mit den bürgerlichen Parteien. In deren Ergebnis wurde die in Moskau abgesegnete, alle Parteien berücksichtigende Kabinettsliste zwar leicht verändert, aber nicht grundsätzlich umgestoßen. Die Führungen von GlossarCDU und GlossarLDP stimmten trotz Protesten an der Parteibasis sogar der Verschiebung der Wahlen auf Herbst 1950 zu; vorerst wurden sie aber in dem Glauben gelassen, daß es sich um Wahlen nach dem Verhältniswahlrecht handeln würde. Auf der SED-Parteivorstandssitzung am 4. Oktober verdeutlichte jedoch der spätere Leiter des Amtes für Information, GlossarGerhart Eisler: "Wenn wir eine Regierung gründen, geben wir sie niemals wieder auf, weder durch Wahlen noch andere Methoden." Ulbricht bekräftigte dies mit den Worten: "Das haben einige noch nicht verstanden."

Am 7. Oktober geschah alles so, wie es in Moskau abgesprochen worden war. Der Volksrat trat zusammen und konstituierte sich als Provisorische Volkskammer. Die SED als stärkste Fraktion benannte Grotewohl als Ministerpräsidenten, der mit der Regierungsbildung beauftragt wurde. Am 11. Oktober setzte die Volkskammer die Verfassung in Kraft; am selben Tag bildete sich eine Länderkammer, die dann gemeinsam mit der Volkskammer Wilhelm Pieck zum Präsidenten der DDR wählte. Am 12. Oktober stellte Grotewohl der Volkskammer die Regierung vor, die nach Verlesen der Regierungserklärung einstimmig bestätigt und dann vereidigt wurde. Die GlossarSowjetische Militäradministration wurde zwar aufgelöst und übertrug am 10. Oktober ihre Verwaltungsbefugnisse auf die DDR-Regierung. An die Stelle der SMAD trat aber die GlossarSowjetische Kontrollkommission, die sich vorgeblich nur auf die Kontrolle der Einhaltung des Potsdamer Abkommens und der Deutschland betreffenden Beschlüsse der Vier Mächte beschränken wollte. Auch diese Einschränkung der Souveränität der Ost-Berliner Regierung war in den Besprechungen in Moskau bereits festgelegt worden. Die bürgerlichen Parteiführungen, die unter Vorspiegelung falscher Tatsachen und durch Ämter im Regierungsapparat zur Beteiligung an der DDR-Gründung gewonnen worden waren, stimmten im Frühjahr 1950 schließlich Wahlen nach Einheitslisten zu. Damit stand endgültig fest, daß die DDR nichts anderes als eine Parteidiktatur war, deren Verfassung letztlich nur zur Verschleierung dieser Tatsache diente.

Hermann Wentker