Volltext:Andrej Amal’rik, ''Kann die Sowjetunion das Jahr 1984 erleben'' Ein Essay

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Andrej Amal’rik, Kann die Sowjetunion das Jahr 1984 erleben? [Auszüge][ ]

„Das Regime verbraucht sich[ ]

Das Regime wird einfach alt und ist nicht mehr in der Lage, alle und alles mit der früheren Kraft und Vehemenz zu unterdrücken. Es ändert sich, wie wir schon sahen, die Zusammensetzung seiner Elite; die Lebensumstände ändern sich, so daß sich das Regime nur noch mit Mühe zurechtfindet, und es ändert sich auch die Struktur der Gesellschaft.

Man kann sich ein allegorisches Bild vergegenwärtigen: ein Mensch steht da mit erhobenen Armen und in verkrampfter Stellung, und ein anderer drückt ihm in ebenso verkrampfter Pose eine Maschinenpistole in den Bauch. Ganz gewiß werden beide nicht allzu lange so verharren. Der zweite wird allmählich müde und mindert den Druck seiner Waffe, während der andere daraus Nutzen zieht, sich entspannt und seine Hände etwas sinken läßt. Zur Zeit können wir einen immer größeren Hang zu ruhigem Leben und Komfort beobachten, sogar so etwas wie einen „Kult des komfortablen Lebens“ in allen Schichten der Bevölkerung, vor allem jedoch in den oberen und mittleren Schichten.

Wenn man aber die stattfindende „Liberalisierung“ nicht als Erneuerung, sondern als Schwächung des Systems ansieht, dann kann als logisches Resultat am Ende dieses Vorganges nur der Tod des Systems stehen, auf den die Anarchie folgt.

Betrachtet man somit die Entwicklung des Regimes als gleichzeitig fortschreitende Entropie, dann könnte man die Demokratische Bewegung, mit deren Analyse ich meine Ausführungen begonnen habe, als eine diesem Kräfteverfall entgegenwirkende Erscheinung werten. Natürlich kann man hoffen — und diese Hoffnung wird sich wahrscheinlich erfüllen —, daß die entstehende Bewegung ungeachtet der Repressionen Einfluß erlangen, ein festumrissenes Programm ausarbeiten, die nötige Form finden und zahlreiche Anhänger gewinnen wird. Gleichzeitig ist, meine ich, ihre soziale Stütze — die „Mittelklasse“, genauer, ein Teil dieser Klasse — zu schwach und zu sehr voller innerer Widersprüche, als daß die Bewegung irgendwann in einen wirklichen Zweikampf mit dem Regime eintreten oder im Falle der Selbstauflösung des Regimes bzw. seines Zusammenbruchs als Resultat massierter Mißstände zu einer Kraft werden könnte, die die Gesellschaft von neuem zu organisieren vermag. […]

Natürlich gibt es hier einen ausgleichenden Faktor zu diesen zerstörenden Tendenzen. Die zeitgenössische sowjetische Gesellschaft kann mit einem „Tripledeckersandwich“ verglichen werden, dessen oberste Schicht sich aus der regierenden Bürokratie, die mittlere aus dem „Mittelstand“ oder der Klasse der Berufsspezialisten und die unterste und größte Schicht aus Arbeitern, Bauern und kleinen Angestellten etc. zusammensetzt. Ob es der sowjetischen Gesellschaft gelingen wird, sich selbst in einer friedlichen und mühelosen Weise zu reorganisieren und den bevorstehenden totalen Umsturz mit einem Minimum an Verlusten zu überleben, wird davon abhängen, wie schnell die mittlere Schicht des „Sandwichs“ sich auf Kosten der beiden anderen Schichten ausbreiten wird und wie schnell der „Mittelstand“ und seine Organisation wachsen, d.h. ob schneller oder langsamer als die Auflösung des Systems. […]

Man könnte mir entgegenhalten, daß China keinen Krieg wünscht, daß, ungeachtet des aggressiven Tones, China sich seit 1949 in seinen Handlungen als eine friedliebende und nichtaggressive Macht gezeigt hat. Doch dem ist nicht so. Erstens führt die Logik der inneren Entwicklung China gerade erst jetzt in die Phase der äußeren Expansion; zweitens hat China bereits früher dort Aggressivität gezeigt, wo es nicht mit starkem Widerstand rechnen mußte, zum Beispiel in Indien. (Mir geht es hier nicht um die Berechtigung oder Nichtberechtigung der territorialen Forderungen Chinas anderen Ländern, insbesondere Indien gegenüber, sondern lediglich um die Methoden ihrer Durchsetzung.) […]

Da die UdSSR gegenwärtig in militärischer Hinsicht viel stärker ist als China, wird unser Regime, dessen Politik hin und her schwankt zwischen der Furcht vor China und dem Bestreben, China seinen Willen aufzuzwingen – wie das auch zu Beginn des Jahrhunderts beim zaristischen Regime Japan gegenüber der Fall war – , von Zeit zu Zeit immer wieder versuchen, China zu erpressen, was wiederum die Chinesen nur ermuntern kann, den Krieg als erste zu beginnen, und zwar mit den für sie günstigsten Mitteln. Andererseits kann China keinen Krieg anfangen, ohne vorher einen beträchtlichen Vorrat – wenn auch einen kleineren als die UdSSR – an thermonuklearen und konventionellen Waffen angesammelt zu haben. Davon, wie schnell China in der Lage ist, das zu tun, wird also offenbar der Zeitpunkt des Kriegsbeginnes abhängen. Wenn man als kürzeste Frist fünf und als längste zehn Jahre annimmt, ergibt sich, daß der Krieg zwischen der UdSSR und China irgendwann in der zweiten Hälfte der 70er Jahre beginnen dürfte. […]

Bei alldem wird das bürokratische Regime nicht imstande sein, mit den gewohnten halben Maßnahmen gleichzeitig Krieg zu führen, die wirtschaftlichen Probleme zu lösen und die Unzufriedenheit im Volk zu unterdrücken oder zu neutralisieren. Es wird sich mehr und mehr abschließen, die Kontrolle über das Land und sogar den Zusammenhang mit der Wirklichkeit verlieren.

Es bedarf dann nur noch einer schweren Niederlage an der Front oder eines größeren Ausbruchs von Unzufriedenheit in der Hauptstadt, beispielsweise einiger Streiks oder bewaffneter Zusammenstöße, um das Regime zu Fall zu bringen.

Sicherlich würde sich, falls die Macht dann gänzlich auf das Militär übergegangen sein sollte, ein so verändertes Regime etwas länger halten können. Da aber auch dieses Regime die allerdringlichsten und während des Krieges fast unlösbaren Probleme nicht würde meistern können, wäre sein Sturz um so schrecklicher.

Falls wir vorhin den Beginn des Krieges mit China richtig bestimmt haben sollten, werden die letztgenannten Ereignisse zwischen 1980 und 1985 eintreten. […]

Ein sowjetisches Commonwealth[ ]

Es ist aber auch möglich, daß sich die „Mittelklasse« trotz alledem als stark genug erweist, um die Kontrolle in ihren Händen zu behalten. In diesem Fall werden die einzelnen sowjetischen Völkerschaften ihre Unabhängigkeit auf friedlichem Wege erhalten, und es könnte so etwas entstehen wie eine Föderation, ähnlich dem Britischen Commonwealth oder der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. Mit China, das ebenfalls durch den Krieg geschwächt ist, wird Frieden geschlossen, und die Konflikte mit den europäischen Nachbarn werden auf der Basis gegenseitigen Einverständnisses beigelegt. Es ist sogar möglich, daß die Ukraine, die Baltischen Republiken und das europäische Rußland als selbständige Einheiten in eine Alleuropäische Föderation eintreten werden.

Möglich ist schließlich auch noch eine dritte Variante, nämlich daß nichts von dem oben Dargelegten geschieht.

Zerfall des „Dritten Rom“[ ]

Was aber wird geschehen? Ich zweifle nicht daran, daß dieses riesige ostslawische Imperium, das von den Germanen, den Byzantinern und den Mongolen gegründet wurde, in das letzte Jahrzehnt seiner Existenz eingetreten ist. Wie die Annahme des Christentums den Untergang des Römischen Imperiums hinausschob, es aber nicht vor dem unvermeidlichen Ende rettete, so hielt auch die marxistische Doktrin den Zerfall des Russischen Imperiums – des Dritten Rom – auf, war aber nicht imstande, ihn abzuwenden.

Wenn man diese Analogie weiterführt, erscheint es durchaus möglich, daß beispielsweise in Mittelasien noch lange ein Staat bestehen bleibt, der sich als Nachfolger der UdSSR versteht und die traditionelle kommunistische Ideologie, Phraseologie sowie ihr Ritual mit den Merkmalen einer orientalischen Despotie verbindet — so etwas wie ein Byzantinisches Imperium der Gegenwart.


Hier nach: Andrej A. Amalrik, Kann die Sowjetunion das Jahr 1984 erleben? Diogenes Verlag, Zürich 1970, S. 37-38, 49-50, 55, 60, 77-78, 79-80


Амальрик, А., Просуществует ли Советский Союз до 1984 года? Эссе, Амстердам 1969[ ]

[...] Просто-напросто режим стареет и уже не может подавлять все и вся с прежней силой и задором: меняется состав его элиты, как мы уже говорили; усложняется характер жизни, в которой режим ориентируется уже с большим трудом; меняется структура общества. Можно представить себе аллегорическую картинку: один человек стоит в напряженной позе, подняв руки вверх, а другой в столь же напряженной позе, уперев ему автомат в живот. Конечно, слишком долго они так не простоят: и второй устанет и чуть опустит автомат, и первый воспользуется этим, чтобы немножко опустить руки и чуть поразмяться. Сейчас мы видим все большую тягу к спокойной жизни и комфорту и даже своего рода «культ комфорта» во всех слоях общества, прежде всего в его верхних и средних слоях.

Но если считать происходящую «либерализацию» не обновлением, а дряхлением режима, то ее логическим результатом будет его смерть, за которой последует анархия.

Если, таким образом, рассматривать эволюцию режима по аналогии с возрастанием энтропии, то Демократическое движение, с анализа которого я начал свою статью, можно было бы считать антиэнтропическим явлением. Конечно, можно надеяться — а так оно, вероятно, и будет, — что зарождающееся движение, несмотря на репрессии, сумеет стать влиятельным, выработает достаточно определенную программу, найдет нужную структуру и приобретет многочисленных сторонников. И вместе с тем, как я думаю, его социальная опора — «средний класс», точнее даже часть его — слишком слаба и внутренне противоречива, чтобы Движение когда-либо смогло вступить в настоящее единоборство с режимом или, в случае самоликвидации режима или его падения в резулыате массовых беспорядков, стать силой, которая сумела бы организовать общество по-новому. [...]

Сейчас советское общество можно сравнить со своего рода трёхслойным пирогом — с правящим бюрократическим верхним слоем; средним слоем, который мы назвали выше «средним классом», или «классом социалистов»; и наиболее многочисленным нижним слоем — рабочими, колхозниками, мелкими служащими, обслуживающим персоналом и т. д. От того, нисколько быстро пойдет рост «среднего класса» и его самоорганизация — быстрее или медленнее, чем разложение системы, — от того, насколько быстро средняя часть пирога будет увеличиваться за счет остальных, зависит, сумеет ли советское общество перестроиться мирным и безболезненным путем и пережить предстоящие ему катаклизмы с наименьшими жертвами. [...]

Мне могут возразить, что Китай не хочет войны, что, несмотря на самый агрессивный тон, с 1949 года Китай своими действиями показал себя как миролюбивая, а не агрессивная держава. Однако это не так. Во-первых, логика внутреннего развития еще только подводит Китай к полосе внешних экспансий, во-вторых, уже ранее Китай показал свою агрессивность там, где не рассчитывал встретить сильного сопротивления, например в Индии. [...]

Поскольку СССР сейчас в военном отношении гораздо более мощная держава, чем Китай, режим, следуя политике навязывания своей воли и одновременно страху перед Китаем, будет время от времени шантажировать Китай - rак это делал царский режим по отношению к Японии в начале века - , что только побудит китайцев начать войну первыми и тем способом, который будет благоприятнее для них. Однако Китай не сможет начать войну, не накопив предварительно значительные — пусть и меньшие, чем у СССР, — запасы ракетно-ядерного и обычного оружия.

От того, как скоро Китай сумеет этого добиться, и будут, видимо, зависеть сроки начала войны. Считая минимальным сроком пять лет и максимальным десять, мы получим, что война СССР с Китаем начнется где-то между 1975 и 1980 годами. [...]

Между тем бюрократический режим, который привычными ему полумерами не в состоянии будет одновременно вести войну, разрешать экономические трудности и подавлять или удовлетворять народное недовольство, все больше будет замыкаться в себе, терять контроль над страной и даже связь с действительностью.

Достаточно будет сильного поражения на фронте или какой-либо крупной вспышки недовольства в столице — забастовки или вооруженного столкновения, — чтобы режим пал.

Конечно, если до того времени власть полностью перейдет в руки военных, модифицирован-ный таким образом режим продержится несколько дольше, но, не решая опять же самых насущных и во время войны уже почти не разрешимых вопросов, падет еще более страшно. Если мы ранее правильно определили начало войны с Китаем, то это произойдет где-то между 1980 и 1985 годами. [...]

Но возможно, что «средний класс» окажется все-таки достаточно силен, чтобы удержать контроль в своих руках. В таком случае предоставление независимости отдельным советским народам произойдет мирным путем и будет создано нечто вроде федерации, наподобие Британского содружества наций или Европейского экономического сообщества. С Китаем, также обессиленным войной, будет заключен мир, а споры с европейскими соседями улажены на взаимоприемлимой основе. Возможно даже, что Украина, Прибалтийские республики и Европейская Россия войдут как самостоятельные единицы во Всеевропейскую федерацию.

Возможен также и третий вариант, а именно — что ничего вышеизложенного не будет.

Но что же будет? Я не сомневаюсь, что эта великая восточнославянская империя, созданная германцами, византийцами и монголами, вступила в последние десятилетия своего существования. Как принятие христианства отсрочило гибель Римской империи, но не спасло ее от неизбежного конца, так и марксистская доктрина задержала распад Российской империи — третьего Рима — но не в силах отвратить его.

Продолжая эту аналогию, можно допустить, что, например, в Средней Азии еще долго будет существовать государство, считающее себя преемником СССР и соединяющее традиционную коммунистическую идеологию, фразеологию и обрядность с чертами восточной деспотии — своего рода Византийская империя современности. [...]

Амальрик, А., Просуществует ли Советский Союз до 1984 года? Эссе, Амстердам 1969.