Ėlem Klimov, "Abschied von Matëra", Mosfil'm 1979/83

Zusammenfassung

In den 1970er Jahren stellte sich die UdSSR nach außen als eine monolithische Großmacht dar. Die Entwicklung im Inneren stand jedoch unter dem Vorzeichen von Wirtschaftsstagnation, allmählichem Werteverfall des Weltdeutungsmonopols und des Identitätsangebots der offiziellen ideologie, der Pluralisierung der Gesellschaft sowie der Entstehung einer kritischen Öffentlichkeit. Ein Dokument der am bürokratischen Adiministrativ- und Kommanodsystem, an der Wirtschafts- und Umweltpolitik des Staates und der Moral des "Sowjetmenschen" ausgerichteten umfassenden Kritik der Intelligencija ist Ėlem Klimovs Film "Abschied von Matёra" (1979/83). Aus der Sicht einer russischen Bäuerin beschrieben, wurde Matёra, eine Insel an der östlichen Peripherie der Sowjetunion, zum Symbol für das archaische, authentische, organische, durch heidnische Natur- und Bodenmystik und orthodoxes Christentum geprägte Rußland und zugleich zum Vergleichspunkt für Klimovs subversive Bestandsaufnahme über das Sowjetsystem der Gegenwart. Es erscheint im Film als Gegenwelt und Zerstörer von Matёra, als ein fortschrittsorientiertes, rational-technokratisches Gebilde, das die Verantwortung für die Wirtschafts- und Uwmeltkatastrophen, den Zerfall der Gemeinschaft und Gemeinschaftsethik, den Aufstieg des egozentrischen Individuums und dessen geographische und kulturelle Entwurzelung trug. Auf diese Weise zeigte der Film die tiefliegenden Defizite des Sowjetsystems, sein destruktives Potential sowie seine Grenzen als Ordnungs- und Erziehungsmacht. Klimov verband damit implizit die Forderung nach der Berücksichtigung des "Faktors Mensch" in der Wirtschafts-, Gesellschafts- und Umweltpolitik, nach einer Orientierung an sozialen und humanen Interessen. Allerdings stellte auch das traditionelle Rußland für den Regisseur keine Alternative zur Gegenwart dar. Das Finale des Films blieb "offen", seine Antwort auf die Frage nach den Perspektiven für die Entwicklung des Sowjetsystems ebenso.