"Warum brennst Du, Konsument?" - Das Flugblatt Nr. 7 der Kommune 1, 24. Mai 1967

Einleitung

Am 24. Mai 1967 wird an der Freien Universität Berlin ein Flugblatt verteilt, das den Titel "Warum brennst Du, KONSUMENT?" trägt. Provokativ muß diese Schlagzeile allein deshalb wirken, als sich nur zwei Tage zuvor im Brüsseler Großkaufhaus "A l’Innovation" ein Großbrand ereignet hat, bei dem mehrere hundert Menschen ums Leben gekommen sind. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Flugblattes ist die Ursache des Unglücks noch nicht geklärt. Noch dazu hat es sich während einer sogenannten "amerikanischen Woche" ereignet, in deren Umfeld es immer wieder zu Protesten aus der Studenten- und Anti-Vietnamkriegsbewegung gekommen ist, weshalb schnell über einen möglichen Brandanschlag aus diesem Umfeld diskutiert wird.

Das Flugblatt, versehen mit der Nummer 7, entstammt einer Serie von insgesamt neun Flugblättern, die im Frühjahr 1967 entstanden und verteilt worden sind. Der erste Teil der Serie, Flugblätter Nr. 1 bis 5, wurde im April 1967 verfaßt und hatte vor allem hochschulpolitische Themen zum Gegenstand. Die zweite Hälfte, Flugblätter 6 bis 9, stammt von Ende Mai und nimmt jedes für sich den Brüsseler Kaufhausbrand zum Anlaß für eine beißende Gesellschaftskritik. Zeitlich liegt die Serie damit vor anderen einschneidenden Ereignissen in der westdeutschen Studentenbewegung, wie dem Tod Benno Ohnesorgs am 2. Juni 1967 oder dem Attentat auf Rudi Dutschke am 11. April 1968. Die Flugblattaktion und ein in ihrer Folge gegen die Verfasser angestrengter Prozeß vor dem Berliner Landgericht erregten bundesweite Aufmerksamkeit und können damit zu den herausragenden Medienereignissen von "1968" gezählt werden.

Urheber dieses wie der anderen Flugblätter war die Kommune 1, Deutschlands vermutlich bekannteste Wohngemeinschaft, die sich nur wenige Monate zuvor in West-Berlin konstituiert hatte und zu deren prominentesten Bewohnern Dieter Kunzelmann, Fritz Teufel und Rainer Langhans gehörten. Den Kommunarden ging es nicht nur um das Experimentieren mit anti-bürgerlichen Wohn- und Lebensformen, sondern auch um die Entwicklung neuer Protest- und Aktionsmöglichkeiten, in deren Mittelpunkt Spaß, Provokation und Satire stehen sollten. Ihre Flugblätter spiegeln dieses Politikverständnis beispielhaft wider.

Satire als Protestform

Das Dokument ist im Stil eines Werbeflugblattes gehalten, was bereits in den fortlaufend wiederholten Titelzeilen deutlich wird: "Neu! Unkonventionell!"; "Neu! Atemberaubend!". Der einführende Abschnitt singt ein vermeintliches Loblied auf die "Leistungsfähigkeit der amerikanischen Industrie" und den "Einfallsreichtum der amerikanischen Werbung". Der im Mittelpunkt des Textes stehende Brüsseler Kaufhausbrand wird im Folgenden als "neuer Gag in der vielseitigen Geschichte amerikanischer Werbemethoden" und "ungewöhnliches Schauspiel" bezeichnet, das dem europäischen Betrachter die unmittelbare Teilhabe am "knisternden Vietnam-Gefühl" erlaube. In den beiden letzten Absätzen wird ein scheinbar positives Fazit des Brandes gezogen: Trotz "aller menschlichen Tragik" und des "Schmerzes der Hinterbliebenen" könne man dem "Kühnen und dem Unkonventionellen" des Kaufhausbrandes seine "Bewunderung nicht versagen".

Die Autoren bedienen sich der Sprache, Argumentationsmuster und Topoi, welche die zeitgenössische Werbeindustrie kennzeichneten. Indem es Ironie, Verfremdung und Satire als Stilmittel nutzt, ist das Flugblatt ein charakteristisches Beispiel für Aktionsformen und Protestkultur eines Teils der westdeutschen 68er-Bewegung, an dessen Spitze die Kommune 1 mit ihren Aktionen stand. Die von ihr propagierten Protest- und Politikformen unterschieden sich nicht nur vom Politikstil der bundesdeutschen Mehrheitsgesellschaft der 1950er und 1960er Jahre, sondern ebenfalls von den Aktionsformen, die bis dato in der jugendlichen und studentischen Demonstrationskultur vorherrschend waren. Spaß und Satire sollten an die Stelle der "immergleichen, freudlosen Demonstrationsmärsche" (Carini, S. 38) und der oftmals endlos langen und von großer Ernsthaftigkeit geprägten politischen Diskussionen treten, wie sie etwa für den SDS charakteristisch waren. "Revolution muß Spaß machen!" lautete stattdessen das Motto der Kommunarden. Die Kommune 1, so der Literaturhistoriker Klaus Briegleb, läutete damit die Phase einer "kunstnahen, 'surrealistischen' Revolte" innerhalb der westdeutschen Studentenbewegung ein. (Briegleb, S. 59) Ihr Proteststil orientierte sich an ähnlichen Aktionsformen, die unterschiedliche Vorgängerbewegungen propagiert hatten. Zu ihnen gehörte etwa die "Situationistische Internationale", eine europaweit vernetzten Gruppe linker Künstler und Intellektueller, die an der Schnittstelle von Kunst und Politik agierten. Die Kommune 1 verhalf Aktionsformen und Stilmitteln zum Durchbruch, die auch noch in der Protestkultur der 1970er und 1980er Jahre, im Zusammenhang mit den Neuen Sozialen Bewegungen, Verwendung finden sollten.

Vietnamkrieg und Amerikakritik

Im inhaltlichen Zentrum des Flugblattes steht die Kritik am Vietnamkrieg, der seit dem direkten Kriegseintritt der Amerikaner im März 1965 eines der Hauptthemen der westdeutschen 68er-Bewegung bildete. Darüber hinaus waren die Anti-Vietnamkriegs-Proteste ein integrierendes und vernetzendes Moment der einzelnen nationalen Oppositionsbewegungen, die "1968" zu einem transnationalen Ereignis machten. Jedoch betrachtet das Flugblatt den Krieg in Vietnam nicht als isoliertes Ereignis, sondern verknüpft ihn mit anderen Elementen linker Amerikakritik. Einzelne, in der westdeutschen Mehrheitsgesellschaft positiv konnotierte Phänomene amerikanischen Ursprungs werden US-Kriegshandlungen gegenübergestellt und dadurch ebenfalls denunziert: "Coca Cola" und der amerikanische Atombombenabwurf auf "Hiroshima", das mit amerikanischen Marshall-Plan-Mitteln angeschobene "deutsche Wirtschaftswunder" und der "vietnamesische Krieg", die von den Amerikanern als Symbol der freien westlichen Welt mitbegründete "Freie Universität" Berlin und die "Universität von Teheran", Synonym für das von den USA unterstützte Schah-Regime in Persien. Diese Gegenüberstellungen münden in der ironischen Demaskierung von "freedom und democracy", des Wahlspruches, der wie kein anderer das außenpolitische Selbstverständnis der USA widerspiegelt. Bereits Bertolt Brecht hatte ihn 1947 in seinem Gedicht "Der anachronistische Zug oder Freiheit und Democracy" in ähnlicher Weise ironisch gebrochen.

Als Antwort auf die eingangs formulierte Frage "Warum brennst du, KONSUMENT" münden die zitierten Gegenüberstellungen in einer zynischen Logik. Die Ereignisse in Vietnam und im Iran werden in direkte Verbindung mit Alltag und Lebensweise in Europa gebracht. Europäische KONSUMENTen brennen, so wird suggeriert, weil sie den amerikanischen Krieg in Vietnam oder den Schah von Persien stillschweigend tolerieren: Wer von "Coca Cola", "deutschem Wirtschaftswunder" oder der "Freien Universität" – Symbole für westlich-amerikanischen Lebensstil – profitiert, trägt Verantwortung für Krieg und Verbrechen in Südostasien und dem Nahen Osten. Ins Zentrum der Kritik rückt damit das westlich-amerikanische Modell als solches.

Konsumgesellschaft, Populärkultur und Mediengesellschaft

Stellvertretend für dieses stellt das Flugblatt die entwickelte Konsumgesellschaft und deren als skrupellos empfundene Mechanismen in den Mittelpunkt: "Skeptiker mögen davor warnen, 'König Kunde', den KONSUMENTen, den in unserer Gesellschaft so eindeutig Bevorzugten und Umworbenen, einfach zu verbrennen". Bei "aller menschlichen Tragik" des Kaufhausbrandes gelte es – dem Leistungsprinzip und der Fortschrittsorientierung des amerikanischen Modells entsprechend – gegenüber dem "Neuen aufgeschlossen" zu sein.

Die Kritik an Konsumgesellschaft und Populärkultur westlich-amerikanischer Prägung gehörte zu einem der vorrangigen von der Kommune 1 aufgegriffenen Themen, welche sich in vielen ihrer Aktionen wiederfand. Im Winter 1966 hatte die Kommune etwa go-ins auf dem Berliner Kurfüstendamm veranstaltet, bei der die Teilnehmer mit Flugblättern gefüllte Geschenkpakete trugen, die sie im Weihnachtsgeschäft verteilten. Damit reiht sich die Kommune 1, und mit ihr Teile der westdeutschen 68er-Bewegung, ein in die lange Tradition deutscher Amerikakritik seit dem Ersten Weltkrieg. Seit ihren Anfängen in den 1920er Jahren stand die sich ausbildende Konsumgesellschaft in deren Zentrum, und zwar von linker wie von rechter Seite. Und auch das Kaufhaus als Symbol kann auf eine lange Tradition als Kristallisationspunkt deutscher Kritik an westlich-amerikanischen Ideen zurückblicken.

Gleichzeitig pflegten die Kommunarden ein durchaus ambivalentes Verhältnis zu Populärkultur, Medien- und Konsumgesellschaft. Vor allem das Verhältnis zwischen Kommune und Medien glich einer Symbiose. Die überbordende Presseresonanz motivierte die Kommunarden zu immer neuen, schlagzeilenträchtigen Aktionen, so daß sich eine eigentümliche "Mischung aus ironischer Konsumkritik und dem halb freiwilligen Verschmelzen mit der Logik und Sprache der Konsumkultur" (Malinowski/Sedlmaier, S. 256) ergab. Diese zwiespältige Verschränkung mit der Medien- und Konsumgesellschaft charakterisierte die Kommune 1 ebenso wie die anderen westlichen 68er-Bewegungen.

Ein ambivalentes Verhältnis zur Gewaltfrage

Wie oben bereits erwähnt, war die Ursache des Kaufhausbrandes bei Erscheinen der Flugblattserie noch nicht geklärt. Mit dieser Unsicherheit und den Spekulationen über eine mögliche Brandstiftung durch amerikakritische Vietnamkriegsgegner spielen die Autoren: "Ein brennendes Kaufhaus mit brennenden Menschen vermittelte zum erstenmal in einer europäischen Großstadt jenes knisternde Vietnam-Gefühl (dabei zu sein und mitzubrennen), das wir in Berlin bislang noch missen müssen." Dieser Aspekt muß in Zusammenhang mit den anderen Flugblättern der Kaufhaus-Serie betrachtet werden. Flugblatt Nr. 6 wurde als vermeintliches Bekennerschreiben einer belgischen Anarchistengruppe gestaltet; Flugblatt Nr. 8 ist überschrieben mit der Frage: "Wann brennen die Berliner Kaufhäuser" und endet mit der Parole "burn, ware-house, burn!"

Die Massenpresse, allen voran die Bild-Zeitung, berichtete denn auch ausgiebig und prominent über die Flugblätter der Kommune und interpretierte sie als direkte Aufforderung zur Brandstiftung. Die Berliner Staatsanwaltschaft sah dies ähnlich und strengte einen Prozeß an, der von den Kommunarden zum medienwirksamen Spektakel umfunktioniert wurde. Der Prozeß endete am 22. März 1968 mit einem Freispruch. Während des Verfahrens hatten prominente Gutachter, unter anderem Günter Grass und Walter Jens, den surrealistisch-satirischen Charakter der Flugblätter bestätigt.

Auch aus der Rückschau muß das Dokument als literarischer Beitrag zur zeitgenössischen Gesellschaftskritik gewertet werden, aus dem keinesfalls ein Aufruf zur Brandstiftung abgeleitet werden kann. Dennoch war das Verhältnis der Autoren zu Gewalt als Mittel politischer Auseinandersetzung ambivalent. Das sollte ihre Reaktion auf ein Ereignis unterstreichen, das sich keine zwei Wochen nach dem Freispruch ereignete. Am Abend des 2. April 1968 legten Andreas Baader und Gudrun Ensslin, Thorwals Proll und Horst Söhnlein Brände in zwei Frankfurter Kaufhäusern. Der SDS und die Mehrheit der APO distanzierten sich entschieden von der Brandstiftung, während die Kommune in einer zweideutigen Stellungnahme durchblicken ließ, daß sie Brandstiftung prinzipiell für legitim hielt. Es sei "immer noch besser, ein Warenhaus anzuzünden, als ein Warenhaus zu betreiben", kommentierte Fritz Teufel (zit. in: Siegfried, S. 514). Wie sein Mitkommunarde Dieter Kunzelmann suchte er kurz darauf Anschluß an gewaltbereite, linksrevolutionäre Kreise. Die Mehrheit der Kommune 1 und ebenso das Gros der 68er-Bewegung lehnte jedoch Gewalt als Mittel der Politik ab und verurteilte den Weg in den Terrorismus, den eine Minderheit von ihr am Übergang zu den siebziger Jahren einschlug.

Anmerkung: Der Text beruht zu großen Teilen auf einem zuerst im Juli 2007 bei historicum.net veröffentlichten Beitrag: Mende, S.: "Warum brennst du, KONSUMENT?" – Flugblatt Nr. 7 der Kommune 1 (24. Mai 1967), in: Arbeiten mit Quellen, in: historicum.net, URL: http://www.historicum.net/no_cache/persistent/artikel/5138/, 19/07/2007.

Silke Mende