Einführung:Programm-Entwurf der KPD (1922) und Programmerklärung zur nationalen und sozialen Befreiung des deutschen Volkes

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von: Till Kössler


Die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) war ein Produkt des Ersten Weltkrieges. Die SPD der Vorkriegsjahre spaltete sich nach 1914 angesichts der Grundsatzfrage, ob man der Beteiligung Deutschlands am Krieg zustimmen sollte oder nicht. Innerhalb der im Frühjahr 1917 gegründeten Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei (USPD) bildeten radikale Kriegsgegner um Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg mit dem Spartakusbund eine kleine Avantgardegruppe, deren Ausrichtung auf Sowjetrussland und deren Forderung nach einer radikalen politischen und sozialen Umgestaltung Deutschlands schon die programmatischen Eckpfeiler der späteren KPD erkennen ließen.

Anders als die alte SPD, der sie politische Korruption durch den bürgerlichen Staat vorwarfen, forderten die Kommunisten eine Rückbesinnung auf die „wahren“ marxistischen Traditionen und eine kompromisslose Politik gegen die entstehende Weimarer Republik. Sie gründeten am 1. Januar 1919 mit der der KPD eine eigenständige Partei, die zunächst allerdings nur wenig politische Strahlkraft entfalten konnte. Erst zwei Jahre später, im Dezember 1920, gelang es der KPD nach dem Übertritt einer großen Zahl von Mandatsträgern und Mitgliedern der USPD, sich als wichtige politische Kraft der Weimarer Republik zu etablieren. Die USPD hatte sich auf ihrem Parteitag im Oktober 1920 angesichts ihrer Haltung zum Führungsanspruch der russischen Bolschewisten innerhalb der Kommunistischen Weltbewegung gespalten.

Die Katastrophe des Ersten Weltkrieges eröffnete nach Ansicht der Kommunisten nicht nur neue Chancen für eine revolutionäre gesellschaftliche Umgestaltung, sondern gab dieser Umgestaltung auch eine besondere Dringlichkeit. Nur durch eine proletarische Revolution, so die Überzeugung der Kommunisten, könne sichergestellt werden, dass sich die Schrecken des Krieges nicht wiederholten. Der Erfolg der russischen Oktoberrevolution bestärkte die Kommunisten in ihrer Überzeugung, dass eine revolutionäre Situation unmittelbar bevorstand. Es kam nun im Wesentlichen auf die KPD an, den weltgeschichtlichen Moment zu nutzen. War eine Revolution im als rückständig betrachteten Russischen Reich möglich gewesen, musste sie dies nach marxistischem Verständnis erst recht im industrialisierten Deutschland sein.

Kriegserfahrung und Oktoberrevolution bildeten den erfahrungsgeschichtlichen Hintergrund für die kompromisslose Maximalpolitik der KPD bis zum Ende der Weimarer Republik. Die Kommunisten betrieben eine aktivistische, atemlose und verbalradikale Politik, die sich in immer neuen Mobilisierungsanstrengungen und Kampagnen verausgabte, aber kaum eine langfristige Orientierung aufwies. Da das kommunistische „Reich“ unmittelbar bevorstand, wie der Programm-Entwurf von 1922 ausführte, galt es alle Kräfte für einen revolutionären Aufbruch einzuspannen.

Mit welcher Politik die KPD diesen Aufbruch herbeiführen sollte, war Anfang der 1920er Jahre innerparteilich jedoch höchst umstritten. Nachdem syndikalistische und rechtskommunistische Strömungen aus der Partei verdrängt worden waren, prägte ab 1921 der Konflikt zwischen der etablierten Parteiführung und einer neuen „linken“ Opposition aus jungen und radikalen Kommunisten die Parteigeschichte. Der Programmentwurf von 1922 kann in diesem schwelenden Konflikt als Versuch gelesen werden, einen einheitlichen Kurs und eine einheitliche Sprache in der Partei durchzusetzen. Seine geringe praktische Bedeutung – das Programm wurde nie verabschiedet – weist jedoch auf die Schwierigkeiten der politischen Homogenisierung der KPD hin.

Die Spaltung der sozialistischen Arbeiterbewegung wurde durch die Regierungsbeteiligung der SPD und die sozialen Unruhen der frühen 1920er Jahre zementiert. Die KPD wandelte sich in diesen Jahren durch den Zusammenschluss mit der Mehrheit der USPD am 4. Dezember 1920 von einer kleinen Avantgardeorganisation zu einer Massenpartei mit besonderen Schwerpunkten in den Industrieregionen und Großstädten. Der Zustrom zur KPD erklärt sich nicht zuletzt aus der Enttäuschung vieler Industriearbeiter, die erwartet hatten, mit der neuen Republik würden soziale Partizipationsversprechen eingelöst. Im Frühjahr 1919, 1921 und im Oktober 1923 rief die KPD zu Aufständen auf, die jedoch jeweils schnell scheiterten und die Partei an den Rand der Auflösung brachten.

Die KPD gab sich die Struktur einer zentralistisch organisierten Kaderpartei nach dem Vorbild der KPR (B). Innerparteiliche Demokratie spielte in ihr nur eine sehr untergeordnete Rolle. Sie folgte der leninistischen Überzeugung, dass eine Revolution nur durch eine disziplinierte und nach dem Prinzip militärischer Einheiten geformte Kraft herbeigeführt werden könne. Allerdings war das Modell der Kaderpartei in der politischen Realität lange Zeit mehr Leitbild als Wirklichkeit. Die Zugriffsmöglichkeiten der Parteileitungen auf die Mitglieder an der Basis, die oft ganz eigene Vorstellungen von kommunistischer Politik hatten, blieben begrenzt und verschiedene Parteiflügel lieferten sich erbitterte Auseinandersetzungen um die Führung der Bewegung.

Die Politik der KPD war von einem streng dualistischen Weltbild geprägt, das Politik in moralischen Kategorien als Auseinandersetzung zwischen Gut und Böse verstand und keinen Platz für Kompromisse und Verhandlungen ließ. Obwohl es auf Landes- und Kommunalebene teilweise zu parlamentarischen Bündnissen mit der SPD kam, lehnte die KPD parlamentarische Arbeit im Grundsatz ab. Sie wollte keine „Koalitionspartei“ oder „Ministerpartei“ werden. Ihre Politik war stattdessen auf eine ständige Mobilisierung der lohnabhängigen Bevölkerung ausgerichtet, wobei die Industriebetriebe im Zentrum der Werbekampagnen standen. Streiks und Auseinandersetzungen auf lokaler Ebene sollten den repressiven Charakter des Weimarer Staates offenlegen, eine Solidarisierung der Bevölkerung bewirken und den Einfluss der KPD immer weiter steigern. Um eine breite Mobilisierung der Bevölkerung zu erreichen, baute die KPD im Verlauf der 1920er Jahre auch ein umfangreiches Netz von Vorfeldorganisationen auf, die eine zielgruppenspezifische Werbung betreiben sollten. Insgesamt gelang es der KPD auf diese Weise zwar immer wieder, neue Anhänger zu rekrutieren, doch scheiterte sie an dem Versuch, Sympathisanten über ein engeres Kernmilieu hinaus langfristig zu integrieren und zu mobilisieren. Mitgliederzahlen und Wahlergebnisse wiesen bis zum Ende der Weimarer Republik große Schwankungen auf.

Auf das Scheitern der verschiedenen Aufstandsversuche in den Jahren zwischen 1919 und 1923 folgte eine Phase der Stagnation und heftiger Fraktionskämpfe, die zum Ausschluss ganzer Parteiflügel führten. Erst mit Beginn der Weltwirtschaftskrise setzte ein neuer und rasanter Aufschwung der KPD ein, der bis 1932 anhielt. In diesem Jahr zählte die Partei etwa 320 000 Mitglieder und erreichte bei den Reichstagswahlen im November 16,9 Prozent der Stimmen.

Der politische Aufschwung wurde von einer „ultralinken“ Wende der kommunistischen Politik begleitet. Mit der Wirtschaftskrise schien eine revolutionäre Situation wieder in greifbare Nähe zu rücken. Die Radikalisierung kommunistischer Politik wurde wesentlich von der Moskauer Kominternzentrale forciert und gestaltet. Die KPD hatte sich von Anfang an als Teil einer übernationalen, weltumfassenden Bewegung definiert (siehe den Punkt „Internationale Aufgaben“ im Programm-Entwurf von 1922), die in der Kommunistischen Internationalen mit Sitz in Moskau ihr höchstes Führungsgremium hatte. Ein Einfluss der sowjetischen Führung, welche die Komintern bald vollständig dominierte, auf die deutsche Partei bestand seit 1919, aber seit Mitte der 1920er Jahre erreichte der Moskauer Zugriff eine neue Qualität. Die Komintern bestimmte nun fast vollständig die Politik der KPD und die personale Zusammensetzung ihrer Führungsorgane. Der Moskauer Machtanspruch verschärfte die Spannungen zwischen unterschiedlichen Parteiflügeln, aber auch zwischen Parteiführung und den einzelnen Mitgliedergruppen, was von der allgegenwärtigen Rhetorik der Geschlossenheit in den programmatischen Äußerungen der KPD nur mühsam verdeckt werden konnte. Als hierarchisch strukturierte Kaderpartei konnte die KPD jedoch Fraktionskämpfe nicht dauerhaft dulden und die Moskautreue Parteileitung schloss von der Parteilinie abweichende Funktionärsgruppen sukzessive aus der Partei aus.

Die Radikalisierung der kommunistischen Politik war jedoch nicht nur den Vorgaben aus Moskau geschuldet, sondern besaß in den persönlichen Erfahrungen vieler Kommunisten auch eine lebensweltliche Basis, ohne die der neue Kurs nicht hätte durchgesetzt werden können. Infolge großflächiger Rationalisierungsmaßnahmen in der Industrie, aber auch aufgrund politisch motivierter Entlassungen von Kommunisten stieg der Anteil der Arbeitslosen unter den Parteimitgliedern Ende der 1920er Jahre deutlich an. Der persönliche Ausschluss aus der Arbeitswelt verlieh der antikapitalistischen Politik der KPD eine besondere Überzeugungskraft. Neben die Betriebe als Handlungsort der Kommunisten trat in den Großstädten nun verstärkt die Straße als Aktionsraum. Durch eine Symbolpolitik der Umzüge, Demonstrationen und Massenversammlungen versuchte die KPD ihren Anspruch als maßgebliche politische Kraft zu untermauern und eine umfassende Mobilisierung ihrer Anhängerschaft zu erreichen.

Die vom engsten Führungskreis der KPD erarbeitete Programmerklärung von August 1930 war ein prominenter Ausdruck der neuen Politik. Sie fasste die wichtigsten politischen Positionen der KPD in der Endphase der Weimarer Republik zusammen und gibt Auskunft über die strategischen Ziele der Partei. Der neue „ultralinke“ Kurs zeichnete sich insbesondere durch eine scharfe Konfrontation mit der SPD aus. Mit dem Scheitern der revolutionären Unternehmungen war in der KPD die Frustration über die fehlgeschlagenen Bemühungen, die sozialdemokratische Anhängerschaft für sich zu gewinnen, gewachsen. Die SPD war die Hauptkonkurrentin der KPD und das Verhältnis zur größeren Arbeiterpartei war ein Kernproblem des deutschen Kommunismus. Einer scharfen rhetorischen Abgrenzung von der sozialdemokratischen Politik standen zunächst immer wieder Bemühungen um ein Bündnis mit der sozialdemokratischen Führung gegenüber. Ende der 1920er Jahre trat jedoch die Konfrontationspolitik eindeutig in den Vordergrund. Nach der offiziellen Doktrin der Komintern mussten die Sozialdemokraten als „Sozialfaschisten“ ebenso heftig bekämpft werden wie die NSDAP. Auch Zweckbündnisse in Einzelfragen wurden abgelehnt.

Die Auseinandersetzung mit dem zumeist nicht näher bestimmten Faschismus war seit Anfang der 1920er Jahre Bestandteil kommunistischer Rhetorik, und Antifaschismus ein wesentlicher Teil des kommunistischen Selbstverständnisses. Doch mit dem Aufstieg der NSDAP wurde die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus ab 1929 zum alles beherrschenden Thema kommunistischer Verlautbarungen. Die Programmerklärung von 1930 verdeutlicht in diesem Zusammenhang die Bemühungen der kommunistischen Führung, eine adäquate politische Strategie gegenüber den Nationalsozialisten zu entwickeln. Deren schwer zu leugnende Mobilisierungserfolge auch in der Arbeiterschaft erforderten eine intensive Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Politik, die allerdings durch eine unzulängliche Definition des Faschismus als Instrument des Großkapitals erheblich behindert wurde. Zudem befand sich die KPD in einer defensiven Position, da sie sich gegen massive Vorwürfe nationaler Unzuverlässigkeit seitens der anderen Parteien wehren musste. Die Betonung der eigenen nationalen Positionen – in der Programmerklärung von 1930 war ja bereits im Programmtitel von „nationaler Befreiung“ die Rede – stellten vor diesem Hintergrund Versuche dar, auf diesem für die KPD äußerst sensiblen Politikfeld in die Offensive zu gelangen. Die nationale Rhetorik war allerdings nicht nur taktischer Natur, sondern entsprach auch einem tiefsitzenden Misstrauen gegenüber den „imperialistischen“ Mächten im Westen.

Mit den Erfolgen der Nationalsozialisten rückte schließlich auch die Frage nach der Rolle der Gewalt in der kommunistischen Politik wieder in den Vordergrund. Das Thema politische Gewalt war seit der Gründung der Partei ein Kernpunkt innerparteilicher Diskussionen. Das Verhältnis der Kommunisten zur Gewalt war insgesamt höchst ambivalent. Zwar verurteilte die Parteiführung wiederholt einzelne Gewalttaten von Kommunisten gegen politische Gegner und bemühte sich, sie zu verhindern, doch finden sich in ihren politischen Äußerungen durchgängig auch affirmative Bezüge zu Gewalt. Sie versuchte dabei strikt zu unterscheiden zwischen einer nicht näher definierten revolutionären Gewalt und einer bürgerlichen Gewalt, die sie vollständig abgelehnte („Die bürgerliche Gewalt ist reaktionär, die proletarische Gewalt ist revolutionär“). Insgesamt legen auch eine militante Rhetorik und die militärähnliche öffentliche Selbstdarstellung der Kommunisten, besonders des Roten Frontkämpferbundes als paramilitärischer Vorfeldorganisation, nahe, dass die KPD eine durchaus positive Haltung zur Gewalt einnahm. Eine aktive Gewaltpolitik verfolgte die KPD allerdings seit dem misslungenen Aufstandsversuch von 1923 nicht mehr.

Die beiden Quellentexte geben einen exemplarischen Einblick in die Vorstellungswelt und die politischen Ideen der KPD. Neben klassischen Topoi aus der politischen Rhetorik der deutschen Arbeiterbewegung sind die Texte durch eine Sprache des Unbedingten gekennzeichnet, die eng auf die Erfahrungen des Ersten Weltkrieges und der Nachkriegskrisen bezogen werden kann. Die Verbindung beider Sprachen und der mit ihnen verbundenen politischen Konzepte stellt ein wesentliches Merkmal des deutschen Kommunismus im 20. Jahrhundert dar.


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