Einführung:Gründung der "Zentralarbeitsgemeinschaft"

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von: Andrea Rehling, 2010 (aktualisiert 2024)


Die „Arbeitsgemeinschaft der industriellen und gewerblichen Arbeitgeber und Arbeitnehmer Deutschlands“ war ein Kind des Ersten Weltkrieges. Im Verlauf des Krieges hatte der Staat, beraten durch die Verbände, zunehmend lenkend in die Wirtschaft eingegriffen. In den Augen der von einem hegelianischen Staatsverständnis geprägten Zeitgenossinnen und Zeitgenossen hatte diese staatliche Wirtschaftslenkung, die sich auf die Beratung durch den Sachverstand der Verbände stützte, für eine bessere Güterdistribution gesorgt als die liberale Wirtschaftsordnung. Der Staats- bzw. Kriegssozialismus, so meinten Viele, hatte mehr Gerechtigkeit in der Wirtschaft geschaffen. Denn der mit den Verbänden kooperierende Staat schien, solange er den Sachverstand der Verbände berücksichtigte, mehr Effektivität und Gemeinwohlorientierung zu gewährleisten als der „Laissez-faire-Kapitalismus“, den man für überwunden und nicht dem deutschen Wesen gemäß hielt.

Eine entscheidende Bedeutung wurde dem Burgfrieden zugeschrieben, der als Überwindung des als ungerecht empfundenen und Konflikte erzeugenden Wirtschaftsliberalismus wahrgenommen wurde. In ihm, so waren viele Zeitgenossinnen und Zeitgenossen überzeugt, war die Befriedung der sozialen Frage gelungen, die in der harmonischen Volksgemeinschaft ihre Lösung gefunden zu haben schien. Die so entstandene Klassenharmonie wollten die Initiatoren weiter institutionalisieren, um so den in der öffentlichen Wahrnehmung ständig schwelenden Konfliktherd zwischen Arbeitgebenden und Arbeitnehmenden, der als Gefahr für die Integration der Gesellschaft galt, durch konsensuale Aushandlungen endgültig stillzulegen. Man meinte einen „dritten (deutschen) Weg“ zwischen Liberalismus und Bolschewismus gefunden zu haben. Die Zentralarbeitsgemeinschaft sollte dabei als Wirtschaftsparlament eine entscheidende Rolle spielen, um die in der Wirtschafts- oder Tarifpolitik anstehenden Fragen mit Sachverstand und Rationalität einvernehmlich zu lösen. Sie sollte dem Staat, der in der Weimarer Republik ebenso wie im Kaiserreich in der Regel mit der Regierung gleichgesetzt wurde, den richtigen Weg weisen.

Seine Legitimation sollte dieses Gremium neben dem Sachverstand seiner Mitglieder vor allem durch seine Repräsentativität erlangen, soweit der grundsätzliche Konsens. Doch darüber, wie dieses Wirtschaftsparlament konkret aussehen sollte, welche Befugnisse und Aufgaben es erhalten sollte und wie sein Verhältnis zum Parlamentarismus ausgestaltet werden sollte, hätten die Auffassungen unterschiedlicher nicht sein können. Während die einen das Konzept einer zweiten Kammer neben dem Parlament bevorzugten, plädierten andere für ein beratendes Gremium in Wirtschaftsfragen, während wieder andere ein reines Rätesystem favorisierten. Auch die Definitionen des konkreten „dritten Weges“ waren beinahe so zahlreich wie die Diskussionsteilnehmenden, so dass die Gründung der Zentralarbeitsgemeinschaft bei scheinbar grundsätzlicher Übereinstimmung mit höchst unterschiedlichen Vorstellungen darüber vorangetrieben wurde, wie das Wirtschaftsparlament oder der dritte Weg zu definieren und zu verwirklichen sei.

Bereits 1914 hatten die Gewerkschaften im Rahmen ihrer Burgfriedenspolitik die Arbeitgebenden aufgefordert, mit ihnen zusammen Arbeitsgemeinschaften zu bilden, um gemeinsam die sich aus dem Krieg ergebenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu bearbeiten. Es kam zur Gründung von ein paar wenigen Kriegsarbeitsgemeinschaften, aber die Schwerindustrie und die Vereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände lehnten eine Kooperation mit den Gewerkschaften zu diesem Zeitpunkt noch grundsätzlich ab. Erst das Vaterländische Hilfsdienstgesetz führte unter staatlichem Zwang zu einer regelmäßigen Zusammenarbeit von Gewerkschaften und Unternehmern. In Schlichtungskommissionen und paritätisch besetzten Ausschüssen bei den zahlreichen neu gegründeten Verwaltungsstellen in der Kriegswirtschaft ergaben sich zwangsläufig zunehmend Kooperationen zwischen Arbeitgebenden und Arbeitnehmenden.

Zu Gesprächen über eine darüber hinausgehende Zusammenarbeit kam es erst im Frühjahr 1917 auf Initiative des im Kriegsernährungsamt arbeitenden Dr. August Müller und des Berliner Staatswissenschaftlers Professor Hermann Schumacher. Beide waren Mitglieder der „Deutschen Gesellschaft von 1914“, die 1915 mit der Zielsetzung gegründet worden war, den bei Kriegsbeginn entstandenen Geist des Burgfriedens zu konservieren, um einen Ausgleich zwischen den Parteien und allen gesellschaftlichen Gruppierungen des Deutschen Reiches herbeizuführen. In diesem Sinne wurden Müller und Schumacher aktiv. Müller, der gute Kontakte zur Generalkommission des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes hatte, und Schumacher, der mit einigen bedeutenden Wirtschaftsführern in Verbindung stand, vermittelten Gespräche zwischen Gewerkschaften und Unternehmervertretern, so dass im August 1917 die Bergbauindustriellen Alfred Hugenberg, Emil Kirdorf, Hugo Stinnes und Friedrich Carl Winkhaus mit den Gewerkschaftsführern Gustav Bauer, Theodor Leipart, Alexander Schlicke und Robert Schmidt zusammentrafen, um in dieser und folgenden Gesprächsrunden über die aktuelle Kriegslage, die beiderseitigen Vorstellungen über eine Übergangswirtschaft sowie einzelne sozialpolitische Fragen zu sprechen. Im Winter 1917/18 fand eine zweite Besprechung statt, an der auch Albert Vögler und Carl Legien teilnahmen. Die Verhandlungen, in denen Stinnes versuchte, die Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter im Tausch für eine Anerkennung ihrer Organisation durch die Arbeitgebenden zur Unterstützung seiner annexionistischen Kriegsziele zu überzeugen, blieben aber ohne Folgen. Erst der Druck des sich immer deutlicher abzeichnenden Kriegsendes und der damit verbundenen ungelösten Demobilmachungsfragen änderten das.

Im Juli 1918 unternahm Hans von Raumer einen neuen Vorstoß, weil er davon ausging, dass mit Kriegsende chaotische Zustände und große soziale Spannungen zu erwarten seien. Wie viele seiner Zeitgenossinnen und Zeitgenossen fürchtete er, das Kriegsende und die damit verbundene Schwächung des Staates würden Chaos und Anarchie bringen. Die vollständige Desintegration der deutschen Gesellschaft schien vor der Tür zu stehen, wenn es nicht gelänge, die sozialen Konflikte mit Hilfe der Gewerkschaften unter Kontrolle zu halten. Deshalb bat er August Müller, noch einmal ein Treffen mit den Gewerkschaftsführern zu vermitteln, das dann aber erst am 2. Oktober 1918 stattfand. Zum ersten Mal wurden nun konkrete Fragen angesprochen, und man einigte sich auf die Grundlagen für eine weitere paritätische Zusammenarbeit. Am 22. Oktober wurden die Gespräche fortgesetzt.

Die Gewerkschaften forderten ihre Anerkennung als Vertretung der Arbeiterschaft, ein uneingeschränktes Koalitionsrecht, paritätisch verwaltete Arbeitsnachweise und die Einsetzung paritätischer Schlichtungsinstanzen sowie den Abschluss von Tarifverträgen in allen Industriezweigen. Außerdem bestanden sie darauf, dass die Unternehmerschaft die Unterstützung der sogenannten gelben (wirtschaftsfriedlichen) Gewerkschaften unterlassen sollten. Im Vordergrund stand aber die Frage, wie man die Demobilmachung bewerkstelligen sollte. Man war sich einig, dass diese Aufgabe nur durch eine zentrale Regelung auf paritätischer Grundlage zu bewältigen sei. Deshalb trat man gemeinsam für die Schaffung eines Demobilmachungsamtes mit quasi-diktatorischen Vollmachten ein, das von einem paritätisch mit Arbeitnehmenden und Arbeitgebenden besetzten Gremium in seinen Entscheidungen beraten werden sollte. Am 12. November 1918 wurde dieses Amt als Reichsamt für wirtschaftliche Demobilmachung geschaffen. Die Gründung des paritätisch besetzten Gremiums als „Arbeitsgemeinschaft der industriellen und gewerblichen Arbeitgeber und Arbeitnehmer“ erfolgte drei Tage später.

Noch vor dem 9. November war es zur Einigung über die Anerkennung der Gewerkschaften als Vertretung der Arbeiterinnen und Arbeiter, des uneingeschränkten Koalitionsrechts, paritätischer Arbeitsnachweise und Schlichtungsinstanzen sowie die Anerkennung von Tarifverträgen gekommen. Umstritten blieben vor allem die Regelung der Arbeitszeit und die Frage, ob die wirtschaftsfriedlichen gelben Gewerkschaften an den Verhandlungen der Arbeitsgemeinschaft beteiligt werden sollten. An dieser Frage wären die Verhandlungen beinahe gescheitert, weil die Vertretungen der drei großen Gewerkschaftsrichtungen nicht bereit waren, die „Gelben“ anzuerkennen oder mit ihnen zusammenzuarbeiten, während die Arbeitgeber die Preisgabe der gelben Gewerkschaften ablehnten. Den Ausweg aus dieser Sackgasse eröffnete Carl Legien am 2. November, indem er vorschlug, über die Teilnahme der wirtschaftsfriedlichen gelben Verbände zu verhandeln, wenn diese nach sechs Monaten ohne Unterstützung der Arbeitgebenden noch existierten. Hintergrund dieses Angebots war die Überzeugung auf Gewerkschaftsseite, dass sich die „Gelben“ ohne Finanzhilfe der Unternehmer nicht behaupten könnten. Auf diesen Vorschlag konnte man sich einigen, denn er ermöglichte beiden Seiten weiter zu verhandeln, ohne wichtige Interessen zu verraten.

Am 7. November wurden Theodor Leipart und Hans von Raumer mit der Ausarbeitung eines Satzungsentwurfs der künftigen Arbeitsgemeinschaft beauftragt. Die Verhandlungen waren also schon weit fortgeschritten, als sie von den politischen Ereignissen überholt wurden. Als Leipart und von Raumer am 9. November zusammentrafen, mussten sie erkennen, dass angesichts der Revolution an eine Fortsetzung der Verhandlungen vorerst nicht zu denken war. Stattdessen formulierte Theodor Leipart am 10. November Forderungen der Gewerkschaften, an deren Erfüllung die weitere Mitarbeit an der Gründung einer Arbeitsgemeinschaft gekoppelt werden sollten. Der Forderungskatalog wurde den Unternehmern am 11. November, als die Verhandlungsparteien wieder zusammentrafen, vorgelegt. Die Punkte, um die es ging, waren vor allem die Preisgabe der „Gelben“, der sofortige Abschluss von Tarifverträgen in allen Berufen und Industrien sowie die Einführung des Achtstundentags.

Nach zwei weiteren Verhandlungstagen konnte dann am 12. November eine Einigung über die Bildung eines Zentralausschusses und das in 12 Punkte gegliederte Abkommen erzielt werden. Am 15. November 1918 wurde es von den Vertretern der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände unterzeichnet und veröffentlicht. Die Unternehmerschaft erkannte die Gewerkschaften als berufene Vertretung der Arbeiterschaft an (Punkt 1), bestätigten die Koalitionsfreiheit (Punkt 2) und verzichteten auf die Unterstützung der gelben Gewerkschaften (Punkt 3). Für die entlassenen Soldaten wurde der Anspruch auf Wiedereinstellung in die Vereinbarung aufgenommen (Punkt 4). Außerdem wurden die paritätische Verwaltung des Arbeitsnachweises (Punkt 5), der Abschluss kollektiver Tarifverträge (Punkt 6), die Einrichtung von Arbeiterausschüssen (Punkt 7) und Schlichtungsstellen bzw. Einigungsämtern (Punkt 8) sowie der Achtstundentag (Punkt 9) beschlossen. Organisatorisch einigten sich die Vertragsparteien auf die Gründung eines Zentralausschusses mit beruflich und fachlich gegliedertem Unterbau auf paritätischer Grundlage, dessen Aufgabe es sein sollte, die Durchführung dieser Vereinbarungen sowie Maßnahmen zur Regelung der Demobilmachung, der Aufrechterhaltung des Wirtschaftslebens und zur Sicherung der Existenz der Arbeitnehmerschaft zu koordinieren (Punkte 10-11). Als am 15. November 1918 die Unterschriften aller Beteiligten vorlagen, wurde das Abkommen dem Rat der Volksbeauftragten zur Mitunterzeichnung und Veröffentlichung zugeleitet und die Zentralarbeitsgemeinschaft nahm ihre Arbeit auf.

Für die Arbeit und den Aufbau der Zentralarbeitsgemeinschaft sowie ihrer Untergliederungen spielte von Anfang an die Frage von Konkurrenzgründungen eine wichtige Rolle. Bei der Vielzahl korporativer Konzepte auf der politischen Agenda war es für die weitere Arbeit der Zentralarbeitsgemeinschaft entscheidend, welche Form des Wirtschaftsparlaments sich im politischen Prozess durchsetzen und ob bzw. wie sich die Arbeitsgemeinschaft darin wiederfinden würde. Da sich die gesamte politische Öffentlichkeit grundsätzlich einig war, dass die deutsche Wirtschaft korporativ neu geordnet werden sollte, kreiste der politische Streit vor allem um die Frage, ob es nur ein makrokorporatistisches Wirtschaftsparlament geben solle, oder ob auch die Errichtung von Bezirks- bzw. Branchen- und Betriebsparlamenten erforderlich sei, um die Wirtschaft demokratisch, was damals mit paritätisch gleichgesetzt wurde, zu organisieren.

Die Arbeitsgemeinschaft selbst war mit dem Anspruch angetreten, alle drei Ebenen mit ihren Organen zu durchziehen. Da ihre Durchbildung aber mehr Zeit in Anspruch nahm, als erwartet, wurde sie immer wieder von Konkurrenzgründungen bedroht. Insbesondere der in vielen Punkten verschränkte Diskurs über die Errichtung von Arbeitskammern bzw. Betriebsräten sowie über die Schaffung eines Reichswirtschaftsrates wurde von der Arbeitsgemeinschaft als existentiell bedrohlich wahrgenommen. Sich selbst zunächst als Wirtschaftsparlament reklamierend, führte der Diskurs über die Repräsentativitätsmaßstäbe, die für ein Wirtschaftsparlament gelten sollten, schnell zu einer Herabstufung der Arbeitsgemeinschaft zu einem Industrieparlament. Man war sich weitgehend einig, dass die Arbeitsgemeinschaft zwar eine wichtige Institution sei, aber für eine korporative Organisation der gesamten Wirtschaft keineswegs ausreiche, weshalb ein Wirtschaftsrat geschaffen werden sollte, in dem alle Vertreter der Wirtschaft Berücksichtigung finden sollten.

Als schließlich der vorläufige Reichswirtschaftrat gegründet wurde, der später in den wieder deutlich zutage tretenden Interessengegensätzen aufgerieben wurde, verlor die Arbeitsgemeinschaft an Bedeutung, zumal das fehlende Bekenntnis der Unternehmer zum Generalstreik während des Kapp-Putsches das für die Kooperation so dringend notwendige Vertrauen der Verhandlungsparteien zueinander erodieren ließ. Es kam zu Austritten und Auflösungen von Branchenarbeitsgemeinschaften, so dass die Zentralarbeitsgemeinschaft, als der Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund 1924 seinen Austritt erklärte, schon nur noch ein „Scheindasein“ führte. Das bedeutete aber nicht, dass die Idee einer korporativen Kooperation diskreditiert war. Im Gegenteil, es gab immer wieder Versuche, die Zusammenarbeit wiederzubeleben, so dass die Zentralarbeitsgemeinschaft als Vorläufer der Sozialpartnerschaft und Teil der deutschen Tradition einer korporativen Marktwirtschaft gelten kann.


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