Beschluß des Rates der Volkskommissare der UdSSR Nr. 1798-800s zur Bestätigung des Erlasses über die Kriegsgefangenen, 1. Juli 1941

Beschluß Nr. 1798-800s des Rates der Volkskommissare der UdSSR

[Geheim]

1. Juli 1941

Moskau, Kreml

Über die Bestätigung des Erlasses über die Kriegsgefangenen

Der GlossarRat der Volkskommissare der UdSSR beschließt:

1. Der beiliegende Erlaß ist zu bestätigen.

2. Der Erlaß über die Kriegsgefangenen, der durch den Beschluß des GlossarCIK und des Rates der Volkskommissare der UdSSR vom 19 1931 Nr. 46 bestätigt wurde, ist außer Kraft zu setzen.

Vorsitzender des Rates der Volkskommissare der UdSSR (GlossarI. Stalin)

Leiter der Verwaltung des Rates der Volkskommissare der UdSSR GlossarJa. Čadaev

I. Stalin [...]

Anlage zum Beschluß des SNK der UdSSR Nr. 1798-800s vom 1. Juli 1941

Erlaß über Kriegsgefangene.

I. Allgemeines.

1. Als Kriegsgefangene gelten:

a) Personen, die den Streitkräften von Staaten angehören, welche sich im Kriegszustand mit der UdSSR befinden, und die bei Kriegshandlungen aufgegriffen wurden, sowie Bürger solcher Staaten, die auf dem Gebiet der UdSSR interniert wurden.

b) Personen, die bewaffneten Verbänden angehören, welche nicht zu den Streitkräften des Feindes gehören, wenn sie offen Waffen tragen.

c) Zivilpersonen, welche auf entsprechenden Befehl die Armee des Feindes begleiten, wie Berichterstatter, Lieferanten und andere Personen, die bei Kriegshandlungen aufgegriffen werden.

2. Es ist verboten:

a) Die Kriegsgefangenen zu beleidigen und sie brutal zu behandeln.

b) Den Kriegsgefangenen gegenüber Nötigungen und Drohungen anzuwenden, um von ihnen Nachrichten über die Lage ihres Landes in militärischer und anderer Hinsicht zu erlangen.

c) Den Kriegsgefangenen Uniformteile, Wäsche, Schuhwerk und andere Gegenstände des persönlichen Gebrauches sowie persönliche Dokumente und Ehrenzeichen abzunehmen. Privatsachen und Geld können den Kriegsgefangenen zur Aufbewahrung gegen offizielle Quittung von dafür bevollmächtigten Personen abgenommen werden.

3. Instruktionen und Regel, die der GlossarNKVD der UdSSR zur Ausführung dieses Erlasses verabschiedet, sind an Stellen anzuschlagen, wo sie von allen Kriegsgefangenen gelesen werden können. Diese Instruktionen und Regeln sowie Befehle und Anweisungen, die Kriegsgefangene betreffen, werden in Russisch und anderen ihnen [den Kriegsgefangenen] bekannten Sprachen verkündet.

II. Evakuierung der Kriegsgefangenen.

4. Die Kriegsgefangenen sind umgehend in Kriegsgefangenenlager zu überführen.

5. Die Kriegsgefangenen sind bei der Gefangennahme im Auftrag der Führung der Truppeneinheit bzw. des Truppenverbandes zu registrieren.

Dabei ist jeder Kriegsgefangene verpflichtet, seinen tatsächlichen Familien-, Vor- und Vatersnamen, sein Alter, den Ort der Gefangennahme und seine Matrikelnummer anzugeben. Diese Angaben werden gleichzeitig mit dem Kriegsgefangenen an die Orte seiner Verlegung weitergeleitet.

6. Verwundete und kranke Kriegsgefangene, die ärztliche Hilfe oder Krankenhausbehandlung brauchen, müssen durch die Führer der Truppeneinheiten sofort dem nächsten Lazarett zugeführt werden.

Nach ihrer Wiederherstellung werden diese Kriegsgefangenen von der Lazarettleitung an Kriegsgefangenenlager übergeben.

7. Der Unterhalt für die Kriegsgefangenen (Ernährung, ärztliche und sanitäre sowie andere Betreuung) erfolgt

a) bis zur Einlieferung in die Empfangsstellen der Kriegsgefangenenlager – durch Verfügung der Armeeführung;

b) im weiteren – durch Verfügung der Organe des NKVD der UdSSR.

III. Betreuung der Kriegsgefangenen und ihre Rechtsstellung.

8. Die Empfangsstellen der Kriegsgefangenenlager werden auf Anordnung der Armeeführung im Hinterland der Armee eingerichtet, während die Kriegsgefangenenlager außerhalb des Gebietes der Kriegshandlungen durch Anordnung des NKVD im Benehmen mit dem GlossarVolkskommissariat für Verteidigung errichtet werden.

9. Wohnraum, Wäsche, Kleidung, Schuhwerk, Lebensmittel und andere Bedarfsartikel sowie Geldmittel werden den Kriegsgefangenen nach den Richtlinien zur Verfügung gestellt, welche von der GlossarVerwaltung für Angelegenheiten der Kriegsgefangenen und Internierten beim NKVD der UdSSR ausgearbeitet wurden.

Listen der Versorgungsgegenstände und Lebensmittel mit Angabe der zustehenden Mengen sind an sichtbarer Stelle in allen Baracken, Lazaretten und anderen Räumen, wo sich Kriegsgefangenen aufhalten, auszuhängen.

Der Empfang von Lebensmitteln und anderen Hilfen von dritter Seite soll nicht zur Verringerung der Rationen führen, welche den Kriegsgefangenen auf Kosten des Staates verabfolgt werden.

10. Kriegsgefangene Offiziere und Personen, die ihnen gleichgestellt sind, werden getrennt von anderen Kriegsgefangenen untergebracht und mit Wohnraum, Kleidung, Schuhwerk, Lebensmitteln und anderen Bedarfsartikeln sowie Geldmitteln nach den geltenden Normen versehen.

11. Es ist den Kriegsgefangenen gestattet, ihre Uniform, ihre Dienstgradabzeichen und Ehrenzeichen zu tragen. Das Tragen und die Aufbewahrung von Waffen sind verboten.

12. In gesundheitlicher Hinsicht werden die Kriegsgefangenen auf derselben Grundlage betreut wie die Angehörigen der GlossarRoten Armee.

Für die sanitäre und medizinische Betreuung der Kriegsgefangenen können neben dem etatmäßigen Lagerpersonal auch Personen des medizinischen Personals der feindlichen Streitkräfte aus den Reihen der Kriegsgefangenen zugelassen werden.

13. Den Kriegsgefangen wird das Recht eingeräumt

a) bei erster Gelegenheit nach der Heimat Nachricht über die Gefangennahme zu geben,

b) auf eigene Kosten Lebensmitteln, Kleidung, Wäsche, Schuhwerk und andere persönliche Bedarfsartikel anzuschaffen,

c) frei von Zoll, Lizenzen und Abgaben aus der Heimat und aus neutralen Ländern Sendungen mit Lebensmitteln, Kleidung und anderen Bedarfsartikeln zu erhalten,

d) aus der Heimat und aus neutralen Ländern Geldsendungen zu erhalten.

14. Zur Aufrechterhaltung der inneren Ordnung und der Verständigung mit den Kriegsgefangenen werden von der Lagerverwaltung aus den Reihen der Kriegsgefangenen Bevollmächtigte oder Stuben-, Gruppen-, Barackenälteste usw. (je nach den Unterbringungsverhältnissen) ernannt, welche auch den Verkehr der Kriegsgefangenen mit der Verwaltung in allen Fragen bewerkstelligen.

15. Die Post (Briefe und Postkarten, Geldüberweisungen, Wertbriefe), die die Kriegsgefangenen empfangen und abschicken, wird kostenlos nach der Art und Weise befördert, die die Verwaltung für Angelegenheiten der Kriegsgefangenen und Internierten des NKVD der UdSSR festlegt.

16. Geld in fremder Währung, das den Kriegsgefangen gesandt wird, ist in Sowjetwährung nach dem geltenden Kurs einzutauschen. Die Kriegsgefangenen dürfen bei sich Geld haben bis zu Beträgen, die von der Verwaltung für Angelegenheiten der Kriegsgefangenen und Internierten des NKVD der UdSSR festgelegt sind. Darüber hinaus gehende Beträge sind von der Lagerverwaltung zur Aufbewahrung den Staatlichen Sparkassen zu übergeben. Die Auszahlung von Geld über den Normalbetrag erfolgt mit Genehmigung der Lagerverwaltung.

17. Kriegsgefangene dürfen Testamente aufstellen. Der Todeseintritt und die Lage der Grabstelle müssen ordnungsgemäß offiziell bescheinigt werden.

18. Geld und Dokumente gestorbener Kriegsgefangener werden zwecks Übersendung an die Erben an die Zentrale Auskunftsstelle beim Exekutivausschuß des Verbandes der Gesellschaften vom Roten Kreuz und vom Roten Halbmond geschickt.

Lebensmittelsendungen, die für gestorbene Kriegsgefangene eintreffen, werden durch Vermittlung der Bevollmächtigten oder Ältesten unter den Kriegsgefangenen verteilt.

19. Die Kriegsgefangenen sind verpflichtet, der Lagerverwaltung zu gehorchen und sich allen Regelungen dieses Erlasses und den Anordnungen über die innere Ordnung zu fügen, die von der Verwaltung für Angelegenheiten der Kriegsgefangenen und Internierten beim NKVD der UdSSR herausgegeben werden.

IV. Arbeitsordnung für Kriegsgefangene.

20. Kriegsgefangene Unteroffiziere und Mannschaften können aufgrund besonderer Regelungen, die von der Verwaltung für Angelegenheiten der Kriegsgefangenen und Internierten beim NKVD der UdSSR ausgearbeitet wurden, im Lager und außerhalb desselben in der Industrie und der Landwirtschaft der UdSSR zu Arbeiten herangezogen werden.

Offiziere und ihnen gleichgestellte Kriegsgefangene können nur mit ihrer Einwilligung zur Arbeit herangezogen werden.

21. Auf Kriegsgefangene, die zur Arbeit herangezogen werden, werden Anordnungen über Arbeitsschutz und Arbeitszeit angewendet, welche für Bürger der UdSSR in der entsprechenden Gegend und dem gleichen Wirtschaftszweig gelten.

22. Kriegsgefangene, die in verschiedenen Zweigen der Volkswirtschaft beschäftigt werden, erhalten Lohn nach Maßgabe besonderer Anordnungen der Verwaltung für Angelegenheiten der Kriegsgefangenen und Internierten beim NKVD der UdSSR.

Vom Lohn der Kriegsgefangenen werden Beträge für die Erstattung der Aufwendung für ihren Unterhalt (Bezahlung des Wohnraumes, kommunale Dienste, Ernährung, sofern Gemeinschaftsküchen eingerichtet sind) abgezogen.

23. Die Zuweisung von Wohnraum und die Gewährleistung von kommunalen Diensten erfolgt auf Rechnung der Betriebe und Organisationen, bei denen die Kriegsgefangenen beschäftigt werden.

24. Vom Zeitpunkt ihres Arbeitsantritts werden die Kriegsgefangenen von allen Arten staatlicher Versorgung abgesetzt.

25. Die Arbeitseinsatz der Kriegsgefangenen ist verboten

a) im Gebiet der Kampfhandlungen,

b) für persönliche Bedürfnisse der Betriebsverwaltung sowie für persönliche Bedürfnisse anderer Kriegsgefangener (Burschendienste).

V. Strafrechtliche und disziplinäre Verantwortung von Kriegsgefangenen.

26. Verbrechen der Kriegsgefangenen werden von den GlossarKriegstribunalen nach den Gesetzen der UdSSR und deren Unionsrepubliken behandelt.

Die Nichtausführung von Befehlen der ihm vorgesetzten Personen durch den Kriegsgefangenen, Widerstand gegen solche Personen und Beleidigung derselben bei der Ausübung ihrer Dienstpflichten werden den entsprechenden Verbrechen in der Roten Armee gleichgestellt.

27. Für Vergehen, die nicht unter das allgemeine Strafrecht fallen, werden die Kriegsgefangenen disziplinär bestraft. Die Arten solcher Strafen, ihre Verhängung, die Beschwerdeordnung sowie die Verbüßung werden von der Verwaltung für Angelegenheiten der Kriegsgefangenen und Internierten beim NKVD der UdSSR in Anlehnung an die Disziplinarordnung der Roten Armee festgelegt.

28. Kriegsgefangene, gegen die ein Untersuchungsverfahren läuft, die zu irgend einer Strafe gerichtlich verurteilt oder die mit einer Disziplinarstrafe belegt wurden, dürfen für dasselbe Vergehen keine weiteren Einschränkungen erleiden, die über diejenigen hinausgehen, die durch das Untersuchungs- oder Gerichtsverfahren, das gegen sie läuft, die Verbüßung der ihnen auferlegten Disziplinarstrafen oder der durch das Gericht verfügten Strafen bedingt sind.

29. Von jeder Verurteilung wird der Exekutivausschuß des Verbandes der Gesellschaften vom Roten Kreuz und vom Roten Halbmond innerhalb von 20 Tagen nach dem Tag der Urteilsverkündigung verständigt. Eine Abschrift des Urteils ist beizufügen.

Ein Todesurteil gegen einen Kriegsgefangenen muß sofort nach seiner Verkündigung dem Exekutivausschuß des Verbandes der Gesellschaften vom Roten Kreuz und Roten Halbmond mitgeteilt werden und darf erst ein Monat nach dieser Mitteilung vollstreckt werden.

VI. Über Auskünfte und Hilfe an Kriegsgefangene.

30. Der Austausch der Kriegsgefangenenlisten und der Verkehr in Kriegsgefangenenangelegenheiten mit ausländischen und internationalen Organisationen und Auskunftsstellen wird vom Exekutivausschuß des Verbandes der Gesellschafen vom Roten Kreuz und Roten Halbmond durchgeführt.

Zu diesem Zweck wird beim Exekutivausschuß des Verbandes der Gesellschaften vom Roten Kreuz und Roten Halbmond eine Zentrale Auskunftsstelle für Kriegsgefangene eingerichtet, die nach Richtlinien zu arbeiten hat, welche vom Exekutivausschuß mit Einverständnis des NKVD der UdSSR und des GlossarVolkskommissariats für Auswärtige Angelegenheiten bestätigt werden.

31. Vertreter ausländischer und internationaler Organisationen des Roten Kreuzes sowie anderer Einrichtungen werden mit besonderer Genehmigung des Volkskommissariats für Auswärtige Angelgelegenheiten zwecks Hilfeleistung an Kriegsgefangene in das Gebiet der UdSSR zugelassen.

Rev. Übersetzung hier nach: Ueberschär, G.R., "Dokumente zum "Unternehmen Barbarossa" als Vernichtungskrieg im Osten", in: Ueberschär, G.R., Wette, W. (Hg.), "Unternehmen Barbarossa". Der deutsche Überfall auf die Sowjetunion 1941, Paderborn 1984, S. 357-359.