Protokoll und Protokoll-Anlage der Passierscheinvereinbarung zwischen dem Senat von Berlin und der Regierung der DDR, 24. September 1964

Protokoll

Nach der erfolgreichen Durchführung der Passierschein-Übereinkunft vom 17. Dezember 1963 sind Senatsrat Horst Korber und Staatssekretär Erich Wendt vom 10. Januar 1964 bis 23. September 1964 zu 28 Besprechungen über die weitere Ausgabe von Passierscheinen für Einwohner von Berlin (West) zum Besuch ihrer Verwandten in Berlin (Ost)/in der Hauptstadt der DDR zusammengekommen.

Ungeachtet der unterschiedlichen politischen und rechtlichen Standpunkte ließen sich beide Seiten davon leiten, daß es möglich sein sollte, dieses humanitäre Anliegen zu verwirklichen.

In den Besprechungen wurde zur Weiterführung der Passierscheinübereinkunft vom 17. Dezember 1963 die als Anlage beigefügte Übereinkunft erzielt.

Beide Seiten stellten fest, daß eine Einigung über die Orts-, Behörden- und Amtsbezeichnungen nicht erzielt werden konnte.

Das Protokoll hat eine Gültigkeitsdauer von 12 Monaten.

Spätestens drei Monate vor Ablauf dieses Zeitraumes nehmen beide Seiten Besprechungen über die Verlängerung der Gültigkeit des Protokolls auf.

Das Protokoll mit seiner Anlage wird von beiden Seiten gleichlautend veröffentlicht.

Berlin, den 24. September 1964

Auf Weisung des Chefs der Senatskanzlei, die im Auftrage des Regierenden Bürgermeisters von Berlin gegeben wurde

Horst Korber

Senatsrat

Auf Weisung des Stellvertreters des Vorsitzenden des Ministerrates der Deutschen Demokratischen Republik

Erich Wendt

Staatssekretär

Protokoll-Anlage

I.

I. a) Einwohner von Berlin (West) können mit Passierscheinen ihre Verwandten in Berlin (Ost) / in der Hauptstadt der Deutschen Demokratischen Republik

- in der Zeit vom 30. Oktober 1964 bis 12. November 1964,

- in der Zeit vom 19. Dezember 1964 bis 3. Januar 1965,

- zu Ostern und zu Pfingsten 1965 jeweils während eines Zeitraumes von 14 Tagen

besuchen.

Die Daten für die Besuchszeiträume zu Ostern und zu Pfingsten 1965 werden im Januar 1965 zwischen Senatsrat Korber und Staatssekretär Wendt vereinbart.

b) In jedem Besuchszeitraum kann der Besuch an einem der dafür vorgesehenen Tage erfolgen.

In dem Besuchszeitraum vom 19. Dezember 1964 bis 3. Januar 1965 kann ein zweiter Besuch an den Werktagen einschließlich des 24. und 31. Dezembers 1964 erfolgen.

c) Antragsberechtigt sind

Eltern, Kinder, Geschwister, Großeltern, Enkel, Tanten und Onkel, Nichten und Neffen sowie die Ehepartner dieses Personenkreises und getrennt lebende Ehegatten.

2. a) Während der Gültigkeitsdauer dieser Übereinkunft können ab 1. Oktober 1964 Einwohner von Berlin (West) in dringenden Familienangelegenheiten mit Passierscheinen ihre nächsten Verwandten in Berlin (Ost) / in der Hauptstadt der DDR besuchen.

Als dringende Familienangelegenheiten gelten Geburten, Eheschließungen, lebensgefährliche Erkrankungen und Todesfälle. Antragsberechtigt sind Eltern, Kinder, Geschwister, Großeltern, Enkel sowie die Ehepartner dieses Personenkreises.

b) Für getrennt lebende Ehepaare, deren einer Teil in Berlin (West) und deren anderer Teil in Berlin (Ost) / in der Hauptstadt der DDR wohnen, besteht nach entsprechender Prüfung die Möglichkeit der Familienzusammenführung. Einwohner von Berlin (West), deren Ehepartner in Berlin (Ost) / in der Hauptstadt der DDR wohnen, können diese ab 1. Oktober 1964 mit Passierscheinen zur gemeinsamen Beantragung der Familienzusammenführung besuchen.

c) Besuche gemäß Absatz a) und b) sind unabhängig von den Verwandtenbesuchen in den vier Besuchszeiträumen möglich.

3. Die Einreise mit Kraftfahrzeugen ist genehmigungspflichtig.

Sie kann zur Vermeidung von Spitzenbelastungen versagt werden.

4. Staatssekretär Wendt erklärt, Voraussetzung für die Genehmigung von Anträgen auf Passierscheine ist, daß der Antragsteller nicht gegen die Gesetze der Deutschen Demokratischen Republik verstoßen hat.

II.

1. a) Die Passierscheinstellen für Verwandtenbesuche gemäß Abschnitt I Nr. 1 befinden sich im

Bezirk Charlottenburg:

Schulgebäude in Berlin 15, Joachimstaler Straße 31-32

Bezirk Kreuzberg:

1. Sporthalle in Berlin 61, Lobeckstraße 62

2. Nachbarschaftsheim in Berlin 61, Urbanstraße 21

Bezirk Neukoelln:

1. Saalbau Neukoelln in Berlin 44, Karl-Marx-Straße 141

2. Jugendheim Lessinghöhe in Berlin 44, Morusstraße 39-45

Bezirk Reinickendorf:

1. Gymnastikhalle in Berlin 52, Scharnweberstraße 81

2. Gymnastikhalle in Berlin 51, Thurgauer Straße 66

Bezirk Schöneberg:

Jugendfreizeitraum in Berlin 62, Belziger Straße 2-4

Bezirk Spandau:

Otto-Bartning-Schule in Berlin 20, Zitadelle

Bezirk Steglitz:

Carl-Diehm-Sporthalle in Berlin 41, Lessingstraße 6-8

Bezirk Tempelhof:

Sporthalle am Friedrich-Ebert-Sportplatz in Berlin 42, Bosestraße 21

Bezirk Tiergarten:

Jugendfreizeitheim in Berlin 21, Wilsnacker Straße 7-8

Bezirk Wedding:

1. Gymnastikhalle des Schulgebäudes in Berlin 65, Müllerstraße 158

2. Turnhalle und Aula der Fritjof-Nansen-Schule in Berlin 65,

Gotenburger Straße 7

Bezirk Wilmersdorf:

Turnhalle der Fichte-Schule in Berlin 31, Emser Straße 50

Bezirk Zehlendorf:

Turnhalle des Schulgebäudes in Berlin 37, Potsdamer Straße 7

b) Die Passierscheinstellen sind geöffnet:

- Für Verwandtenbesuche im Oktober/November 1964 und zu Weihnachten/Neujahr 1964/65 an allen Werktagen in der Zeit vom 1. Oktober bis 29. Oktober 1964;

- Für Verwandtenbesuche zu Ostern und Pfingsten 1965 für einen Zeitraum von 4 Wochen, der zwischen Senatsrat Korber und Staatssekretär Wendt im Januar 1965 vereinbart wird.

Die täglichen Öffnungszeiten der Passierscheinstellen sind:

Montag bis Freitag von 10.00 bis 13.00 Uhr und von 14.00 bis 18.00 Uhr Sonnabend von 9.00 bis 14.00 Uhr

2. Die Passierscheinstelle für Verwandtenbesuche gemäß Abschnitt I Nr. 2 befindet sich im Bezirk Wilmersdorf, Hohenzollerndamm 196.

Die Passierscheinstelle ist ab 1. Oktober 1964 während der Gültigkeitsdauer dieser Übereinkunft an allen Werktagen von 10.00 bis 13.00 Uhr und von 14.00 bis 18.00 Uhr geöffnet.

3. Für die angemessene Einrichtung und sonstige sachliche Ausstattung (Heizung, Strom, Reinigung etc.) der Passierscheinstellen sorgen die Angehörigen des öffentlichen Dienstes, die der Senat von Berlin hierfür bestimmt.

4. Auf die Passierscheinstellen wird durch Schilder mit folgender Beschriftung hingewiesen: "Passierscheinstelle". Die Beschriftung und Anbringung der Schilder sowie zusätzlicher Wegweiser übernehmen die Angehörigen des öffentlichen Dienstes, die der Senat hierfür bestimmt.

III.

1. In den unter Abschnitt II Nr. 1 und 2 genannten Passierscheinstellen werden Antragsformulare für Passierscheine und Vordrucke für Zahlungsmittel- und Warenerklärungen – letztere zur Vorlage beim Übergang – ausgegeben, Anträge auf Passierscheine entgegengenommen und Passierscheine ausgehändigt.

2. Die Anträge sind in der Passierscheinstelle abzugeben, die die Antragsformulare ausgegeben hat.

Für Ehepaare kann der Antrag auf einem Antragsformular gestellt werden, wenn der Besuch am gleichen Tag und zur gleichen Zeit erfolgen soll.

Kinder unter 16 Jahren können ihre Verwandten nur in Begleitung ihrer Eltern oder eines anderen Erziehungsberechtigen besuchen. Für sie ist kein eigenes Antragsformular auszufüllen. Ihre Personalien werden vielmehr in den Antrag des sie begleitenden Erwachsenen aufgenommen. Sie müssen entweder in dessen Personalausweis eingetragen sein oder eine Kinderlichtbildbescheinigung oder einen eigenen Personalausweis besitzen, die bei der Beantragung und Abholung der Passierscheine vorzulegen sind.

3. Die Ausgabe der Passierscheine für Verwandtenbesuche gemäß Abschnitt I Nr. 1 erfolgt 14 Tage nach Antragstellung.

Anträge auf Passierscheine gemäß Abschnitt I Nr. 2 werden kurzfristig bearbeitet.

4. Die Beantragung und die Abholung der Passierscheine kann für Eheleute von einem Ehegatten, für Eltern von einem Kind über 16 Jahre, für Kinder über 16 Jahre von einem Elternteil unter Vorlage des Personalausweises des Nichterschienenen erfolgen.

Passierscheine für körperbehinderte oder nicht gehfähige Personen können durch bevollmächtigte Dritte, die den Personalausweis des Vollmachtgebers sowie den amtlichen Ausweis für die Körperbehinderung bzw. ein ärztliches Attest vorlegen, beantragt und abgeholt werden.

5. a) Jeder Passierschein gilt für den auf ihm bezeichneten Kalendertag in der Zeit von 7.00 bis 24.00 Uhr.

b) Die für den 31. Dezember ausgestellten Passierscheine gelten bis zum 1. Januar, 5.00 Uhr.

c) Für den in Abschnitt I Nr. 2 genannten Personenkreis kann auf Antrag die zugelassene Besuchszeit verlängert werden.

IV.

Übergangsstellen sind: Chausseestraße, Invalidenstraße, Sonnenallee (Für Fahrzeug- und Fußgängerverkehr),

Oberbaumbrücke (Für Fußgängerverkehr)

Bahnhof Friedrichstraße (Für Benutzer der S-Bahn und der U-Bahn).

Es ist jeweils die Übergangsstelle zu benutzen, die im Passierschein eingetragen ist.

V.

1. In den Passierscheinstellen werden bis zu 300 Angestellte der Bezirksdirektion für Post- und Fernmeldewesen Berlin / der Deutschen Post der DDR und bis zu 300 Angehörige des öffentlichen Dienstes, die der Senat hierfür bestimmt, tätig werden.

In der Passierscheinstelle für dringende Familienangelegenheiten werden Angestellte der Bezirksdirektion für Post- und Fernmeldewesen Berlin / der Deutschen Post der DDR in der notwendigen Zahl, zumindest aber drei, und in der gleichen Zahl Angehörige des öffentlichen Dienstes, die der Senat hierfür, bestimmt, tätig sein.

Diese Angestellten tragen Dienstkleidung.

2. In den Passierscheinstellen üben Angehörige des öffentlichen Dienstes, die der Senat hierfür bestimmt, das Hausrecht aus.

3. Im Interesse einer reibungslosen Abwicklung regelt der Senat den Aufruf der Einwohner von Berlin (West) zur Beantragung und Abholung der Passierscheine und den Zugang zu den Passierscheinstellen.

4. Angehörigen des öffentlichen Dienstes, die der Senat hierfür bestimmt, obliegt es:

a) Den Einlaß in die Passierscheinstellen bei der Beantragung und bei der Abholung der Passierscheine zu regeln; hierzu können sie sich die zur Beantragung und Abholung der Passierscheine erforderlichen Unterlagen (Personalausweise, Vollmachten, Bescheinigungen usw.) und – bei Abholung der Passierscheine – die Kontrollabschnitte vorzeigen lassen,

b) den Besucherverkehr in den Passierscheinstellen zu lenken,

c) die Antragsformulare für Passierscheine und Vordrucke für die Zahlungsmittel- und Warenerklärungen an die Antragsteller auszugeben,

d) die Antragsteller bei der Ausfüllung der Formulare zu unterstützen,

e) die Besucher über den Gang des Verfahrens zu unterrichten und Auskünfte zu erteilen,

f) vor Abgabe der ausgefüllten Anträge durch die Antragsteller an die in Abschnitt V Nr. 5 genannten Angestellten in die Passierscheinanträge und die erforderlichen Unterlagen Einsicht zu nehmen, um festzustellen, ob die Angaben vollständig sind, ob der Antragsteller zum Kreis der Antragsberechtigten gehört und um etwaige Fehler zu beseitigen.

5. Angestellten der Bezirksdirektion für Post und Fernmeldewesen Berlin / der Deutschen Post der DDR obliegt es:

a) Den in Abschn. V Nr. 4 erwähnten Angehörigen des öffentlichen Dienstes die Antragsformulare für die Passierscheine und die Vordrucke für die Zahlungsmittel- und Warenerklärungen zur Ausgabe an die Antragsteller zur Verfügung zu stellen,

b) die Besucher über den Gang des Verfahrens zu unterrichten und Auskünfte zu erteilen,

c) die für die Beantragung der Passierscheine erforderlichen Unterlagen sowie die Anträge entgegenzunehmen und nach Einsichtnahme und Vergleich die Kontrollabschnitte der Anträge an den Antragsteller auszuhändigen sowie die Unterlagen zurückzugeben,

d) nach Einsichtnahme in die Personalausweise und die erforderlichen Unterlagen sowie gegen Abgabe der Kontrollabschnitte die Passierscheine auszuhändigen.

6. Die Bearbeitung und Entscheidung der Anträge erfolgt nicht in Berlin (West).

7. Die in Abschnitt V Nr. 5 genannten Angestellten können bei der Ausgabe der Passierscheine an die Antragsteller Merkblätter ausgeben. Diese Merkblätter enthalten Hinweise, die beim Übergang und beim Aufenthalt in Berlin (Ost) / in der Hauptstadt der DDR zu beachten sind.

VI.

1. Die Beförderung der in Abschnitt V Nr. 5 genannten Angestellten sowie der Transport der Antragsformulare, der Anträge auf Passierscheine, der Passierscheine, der Zahlungsmittel- und Warenerklärungen und etwaiger Merkblätter erfolgt innerhalb Berlin (West) durch dort zugelassene nicht beschriftete Fahrzeuge, die der Senat bestimmt.

Die Fahrzeuge werden von Angehörigen des öffentlichen Dienstes geführt, die der Senat hierfür bestimmt.

Die Transporte der Antragsformulare, der Anträge auf Passierscheine, der Passierscheine, der Zahlungsmittel- und Warenerklärungen und etwaiger Merkblätter werden durch je zwei Angestellte der Bezirksdirektion für Post- und Fernmeldewesen Berlin / der Deutschen Post der DDR begleitet.

2. Übergänge für die in Abschnitt V Nr. 5 genannten Angestellten und Umschlagsort für das in Nr. 1 aufgeführte Transportgut sind:

a) Für die in den Bezirken Neukölln, Kreuzberg, Steglitz, Zehlendorf, Tempelhof, Schöneberg gelegenen Passierscheinstellen (vgl. Abschnitt II Nr. 1) Sonnenallee,

b) für die in den Bezirken Charlottenburg, Wilmersdorf, Tiergarten, Spandau gelegenen Passierscheinstellen (vgl. Abschnitt II Nr. 1 und 2) Invalidenstraße,

c) für die in den Bezirken Wedding und Reinickendorf gelegenen Passierscheinstellen (vgl. Abschnitt II Nr. 1) Chausseestraße.

Die Abholung der in Abschnitt V Nr. 5 genannten Angestellten erfolgt so rechtzeitig, daß die in Abschnitt II Nr. 1 und 2 genannten Öffnungszeiten eingehalten werden können. Der Rücktransport erfolgt alsbald nach dem Ablauf der Öffnungszeiten.

VII.

1. Beide Seiten treffen alle Voraussetzungen für eine ungestörte Arbeit der in Abschnitt II Nr. 1 und 2 genannten Passierscheinstellen und für eine reibungslose Abwicklung des Besucherverkehrs.

2. Der Senat gewährleistet die Sicherheit und Ordnung im Bereich der in Abschnitt II Nr. 1 und 2 genannten Passierscheinstellen und in der Umgebung der in Abschnitt IV genannten Übergangsstellen, den ungehinderten Zu- und Abgang der in Abschnitt V Nr. 5 und Abschnitt VI Nr. 1 genannten Angestellten und deren persönliche Sicherheit sowie den ungestörten Transport des in Abschnitt VI Nr. 1 genannten Transportgutes.

Der Senat gewährleistet ferner, daß in die den Angestellten der Bezirksdirektion für Post- und Fernmeldewegen Berlin / der Deutschen Post der DDR obliegenden Arbeitsvorgänge nicht von seiner Seite eingegriffen wird.

3. Beide Seiten unterbinden mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln im Rahmen ihrer Zuständigkeit jede Tätigkeit, die gegen die Einrichtung und Arbeit der in Abschnitt II Nr. 1 und 2 genannten Passierscheinstellen und gegen die ungestörte Durchführung des Besucherverkehrs gerichtet ist.

VIII.

Jede Seite trägt die Kosten für die von ihr nach dieser Protokollanlage zu erbringenden Leistungen.

IX.

Fragen der Auslegung oder Durchführung dieser Protokollanlage werden zwischen Senatsrat Korber und Staatssekretär Wendt oder den von ihnen Beauftragten geregelt.

Hier nach: Dokumente zur Deutschlandpolitik, IV. Reihe, Band 10, Zweiter Halbband, Frankfurt am Main 1980, S. 987-990.