Gesetz über den Lastenausgleich [Lastenausgleichsgesetz], 14. August 1952

Einleitung

Als im Mai 1945 die Waffen schwiegen, lag das Reichsgebiet in Trümmern. Das menschliche Leid war unermesslich. Über 6 Millionen Juden waren ermordet worden, 4 Millionen Soldaten gefallen und mehr als 400.000 Menschen dem Bombenkrieg zum Opfer gefallen. 2,2 Millionen waren auf der Flucht und während der Vertreibung umgekommen, als sie aus den Reichsgebieten östlich der Oder-Neiße oder aus dem Ausland auf Grund ihrer deutschen Volkszugehörigkeit verjagt worden waren. Dazu türmten sich allein auf dem Gebiet der späteren Bundesrepublik etwa 310 Millionen Kubikmeter Trümmer auf, womit man eine Mauer von 80 cm Höhe und einem Meter Dicke bis zum Mond hätte aufschichten können. Von 19 Millionen Wohnungen lagen 2,2 Millionen, das sind 20,3 Prozent, in Schutt und Asche. Mit der Währungsreform vom 21. Juni 1948 wurde das während des Krieges aufgeblähte Geldvolumen auf 6,5 Prozent seines Wertes weggeschnitten, damit kam eine weitere Geschädigtengruppe hinzu. Es schien unmöglich einen Ausgleich oder eine Entschädigung für diese vielen Opfer des nationalsozialistischen Regimes herbeizuführen.

Noch während des Krieges hatte der spätere Wirtschaftsminister und Kanzler, Ludwig Erhard, eine Denkschrift verfasst, wie aus den vorhandenen Vermögenswerten eine prozentuale Entschädigung fließen könnte und dafür den Begriff Lastenausgleich geprägt. Nach der Kapitulation wurden von einer Vielzahl von verschiedenen Gruppen zahlreiche Pläne zur Heranziehung von Leistungen der Nicht- oder Mindergeschädigten entwickelt. Die meisten Überlegungen liefen dabei auf eine Verquickung der Währungsreform mit einer Abgabe hinaus. Der Auszug der sowjetischen Alliierten aus dem Kontrollrat im März 1948, gab den westlichen Verbündeten den Anlass, nur eine auf ihre Zonen begrenzte Währungsreform durchzuführen, ohne dabei die deutschen Vorstellungen zu berücksichtigen. Den deutschen Stellen – dem Wirtschaftsrat – wurde aber aufgegeben, bis spätestens Dezember 1948 ein Lastenausgleichsgesetz (LAG) vorzulegen. An diese Vorgabe hielt sich der Wirtschaftsrat und legte das (1.) LAG fristgerecht den Alliierten vor. Danach musste der Rat sich aufs Warten verlegen, da sich die Militärregierungen in Schweigen hüllten. Nicht nur die Vertriebenen wurden mit der ablaufenden Zeit immer unruhiger, da sie durch die Währungsreform ihrer letzten Barmittel beraubt wurden, so dass sie nun vollständig auf die öffentliche Wohlfahrt angewiesen waren. Im Lastenausgleich sahen sie die letzte Möglichkeit, aus Not und Verzweiflung herauszukommen. Endlich, am 29. April 1949 regten sich die Militärregierungen, aber anders als erwartet. Sie verfügten, dass das (1.) LAG in ein Soforthilfegesetz (SHG) umgewandelt werden musste und das Eigentum der Angehörigen der Vereinten Nationen von den Regelungen des Gesetzes auszuklammern sei. Weiter wurde erklärt, dass die Regelung einer Lastenausgleichsgesetzgebung einer zukünftigen Bunderregierung überlassen werden sollte. Mit größter Eile wurden in der Verwaltung für Finanzen die Auflagen der Alliierten in das 1. LAG eingearbeitet. Schon am 1. August trat es als Soforthilfegesetz im Bereich der Bizone in Kraft. In der französischen Zone erließen es die Länder ohne größere Abweichungen im September. Inhalt und Ziel des Soforthilfegesetzes war es, den in Not geratenen Geschädigten schnell mit ausschließlich nach sozialen Gesichtspunkten gewährten Leistungen zu helfen. Dieses Gesetz war also keine Basis, auf der der eigentliche Lastenausgleich aufgebaut werden konnte, sondern bestenfalls eine Art sozialpolitische Fingerübung.

Nach der Errichtung der Bundesrepublik setzte der Bundestag einen eigenen Ausschuss für den Lastenausgleich ein. Vorsitzender wurde Johannes Kunze (CDU), sein Gegenspieler in der CDU, der Vertriebenenpolitiker und Vorsitzende des Bundes der Vertriebenen, Linus Kather, hatte sich für den Ausschuss für Heimatvertriebene entschieden. Das hinderte Kather aber nicht, wiederholt in die Beratungen des Lastenausgleichsausschusses einzugreifen. Die Federführung für die Gesetzgebung auf dem Gebiet des Lastenausgleichs wurde dem Bundesminister der Finanzen übertragen, erst 1958 erhielt der Vertriebenenminister die Mitfederführung. Die Entscheidung kam aber nicht von ungefähr, lag doch auch in der Zeit des Wirtschaftsrates die Lastenausgleichsgesetzgebung bei der Verwaltung für Finanzen. Deren Arbeitsgruppe Lastenausgleich wurde geschlossen in das Bundesfinanzministerium überführt und sollte nunmehr die bundesrepublikanische Regelung vorbereiten. Recht schnell legte sie den sogenannten Grünen Bericht vor, der aber nicht das Gesetz präjustizieren sollte, sondern einen vollständigen Überblick über mögliche Verfahren und über Vor- und Nachteile einzelner Lösungen gab. Die ersten Konturen eines LAG enthielten die Grundzüge vom 21. März / 14. April 1950.

Ihre Kernaussage war, dass zum Ausgleich der Verluste entsprechend dem Soforthilfegesetz Abgaben erhoben werden sollten. Ebenfalls wurde vorgeschlagen, die Ausgleichsabgaben in einen Sonderfonds des Bundes zu lenken, aus dem dann die Leistungen erfolgen sollten. Die Vermögensabgabe sollte bei 50 Prozent am Stichtag 21. Juni 1948 liegen. Diese Forderung durchzog seit Beginn die Diskussion über den Lastenausgleich. Sie wäre ein fundamentaler Einschnitt in die Vermögensverhältnisse mit einer sprichwörtlich "großen Verschiebung" (der Vermögensverhältnisse) gewesen. Diese 50-prozentige Abgabe blieb zwar bestehen, aber bei näherem Hinsehen erwies sie sich im Laufe der Zeit als vergleichsweise harmlos, die von den Betroffenen "aus der Portokasse" bezahlt wurde, wie es der prominente Verleger Gerd Buccerius formulierte.

Damit bin ich im Zentrum des historischen Phänomens "Lastenausgleich". Dieser sollte unbedingt erfolgen, aber nur in bedingter konsequenter Form. Der große Streit ging um die Frage, ob der Lastenausgleich in "sozialer" oder "quotaler" Form erfolgen sollte. Ersteres bedeutet, das Vertriebene und Geschädigte unabhängig von ihren früheren Vermögens- und Einkommensverhältnissen finanzielle Hilfen erhalten, die ihnen eine wirtschaftliche und soziale Eingliederung in die Gesellschaft und das Wirtschaftssystem der Bundesrepublik ermöglichen sollten. Ein quotaler Lastenausgleich sah dagegen die Entschädigung der Verluste und Schäden nach der individuellen Erfassung vor. Von den großen Volksparteien bestand die SPD auf den sozialen Ausgleich. Typisch für diese Haltung war der unglaublich zynische Ausspruch von Heinrich Albertz (SPD), damals niedersächsischer Minister für Flüchtlingsangelegenheiten, in den 1960er Jahren Regierender Bürgermeister von Berlin: "Ich bin gegen die Wiederherstellung der sozialen Positionen in der alten Heimat. Ich habe kein Interesse daran, den Spießbürger aus Breslau wieder zu installieren." Albertz erkannte aber an, dass die Mehrzahl der Vertriebenen gänzlich anderer Ansicht war. Die großen bürgerlichen Parteien, CDU/CSU, FDP und DP, bevorzugten das quotale Model. Letztendlich kam dann ein Mischsystem zustande, das eher sozial als quotal war. Das war der Grund, warum die SPD das LAG bei den Abstimmungen im Bundestag ablehnte, bei den Neben- und Folgegesetzen und der praktischen Umsetzung aber mitwirkte. Die Vertriebenen, ihre Verbände und besonders die neu gegründete Flüchtlingspartei BHE, die bei den Landtagswahlen in Schleswig-Holstein im Juli 1950 einen spektakulären Erfolg mit 23,4 Prozent der Stimmen verbuchen konnte, verfolgten das langsam entstehende LAG mit Argusaugen. Es waren jedoch nicht die "Flüchtlingsvertreter" sondern der profilierteste Vertriebenenpolitiker der CDU, Linus Kather, der das meiste für die Vertriebenen herausholte. Nicht von ungefähr bezeichnete ihn der Kölner Politikwissenschaftler Hans-Peter Schwarz als einen "der härtesten Interessenvertreter in der Bonner Parlamentsgeschichte". Insofern war es nicht erstaunlich, dass die CDU-Fraktion letztendlich Kather folgte. Das von ihm eigentlich angestrebte Amt des Vertriebenenministers erlangte er aber nicht, Adenauer wusste zu gut, wen er sich sonst in sein Kabinett geholt hätte.

Die Schwierigkeiten der Materie Lastenausgleich und die wenigen im Parlament vorhandenen Fachleute hinderten die Koalitionsparteien, eine schnelle Einigung der Regierungsfraktionen herbeizuführen. Auf Vorschlag des Kanzlers arbeiteten die sachverständigen Abgeordneten der Regierungsfraktionen mit den Mitgliedern der Arbeitsgruppe Lastenausgleich des Bundesfinanzministeriums in einem informellen Gremium, dem Unkeler Kreis, den Regierungsentwurf aus. Daneben behandelte der Bundestagsausschuss für den Lastenausgleich mit seinen diversen Unter- und Nebenausschüssen den Gesetzentwurf langsam weiter. Im Januar 1951 legte die Bundesregierung schließlich den Entwurf des LAG vor. Dieser war stark fiskalisch geprägt, kein Wunder, er kam ja aus dem Finanzministerium. In drei Lesungen durchlief dieser Entwurf den Ausschuss und musste noch viele Änderungen hinnehmen, einige Teilprobleme wurden auch ausgeklammert und in Nebengesetzen geregelt. Vom 14. - 16. Mai 1952 war die Dritte Lesung im Bundestag, und das Gesetz erhielt die Mehrheit, schnell erfolgte danach die Zustimmung der Alliierten. Dann aber legte sich der Bundesrat quer und rief in 41 Einzelpunkten den Vermittlungsausschuss an. Er zielte damit auf die Kernpunkte der soeben beschlossenen Regelung. Die gravierensten Forderungen der Länder waren der Verbleib der Vermögenssteuer bei den Ländern und die Nichtheranziehung des Vermögens der öffentlichen Hand zur Lastenausgleichsabgabe. Auf der Entschädigungsseite sollte die Vergabe von Arbeitsplatzdarlehen und Wohnraumhilfen auch an Nichtgeschädigte erfolgen. Das Motiv der Mitglieder des Bundesrates war eindeutig, die Länderfinanzen sollten weitgehend geschont werden, der Bund sollte für die Kriegsfolgelasten alleine zuständig sein. Verständlich, dass von den Vertriebenen Protest erhoben wurde, der von den bürgerlichen Parteien mitgetragen wurde. Nach dem Kompromissvorschlag im Vermittlungsausschuss, verblieb die Vermögenssteuer bei den Ländern, der Ertrag fiel aber für fünf Jahre in den Lastenausgleichsfond. Im Bereich des öffentlichen Vermögens wurde nur das forstwirtschaftliche von der Abgabe befreit. Arbeitsplatzdarlehen und Wohnraumhilfe konnten auch Nichtgeschädigten zugeteilt werden. Es wiederholte sich das Ergebnis der Dritten Lesung: Geschlossen stimmte die CDU-Fraktion zu, ihre Vertriebenenabgeordneten beugten sich dem Fraktionszwang auch diesmal, die SPD-Fraktion votierte geschlossen dagegen. Auch der Bundesrat, mit Ausnahme von Hamburg, stimmte jetzt dafür.

Damit war ein langer Weg vollendet. Das LAG wurde am 14. August 1952 veröffentlicht und trat vierzehn Tage später in Kraft. Als Omen sollte sich aber erweisen, dass die erste Änderung bereits vor der Veröffentlichung beschlossen worden war. Bis heute sind 35 Novellen erfolgt, sie wurden vor allem durch die Erhöhungen der Leistungen in den 1960er und 1970er Jahren notwendig, sowie durch die starke Erweiterung der Personenkreise, die in die Regelung durch das LAG einbezogen wurden. In den Wirkungsbereich des LAG fielen z. B. alle Auslandsdeutschen, die in die Bundesrepublik übersiedelten, das größte Gruppe waren dabei die Russlanddeutschen.

Das LAG war mit die wichtigste Grundlage für die erfolgreiche Eingliederung von Millionen vertriebener und kriegsgeschädigter Menschen. Aber auch die Situation der übrigen Bevölkerung war in der ersten Zeit nach dem Krieg trostlos. Um so beachtlicher war die Hilfsbereitschaft vieler Menschen, denjenigen zu helfen, denen es noch schlechter ging. Dieser Solidargedanke des Lastenausgleichs hatte aber nicht nur eine wirtschaftliche Komponente, er hatte ebenfalls eine sozialpolitische, die zur gesellschaftlichen Integration der Vertriebenen beitrug und das Fundament des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Erfolges der Bundesrepublik Deutschland war.

Rüdiger Wenzel