Niederschrift des StS Pünder über die letzte Ministerbesprechung des Reichskabinetts Brüning [Rücktritt des Reichskabinetts Brüning], 30. Mai 1932

Niederschrift

über die letzte Ministerbesprechung des Reichskabinetts Brüning am Montag, den 30. Mai 1932 10 Uhr vormittags

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Anwesend waren die Herren Reichskanzler. Dr. Brüning, Vizekanzler und Reichsminister der Finanzen Dietrich, Reichsminister Stegerwald, Schätzel, Schiele, Treviranus, Joel und Schlange sowie die Staatssekretäre Dr. Trendelenburg, Dr. von Bülow und Dr. Pünder. Der Reichswehr- und Innenminister war an rechtzeitigem Erscheinen verhindert, erklärte sich aber hinterher nach Erscheinen in jeder Weise mit dem Gang der Kabinettssitzung und der Auffassung seiner Ministerkollegen vollkommen solidarisch.

Reichskanzler Dr. Brüning berichtete über seinen am gestrigen Tage stattgehabten Vortrag beim Herrn Reichspräsidenten. Er erwähnte, dass die politische Lage bekanntlich bereits seit langem sehr gespannt sei, nicht zuletzt hervorgerufen durch Besprechungen von Persönlichkeiten, die verfassungsmässig hierzu nicht berufen gewesen seien. Er sei daher schon seit längerer Zeit entschlossen gewesen, nach Rückkehr des Herrn Reichspräsidenten nach Berlin völlige Klarheit herbeizuführen. Es sei jedenfalls nicht in der Lage, Deutschland auf der Lausanner Konferenz zu vertreten, wenn nicht politische Sicherheit bis nach diesen Reparationsverhandlungen bestünde. Von diesem Gedankengange ausgehend habe er gestern dem Herrn Reichspräsidenten seinen politischen Vortrag gehalten.

In vertraulicher Weise berichtete dann der Reichskanzler mit einigen Einzelheiten über den Gang des gestrigen Vortrags und teilte sodann mit, dass der Herr Reichspräsident sich ihm gegenüber in offizieller Weise dahin geäussert habe, dass erstens dieses Kabinett keine Notverordnungen mehr erlassen solle und dass zweitens in diesem Kabinett auch keine Änderungen personeller Natur mehr stattfinden würden. Diese doppelte Willensmeinung des Herrn Reichspräsidenten habe er als Aufforderung zur Demission des Kabinetts ansehen müssen; als er dies ausgesprochen habe, habe der Herr Reichspräsident diese Auffassung bestätigt.

Abschließend betonte der Herr Reichskanzler, dass unter diesen Umständen die Demission des Kabinetts völlig unvermeidlich sei und ersuchte seine Kabinettskollegen um freie Meinungsäußerung.

Ohne dass besondere Wortmeldungen ergingen, konnte der Herr Reichskanzler sofort feststellen, dass im Reichskabinett völlige Übereinstimmung mit seiner Auffassung bestünde. Er verlas darauf nachstehenden Entwurf des Demissionsschreibens:

Der Reichskanzler

Berlin, den 30. Mai 1932.

An

Herrn Reichspräsidenten von Hindenburg.

Hochverehrter Herr Reichspräsident !

Die mir gestern im Anschluss an meinen Vortrag gewährte Aussprache hat mich davon überzeugt, dass die notwendigen Garantien für eine ungehinderte und aussichtsreiche Durchführung der der Reichsregierung obliegenden innen- und außenpolitischen Aufgaben nicht gegeben werden. Da ich unter diesen Umständen in Würdigung der überaus ernsten Gesamtlage nach reiflicher Prüfung die Verantwortung für eine Weiterführung der Regierungsgeschäfte nicht mehr tragen kann, beehre ich mich hiermit, namens sämtlicher Mitglieder des Reichskabinetts um Enthebung von unseren Ämtern zu bitten.

In Ehrerbietung

gez. Dr. Brüning

Das Reichskabinett erklärte sich mit dieser Fassung des Demissionsgesuches einmütig einverstanden.

Der Reichskanzler benutzte alsdann die Gelegenheit, seinen sämtlichen Ministerkollegen für die in schweren 2¼ Jahren geleistete gemeinsame Arbeit zum Wohle von Volk und Vaterland auch seinerseits herzlichsten Dank auszusprechen.

Abschliessend nahm Vizekanzler und Reichsminister der Finanzen Dietrich das Wort. Zunächst stellte er nochmals die völlige Einmütigkeit aller Ministerkollegen zu der Auffassung des Herrn Reichskanzlers fest und sprach sodann diesem namens der Ministerkollegen den herzlichsten Dank für die Leitung der Regierungsgeschäfte in den vergangenen schweren Jahren aus.

Es sei ein Verhängnis für Deutschland, ausgerechnet in diesem Augenblick unmittelbar vor den wichtigsten außenpolitischen Verhandlungen und Entscheidungen eine solche Kraft wie den Reichskanzler Dr. Brüning als Leiter der Regierungsgeschäfte zu verlieren. Wie kein anderer vor ihm und vielleicht keiner nach ihm habe er es durch seine beharrliche, ruhige und sachliche Leitung der deutschen Geschicke verstanden, sich das höchste Vertrauen im Ausland zu erwerben. Es werde sicher noch die Zeit kommen, wo auch seine heutigen Gegner im Land erkennen würden, welch ungeheurer Fehler begangen worden sei, in diesem Augenblick das Kabinett dieses Mannes zu stürzen. Im übrigen wird es vermutlich im Kabinett niemanden geben, der persönlich nicht froh sei, der schweren Arbeit, Verantwortung und Verhetzung von jetzt ab frei zu sein. Beim Abschied sei es ihm ein Herzensbedürfnis, als Vertreter des Reichskanzlers auf die harmonische Zusammenarbeit des Reichskabinetts in den schweren Jahren hinzuweisen und dem scheidenden Regierungschef den aufrichtigsten Dank auszusprechen.

[gez.]

Pünder,

17.VI.32.

Hier nach: Niederschrift über die letzte Ministerbesprechung des Reichskabinetts Brüning am Montag, den 30. Mai 1932 10 Uhr vormittags, BArch N 1005/45 fol. 54f.