Über den Ausschluß der Genossen Trockij und Zinov'ev aus dem Zentralkomitee der VKP(b). Beschluß des Vereinigten Plenums von CK und CKK der VKP(b), 23. Oktober 1927

Einführung

Die Geschichte der Glossarlinken Opposition in der GlossarVKP(b), des sogenannten Trotzkismus, nahm ihren Anfang in den innenparteilichen Fraktionskämpfen der 1920er Jahre. GlossarTrockij hatte seine Version der Dinge bereits 1930 in seinen Erinnerungen "Mein Leben" dargelegt. Die Bewertungen des Trotzkismus in der offiziellen sowjetischen Historiographie machten eine Entwicklung vom "Menschewismus in der kommunistischen Bewegung" bis hin zur "konterrevolutionären faschistischen terroristischen Organisation" durch – die letzte Bezeichnung findet sich im offiziellen Glossar"Kurzen Lehrgang der Geschichte der VKP(b)" aus dem Jahre 1938. In den Jahrzehnten nach GlossarStalins Tod wurde der Trotzkismus als "Menschewismus", als "Extremismus"oder als "Linkstümelei" bewertet. Die wirklichen Forderungen der linken Opposition wurden verfälscht und verschwiegen und die Arbeiten Trockijs weggesperrt. Dem interessierten Leser standen lediglich die offizielle "Geschichte der KPSS" sowie Werke des offiziellen sowjetischen Trotzkismus-Historikers N. Vaseckij zur Verfügung. So blieb es ihm selbst überlassen, die Logik der "seltsamen" Forderungen Trockijs und seiner Anhänger zu suchen und selbständig zu Ende zu denken.

Währenddessen blühte die trotzkistische Historiographie im Ausland. Es genügt, den Namen des apologetischen Trockij-Biographen Isaac Deutscher zu nennen. Mit Sympathie für Trockij waren auch die Arbeiten von E. Carr geschrieben. Die liberale Historiographie, die am Mangel von Archivquellen litt, übernahm GlossarBucharins Sicht auf Trockij. Ihre Werke stilisierten ihn zum Vorgänger des stalinistischen Extremismus, wobei sie die politischen Auseinandersetzungen der 1920er Jahre weniger als einen "Prinzipienkampf" denn als "Technologie der Macht" und "Zusammenprall der Ambitionen" bewerteten. In dieser Tradition steht die Geschichtswissenschaft der Perestrojka ebenso wie die zeitgenössische liberale Geschichtswissenschaft und Publizistik. Ein klassisches Beispiel dafür bietet die Biographie Trockijs aus der Feder von D. Volkogonov. 1992 legte schließlich N. Vaseckij eine weitere Biographie Trockijs vor, die eine neue Deutung seines Lebens und seines politischen Werkes von liberal-kommunistischen Positionen aus enthielt. Obwohl er an den Grundideen seiner früheren, kritisch zugespitzten antitrotzkistischen Arbeiten weiterhin festhielt, versuchte der Veteran des Kampfes gegen den Trotzkismus seinen Helden im "Geiste der Zeit" als ein Produkt der Epoche und ihrer komplexen Bedingungen zu beschreiben. Eine protrotzkistische Position wird in der zeitgenössischen Geschichtswissenschaft von V. Rogovin vertreten. Dabei wurden die Ereignisse des Jahres 1927 bis in die jüngste Zeit hinein im Kontinuum der politischen Ereignisse der 1920er Jahre betrachtet und bildeten keinen Gegenstand von Einzelforschungen. In dem Maße, in dem die "Lagerstätten" der Archivmaterialien erschlossen werden konnten, verstärkte sich das Interesse der zeitgenössischen Autoren an der linken Opposition, für die Einzelheiten ihres Programms und ihrer Taktik sowie für die genauen Gründe des Zerfalls der Lenin-Schule.

Im Mai 1927 wurden die Befürchtungen der Führer der linken Opposition in der VKP(b) bestätigt, als in China die kommunistische Partei durch den Kuomintang zerschlagen wurde. Daraufhin verfaßten Trockij, GlossarZinov'ev und GlossarKamenev einen offenen Brief an das GlossarCK, der die Unterschriften von 83 alten Bolschewiki und 3000 weiteren Parteimitgliedern trug. Im Brief wurde die Mehrheit im GlossarPolitbüro und im CK für eine "rechte Politik" in der GlossarKomintern kritisiert, die zur Tragödie in China geführt habe, ebenso für einen Kurs der Zugeständnisse an die "kapitalistischen Elemente" unter den Bedingungen der GlossarNĖP sowie für die "Unterdrückung" von Kritik und von innerparteilicher Demokratie. Gleichzeitig startete die Opposition eine Agitationskampagne zur Unterstützung des Briefes. Die Mehrheit des CK definierte dieses Verhalten als Bildung einer Fraktionsplattform, was seit dem X. Parteitag der GlossarVKP(b) von 1921 verboten war.

Das Vereinigte Plenum des CK und des GlossarCKK VKP(b), das zwischen dem 29. Juli und 9. August 1927 tagte, sah sich dazu veranlaßt, die Führer der Opposition für ihren Verstoß gegen das Fraktionsverbot in der Partei zu bestrafen. Trockij und Zinov'ev wurden beschuldigt, die Deklaration der "83er-Fraktion" zu verbreiten, mit parteifeindlichen Reden aufzutreten, von einer "Entartung der Partei" zu sprechen und mit der Feststellung aufzuwarten, das Parteiregime sei gefährlicher als der Krieg. Als eine besondere Gefahr bewertete die führende Machtgruppierung den "Druck und die Verbreitung der Fraktionsliteratur nicht nur unter den Parteimitgliedern, sondern auch unter Parteilosen" und die "Organisation von Untergrundsgruppen der Fraktion". Trockijs Rede in der Sitzung wurde durch wiederholte Störungen unterbrochen. Ohne sich von den Schreien der CK-Mitglieder unterkriegen zu lassen, wandte er sich an Stalin und Bucharin mit der Unterstellung, sie betrieben eine Revision des Leninismus und errichteten im Lande eine Diktatur. Auf die Beschuldigung, die Opposition untergrabe mit ihrem Angriff auf die Führung die Verteidigungsfähigkeit des Landes, antwortete er mit dem Satz: "Die Partei muß die Kontrolle über alle ihre Organe sowohl zu Kriegs- als auch zu Friedenszeiten wahren."

Trockijs Argumente wurden kaum zu Kenntnis genommen. Da Trockij und Zinov'ev ihren Parteiausschluß für eine beschlossen Sache hielten, waren sie zur Sitzung am 6. August 1927 nicht mehr erschienen. Doch das Szenarium der Abrechnung wurde noch nicht bis zum Ende durchgespielt. GlossarOrdžonikidze, der von der Abwesenheit Trockijs und Zinov'evs nichts wußte, wandte sich rhetorisch an sie: "Sie sollen mir antworten..." Daraufhin meinte Kamenev, der im Sitzungssaal geblieben war: "Zinov'ev kann Ihnen nichts antworten, weil er und Trockij von Ihnen aus dem CK ausgeschlossen wurden." Die Anwesenden zeigten sich verwirrt. Man schickte nach den beiden, in Ungnade gefallenen Führern. Schließlich wurde gegenüber Trockij und Zinov'ev erklärt, daß ihnen noch eine letzte Chance gewährt werde.

Der sofortige Ausschluß Trockijs aus der Partei hätte zur Spaltung der VKP(b) und zur Entstehung einer zweiten, halblegalen, kommunistischen Partei führen können. Und das alles bei drohender Kriegsgefahr. In Anbetracht dessen faßte Stalin den Plan, auf Zeit zu spielen, die Führer der Opposition mit dem drohenden Ausschluß zu konfrontieren, jedoch kein Risiko einzugehen.

Beide Seiten einigten sich auf eine Kompromißlösung und verurteilten die Fraktionsbildung. Allerdings erkannte die Opposition lediglich "Elemente" der Fraktionsbildung in ihrer Tätigkeit an und betonte, sie seien eine Antwort auf die Willkür der Stalin-Fraktion gewesen. Sie erklärte sich außerdem damit einverstanden, daß die "Entartung der Partei" noch nicht Tatsache sei, sondern lediglich als Gefahr bestehe. Umgekehrt verlangte die Opposition die Eröffnung einer offiziellen Diskussion über ihre Plattform. Stalin gab die Empfehlung, diese Bedingungen seiner Widersacher anzunehmen.

Die Führer der Opposition hofften, mit einer Wende der Situation im Lande "nach links" würde es ihnen gelingen, die Mehrheit der Partei auf ihre Seite zu ziehen. In dem Maße, in dem die Unzufriedenheit mit dem politischen Kurs von Stalin und Bucharin zur Massenerscheinung werden würde, würde eine "Machtverschiebung" stattfinden. Ihre eigentlichen Hoffnungen setzen sie dabei auf den XV. Parteitag. Zwar sahen die Linken ein, daß Stalins Apparat eine Stimmenmehrheit für die Trotzkisten auf dem Parteitag verhindern werde; sie gaben jedoch ihre Pläne nicht auf, die Massen der Delegierten für sich zu gewinnen. Unmittelbar für den XV. Parteitag bereiteten sie das Projekt einer GlossarPlattform der Bolschewiki-Leninisten (Opposition) vor. Auf der Diskussionsseite der Glossar"Pravda" wurde sie jedoch nur in Auszügen und mit deutlich kritischen Kommentaren veröffentlicht. Da sie keine Möglichkeit hatten, auf die Politik der offiziellen Presse Einfluß zu nehmen, begannen die Linken, ihre Materialien selbständig zu vervielfältigen. Doch am 13. September 1927 wurde das trotzkistische Vervielfältigungszentrum zerschlagen. In der offiziellen Erklärung hieß es dabei, es sei eine trotzkistische Untergrunddruckerei entdeckt worden. Die Opposition kommentierte bissig: "In der Tat hat das GlossarGPU nur ein paar Schreibmaschinen, einen Glasplattenvervielfältungsapparat und einen Wachsmatrizenvervielfältiger beschlagnahmt, d.h. eine "Druckerei", wie sie jede Sowjetbehörde besitzt." Unabhängig davon, daß die Dokumente der Opposition ursprünglich mit dem Stempel "Nur für Mitglieder der VKP(b)" versehen wurden, agierten die Fraktionen wie zwei Parteien. In den Konflikt wurden Parteilose hineingezogen: auf der einen Seite das mit der NĖP unzufriedene parteilose Arbeiteraktiv, auf der anderen die parteilosen "Spezialisten". Zugleich überschritt der Konflikt die Grenzen der UdSSR – Trockij wurde von einer Gruppe ausländischer Kommunisten unterstützt.

Obwohl unter aktiven Anhängern der Opposition bereits Verhaftungen einsetzten, behielten die Führer der Trotzkisten weiterhin ihre CK-Mitgliedschaft. Trockij und Zinov'ev traten während der offiziellen Meetings mit Reden auf. Im Oktober 1927 gelang den beiden während einer Veranstaltung der Durchbruch zur Rednertribune. Als die versammelte Menschenmenge die in Ungnade gefallenen Revolutionsführer sah, stürzte sie sich auf sie und schrie die Namen "Trockij"und "Zinov'ev" – beide Politiker waren inzwischen mit einem Märtyrercharisma umgeben. 'Der Enthusiasmus', auf den unsere Genossen stießen, war ähnlich dem Enthusiasmus der Arbeiter in Leningrad 1917, als Lenin sich auf der Tribune zeige", erzählte ein Anhänger der Opposition, ein Zeuge dieser Ereignisse. Kolonnen von Vertretern verschiedener Betriebe schrieen Parolen wie: "Es leben die wahren Führer der Revolution!" Dies war kein Zufall, denn in den Leningrader Betrieben waren aktive Oppositionelle weiterhin stark, und gerade sie bereiteten die Arbeiter darauf vor, Trockij und Zinov'ev mit eigenen Augen zu sehen. Der Leiter der Leningrader Parteiorganisation GlossarKirov befand sich in einer peinlichen Lage; um sie auszugleichen, stellte er sich neben Trockij und Zinov'ev auf die Bühne, erkannte jedoch schnell, welche Konsequenzen diese "Blockbildung" für ihn hätte haben können, und zog sich zurück. In Moskau gelang es der Opposition, eine Massenversammlung (etwa 2 000 Personen) in der GlossarObersten Lehranstalt für Technikwesen zu organisieren. Während die Aktivisten der Opposition die Sicherheitskräfte der Anstaltdirektion zurückhielten, legten Trockij und Kamenev ihre Ansichten dar.

Die Demonstration in Leningrad war der letzte Tropfen, der den Kelch der Geduld zum Überlaufen brachte: Die Stalin-Bucharin-Fraktion zeigte zunehmend weniger Bereitschaft, die Situation, wie sie zu diesem Zeitpunkt bestand, zu tolerieren. Stalin sah ein, daß ein weiteres Hinauszögern des endgültigen Bruches ihm nur Minuspunkte bringen würde.

Zwischen 21. und 23. Oktober 1927 verhandelte das Vereinigte Plenum des CK und des CKK der VKP(b) erneut die Fälle Trockij und Zinov'ev. Diesmal ließ man die beiden nicht mehr reden; die Anwesenden warfen nach Trockij mit Gegenständen, die ihnen gerade unter die Hände kamen, mit Büchern oder mit Gläsern. Das Plenum verurteilte die Linie der Opposition und schloß Trockij und Zinov'ev am 23. Oktober aus dem CK aus. Noch am gleichen Tag gaben ihre Anhänger im CK und der CKK die Erklärung gab, dieser Schritt sei "ein unmittelbarer Versuch, den XV. Parteitag mit dem Akt der Spaltung zu konfrontieren." Sie schworen, zusammen mit den ausgeschlossenen Genossen die "Sache der Partei Lenins" weiterhin gegenüber den "Opportunisten, Schismatikern, Todgräbern der Revolution" zu vertreten.

Währenddessen wurden die Versammlungen der Opposition von Zehntausenden Menschen bеsucht. Im Zuge der Diskussion stimmten 4 120 Kommunisten öffentlich für die Opposition ab, was gar nicht so wenig ist, wenn man die Manipulationen bei den Abstimmungen und die bereits begonnenen GlossarSäuberungen der Staats- und Parteiinstitutionen von Oppositionellen mitberücksichtigt. Viele sympathisierten mit Trockij heimlich.

Anhänger der Opposition, von ihrem Erfolg bei den Arbeiterversammlungen und kommunistischen Meetings beflügelt, faßten den Beschluß, während der Kundgebung am 7. November 1927 organisiert aufzutreten. Dies wurde zum Anlaß für die endgültige Zerschlagung der Opposition sowie für die Verhaftung und Verbannung ihrer Mitglieder genommen; sie folgte im November und Dezember 1927. Gleichzeitig damit wurde die Gruppe der Glossardemokratischen Zentralisten, die sogenannten GlossarSapronovcy, zerschlagen, deren Forderungen sich durch eine noch größere Radikalität als die der Trotzkisten auszeichneten. In Anbetracht der einsetzenden Repressionen wagten es die Parteimitglieder (sogar diejenigen unter ihnen, die mit den Parolen der linken Opposition sympathisierten) nicht, die Linken gegen die bürokratische Führung zu unterstützen. Als die NĖP in die Krise geriet und neue politische Lösungen für wirtschaftliche Probleme notwendig wurden, griff die Siegerfraktion auf einige Ideen der besiegten linken Opposition zurück.

Aleksandr Šubin

(Übersetzung aus dem Russ. von L. Antipow)