Brief des Volkskommissars für Auswärtige Angelegenheiten der UdSSR M. Litvinov an den Generalsekretär des CK der VKP (b) I.V. Stalin, 15. April 1939

An den Generalsekretär des CK der VKP (b) I.V. Stalin

15. April 1939. Geheim

Wir haben den Vorschlag der englischen Regierung über unsere einseitige Erklärung und den konkreteren französischen Vorschlag über die Ausdehnung des Glossarsowjetisch-französischen Paktes über gegenseitigen Beistand. Es ist möglich, daß England, ohne die Initiative zu einem Pakt mit uns ergreifen zu wollen, durch die französische Regierung unsere Haltung sondieren will. In jedem Fall verdeutlichen England und Frankreich durch die Vorlage dieser Fragen und Vorschläge trotz allem ihre Positionen und Wünsche. Wenn wir von ihnen irgend etwas erreichen wollen, müssen wir auch ein wenig unsere Vorstellungen enthüllen. Wir können nicht abwarten, bis die andere Seite uns genau das vorschlägt, was wir wollen. Es ist schließlich unabdingbar, für unsere eigenen Ziele Propaganda zu machen, sie gegenüber der Öffentlichkeit zu erläutern. Wenn wir überhaupt mit England und Frankreich zusammenarbeiten wollen, so halte ich folgende Punkte für unsere Minimalziele:

  • 1. Eine gegenseitige Beistandsverpflichtung zwischen England, Frankreich und der Sowjetunion im Falle der Aggression gegen einen dieser Staaten als Resultat des Beistands, den einer dieser Staaten irgendeinem europäischen Nachbarn der UdSSR leistet (vom englischen Vorschlag unterscheidet sich dieser Punkt durch die Ersetzung der einseitigen Erklärung durch einen bilateralen Pakt, vom französischen durch die Einbeziehung des Baltikums und Finnlands zur Reihe der möglichen Opfer der Aggression).
  • 2. England, Frankreich und die UdSSR verpflichten sich gegenseitig, den europäischen Nachbarn der UdSSR beizustehen.
  • 3. Die Vertreter der drei Staaten beginnen sofort mit der Beratung und Vereinbarung von Mitteln und Formen des Beistands.
  • 4. Die UdSSR, England und Frankreich verpflichten sich, keine Beschlüsse zu fassen oder Verträge mit anderen Staaten in Fragen einzugehen, die den Osten Europas betreffen, ohne [vorher] allgemeine Übereinstimmung der drei Staaten herbeigeführt zu haben. Desgleichen verpflichten sie sich, keinen Separatfrieden mit den Aggressoren abzuschließen.

Offenkundig stehen sofortige und schwierige Verhandlungen sowohl mit Frankreich als auch insbesondere mit England bevor. Ich würde deshalb vorschlagen, noch einmal zu beraten, ob es nicht Sinn machen würde, den Genossen GlossarMajskij derzeit in London zu belassen.

Ich halte es für sehr gefährlich und schädlich für uns, die Verhandlungen über diplomatische Vertreter anderer Staaten zu führen. Sie führen gewöhnlich über die Gespräche nicht unmittelbar Protokoll, und wir haben keine Möglichkeit, die Genauigkeit ihrer Berichte zu überprüfen, die sie ihren Regierungen über unsere Vorschläge und die Besonderheiten unserer Motive erstatten. Schließlich ist es unbedingt erforderlich, die öffentliche Meinung Englands zu verfolgen und auf sie einzuwirken. Mit der Abreise von Genosse Majskij hört unsere Vertretung faktisch auf, als diplomatische Vertretung zu funktionieren, weil sich dort kein einziger Mensch befindet, dem man ernsthafte diplomatische Verhandlungen anvertrauen könnte oder den die Engländer respektieren würden.

GlossarLitvinov

Übersetzung von D. O’Sullivan.