Resolution des II. Weltkongresses der Kommunistischen Internationale (Komintern) über die Bedingungen der Aufnahme in die Kommunistische Internationale, 6. August 1920

Einführung

Als sich die Delegierten des II. GlossarWeltkongresses der Komintern vom 23. Juli bis 7. August 1920 in den Räumen des Kreml-Palastes in Moskau versammelten, durchlebte die kommunistische Bewegung eine Phase der revolutionären Euphorie: Nach dem Sieg im russischen Bürgerkrieg und dem erfolgreichen Gegenangriff der sowjetischen Truppen im Glossarpolnisch-sowjetischen Krieg stand die GlossarRote Armee im Sommer 1920 kurz vor Warschau – nun schien sich endlich die Gelegenheit zu bieten, die Revolution nach Westen zu tragen und sie somit tatsächlich zu einer "Weltrevolution" zu machen. Aufmerksam verfolgten die Delegierten die Frontbewegungen, die im Raucherzimmer neben dem ehemaligen Thronsaal mit Fähnchen an einer großen Wandkarte täglich dokumentiert wurden. Große Hoffnungen setzte man in Moskau insbesondere darauf, so bedeutende Massenparteien wie die Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands (USPD) und die italienischen Sozialisten für die GlossarIII. Internationale gewinnen zu können. Begeistert telegrafierte GlossarLenin vom Kongreß aus an GlossarStalin, der sich an der Front befand:

"Die Lage in der Komintern ist hervorragend. GlossarZinov'ev, GlossarBucharin und auch ich denken, daß man sofort die Revolution in Italien auslösen sollte. Meiner Meinung nach müßte man dafür Ungarn sowjetisieren und vielleicht auch Tschechien und Rumänien."[1]

Allerdings stellte die Komintern ein gutes Jahr nach ihrem von nur 35 Delegierten besuchten Gründungskongreß (2.-6. März 1919) nicht mehr als ein Konglomerat recht unterschiedlicher Parteien dar. Grigorij Zinov'ev, der erste Vorsitzende der Komintern, erklärte daher auf dem II. Weltkongreß der Komintern, es müsse nun geklärt werden, "was wir als Kommunistische Internationale eigentlich sind und was wir sein wollen." Zinov'ev selbst hatte allerdings schon recht klare Vorstellungen: Im Gegensatz zur GlossarII. Internationale dürfe die Komintern kein loser Verbund autonomer Parteien werden, sondern müsse sich in eine straff organisierte, tatkräftige Weltpartei verwandeln. Viele der Glossar"Reformisten", die nun in die Komintern strömten, so Zinov'ev, hätten aber die Auffassung, "daß die Kommunistische Internationale ein gutes Gasthaus ist, wo Vertreter verschiedener Länder die "Internationale" absingen und sich gegenseitig Komplimente machen."[2]

Entsprechend diesen Vorstellungen dienten die von Zinov'ev am folgenden Tag vorgestellten Aufnahmebedingungen dazu, erstens die reformistische Spreu vom revolutionären Weizen zu trennen und zweitens die Mitgliedsparteien der Komintern in ein eindeutiges Unterordnungsverhältnis gegenüber der Kominternführung in Moskau zu bringen. "Es wird für die Parteien aller Länder sehr nützlich sein," so bekannte Zinov'ev in seinem Schlußwort, "wenn sie etwas Furcht vor der Kommunistischen Internationale bekommen."[3] In geradezu redundanter Form wurde den Parteien in den "Bedingungen" aufgetragen, diejenigen Mitglieder von ihren Posten abzuberufen und aus der Partei auszuschließen, die nicht konsequent für eine revolutionäre Politik eintraten. An deren Stelle sollten "erfahrene Kommunisten" treten, die tatsächlich nach bolschewistischen Prinzipien handelten (Bedingungen 1, 2, 7, 11, 13, 20, 21). Überhaupt sollte der Bruch mit jeglichen Reformisten öffentlich vollzogen werden (Bedingungen 6, 10) – um dies zu besiegeln, waren die Parteien angehalten, sich gegebenenfalls neue, kommunistische Programme zu geben (Bedingung 15). Um die "eiserne Disziplin" der Parteimitglieder sicherzustellen, sollte zum einen die innere Struktur der kommunistischen Parteien nach dem autoritären Prinzip des Glossar"demokratischen Zentralismus" umgestaltet werden (Bedingung 12), zum anderen wurden die Beschlüsse des Kominternkongresses und des GlossarExekutivkomitees der Kommunistischen Internationale (EKKI) für alle Parteien als "bindend" erklärt (Bedingung 16). Die Parteien wurden zudem verpflichtet, alle wichtigen Dokumente der Komintern in ihren Presseorganen abzudrucken (Bedingung 18). Fortan mußten sich sämtliche Parteien als "Kommunistische Partei" bezeichnen und den Zusatz "Sektion der Kommunistischen Internationale" tragen, um zu verdeutlichen, daß sie nun die territorialen Gliederungen einer Weltpartei darstellten. Weitere Punkte betrafen den Aufbau eines illegalen Apparates (Bedingung 3), die Agitation unter den Bauern (Bedingung 5) und in den Gewerkschaften und Genossenschaften (Bedingung 9), sowie die Kolonialfrage (Bedingung 8) und die Verpflichtung, anderen Sowjetrepubliken (vorerst also vor allem Sowjetrußland) bei einem Angriff beizustehen (Bedingung 14).

Die Hartnäckigkeit, mit der die Kominternführung in den "21 Bedingungen" den Alleinvertretungsanspruch innerhalb der revolutionären Arbeiterbewegung beanspruchte, hatte einen konkreten Anlaß, der in den Vorbemerkungen zu den "Bedingungen" ausdrücklich erwähnt wurde: Kein Kommunist, hieß es dort, dürfe die Lehren der gescheiterten ungarischen Räterepublik (21. März - 1. August 1919) vergessen, die nach Meinung der Moskauer Funktionäre hauptsächlich aufgrund des "Verrates" durch die sozialdemokratischen Regierungspartner der ungarischen Kommunisten gescheitert war. Deutlich spiegelte sich in diesen "Lehren" die spezifisch bolschewistische Verschwörungslogik wider, die Mißerfolge auf dem Wege zur Revolution nur als Resultat von Tücke und Sabotage sehen konnte. Lenin sah im Scheitern des ungarischen Experimentes seine Theorie bestätigt, daß sich eine proletarische Revolution nur mit einer elitären und willensstarken Kadertruppe erfolgreich durchführen ließe.

Die "21 Bedingungen" waren zwar aufgrund der ungarischen Erfahrungen entwickelt worden, zunächst aber vor allem für die USPD bestimmt. Diese Arbeiterpartei – sie war nach der SPD und weit vor der jungen KPD die zweitgrößte Deutschlands – verhandelte seit dem Frühsommer 1920 mit Moskau über eine Aufnahme in die Komintern und sollte mittels der "21 Bedingungen" gespalten werden. Deutlich wird dies insbesondere aus dem Appell GlossarKarl Radeks an die "linken" USPD-Delegierten auf dem II. Kominternkongreß, nun "den kleinmütigen Geist, den schwachen revolutionären Willen mit glühendem Eisen aus der Partei zu vertreiben!"[4] Weil sich die vierköpfige Delegation der USPD zunächst aber nicht auseinanderdividieren ließ, veranlaßte Lenin schließlich eine Verschärfung der "Bedingungen". Den ursprünglich 19 Punkten wurden weitere hinzugefügt: So mußten diejenigen Parteien, die der III. Internationale beitreten wollten, dafür sorgen, daß "nicht weniger als zweidrittel" der Mitglieder ihrer zentralen Institutionen Genossen wären, die sich schon vor dem II. Kongreß der Komintern öffentlich für den Eintritt in die III. Internationale ausgesprochen hatten (Bedingung 20). Zudem waren alle Parteimitglieder, die die "Bedingungen" der Komintern ablehnten, aus der Partei auszuschließen (Bedingung 21). Diese verschärfte Fassung wurde vom Kongreß am 6. August 1920 bei zwei Gegenstimmen angenommen.

Da die USPD der damalige Hauptadressat war, lassen sich die Reaktionen auf die "21 Bedingungen" an ihrem Beispiel auch am besten untersuchen. Unmittelbar nach der Rückkehr der USPD-Delegation aus Moskau entbrannte in der Partei endlich die von der Komintern erwünschte, heftige Diskussion darüber, ob die "Bedingungen" anzunehmen seien oder nicht. Während die Vorgaben der Komintern vor allem von den (älteren) Parteifunktionären mehrheitlich als ein "Diktat Moskaus" betrachtet wurden[5], bildete sich besonders bei den jüngeren Mitgliedern der Parteibasis die Tendenz heraus, die "Bedingungen" zu akzeptieren. Bei den Urwahlen, mit denen die Delegierten des Sonderparteitages der USPD bestimmt wurden, auf dem über die Annahme der "Bedingungen" entschieden werden sollte, wurden mehrheitlich Kandidaten gewählt, die sich für die Annahme ausgesprochen hatten: Die Anziehungskraft der erfolgreichen russischen Revolution war für viele USPD-Mitglieder so groß, daß sie die "Bedingungen" als notwendige Voraussetzung akzeptierten, um dem Beispiel der GlossarBolschewiki nacheifern zu können. Aus diesen Vorgängen wird ersichtlich, daß die Vorrangstellung der Russen in der Komintern keineswegs erzwungen werden mußte, vielen erschien sie ganz natürlich zu sein.

Weil die Delegierten mit gebundenem Mandat über Listen gewählt worden waren, stand schon vor dem Parteitag, der Mitte Oktober 1920 in Halle stattfand, das Ergebnis fest; die vierstündige Rede Zinov'evs vor den Delegierten hatte daher keinen ausschlaggebenden Effekt mehr. Am 17. Oktober spalteten sich die auf dem Parteitag erwartungsgemäß unterlegenen Gegner der "21 Bedingungen" ab und gründeten eine eigene USPD. Die linke Mehrheit vollzog wenige Monate später am 4. Dezember 1920 die Vereinigung mit der KPD zur VKPD.

Vergleichbare Vorgänge wie in der USPD vollzogen sich auch in anderen Arbeiterparteien. Aus Sicht ihrer Autoren waren die "21 Bedingungen" somit überaus erfolgreich, denn mit ihnen wurde die Spaltung der internationalen Arbeiterbewegung zementiert. Wenn es in den folgenden Jahren eine Konstante in der Politik der Komintern gab, so war dies ihre Feindschaft gegen alle übrigen Strömungen in der Arbeiterbewegung außerhalb der III. Internationale. Insofern war auch die stalinistische Glossar"Sozialfaschismus"-These nur die konsequente Weiterentwicklung des leninistischen Alleinvertretungsanspruches der Komintern. Vor allem aber richteten sich die "21 Bedingungen" nach innen – so beklagte die Kominternführung in den Jahren nach 1920 immer die "sozialdemokratischen Überreste" und "demokratischen Illusionen" in den kommunistischen Sektionen.

Doch ist es fraglich, ob derartige Klagen tatsächlich "fundiert" waren, ob es also vor allem in Deutschland zunächst tatsächlich noch die Möglichkeit für einen "demokratischen Kommunismus" gegeben hat. Zwar war die organisatorische Abhängigkeit der kommunistischen Parteien von Moskau in den Anfangsjahren der Komintern noch nicht so umfassend wie zur Zeit der stalinistischen Herrschaft – aber indem sich die Kommunisten mit der Annahme der "21 Bedingungen" auf das bolschewistische Revolutions- und Organisationsmodell orientierten, begaben sie sich in eine ideologische und moralische Abhängigkeit, mit der sie die Bolschewiki aus eigenen Stücken als oberste Entscheidungsinstanz akzeptierten.

Die "21 Bedingungen" wurden allerdings selbst in der westlichen Forschung häufig nur als Voraussetzung für die vermeintlich erst später – nämlich 1924 – einsetzende "Bolschewisierung" der kommunistischen Parteien gesehen und in ihrer Bedeutung daher unterschätzt. Es dürfte kaum überraschen, daß die "21 Bedingungen" in der post-stalinistischen Forschung der Sowjetunion und der DDR noch weniger thematisiert wurden. Dort war das Bemühen stark, zwischen einem ursprünglichen Kommunismus und seiner durch Stalin und seine Mitstreiter korrumpierten Variante zu unterscheiden. Diese Auffassung findet sich noch heute in vielen Veröffentlichungen wieder. Sie sehen die organisatorischen Maßnahmen der stalinistischen Führungsclique gegen Nikolaj Bucharin nicht nur als graduelle Verschärfung längst eingeübter Politikstile, sondern auch als einen entscheidenden Wendepunkt in der Geschichte des Kommunismus.

Bert Hoppe

[1] Telegramm Lenins an Stalin [23.7.1920], in: Drabkin, Ja. (Hg.), Komintern i ideja mirovoj revoljucii. Dokumenty, Moskau 1998, Dok. Nr. 39, S. 186. [[1]]

[2] Der zweite Kongreß der Kommunistischen Internationale. Protokoll der Verhandlungen vom 19. Juli in Petrograd und vom 23. Juli bis 7. August in Moskau, Hamburg 1921 (= Bibliothek der Kommunistischen Internationale 22), S. 234, 239f. [[2]]

[3] Der zweite Kongreß der Kommunistischen Internationale, S. 382. [[3]]

[4] Der zweite Kongreß der Kommunistischen Internationale, S. 260. [[4]]

[5] Vgl. den Leitartikel "Das Diktat Moskaus" [25.8.1920], in: Leipziger Volkszeitung, Nr. 169. [[5]]