Niederschrift aus dem Büro des Reichspräsidenten über den Empfang des Reichskanzlers durch den Reichspräsidenten [Rücktritt des Kabinetts v. Schleicher], 28. Januar 1933

Notizen

über die Empfänge des Reichskanzlers von Schleicher

am 23. und 28. Januar 1933.

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I.

Am Montag, dem 23. Januar, vormittags 11.30 Uhr, empfing der Herr Reichspräsident auf Wunsch den Reichskanzler von Schleicher. Der Reichskanzler berichtete dem Herrn Reichspräsidenten über die politische Lage; der Reichstag werde voraussichtlich am 31. ds. Mts. zusammentreten. Die Reichsregierung müsse von diesem Reichstag ein Mißtrauensvotum und Aufhebung der Notverordnung erwarten. Er schlage deshalb vor, den Reichstag aufzulösen. Da aber eine Neuwahl des Reichstags die Lage nicht verändern würde, somit ein Notzustand des Staates geschaffen würde, bliebe wohl nicht anderes übrig, als die Neuwahl auf einige Monate hinauszuschieben.

Der Herr Reichspräsident erwiderte hierauf, dass er sich die Frage einer Auflösung des Reichstags noch überlegen wolle, dagegen die Hinausschiebung der Wahl über den in der Verfassung vorgesehenen Termin zurzeit nicht verantworten könne. Ein solcher Schritt würde ihm von allen Seiten als Verfassungsbruch ausgelegt werden; ehe man sich zu einem solchen Schritt entschliesst, müsse durch Befragen der Parteiführer festgestellt werden, dass diese den Staatsnotstand anerkennen und den Vorwurf eines Verfassungsbruches nicht erheben würden.

Reichskanzler von Schleicher behielt sich vor, auf die Frage später noch einmal zurückzukommen. Er erwarte heute keine Entscheidung hierüber.

II.

Am 28. Januar, 12.15 Uhr vormittags, empfing der Herr Reichspräsident auf erneuten Wunsch wieder den Herrn Reichskanzler von Schleicher. Der Reichskanzler trug hierbei folgendes vor: Es ergäben sich folgende 3 Möglichkeiten, 1.) ein Mehrheitskabinett Hitler; das wäre an sich eine Lösung, doch glaube er nicht an dessen Zustandekommen; 2.) ein Minderheitskabinett Hitler; dieses entspräche aber nicht der bisherigen Haltung des Herrn Reichspräsidenten; 3.) die Beibehaltung der jetzigen Präsidialregierung; diese könne aber nur dann arbeiten, wenn sie das Vertrauen und die Vollmacht des Herrn Reichspräsidenten hinter sich habe. – Gegen eine Regierung auf der schmalen Basis der Deutschnationalen usw. ohne Nationalsozialisten wären 9/10 des deutschen Volkes; das würde zu revolutionären Erscheinungen und zu einer Staatskrisis führen.

Wenn die jetzige Regierung vor den Reichstag treten solle, müsse er um die Zusage der Auflösung bitten.

Der Herr Reichspräsident erwiderte: Das kann ich bei der gegebenen Lage nicht. Ich erkenne dankbar an, dass Sie versucht haben, die Nationalsozialisten für sich zu gewinnen und eine Reichstagsmehrheit zu schaffen. Es ist leider nicht gelungen und es müssen daher nun andere Möglichkeiten versucht werden.

Der Reichskanzler: Ich habe noch eine Bitte aus dem Kabinett vorzutragen; einige Reichsminister lassen den Herrn Reichspräsidenten bitten, ihm unmittelbar über die politische Situation noch berichten zu dürfen. Es sind dies Punkte, die ich nicht gerne selbst vorbringen möchte.

Der Herr Reichspräsident: Das will ich mir noch vorbehalten; an meiner Entscheidung aber kann es nichts ändern. – Ich danke Ihnen für die dem Vaterlande in schwerer Zeit geleisteten treuen Dienste und bitte Sie, diesen Dank auch den Herren Reichsministern zu übermitteln; ich bin Ihnen allen sehr dankbar.

Der Reichskanzler: Bei der Neubildung der Reichsregierung bitte er den Herrn Reichspräsidenten, namentlich das Reichswehrministerium keinem Parteigänger Hitlers zu übertragen. Das würde die Reichswehr in grosse Gefahr bringen.

Der Herr Reichspräsident erwiderte, dass er einen solchen Gedanken auch von sich aus absolut ablehne.

Berlin, den 28. Januar 1933.

Hier nach: Notizen über die Empfänge des Reichskanzlers von Schleicher am 23. und 28. Januar 1933, Original, BArch R 601/405, Bl. 572-574.