Beschluß des Politbüros des CK der KPSS "Zur Lage in der Tschechoslowakei" [Beendigung des "Prager Frühlings"], 17. August 1968.

Einleitung

Ausgangspunkt der tschechoslowakischen Reformen war das Januarplenum der KSČ im Januar 1968, wo der langjährige KP-Chef, Antonín Novotný, durch den Slowaken Alexander Dubček ersetzt worden war. Der Machtwechsel in Prag war dabei Folge einer kumulativen Entwicklung: War die ČSSR in den 1950er Jahren in wirtschaftlicher Hinsicht noch verhältnismäßig erfolgreich gewesen, zeichneten sich die 1960er Jahre v.a. durch Stagnation aus. Der allgegenwärtige Mangel stand dabei im krassen Gegensatz zu den Versprechungen der sozialistischen Wirtschaftsplanung und schürte die Unzufriedenheit der Öffentlichkeit aber auch innerhalb der Partei. Dies ging einher mit der Emanzipation von Teilen der tschechoslowakischen Gesellschaft gegenüber der politischen Macht. Ausgehend von Entstalinisierungspolitik Nikita Chruščevs erhoben sich in den 1960er Jahren Stimmen, die nicht alleine die materiellen Unzulänglichkeiten thematisierten, sondern insgesamt den Zustand des Landes offen hinterfragten. Ausdruck dessen war etwa der IV. tschechoslowakische Schriftstellerkongress im Sommer 1967. Selbst hohe Parteiführer begannen die Führung Novotnýs zu kritisieren, da er den dringenden Reformbedarf des Landes nicht erkennen wollte oder konnte. Besonders gespannt war das Verhältnis der slowakischen Funktionäre zum KP-Chef, der für seine Arroganz gegenüber dem kleineren Landesteil bekannt war. Der daraus resultierende innerparteiliche Machtkampf mündete Ende 1967 zunächst in eine Pattsituation. Erst nach langwierigen Verhandlungen wurde eine Einigung erzielt und im Januar 1968 wurde Dubček, mit Unterstützung Brežnevs, zum Ersten Sekretär der KSČ gewählt.

Das Januarplenum markierte den eigentlichen Beginn des "Prager Frühlings", da sich jetzt der reformorientierte Flügel gegenüber den konservativen Kräften in der Partei durchzusetzen begann. Den tiefgreifenden Kurswechsel den dies bedeutete, spiegelte sich u.a. im Aktionsprogramm der KSČ vom April 1968 wider. Ein zentrales Reformvorhaben war die Umgestaltung der Wirtschaftsordnung: Die sozialistische Rahmenplanung sollte zwar weiterhin die langfristigen Ziele vorgeben, allerdings war geplant marktwirtschaftliche Elemente in diese zu integrieren. Mittelfristig sollte so eine "sozialistische Marktwirtschaft" etabliert werden. Weiterhin wurde die Demokratisierung von Staat, Gesellschaft und Partei angestrebt; und obwohl die führende Rolle der KSČ gewahrt werden sollte, war vorgesehen ihre umfassende gesellschaftliche Lenkfunktion einzuschränken – u.a. durch eine größere Eigenständigkeit der Regierung, die sich dann gegenüber dem Parlament zu verantworten hätte. Unabhängig von der politischen Macht sollten auch die Gerichte die Bürger gegenüber den Eingriffen des Staates schützen; gleichzeitig wurde mit der Rehabilitierung von politisch Verfolgten begonnen. Partikularinteressen wollte man durch die Selbstständigkeit von Gewerkschaften und Interessenverbänden garantieren, deren Betätigung nur durch die Verfassung begrenzt werden sollte. em entsprach die Absicht die Rechte der Kirche und nationaler Minderheiten zu schützen. Zentrale Bedeutung hatte die Föderalisierung der ČSSR, mit der den nationalen Ansprüchen der Slowaken, die seit langem die gefühlte und tatsächliche Dominanz Prags beklagten, Rechnung getragen werden sollte. Außenpolitisch betonten die Prager Reformer (nicht zuletzt mit Blick auf Ungarn 1956) die Bündnisstreue zur Sowjetunion, forderten aber gleichzeitig Parität im östlichen Bündnissystem.

Kaum eines der genannten Vorhaben konnte bis zum August 1968 tatsächlich realisiert werden. Als eine der wenigen Ausnahme war allerdings die Aufhebung der Zensur von größter Bedeutung. (Formal erst im Juni aufgehoben, war diese bereits ab März 1968 bedeutungslos.) Die bisher totale Kontrolle der tschechoslowakischen Massenkommunikationsmittel wandte sich ins Gegenteil und weder die KSČ noch die Parteien der Bruderländer waren länger tabu. Die freien Medien wurden zum Artikulations- und Informationsorgan einer neuen Öffentlichkeit, der gegenüber sich die politische Macht nun verantworten musste und die auch auf die Überschreitung der im Reformprogramm der KSČ vorgegebenen Grenzen drängte. Eine spezifische Interaktion zwischen mediengestützter Öffentlichkeit auf der einen und der Machtsphäre auf der anderen Seite war kennzeichnend für das Jahr 1968, wobei die Eigendynamik dieses Prozess den Ausgang des tschechoslowakischen Experimentsunberechenbar machte - auch für die Reformer selbst. (Pauer) Die neue Öffentlichkeit fand ihren Ausdruck auch in der Gründung von politischen Klubs (Klub 231, KAN). Insbesondere aber die Pläne zur Restituierung der tschechoslowakischen Sozialdemokratie provozierten die östlichen Alliierten. Größter Reizfaktor blieben allerdings die "antisozialistischen Beiträge" in den freien Medien. Höhepunkt war zweifelsohne das "Manifest der 2000 Worte", das unterzeichnet von Intellektuellen und Prominenten verschiedener Couleur im Juni 1968 veröffentlicht wurde. Darin wurde nicht nur mit den "Irrtümer[n] des Sozialismus" abgerechnet, sondern es war vor allem die Forderung, dass die weitere Demokratisierung der Tschechoslowakei außerhalb der KSČ gesichert werden müsse, die in Moskau die Alarmglocken schrillen lies. Obwohl sich Führung der KSČ von dem Dokument distanzierte, bedeutete es den Wendepunkt im "Prager Frühling": Für Moskau und seine Alliierten bedeutete das Manifest den offenen Aufruf zur "Konterrevolution" und war Beleg dafür, dass die Genossen in Prag jegliche Kontrolle verloren hatten.

Neben der besorgniserregenden Entwicklung im Inneren der ČSSR gab es noch andere Faktoren, die den Entscheidungsfindungsprozess der östlichen Alliierten beeinflussten und mitentscheidend für die Besetzung des Landes waren. Zentral war die Sorge vor dem Übergreifen der tschechoslowakischen Reformbewegung auf andere Gebiete des sowjetischen Machtbereiches. Früh formulierte dies etwa Petro Šelest, der als Mitglied des Politbüros der KPSS und Führer der ukrainischen KP vor der Ausbreitung der "tschechoslowakische Infektion" in seiner Sowjetrepublik warnte.

Dagegen war die strikte Forderung des sowjetischen Verteidigungsministers, Andrej Grečko, in der ČSSR "Ordnung zu schaffen" von der Angst getragen, die Prager Reformen würden den Warschauer Pakt empfindlich schwächen - schlimmstenfalls sei das Überlaufen der tschechoslowakischen Volksarmee in das Lager der NATO zu befürchten. Der militärische Faktor war auch deshalb höchst problematisch, weil - im Gegensatz zu anderen Bruderstaaten - auf dem Territorium der Tschechoslowakei keine sowjetischen Truppenverbände stationiert waren. Entsprechende Anfragen hatten bereits Novotný und sein Vorgänger, Klement Gottwald, abgelehnt. Erst die Besetzung des Landes ermöglichte es, diese Lücke in der Paktverteidigung zu schließen; die Niederschlagung des "Prager Frühlings" alleine damit zu begründen, würde den Sachverhalt allerdings kaum treffen.

Eine Rolle spielte offenbar auch die Haltung des KGBs, der als eine der wichtigsten Informationsquellen, erheblichen Einfluss auf die Wahrnehmung der politischen Führung hatte. So sollen Mitarbeiter des Geheimdienstes gezielt Informationen nach Moskau weitergeleitet haben, welche die Verhältnisse in der ČSSR aufs dramatischste schilderten, dagegen wurden ausgewogene Berichte bewusst zurück gehalten. Nach gegenwärtigem Forschungstand ist auch davon auszugehen, dass die Position der sowjetischen Alliierten größeren Einfluss auf die Entscheidung zur Invasion hatte, als bislang angenommen. Insbesondere Ost-Berlin und Warschau favorisierten früh einen radikalen Kurs gegenüber der ČSSR und drängten Brežnev zur Anwendung "äußerster Maßnahmen".

Dagegen zeichnete sich die anfängliche Haltung des bulgarischen Führers, Todor Živkov, durch vorsichtiges taktieren aus. Am zurückhaltensten waren die Rückmeldungen aus Ungarn. In Moskau war zunächst die Rede davon, dass die Situation in der ČSSR zwar schwierig aber ruhig sei. Man beabsichtige "der [neuen] tschechoslowakische Führung soweit wie möglich zu helfen" (nach Karner) und unterstütze grundsätzlich deren Reformkurs. Allerdings begann die weitere tschechoslowakische Entwicklung auch die sowjetische Führung zu irritieren. In einem Bericht vom 15. März hieß es etwa, dass ohne Gegenmaßnahmen der Tschechoslowakei die Einführung des Kapitalismus drohe. Der Westen wolle das Land ins Lager der NATO ziehen, um so den Warschauer Pakt zu spalten. Vor diesem Hintergrund wurde am 23. März ein Treffen in Dresden einberufen, wo die tschechoslowakische Führung ihre Politik gegenüber den östlichen Alliierten rechtfertigen musste ("Dresdner-Tribunal"). Dubček wurde u.a. vorgeworfen, dass der ČSSR die Konterrevolution drohe und aufgefordert die Reformen einzustellen, um das Machtmonopol der KSČ nicht zu gefährden.

Obwohl man von sowjetischer Seite offensichtlich auf eine politische Lösung setzte, tauchte bereits im Vorfeld von Dresden auch der Gedanke einer militärischen Option auf. In diesem Zusammenhang ist zu betonen, dass im Politbüro die Positionen bezüglich der "tschechoslowakischen Problematik" durchaus auseinandergingen. Zu denjenigen, die einen kompromisslosen Kurs favorisierten, zählten z.B. die genannten Šelest und Grečko sowie der Chefideologe Michail Suslov. Andere Führungspersonen waren dagegen nicht ganz so kategorisch; wie im Fall des sowjetische Premier Alexej Kosygin ist die Haltung einzelner Akteure aber auch umstritten. (vgl. Prozumenščikov) In einer heiklen Lage war Brežnev: Auf der einen Seite hatte er den Aufstieg Dubčeks befördert und fühlte sich ihm gegenüber verpflichtet. Auf der anderen Seite durfte die Politik seines Protegé die "Errungenschaften des Sozialismus" in der ČSSR keinesfalls in Frage stellen. Der Kreml-Führer setzte daher lange auf ein Einlenken Prags - eine militärische Lösung lehnte indes auch er nicht ab. (vgl. Karner)

Entgegen der Zusicherung Dubčeks in Dresden blieb die von Moskau geforderte Wende allerdings aus. In sowjetischen Dokumenten wurde die Führung der ČSSR zunehmend in Gruppen eingeteilt: "die Rechten" (der Reformflügel der KSČ), die "gesunden Kräfte" (diejenigen, die für eine Politik im Sinne Moskaus standen) und die "Schwankenden". Mit Sorge konstatierte das sowjetische Politbüro dabei den Einflussverlust der "gesunden Kräfte" und Dubček wurde bezeichnenderweise immer häufiger den "Schwankenden" zugerechnet. Nächster Baustein im Entscheidungsfindungsprozess war das Treffen der fünf Alliierten, das unter Ausschluss der ČSSR Anfang Mai in Moskau abgehalten wurde. Auf der Beratung forderten Ulbricht und Gomułka mit Nachdruck die Ergreifung von "äußersten Maßnahmen". Die bulgarische Führung, die nach Dresden die ostdeutsch-polnische Position übernommen hatte, schloss sich der Forderung an. Lediglich der Ungar Kádár zögerte und wurde von Gomułka für die Ansicht angegriffen, dass es in der Tschechoslowakei keine "Konterrevolution" gäbe. Die sowjetische Seite war in einer heiklen Situation: Auf der einen Seite standen die beunruhigende Entwicklung in der Tschechoslowakei und das Drängen der Alliierten. Auf der anderen Seite konnte auch die geforderte militärische Option nur eine Lösung minderer Güte sein, welche letztlich die Überlegenheit des Sowjetsozialismus diskreditieren und einen massiven Imageverlust verursachen würde.

Im Anschluss an die Moskauer-Konferenz setzte die sowjetische Führung daher weiter auf eine politische Lösung. Allerdings wurde beschlossen auf dem Territorium der ČSSR eine großangelegte Übung des Warschauer Paktes abzuhalten, um so den Ernst der Lage nochmals zu unterstreichen. Ob das Manöver "Böhmerwald", das schließlich Mitte Juni durchgeführt wurde, schon die "praktische Einübung" der späteren Invasion war, ist aber umstritten. Anfang des Sommers wurde die Tschechoslowakei das dominierende Thema im Politbüro der KPSS. Trotz der unbefriedigenden Entwicklung war der Ton der Beratungen noch gemäßigt. Mit dem "Manifest der 2000" Worte erschöpfte sich allerdings auch die Geduld Moskaus und spätestens ab diesem Zeitpunkt favorisierte die sowjetische Führung mehrheitlich eine militärische Lösung. Die Weichen dafür wurden Anfang Juli in Warschau gestellt. Die Führung der ČSSR, die ebenfalls zu dem Treffen (vor-)geladen war, verzichtete, wohlwissend was sie erwarten würde, auf die Teilnahme. In der polnischen Hauptstadt vertraten nahezu alle Beteiligten einen kompromisslosen Kurs, nur Brežnev drängte darauf erst alle politischen Mittel auszuschöpfen. Schließlich wurde ein Schreiben verfasst, in dem die KSČ ultimativ zu Kurskorrekturen aufgefordert wurde. Dennoch erteilte die sowjetische Führung – nur wenige Tage nach Warschau – auch die Anweisung, den Einmarsch in die ČSSR vorzubereiten.

Zuvor sollte allerdings ein letztes Mal versucht werden, die Prager Genossen zum Einlenken zu bewegen und Ende Juli fanden im slowakischen Čierna nad Tisou bilaterale Verhandlungen mit der tschechoslowakischen Führung statt. Die Bedeutung des Treffens wurde dadurch unterstrichen, dass das Politbüro der KPSS geschlossen angereist war - erstmals und einmalig in der Geschichte befand sich die Führung der UdSSR vollständig außerhalb der eigenen Landesgrenzen. Nichtsdestotrotz waren die sowjetischen Erwartungen gering gewesen und einiges spricht dafür, dass man auf einen vorzeitigen Abbruch der Verhandlungen spekulierte. Überraschenderweise verliefen die Gespräche erfolgreich und im Anschluss wurde das Treffen in Bratislava, wohin auch die sowjetischen Alliierten angereist waren, fortgesetzt. In der dort gemeinsam verabschiedeten Stellungnahme verpflichtete sich die tschechoslowakische Seite, die Kontrolle über die Massenmedien wiederherzustellen, die "Rechten" aus führenden Positionen zu entfernen und die Tätigkeit der politischen Klubs sowie die Vorbereitungen zur Gründung einer sozialdemokratischen Partei zu unterbinden. Am Rande des Treffens kam es zur Übergabe des berühmt-berüchtigten "Einladungsbriefes" in dem Vasiľ Biľak, Drahomír Kolder und andere hochrangige tschechoslowakische Reformgegner Brežnev um "brüderliche Hilfe" ersuchten. Obwohl später damit die Besetzung der ČSSR gerechtfertigt wurde, war der "Hilferuf" der Prager Genossen freilich nicht ausschlaggebend. Wichtiger war vielmehr, dass Dubček nicht willens oder in Lage war, die Vereinbarungen von Bratislava zu erfüllen.

Das Fass zum Überlaufen brachten zwei Telefonate am 9. und 13. August 1968. Wie bei anderen Gelegenheiten rettete sich Dubček in Ausflüchte und suchte Brežnev mit vagen Zusicherungen zu vertrösten. Schlimmer war allerdings, dass der tschechoslowakische Führer mitunter verwirrt wirkte und sogar von Rücktritt sprach. Unter diesen Umständen stellte sich die Frage, welchen Wert seine "Versprechungen" überhaupt haben konnten. Und im Fall seines Rückzuges, wer würde ihn ersetzen? Wohl kaum ein Exponent der "gesunden Kräfte".

Am 17. August, nur wenige Tage nach dem letzten Gespräch, wurde die folgenschwere Sitzung des CK der KPSS einberufen und beschlossen, "aktive Maßnahmen zur Verteidigung des Sozialismus in der ČSSR" zu ergreifen - diese Entscheidung wurde dann am folgenden Tag auch von den sowjetischen Verbündeten abgenickt. Die Besetzung der ČSSR begann schließlich in der Nacht vom 20. auf den 21. August 1968. Mit Rücksicht auf die deutsch-tschechoslowakische Geschichte, war allerdings entschieden worden, die Nationale Volksarmee nicht direkt an den Operationen im Land zu beteiligen - sehr zum Leidwesen Ulbrichts. Aus rein militärischer Perspektive verlief die Aktion "Donau" weitestgehend problemlos. Auf Widerstand stießen die Koalitionstruppen bezeichnenderweise erst, als sie versuchten die Arbeit der tschechoslowakischen Medien zu unterbinden.

Aus politischer Sicht war die Niederschlagung des "Prager Frühlings" allerdings ein Desaster. Die "gesunden Kräfte" um Biľak und Kolder, die garantiert hatten, die "Rechten" auszuschalten und eine "legitime Regierung" zu bilden, mussten z.T. durch die alliierten Truppen geschützt werden, da die tschechoslowakische Bevölkerung mehrheitlich die Reformer stützte und den Abzug der Besatzungstruppen forderte. Entrüstete reagierte auch die Weltöffentlichkeit, wobei selbst einige Staaten des Warschauer Paktes von der Protestwelle erfasst wurden. Um ein Blutbad zu vermeiden, entschied die sowjetische Führung mit Dubček, der im Zuge der Operation "Donau" verschleppt worden war, in "Verhandlungen" einzutreten. Die sowjetischen Bedingungen wurden der tschechoslowakischen Seite im sogenannten "Moskauer-Protokoll" vom 26. August diktiert: Rücknahme aller Reformmaßnahmen und Personalentscheidungen sowie Wiedereinführung der Zensur. Außerdem sollten bis zur "Normalisierung" der Verhältnisse die sowjetische Truppen (vorerst) im Land verbleiben - tatsächlich aber wurde deren Präsenz bereits im Oktober zu einem vertraglich geregelten Dauerzustand. Die "Rechten", die anfangs z.T. ihre Positionen behielten, wurden in den folgenden Wochen und Monaten sukzessive ersetzt und zuverlässigere Parteikader übernahmen die Aufgabe, den Auswirkungen des "Prager Frühlings" entgegenzuwirken. Diese sogenannte Politik der "Normalisierung" provozierte den Unmut der tschechoslowakischen Bevölkerung, der sich Anfang 1969 in antisowjetischen Protesten und Randalen entlud. Die Ausschreitungen wurden schließlich zum Anlass genommen, um in Prag den machtpolitischen Wechsel endgültig zu vollziehen: Im April 1969 wurde Gustáv Husák neuer Generalsekretär der KSČ und es folgte eine neue Welle von politischen Säuberungen und Prozessen, die erst 1972 ein Ende fand.

Damit schien das Machtmonopol der KSČ wiederhergestellt und die Partei war wieder zu einem "verlässlichen Transmissionsriemen" sowjetischer Interessenpolitik geworden. Allerdings war der Preis hoch: Durch die gewaltsame Niederschlagung des "Prager Frühlings" war die "Überlegenheit des Sozialismus" endgültig als eine Farce entlarvt worden. In der Tschechoslowakei führte die Politik der "Normalisierung" dazu, dass jeder Reformversuch unter den Generalverdacht der Konterrevolution stand. Das Land verfiel in die politische Stagnation, da die führende Partei verknöcherte. Der Reformpolitik Michail Gorbačevs, in der viele Aktivisten des Jahres 1968 eine Fortsetzung des "Prager Frühlings" sahen, folgte das Regime nur widerwillig und war vielmehr darum bemüht den Status Quo zu wahren. Was folgte war der Kollaps der kommunistischen Macht im November 1989. Ein Runder Tisch, wie in Polen oder Ungarn, war in der Tschechoslowakei unter diesen Umständen nicht möglich.

Benjamin Müller