Adolf Hitler, Rundfunkansprache zum Attentat vom 20. Juli 1944, 21. Juli 1944, 1.00 Uhr

Einleitung

Am 20. Juli 1944 gegen 12.42 Uhr erschütterte eine Explosion den Wald in der Nähe von Rastenburg im damaligen Ostpreußen. Der Oberst i.G. Claus Schenk Graf von Stauffenberg hatte im Führerhauptquartier ‚Wolfsschanze‘ während einer Lagebesprechung einen Sprengsatz plaziert, der Adolf Hitler töten sollte. Der Anschlag auf den Diktator war als Auftakt zu einem ausgeklügelten Staatsstreich geplant, in dem die Walküre-Pläne – eigentlich gedacht zur Niederschlagung innerer Unruhen – geschickt für die Zwecke des Widerstandes genutzt werden sollten. Die Detonation des Sprengstoffs tötete letztendlich vier der 24 in der Besprechungsbaracke anwesenden Personen. Hitler wurde jedoch nur leicht verletzt. Die dicke Platte des Kartentisches, über die er sich im Moment der Explosion gebeugt hatte, dämpfte die Wirkung. Zudem konnte Stauffenberg nur einen der geplanten zwei Sprengsätze mit einem Zünder versehen. Stauffenberg, der nicht nur als Attentäter, sondern auch als Planer des Staatstreichs eine wichtige Figur war, flog im Glauben, Hitler getötet zu haben, nach Berlin zurück. Nun begann für die Verschwörer ein Kampf um die Deutungsmacht von Informationen und ein Wettlauf gegen die Zeit. Operation Walküre wurde ausgelöst – allerdings erst nach der Rückkehr Stauffenbergs, da die Mitstreiter um General Friedrich Olbricht und Oberst Albrecht Ritter Mertz von Quirnheim in Berlin zögerten, die Operation in Gang zu setzen. Sie waren sich nicht sicher, ob das Attentat geglückt war. Nach Stauffenbergs Rückkehr gegen 16.30 in den Bendler-Block – der Zentrale der Verschwörung in den Räumen des Oberkommandos des Heeres – ergingen endlich die vorbereiteten Weisungen an die Wehrmachtsbefehlshaber. Walküre-Befehle, in denen vom Tod Hitlers und einem Putschversuch einer "gewissenlose Clique frontfremder Parteiführer" die Rede war, Gegenbefehle aus der Wolfsschanze und Meldungen des Reichsrundfunks, in denen von einem mißlungenen "Mordanschlag auf den Führer" berichtet wurde, wechselten sich ab.

In dieser Situation der Ungewißheit und des Chaos traf in der Nacht – knappe zwölf Stunden nach der Explosion des Sprengsatzes – ein Übertragungswagen des Reichssenders Königsberg in der ‚Wolfsschanze‘ ein. Am 21. Juli, um 1.00 morgens – zu dieser Zeit war der Umsturz bereits gescheitert und maßgebliche Verschwörer von einem Exekutionskommando erschossen worden – ertönte über alle Sender des Reiches die vom Schock des Attentates zitternde und aggressive Stimme Hitlers.

In seiner Ansprache demonstriert Hitler vor der Öffentlichkeit sein Überleben und gibt gleichzeitig eine Deutung des Attentates vor, die als Muster lange Zeit die Sicht und die Auseinandersetzung um den ‚20. Juli‘ im Speziellen und den Widerstand gegen das nationalsozialistische Regime im Allgemeinen prägen sollte. Zunächst nennt Hitler den Grund für seine Rede: Die Deutschen sollen durch seine Stimme von seiner Unversehrtheit überzeugt werden, und er möchte vom Attentat berichten. Darauf folgt das Hauptmotiv, das sich einem Mantra gleich durch die Rede zieht: Hitler charakterisiert die Attentäter als eine "ganz kleine Clique, gewissenloser und zugleich verbrecherischer, dummer Offiziere". Der Historiker Eckart Conze erblickt hierin eine Schadensbegrenzung, die Hitler durch die Abwertung der Attentäter vornimmt. Die Gruppe der Verschwörer wird als unbedeutend klein und ohne Rückhalt im Volke beschrieben. Die Attribute "gewissenlos" und "verbrecherisch" beziehen sich darauf, daß sie in einer Situation der höchsten Gefahr und militärischen Bedrohung für das Reich aus egoistischen Motiven heraus gegen das Volk handelten. Der Versuch, Hitler zu töten und mit ihm den Stab der deutschen Wehrmachtführung "auszurotten", ist Verrat an den Anstrengungen und der gemeinsamen Sache des deutschen Volkes – des Sieges im Krieg. Verstärkt wird das Motiv des verbrecherischen Verrates durch eine Analogie zum Jahr 1918 und die damit verbundene Reaktualisierung des ausgesprochen wirksamen Topos vom "Dolchstoß" im Kontext der traumatischen Niederlagenerfahrung im Ersten Weltkrieg. Die Charakterisierung als "dumm" ist ebenfalls wichtig. Denn wenn es hochrangigen Generalstabsoffizieren der Wehrmacht nicht einmal gelang, eine Bombe richtig zu plazieren, und der Rest der Vorschwörer nicht in der Lage war, auch nur kurzeitig einen erfolgreichen Putsch zu organisieren, was hatten die Soldaten an der Front und ihre Angehörigen dann von der militärischen Führung und den Frontkommandeuren zu erwarten?

Seine ‚Auferstehung‘ von den Todgeglaubten inszenierte Hitler im gewohnten Rahmen der politisch-religiösen Sakralität des Nationalsozialismus. Er sieht sich von der "Vorsehung" gerettet. Das gilt auch als Bestätigung, daß er bestimmt sei, sein "Werk weiter fort[zu]führen", und daß letztendlich der Endsieg errungen werden wird. Damit bekräftigt er auch die Legitimität seines Herrschaftsanspruchs. Einzig und allein seine Aufgabe, seine Pflicht, seine Arbeit für Deutschland steht im Vordergrund. Er weiß das Volk hinter sich. Hitler und Volk, Führer und Gefolgschaft rücken eng aneinander; sie sind identisch. Damit verbunden ist die Entpersonalisierung Hitlers. Einzig die ihm vom Schicksal zugewiesene Aufgabe, das deutsche Volk zum Sieg zu führen, zählt. Sein eigenes Leben ist ihm – wie er mehrmals betont – unwichtig. Damit ist das Attentat auf Hitler nicht als ein Attentat auf seine Person, sondern gegen die Ziele und die gemeinsame Sache des deutschen Volkes gerichtet. Aus diesem Grund kündigt er explizit an, mit äußerster Härte gegen die Verschwörer vorzugehen. Darin ist auch eine implizite Drohung gegen alle versteckt, die sich offen oder im geheimen gegen Hitler und den sich im Führer verkörpernden Volkswillen wenden.

So läßt sich die Botschaft der Ansprache resümieren: Im Versuch, den Führer zu töten, hat eine kleine Gruppe aus egoistischen und verbrecherischen Motiven heraus Verrat und Sabotage an den Zielen der Deutschen begangen. Im Faktum, daß das Attentat nicht gelingen konnte, sieht Hitler den Beweis für den kommenden Sieg und legitimiert seine Herrschaft und seinen Auftrag.

Das Deutungsmuster, das Hitler in seiner Ansprache vom Attentat gab, wurde in der dem Dritten Reich noch verbleibenden Zeit intensiv durch die NS-Propaganda perpetuiert und verfestigte sich in den Köpfen der Deutschen. Die Zahl der in der Nacht hingerichteten Offiziere und die vor der Öffentlichkeit als Abrechnung zelebrierten ersten Prozesse vor dem ‚Volksgerichtshof‘ ließen die Erklärung, daß es sich lediglich um eine kleine oppositionelle Gruppe gehandelt habe, plausibel erscheinen, die Deutung Hitlers schien sich in der Realität zu bestätigen. Hinzu kam noch der hohe Anteil des Adels, mit dem das Bild der Verschwörer als ein "Club von Adeligen und Reaktionären", entstand, die sich in letzter Sekunde ihre Privilegien sichern wollten. So konnte an lange bestehende Ressentiments gegenüber der alten Oberschicht angeknüpft werden. Von der mit dem Namen des Chefs des Reichssicherheitshauptamtes Ernst Kaltenbrunner verbundenen Hetzjagd und der großen Verhaftungs- und Prozeßwelle nach dem 20. Juli gegen die verbleibende Opposition und ihre Angehörigen drang wenig an die Öffentlichkeit.

Bei den Kriegsgegnern im Ausland stimmte die Deutung des Umsturzversuches mit der des NS-Regimes überein. Der britische Premierminister Winston Churchill sprach in seiner Rede vor dem Unterhaus am 2. August 1944 vom "Ausrottungskampf unter den Würdenträgern des Nationalsozialismus". Und der sowjetische Journalist und Propagandist Ilja Ehrenburg schrieb in der Soldatenzeitung Roter Stern: "Unsere Armeen sind ohnehin schneller als das Gewissen der ‚Fritzen‘." Die New York Times vom 9. August 1944 erinnerte das Attentat eher an "die Atmosphäre der finsteren Verbrecherwelt", das auch noch mit einer für Offiziere unwürdigen "Bombe, der typischen Waffe der Unterwelt" durchgeführt wurde. Und auch jenseits der kriegspropagandistischen Polemik überwog bei den Alliierten die Deutung des Attentates als Gemetzel einer mit dem Rücken zur Wand stehenden Führungselite, die nun begann, sich gegenseitig umzubringen. Die Sichtweise der Alliierten läßt sich aus der Kriegssituation und dem Ziel der bedingungslosen Kapitulation erklären. Die Existenz einer Opposition in Hitlers Staat hatte in den alliierten Politikentwürfen keine weitreichende strategische Bedeutung. Nach dem Ende des Krieges gab es auch keinerlei Interesse an der Abschwächung dieser Politik und der Würdigung eines deutschen Widerstandes. Dies hätte die anfänglich harte Besatzungspolitik und die eigenen auf dem Widerstand während des Krieges gegen die deutschen Gegner und Besatzer aufbauenden Gründungs- und Integrationsmythen zu sehr relativiert.

Auch im Nachkriegsdeutschland war das Interesse am Widerstand gegen den Nationalsozialismus zunächst allenfalls ein Anliegen der Betroffenen und deren Angehöriger. Außerhalb dieses, publizistisch sehr regen Kreises – genannt sei stellvertretend Marion Gräfin Dönhoff –, traf man auf eine Mauer des Schweigens und Verdrängens. Denn wenn nun Widerstand gegen das NS-Regime (für jeden) möglich war, dann stellte sich die Frage nach dem eigenen Tun während der zwölfjährigen nationalsozialistischen Herrschaft – und diese Frage stellten sich die Millionen von Mitläufern nur ungern.

Innerhalb der Gruppe der vom NS-Regime Verfolgten herrschte zunächst noch eine breite Würdigung und ein integrales Verständnis der unterschiedlichen Widerstandsgruppen und ihrer Motive vor. Spätestens mit der Entstehung der beiden deutschen Staaten änderte sich dies. Der Antifaschismus sowjetischen Vorbildes wurde zum Kernbestandteil des Selbstverständnisses der DDR. Die Tat vom 20. Juli hatte hier keinen Platz. Das Attentat Stauffenbergs wurde als Kampf innerhalb der herrschenden Klasse des Monopolkapitals gedeutet und war somit keine erinnerungswürdige Tat im antifaschistischen Widerstandsverständnis der DDR. Für die politischen und intellektuellen Eliten in der Bundesrepublik verkörperte der 20. Juli hingegen einen anknüpfungsfähigen Traditionsstrang, der als Pfeiler einen Brückenschlag über das Dritte Reich hinweg in die deutsche Geschichte schlagen konnte. Auch die wissenschaftliche Literatur der frühen Nachkriegszeit, etwa von Hans Rothfels und Friedrich Meinecke, schrieb gegen das Bild der Alliierten an, indem es das breite politische und soziale Spektrum der Opposition und die moralische Stärke und Integrität der Widerständler um die Kernfigur Stauffenberg betonte und sich immer stärker auf die sichtbare Tat am 20. Juli fokussierte. Stauffenberg und der 20. Juli standen für den "Aufstand des Gewissens" und das "Andere Deutschland". Widerstand gegen den Nationalsozialismus – das war nun der 20. Juli. Er war – so der Regierende Bürgermeister von West-Berlin Ernst Reuter anläßlich der Denkmalseinweihung im Bendler-Block 1953 – "das erste Sichtbare Fanal, daß der Welt zeigte, daß in Deutschland der Wille zur Freiheit […] nicht untergegangen war." Das zweite Fanal, das Reuter in seiner Rede ansprach, ist ebenfalls mit einem Datum verknüpft: dem 17. Juni 1953, dem ‚Volksaufstand‘ in der DDR. In der gebräuchlich werdenden Parallelsetzung beider Daten wird der antitotalitäre Gründungskonsens der Bundesrepublik im Kalten Krieg mehr als deutlich.

So wurde der 20. Juli zu einem wirksamen Instrument bundesrepublikanischer Geschichtspolitik. Die Chiffre 20. Juli konnte so zur direkten Vorgeschichte der Bundesrepublik und ihrer politisch-gesellschaftlichen Ordnung stilisiert werden und der Reintegration des westdeutschen Teilstaates in die westliche Wertegemeinschaft den Boden bereiten. Damit gingen unkritische Heroisierungen, Verkürzungen und eine Verklärung der äußerst heterogenen, widersprüchlichen und eher autoritären als liberaldemokratischen Vorstellungen einher, die den 20. Juli umgaben.

So beendete Bundespräsident Theodor Heuss seine Rede zum zehnten Jahrestag des Attentates mit Blick auf die Attentäter mit den Worten: "Die Scham, in die Hitler uns Deutsche gezwungen hatte, wurde durch ihr Blut vom besudelten deutschen Namen wieder weggewischt." Neben dieser monumentalen und moralischen Überzeichnung des Opfers, das der 20. Juli für Deutschland gebracht hatte, und seiner reinigenden Funktion für die bundesrepublikanische Gesellschaft und die deutsche Geschichte hatten Einzeltäter wie Georg Elser oder der Widerstand der Arbeiterbewegung keinen Platz. Allenfalls die romantisierten Widerstandsakte der ‚Weißen Rose‘ konnten noch neben dem 20. Juli als Vorbild für die Jugend bestehen.

Der sich im 20. Juli manifestierende Widerstand wurde so zum Sinnstifter bundesrepublikanischer Identitätskonstruktion und erfüllte im Rahmen westdeutscher Geschichtspolitik eine wichtige appellative sowie integrative Funktion in Politik. Doch in der Bevölkerung schlug diese Erkenntnis nur langsam Wurzeln. Persönliche Entlastunsstrategien und die Deutungen des NS-Regimes hielten weiter an. Greifbar wird dies, als 1954 der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz Otto John – einer der wenigen ‚Widerständler‘, die es in der Bunderepublik bis in hohe politische Ämter geschafft hatten – unter mysteriösen Umständen als ‚Überläufer‘ in Ost-Berlin präsentiert wurde. Hier spiegelte die Interpretation des Geheimdienstkollegen Reinhard Gehlen "einmal Verräter, immer Verräter" eine weit verbreitete Meinung in der Öffentlichkeit treffend wider – zumal John nach der Gedenkveranstaltung zum 20. Juli die ‚Seite wechselte‘. Diese Sicht auf den 20. Juli bestätigen auch Meinungsumfragen: 1951 glaubten noch 21 Prozent der Deutschen, ohne Widerstandsbewegung hätte Deutschland den Krieg gewonnen, und noch 1956 waren knapp die Hälfte der Westdeutschen (49 Prozent) dagegen, Schulen nach Widerstandskämpfern zu benennen.

In diesem Klima der frühen Bunderepublik konnte auch Ernst Otto Remer, der als Chef des Wachbataillons ‚Großdeutschland‘ maßgeblich an der Niederschlagung des Staatsstreiches in Berlin beteiligt gewesen war, auf einer Parteiversammlung der rechtsradikalen Sozialistischen Reichspartei (SRP) unter Beifall im März 1951 mit seiner ‚Heldentat‘ vom 20. Juli prahlen. Den Verschwörern unterstellte er Landes- und Hochverrat und drohte den Überlebenden, daß auch ihnen bald endlich der Prozeß gemacht werde. Es kam anders. Nicht die Mitglieder des Widerstandes, sondern Remer wurde vor Gericht gestellt. Der leitende Generalstaatsanwalt Fritz Bauer – selbst Verfolgter des NS-Regimes – nutzte die Chance, die ‚Causa 20. Juli‘ öffentlichkeitswirksam neu zu verhandeln. Sein flammendes Plädoyer mit dem Titel "Eine Grenze hat Tyrannen Macht" spiegelt die Situation der 1950er Jahre wider. Der Kern von Bauers Argumentation war, daß ein verratenes Volk nicht mehr verraten werden kann und Landesverrat nur dann Landesverrat ist, wenn er scheitert. Nun war er aber nicht gescheitert, weil aus der Tat des 20. Juli die Bundesrepublik erwachsen ist. Den Samen hierzu hatten die Männer und Frauen vom 20. Juli gesät. Die Alliierten haben nur noch "den Stein entfernt, der verhinderte, daß dieser Samen zum Licht empor kam." Bauer bietet neben einem bestimmen Geschichtsbild auch eine Integrationsformel an, die moralisch aufgeladen um die Figur des ‚edlen Motives‘ kreist: Sowohl der Widerstandskampf als auch die Treue und das Gefühl der Pflichterfüllung waren ein Dienst am deutschen Volk. Bauer billigt also politischen Irrtum zu, aber für Unverbesserliche gilt Unnachgiebigkeit. Damit liefert er der großen Gruppe der Mitläufer und sogar den Mittätern ein Integrationsangebot in den neuen Staat. Widerstand, so schien es, war tatsächlich nur auf Kommandohöhe, mit Einsicht in die realen Umstände und mit der Aussicht auf Erfolg möglich. So haben der Soldat, der noch den letzten Steinhaufen Berlins verteidigte, und die Widerstandskämpfer aus dem Zirkel der Macht, die Hitler töten wollten, beide für ihr Volk gehandelt. Ernst Otto Remer wurde zu einer dreimonatigen Haftstrafe verurteilt, die Deutschen wurden sozusagen ‚auf Bewährung‘ freigesprochen, und der 20. Juli wurde rehabilitiert, was sich auch in der öffentlichen Meinung nach dem Prozeß langsam niederzuschlagen begann.

Der Rekurs auf den 20. Juli durchzieht die Geschichte und die Geschichtspolitik der Bundesrepublik bis heute. In den 1960er und 1970er Jahren setzte mit den generationellen Wechseln und der politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Konsolidierung der Bundesrepublik eine Historisierung und damit Differenzierung und Entmythologisierung des Widerstandes ein. Zum 20. Jahrestag 1964 nannte Bundespräsident Heinrich Lübke auch andere Widerstandsgruppen und Motive, deren es zu gedenken galt. In der DDR konnte Stauffenbergs Tat in den frühen 1980er Jahren im Zuge der ‚Preußenrenaissance‘ und dem Streit um das Erbe des guten Preußens zwischen beiden deutschen Staaten zumindest als moralisch anerkennungswürdig gelten. Ab den 1980er und 1990er Jahren traten auch die Verstrickung der Verschwörer des 20. Juli in die Verbrechen des NS-Regimes und ihr mitunter widersprüchliches Verhältnis zum Nationalsozialismus stärker hervor. Besonders in den letzten Jahren sind Ambivalenzen, Unentschlossenheiten, überlappende Loyalitäten, Wankelmütigkeiten und die situativen Kontexte des engen und weiteren Kreises der ‚Widerständler‘ in der Interpretation des 20. Juli in den Mittelpunkt gerückt. Es zeigt sich ein weit verästeltes, immer weiter zu differenzierendes Bild vom deutschen Widerstand gegen das NS-Regime, das sich von Schwarz-Weiß-Malerei und der einseitigen geschichtspolitischen Instrumentalisierung entfernt. Speziell für den 20. Juli und einen Großteil der ‚Verschwörer‘ trifft das emphatische Diktum Henning von Tresckows, daß es "nicht mehr auf den praktischen Zweck an[kommt], sondern darauf, daß die deutsche Widerstandsbewegung vor der Welt und vor der Geschichte unter Einsatz des Lebens den entscheidenden Wurf gewagt hat" genauso wenig zu wie die lange wirkmächtige Deutung von der "kleine[n] Clique ehrgeiziger, gewissenloser und zugleich verbrecherischer, dummer Offiziere", die Adolf Hitler mit seiner Radioansprache am 21. Juli 1944 etablierte.

Frank Reichherzer