Einführung: Richtlinien für die Behandlung politischer Kommissare (Kommissarbefehl): Unterschied zwischen den Versionen

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Der Kommissarerlass stellte ein ideologisch motiviertes Mordprogramm dar, das im Zeichen der angestrebten „Ausrottung des Bolschewismus“ in erster Linie einen radikalen Selbstzweck verfolgte. Zugleich diente die gezielte Bekämpfung der „Träger des Widerstandes“ in der Roten Armee jedoch auch dem funktionalen Ziel, den militärischen Zusammenbruch der Sowjetunion zu beschleunigen. Hitler selbst artikulierte diese Zielsetzung bereits Mitte März 1941 bei einer der ersten Gelegenheiten, bei der er seine Pläne gegenüber Vertretern des OKH vortrug: „Weltanschauliche Bande halten das russische Volk noch nicht fest genug zusammen. Es wird mit dem Beseitigen der Funktionäre zerreißen.“<ref name="ftn4">Vgl. Kriegstagebuch des Chefs des Generalstabes des Heeres, Generaloberst Franz Halder, 17.3.1941, in: BArch, RH 2/123, Bl. 26, [https://invenio.bundesarchiv.de/invenio/direktlink/fd853e94-41f0-4338-a11e-3a88532efec9/ Online].</ref> Der gleiche Gedanke fand sich später in der Präambel des Befehlstextes wieder, in der die Vernichtung der Kommissare unter anderem als Voraussetzung für die „schnelle Befriedung der eroberten Gebiete“ ausgegeben wurde. Die Kommissarrichtlinien waren damit wie die übrigen „verbrecherischen Befehle“ Teil von Hitlers wahnwitzigen kolonialen Plänen zur Eroberung von „Lebensraum“ und der damit verbundenen rassenideologischen Vernichtungspolitik, zur gleichen Zeit aber auch als Katalysatoren der Blitzkriegsstrategie gedacht, die dem militärischen Ziel verpflichtet waren, den sowjetischen „Koloss“ schneller zu Fall zu bringen.
Der Kommissarerlass stellte ein ideologisch motiviertes Mordprogramm dar, das im Zeichen der angestrebten „Ausrottung des Bolschewismus“ in erster Linie einen radikalen Selbstzweck verfolgte. Zugleich diente die gezielte Bekämpfung der „Träger des Widerstandes“ in der Roten Armee jedoch auch dem funktionalen Ziel, den militärischen Zusammenbruch der Sowjetunion zu beschleunigen. Hitler selbst artikulierte diese Zielsetzung bereits Mitte März 1941 bei einer der ersten Gelegenheiten, bei der er seine Pläne gegenüber Vertretern des OKH vortrug: „Weltanschauliche Bande halten das russische Volk noch nicht fest genug zusammen. Es wird mit dem Beseitigen der Funktionäre zerreißen.“<ref name="ftn4">Vgl. Kriegstagebuch des Chefs des Generalstabes des Heeres, Generaloberst Franz Halder, 17.3.1941, in: BArch, RH 2/123, Bl. 26, [https://invenio.bundesarchiv.de/invenio/direktlink/fd853e94-41f0-4338-a11e-3a88532efec9/ Online].</ref> Der gleiche Gedanke fand sich später in der Präambel des Befehlstextes wieder, in der die Vernichtung der Kommissare unter anderem als Voraussetzung für die „schnelle Befriedung der eroberten Gebiete“ ausgegeben wurde. Die Kommissarrichtlinien waren damit wie die übrigen „verbrecherischen Befehle“ Teil von Hitlers wahnwitzigen kolonialen Plänen zur Eroberung von „Lebensraum“ und der damit verbundenen rassenideologischen Vernichtungspolitik, zur gleichen Zeit aber auch als Katalysatoren der Blitzkriegsstrategie gedacht, die dem militärischen Ziel verpflichtet waren, den sowjetischen „Koloss“ schneller zu Fall zu bringen.


Bei den Kommissarrichtlinien handelte es sich um einen Zusatzbefehl zum Kriegsgerichtsbarkeitserlass, der durch die Legalisierung von verfahrenslosen Exekutionen und die Schaffung rechtsfreier Räume die Voraussetzungen für das gesamte Maßnahmenbündel der „verbrecherischen Befehle“ schuf. Die Kommissarrichtlinien schrieben den deutschen Fronttruppen systematischen Mord an regulären, uniformierten Kriegsgefangenen vor. Sie richteten sich gegen jene von der Kommunistischen Partei eingesetzten Politoffiziere, die in der Roten Armee zur Überwachung der Truppen eingegliedert waren. Zur Begründung unterstellte die Präambel des Befehls den sowjetischen Kommissaren und Funktionären a priori ein grob völkerrechtswidriges Verhalten und stigmatisierte sie als „Urheber barbarisch asiatischer Kampfmethoden“, um eine Art präventive Strafbarkeit zu konstruieren. Diese Argumentation ging ursprünglich auf einen Vorschlag des Chefs des Wehrmachtführungsstabes, Alfred Jodl, zurück, der in einem frühen Entwurf die entlarvende Empfehlung ausgesprochen hatte, „die ganze Aktion am besten als Vergeltung aufzuziehen“.
Bei den Kommissarrichtlinien handelte es sich um einen Zusatzbefehl zum Kriegsgerichtsbarkeitserlass, der durch die Legalisierung von verfahrenslosen Exekutionen und die Schaffung rechtsfreier Räume die Voraussetzungen für das gesamte Maßnahmenbündel der „verbrecherischen Befehle“ schuf. Die Kommissarrichtlinien schrieben den deutschen Fronttruppen systematischen Mord an regulären, uniformierten Kriegsgefangenen vor. Sie richteten sich gegen jene von der Kommunistischen Partei eingesetzten Politoffiziere, die in der Roten Armee zur Überwachung der Truppen eingegliedert waren. Zur Begründung unterstellte die Präambel des Befehls den sowjetischen Kommissaren und Funktionären a priori ein grob völkerrechtswidriges Verhalten und stigmatisierte sie als „Urheber barbarisch asiatischer Kampfmethoden“, um eine Art präventive Strafbarkeit zu konstruieren. Diese Argumentation ging ursprünglich auf einen Vorschlag des Chefs des Wehrmachtführungsstabes, {{#set:Glossar=Jodl, Alfred}} [[Glossar:Jodl, Alfred|Alfred Jodl]], zurück, der in einem frühen Entwurf die entlarvende Empfehlung ausgesprochen hatte, „die ganze Aktion am besten als Vergeltung aufzuziehen“.


Der Befehlstext selbst differenzierte zum einen zwischen militärischen Politoffizieren und zivilen Funktionären, die jedoch beide unterschiedslos als „politische Kommissare“ bezeichnet wurden, sowie zwischen Einsatzorten, wobei die Demarkationslinie zwischen den frontnahen Armeegebieten und den weiter rückwärts gelegenen Heeresgebieten gezogen wurde. In Bezug auf die militärischen Kommissare besagte die zentrale Bestimmung (Ziffer I.2), dass sämtliche an der Front in deutsche Gefangenschaft geratenen Politkommissare, die anhand ihrer Abzeichen, dem „roten Stern mit goldenem eingewebtem Hammer und Sichel auf den Ärmeln“, identifiziert werden konnten, „noch auf dem Gefechtsfelde“ von den übrigen Kriegsgefangenen abzusondern und umgehend durch die Fronteinheiten zu exekutieren seien: „Diese Kommissare werden nicht als Soldaten anerkannt; der für Kriegsgefangene völkerrechtlich geltende Schutz findet auf sie keine Anwendung. Sie sind nach durchgeführter Absonderung zu erledigen.“ Für die nichtmilitärischen „Kommissare“, also die Funktionäre der sowjetischen Partei- und Zivilverwaltung, war dagegen nicht zwangsläufig das gleiche Schicksal vorgesehen (Ziffer I.1. sowie Ziffer I.3.). Zunächst sollte geprüft werden, ob sie sich einer „feindlichen Handlung schuldig“ gemacht hatten „oder einer solchen verdächtig“ waren. Wie jedoch mit den zivilen Funktionären verfahren werden sollte, blieb letztlich dem Ermessen der Truppenoffiziere überlassen, denen die Entscheidung über die „Frage, ob ‚schuldig oder nicht schuldig‘“ oblag.
Der Befehlstext selbst differenzierte zum einen zwischen militärischen Politoffizieren und zivilen Funktionären, die jedoch beide unterschiedslos als „politische Kommissare“ bezeichnet wurden, sowie zwischen Einsatzorten, wobei die Demarkationslinie zwischen den frontnahen Armeegebieten und den weiter rückwärts gelegenen Heeresgebieten gezogen wurde. In Bezug auf die militärischen Kommissare besagte die zentrale Bestimmung (Ziffer I.2), dass sämtliche an der Front in deutsche Gefangenschaft geratenen Politkommissare, die anhand ihrer Abzeichen, dem „roten Stern mit goldenem eingewebtem Hammer und Sichel auf den Ärmeln“, identifiziert werden konnten, „noch auf dem Gefechtsfelde“ von den übrigen Kriegsgefangenen abzusondern und umgehend durch die Fronteinheiten zu exekutieren seien: „Diese Kommissare werden nicht als Soldaten anerkannt; der für Kriegsgefangene völkerrechtlich geltende Schutz findet auf sie keine Anwendung. Sie sind nach durchgeführter Absonderung zu erledigen.“ Für die nichtmilitärischen „Kommissare“, also die Funktionäre der sowjetischen Partei- und Zivilverwaltung, war dagegen nicht zwangsläufig das gleiche Schicksal vorgesehen (Ziffer I.1. sowie Ziffer I.3.). Zunächst sollte geprüft werden, ob sie sich einer „feindlichen Handlung schuldig“ gemacht hatten „oder einer solchen verdächtig“ waren. Wie jedoch mit den zivilen Funktionären verfahren werden sollte, blieb letztlich dem Ermessen der Truppenoffiziere überlassen, denen die Entscheidung über die „Frage, ob ‚schuldig oder nicht schuldig‘“ oblag.

Aktuelle Version vom 22. Oktober 2024, 16:55 Uhr


von: Felix Römer, 2011


Am 22. Juni 1941 begann mit dem „Unternehmen Barbarossa“ der „ungeheuerlichste Eroberungs-, Versklavungs- und Vernichtungskrieg, den die moderne Geschichte kennt“ (Nolte). Der deutsch-sowjetische Krieg entwickelte sich zum wohl größten, blutigsten und grausamsten Konflikt der Weltgeschichte. Die Entgrenzung der Kriegsführung an der Ostfront ergab sich im Laufe der Kämpfe auch aus der wechselseitigen Radikalisierung zweier totalitärer Systeme. Der Ursprung der Eskalation lag allerdings eindeutig in einer bewussten Entscheidung der deutschen Führung, die sich schon vor Beginn der Feindseligkeiten darauf festgelegt hatte, den Krieg gegen die Sowjetunion als „rassenideologischen Vernichtungskrieg“ (Hillgruber) unter Missachtung des Völkerrechts zu führen. Im Frühjahr 1941 hatte Hitler seine Generäle in einer Reihe von Besprechungen darauf eingestellt, dass der kommende Krieg als „Weltanschauungskampf“ zu führen sei und die „Anwendung brutalster Gewalt“ notwendig mache.

Widerspruch gegen Hitlers Pläne regte sich weder in den Oberkommandos von Wehrmacht (OKW) und Heer (OKH) noch bei den designierten Oberbefehlshabern des Ostheeres. Zu weit reichte das Vertrauen in den „Führer“ nach den Triumphen der zurückliegenden Feldzüge und zu tief saß die Abscheu gegen den bolschewistischen Erzfeind, die slawische Zivilbevölkerung und die multiethnische Rote Armee auch bei den Generälen der Wehrmacht.[1] Einige Wochen nachdem Hitlers mündliche Weisungen ergangen waren, stellten die Generalstäbler und Wehrmachtjuristen in OKW und OKH die Endfassungen jener „Führererlasse“ fertig, die als „verbrecherische Befehle“ (Uhlig) in die Geschichte eingehen sollten: der „Erlass über die Ausübung der Kriegsgerichtsbarkeit im Gebiet ‚Barbarossa‘ und über besondere Maßnahmen der Truppe“ vom 13. Mai 1941 sowie die „Richtlinien für die Behandlung politischer Kommissare“ vom 6. Juni 1941. Zusammen mit einer Reihe zusätzlicher Merkblätter, Richtlinien und Regelungen bildeten diese „Führererlasse“ eine völkerrechtswidriges und hetzerisches Befehlswerk, das dazu dienen sollte, den bevorstehenden Krieg in jenen ideologisierten „Vernichtungskampf“ zu transformieren, ohne den Hitler seinen „Kreuzzug gegen den Bolschewismus“ nicht zu führen können glaubte.

Der Kommissarerlass stellte ein ideologisch motiviertes Mordprogramm dar, das im Zeichen der angestrebten „Ausrottung des Bolschewismus“ in erster Linie einen radikalen Selbstzweck verfolgte. Zugleich diente die gezielte Bekämpfung der „Träger des Widerstandes“ in der Roten Armee jedoch auch dem funktionalen Ziel, den militärischen Zusammenbruch der Sowjetunion zu beschleunigen. Hitler selbst artikulierte diese Zielsetzung bereits Mitte März 1941 bei einer der ersten Gelegenheiten, bei der er seine Pläne gegenüber Vertretern des OKH vortrug: „Weltanschauliche Bande halten das russische Volk noch nicht fest genug zusammen. Es wird mit dem Beseitigen der Funktionäre zerreißen.“[2] Der gleiche Gedanke fand sich später in der Präambel des Befehlstextes wieder, in der die Vernichtung der Kommissare unter anderem als Voraussetzung für die „schnelle Befriedung der eroberten Gebiete“ ausgegeben wurde. Die Kommissarrichtlinien waren damit wie die übrigen „verbrecherischen Befehle“ Teil von Hitlers wahnwitzigen kolonialen Plänen zur Eroberung von „Lebensraum“ und der damit verbundenen rassenideologischen Vernichtungspolitik, zur gleichen Zeit aber auch als Katalysatoren der Blitzkriegsstrategie gedacht, die dem militärischen Ziel verpflichtet waren, den sowjetischen „Koloss“ schneller zu Fall zu bringen.

Bei den Kommissarrichtlinien handelte es sich um einen Zusatzbefehl zum Kriegsgerichtsbarkeitserlass, der durch die Legalisierung von verfahrenslosen Exekutionen und die Schaffung rechtsfreier Räume die Voraussetzungen für das gesamte Maßnahmenbündel der „verbrecherischen Befehle“ schuf. Die Kommissarrichtlinien schrieben den deutschen Fronttruppen systematischen Mord an regulären, uniformierten Kriegsgefangenen vor. Sie richteten sich gegen jene von der Kommunistischen Partei eingesetzten Politoffiziere, die in der Roten Armee zur Überwachung der Truppen eingegliedert waren. Zur Begründung unterstellte die Präambel des Befehls den sowjetischen Kommissaren und Funktionären a priori ein grob völkerrechtswidriges Verhalten und stigmatisierte sie als „Urheber barbarisch asiatischer Kampfmethoden“, um eine Art präventive Strafbarkeit zu konstruieren. Diese Argumentation ging ursprünglich auf einen Vorschlag des Chefs des Wehrmachtführungsstabes, Alfred Jodl, zurück, der in einem frühen Entwurf die entlarvende Empfehlung ausgesprochen hatte, „die ganze Aktion am besten als Vergeltung aufzuziehen“.

Der Befehlstext selbst differenzierte zum einen zwischen militärischen Politoffizieren und zivilen Funktionären, die jedoch beide unterschiedslos als „politische Kommissare“ bezeichnet wurden, sowie zwischen Einsatzorten, wobei die Demarkationslinie zwischen den frontnahen Armeegebieten und den weiter rückwärts gelegenen Heeresgebieten gezogen wurde. In Bezug auf die militärischen Kommissare besagte die zentrale Bestimmung (Ziffer I.2), dass sämtliche an der Front in deutsche Gefangenschaft geratenen Politkommissare, die anhand ihrer Abzeichen, dem „roten Stern mit goldenem eingewebtem Hammer und Sichel auf den Ärmeln“, identifiziert werden konnten, „noch auf dem Gefechtsfelde“ von den übrigen Kriegsgefangenen abzusondern und umgehend durch die Fronteinheiten zu exekutieren seien: „Diese Kommissare werden nicht als Soldaten anerkannt; der für Kriegsgefangene völkerrechtlich geltende Schutz findet auf sie keine Anwendung. Sie sind nach durchgeführter Absonderung zu erledigen.“ Für die nichtmilitärischen „Kommissare“, also die Funktionäre der sowjetischen Partei- und Zivilverwaltung, war dagegen nicht zwangsläufig das gleiche Schicksal vorgesehen (Ziffer I.1. sowie Ziffer I.3.). Zunächst sollte geprüft werden, ob sie sich einer „feindlichen Handlung schuldig“ gemacht hatten „oder einer solchen verdächtig“ waren. Wie jedoch mit den zivilen Funktionären verfahren werden sollte, blieb letztlich dem Ermessen der Truppenoffiziere überlassen, denen die Entscheidung über die „Frage, ob ‚schuldig oder nicht schuldig‘“ oblag.

Diese Bestimmungen galten für den vordersten Bereich des Operationsgebietes, das so genannte Gefechtsgebiet und die rückwärtigen Armeegebiete. In den dahinter liegenden rückwärtigen Heeresgebieten waren alle aufgegriffenen Kommissare und Funktionäre den Einsatzgruppen des SD zu übergeben (Ziffer II). Daneben enthielt der Erlass einige Bestimmungen zu Verfahrensfragen wie das Verbot, das Vorgehen gegen die Politoffiziere vor den Kriegs- und Standgerichten abzuwickeln (Ziffer III), oder die Maßgabe, dass die Truppe sich nicht durch „Such- und Säuberungsaktionen“ von ihren eigentlichen Aufgaben abhalten lassen dürfe (Ziffer I.5.). Mit der Vorschrift, alle Exekutionen über den Dienstweg der Ic-Abteilungen[3] zu melden, schufen die Urheber des Kommissarbefehls ungewollt die Voraussetzung dafür, dass sich der Gang der Vernichtungspolitik überhaupt in den Akten niederschlug und später erforscht werden konnte (Ziffer I.4.). Am 6. Juni 1941 schließlich übersandte das OKW, das auf der Grundlage eigener Vorschläge und der Entwürfe des OKH die Endfassung des Befehls erarbeitet hatte, den fertigen Erlass an den Generalstab des Heeres. Nur zwei Tage darauf, am 8. Juni 1941, fügte der Oberbefehlshaber des Heeres, Generalfeldmarschall von Brauchitsch, den Kommissarrichtlinien einige knappe Zusätze hinzu, die aber an der Befehlslage nichts Grundlegendes änderten. Mit dem gleichen Datum gingen die Kommissarrichtlinien an die Oberkommandos der Heeresgruppen, Armeen und Panzergruppen ab, die sich bereits im Aufmarschgebiet an der Ostfront versammelten.

In den nun noch verbleibenden zwei Wochen bis zum Beginn der Operationen am 22. Juni 1941 zeigte sich, wie wenig Widerspruch sich im Ostheer gegen den Erlass regte. Die befehlsgemäße Weitergabe der „verbrecherischen Befehle“ an die Truppenverbände, die nichts anderes als der erste Schritt zu ihrer Umsetzung war, ist für etwa 58 % aller Frontstäbe belegt; wie die übrigen Kommandobehörden auf den Erlass reagierten, geht aus den Akten aus der Zeit der Vorbereitungsphase nicht mit Sicherheit hervor. Berücksichtigt man jedoch die Überlieferungslücken und die Tendenz der Stäbe, solche Vorgänge aus den Akten auszusparen, erweist sich der ermittelte Prozentsatz jedoch als hoch, der aller Wahrscheinlichkeit nach das typische Vorgehen im Umgang mit den Kommissarrichtlinien repräsentierte. Dass die meisten Truppenführer den Erlass so widerspruchslos akzeptierten, beruhte nicht nur auf der Verabsolutierung von Befehlsgehorsam, Loyalität gegenüber dem „Führer“ und Opportunismus, sondern speiste sich vor allem aus dem radikalen Antibolschewismus, der in der Generalität des Ostheeres denkbar fest verwurzelt war. Kaum einer der zutiefst konservativen Generäle zweifelte daran, dass die Auseinandersetzung mit dem Bolschewismus langfristig unausweichlich sei und in einen Existenzkampf einmünden werde, in dem sämtliche „Kriegsnotwendigkeiten“ und die Beugung des Völkerrechts im Interesse der Nation gerechtfertigt seien. Auch die Erwartung eines kurzen „Blitzfeldzugs“, der die „besonderen Maßnahmen“ gegen die Kommissare auf eine Operationsphase beschränkt hätte, die gemeinhin auf nur mehrere Wochen veranschlagt wurde, dämpfte etwaige Bedenken.

Nur eine Minderheit von Truppenführern intervenierte gegen den Mordbefehl des „Führers“. Die Kritik erschöpfte sich freilich weitgehend in der pragmatischen Sorge vor dem Verfall der militärischen Disziplin und einer „Verwilderung“ der Soldaten sowie dem traditionalistischen Widerwillen gegen die Betrauung der „fechtenden Truppe“ mit solchen Aufgaben. Dass das Ziel einer radikalen Bekämpfung der sowjetischen Kommissare grundsätzlich auf breite Zustimmung zählen konnte, zeigte sich aber gerade an der Zielrichtung und Reichweite der partiellen Interventionen, zu denen sich einige Kritiker des Befehls durchringen konnten. Denn selbst diese eigenmächtigen Eingriffe in die Befehlslage gingen zumeist nicht darüber hinaus, die Befugnis zur Anordnung der Exekutionen einzugrenzen oder die Rolle der Kampftruppen auf die Selektion und Weiterleitung der gefangengenommenen Politoffiziere zu beschränken. Das Mordprogramm wurde dadurch höchstens partiell reguliert und verlagert, jedoch nicht ausgesetzt. Dennoch demonstrierten diese Kommandeure durch ihr eigenverantwortliches Handeln, dass an der Ostfront beträchtliche Spielräume bestanden, die immerhin dazu genutzt werden konnten, zumindest eine graduelle Abschwächung der radikalen „Führererlasse“ herbeizuführen. Die meisten Befehlshaber machten jedoch von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch, was zu den eindringlichsten Zeugnissen dafür zählt, wie weit die Generalität des Ostheeres mit den Prinzipien der Kommissarrichtlinien übereinstimmte.

Entgegen der späteren Legende von der „sauberen Wehrmacht“ beteiligten sich im deutsch-sowjetischen Krieg letztlich die meisten Verbände befehlsgemäß an der Umsetzung der Kommissarrichtlinien. Exekutionen von gefangengenommenen Politoffizieren sind für alle Heeresgruppen, Armeen und Panzergruppen, alle Armeekorps und über 80 % der Divisionen des Ostheeres nachgewiesen; unter Berücksichtigung zusätzlicher Indizienfälle erhöht sich die Quote auf Divisionsebene sogar auf über 90 %. Über die Handhabung des Befehls in den verbleibenden Verbänden schweigt die Aktenüberlieferung. Die Gesamtzahl der Erschießungen, die eindeutig belegt sind, beläuft sich auf annähernd viertausend Fälle. Aufgrund der beträchtlichen Überlieferungslücken, vor allem der großen Aktenverluste aus dem Bereich der Gefangenenlager des Operationsgebietes, ist die tatsächliche Opferzahl jedoch deutlich höher zu schätzen. Legt man die am dichtesten dokumentierten Frontbereiche zu Grunde, ist davon auszugehen, dass sich die Zahl der Exekutionen, die Einheiten des Ostheeres gemäß der Kommissarrichtlinien vornahmen, auf eine hohe vierstellige Ziffer belief, wahrscheinlich aber nicht oder nur knapp im fünfstelligen Bereich lag.

Dass die Opferzahlen begrenzt blieben, beruhte vor allem darauf, dass die deutschen Truppen der meisten Kommissare schlichtweg nicht habhaft wurden, so dass die Vernichtungspolitik nach nur wenigen Wochen Feldzugsdauer kaum noch realisierbar war. Glaubt man den einhelligen deutschen Berichten, gelang es dem Großteil der Politoffiziere, sich dem Zugriff der Invasoren rechtzeitig zu entziehen oder sich durch Abtrennen der Dienstgradabzeichen zu tarnen und in der Gefangenschaft unentdeckt zu bleiben. Hinzu kam, dass die Erschießungen rasch auf der sowjetischen Seite bekannt wurden, so dass die meisten Kommissare in der Folge bis zum letzten kämpften oder in aussichtsloser Situation sogar Selbstmord verübten. Da die Gefangennahme von Politoffizieren somit immer seltener wurde, kamen immer weniger deutsche Einheiten in die Situation, den Kommissarbefehl anwenden zu müssen. Hierin liegt das Korn Wahrheit in den Beteuerungen vieler Veteranen, den Kommissarbefehl nie befolgt zu haben.

Das Mordprogramm scheiterte jedoch noch in anderer Hinsicht. Die Exekutionen verstärkten den ohnehin schon heftigen Widerstand der Roten Armee und trugen dazu bei, die deutschen Verlustraten in Rekordhöhen zu treiben. So gab Hitler schließlich im Frühjahr 1942 dem wiederholten Drängen seiner Generäle nach, den Kommissarbefehl aufzuheben. Dies konnte allerdings nichts mehr daran ändern, dass die Vernichtungspolitik gegen die sowjetischen Kommissare längst zu einer schweren Hypothek geworden war. Die planmäßige Radikalisierung der Kriegführung bewirkte keineswegs, wie Hitler sich ausgerechnet hatte, den Zusammenbruch der Sowjetunion, sondern trug vielmehr zum Zusammenhalt der Roten Armee und somit letztlich zur Niederlage des Ostheeres bei.

  1. Siehe dazu: Felix Römer, ‚Im alten Deutschland wäre solcher Befehl nicht möglich gewesen‘. Rezeption, Adaption und Umsetzung des Kriegsgerichtsbarkeitserlasses im Ostheer 1941/42. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, 56:1 (2008), S. 53–99, hier S. 78-80.
  2. Vgl. Kriegstagebuch des Chefs des Generalstabes des Heeres, Generaloberst Franz Halder, 17.3.1941, in: BArch, RH 2/123, Bl. 26, Online.
  3. D.h. dem militärischen Nachrichtendienst, Anm. d. Red.
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