Einführung:Konkordat zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Deutschen Reich

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von: Michael Hochgeschwender, 2010


Im Grunde hatte das Reichskonkordat eine längere Vorgeschichte, die weit bis in die Anfänge der Weimarer Republik zurückreichte und erst einmal weniger mit der Situation im Deutschen Reich nach dem Ende der Hohenzollernmonarchie 1918 zu tun hatte als mit der veränderten Lage der römischen Kirche seit der Eroberung des souveränen Kirchenstaates durch italienische Truppen im Jahre 1870. Nach langen Jahrzehnten eines bestenfalls wechselhaften, meist aber angespannten Verhältnisses zwischen dem Vatikan und dem Königreich Italien war der katholischen Kirchenführung spätestens im Verlauf des Ersten Weltkriegs klar geworden, dass der bisherige völkerrechtliche Status des Heiligen Stuhls auf Dauer unhaltbar geworden war. Die Kriegsereignisse, allen voran der Kriegseintritt Italiens, hatten einerseits die pastorale und jurisdiktionelle Oberhoheit des Papsttums über die katholischen Kirchen in den kriegführenden Ländern stark in Mitleidenschaft gezogen und andererseits die genuine Mission Papst Benedikts XV., Initiativen zur Sicherung des Friedens zu starten, wesentlich behindert. Noch wichtiger war freilich der Zerfall des etablierten Staatensystems. Mit den Habsburgern, Hohenzollern, Romanows und Osmanen waren alte Herrscherfamilien einfach verschwunden; ihre oft supranationalen Imperien hatten sich zugunsten neuer Nationalstaaten mit vielfältigen ethnischen und konfessionellen Minderheiten aufgelöst.

Aus diesem Grund sah sich der Heilige Stuhl, das heißt die katholische Kirchenführung in Gestalt des auf den Kirchenstaat (das Patrimonium Petri in Mittelitalien) zurückgehenden Völkerrechtssubjektes, veranlasst, seine völkerrechtlichen Beziehungen neu zu ordnen. Dazu sollte das bereits vorhandene, ältere Instrumentarium des Konkordates dienen, also völkerrechtlich bindende Verträge zwischen dem Heiligen Stuhl und den jeweiligen nationalen Regierungen. Derartige Konkordate hatte es bereits seit der frühen Neuzeit gegeben. Ein bekanntes Beispiel war das Konkordat mit Napoleon von 1804, das Beziehungen der katholischen Kirche zum nachrevolutionären Frankreich regelte. Nach 1918 musste es darum gehen, die internationale Handlungsfähigkeit des Vatikans solide und dauerhaft zu sichern. So kam es zu einer ganzen Reihe neuer Konkordate, etwa mit Portugal 1928, Bayern 1924, Preußen 1929 und Baden 1932.

Am wichtigsten war indes das Konkordat mit dem faschistischen Italien von 1929 (die „Lateranverträge“), mit dem die Souveränität des nunmehr auf das winzige vatikanische Territorium beschränkten Heiligen Stuhls wieder hergestellt wurde und Italien dem Vatikan einen finanziellen Ausgleich wegen der Annexion des Kirchenstaates zahlte. Mindestens ebenso wichtig war aber ein anderer Punkt, nämlich die Absicherung des Rechtsstatus der katholischen Kirche und der katholischen Verbände im totalitären Staat Mussolinis. Trotz aller Differenzen und Spannungen, die in der Folge zwischen Italien und dem Heiligen Stuhl auftraten, erwiesen sich die Lateranverträge als zumindest brauchbarer rechtlicher Schutz des italienischen Katholizismus vor Übergriffen von Staat und Partei.

Diese Erfahrung bildete den Hintergrund für das vatikanische Handeln nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten im Januar 1933. Weiterhin war der Vatikan sehr daran interessiert, die rechtliche Situation des Katholizismus gerade im gemischtkonfessionellen Deutschen Reich dauerhaft zu klären. Insbesondere Eugenio Pacelli, seit 1917 Apostolischer Nuntius erst in München, ab 1925 in Berlin, galt als ausgesprochener Befürworter eines Reichskonkordats. Nachdem er 1918/19 die Wirren der sozialistischen Revolution in München hautnah mitbekommen hatte, wusste er um die Fragilität des neuen deutschen Staatswesens und war angesichts unklarer Prognosen über die Zukunft der Weimarer Republik dafür, die rechtliche Stellung der katholischen Kirche völkerrechtlich verbindlich festzulegen. Diesem Ziel dienten auch die von ihm ausgehandelten Länderkonkordate. 1929 wurde Pacelli als Kardinalstaatsekretär nach Rom berufen. Auch danach verfolgte er intensiv die Entwicklungen in Deutschland und trat weiterhin für ein Reichskonkordat ein. Allerdings scheiterten sämtliche Sondierungsgespräche zwischen dem Heiligen Stuhl und der jeweiligen Reichsregierung in den 1920er Jahren, obwohl die republikanischen Regierungen zumeist unter der Federführung der katholischen Zentrumspartei gebildet worden waren. Der Grund dafür lag in der Haltung des Vatikans zur Frage der konfessionellen Bekenntnisschule, an der man in Rom unbedingt festhalten wollte, sowie in Differenzen über die Kirchensteuer und andere finanzielle Streitpunkte zwischen Kirche und Reich. Daher sah es gegen Ende der 1920er Jahre ganz so aus, als käme ein Reichskonkordat nicht mehr zustande.

Mit der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler 1933 änderte sich gleichwohl die politische Konstellation. Nicht, dass die Beziehungen zwischen der NSDAP und der katholischen Kirche je spannungsfrei gewesen wären. Katholiken hatten die neue Regierungspartei im Vergleich zu anderen Bevölkerungsteilen weit unterdurchschnittlich gewählt. Nur Kommunisten wechselten noch seltener zum Nationalsozialismus als Katholiken. Die katholischen Bischöfe hatten noch 1932 darauf beharrt, dass man nicht gleichzeitig Katholik und Nationalsozialist sein könne, und viele katholischen Vereine waren dieser Vorgabe durch eigene Unvereinbarkeitsbeschlüsse gefolgt. Parallel dazu hatten Geistliche wie der Jesuitenpater Muckermann einen intensiven Kampf gegen die neuheidnische und rassistisch-eugenische Ideologie der Nationalsozialisten geführt. Nach der Machtergreifung herrschte im katholischen Lager die Sorge, die Nationalsozialisten würden sich nun daranmachen, die kirchlichen Strukturen in Deutschland zu zerschlagen. Viele Katholiken hatten noch die Krisenzeit des Bismarckschen Kulturkampfes vor Augen. Dies alles führte im Laufe des Frühjahrs und Sommers 1933 zu deutlichen Zerfallserscheinungen im deutschen Vereinskatholizismus. Auch die Zentrumspartei als Organ des politischen Katholizismus war offenkundig im Niedergang begriffen, nachdem sie dem Ermächtigungsgesetz mit Billigung Roms zugestimmt hatte.

Während sich die katholischen Kirchenführungen in Deutschland und dem Vatikan um die Zukunft ihrer institutionellen Strukturen sorgten, war die neue Reichsregierung umgekehrt bestrebt, sich internationales Renommee zu verschaffen. Zwar kann keine Rede davon sein, dass die europäischen Mächte zu einer gemeinsamen Aktionsfront gegen das nationalsozialistische Regime bereit gewesen wären – schon vor dem Konkordat hatte es durchaus Vereinbarungen zwischen der nationalsozialistischen Regierung und beispielsweise Großbritannien gegeben –, aber ein Erfolg auf diplomatischem Parkett kam den Machthabern gelegen. Gleichzeitig wollte Hitler dem politischen Katholizismus endgültig den Garaus machen. Dies deckte sich mit den Bestrebungen der Kirchenführung, die der Zentrumspartei immer schon skeptisch gegenübergestanden hatte. Die ersten Sondierungen zu einem Reichskonkordat gingen jedoch von der deutschen Regierung aus, wo vor allem der katholische Vizekanzler Franz von Papen, ein abtrünniger einstiger Zentrumspolitiker, seine guten Beziehungen zu Rom nutzte. Es ist nicht ganz klar, wann die ersten Kontakte aufgenommen wurden, jedenfalls begannen die offiziellen Verhandlungen Ostern 1933. Papens Gesprächspartner waren neben Eugenio Kardinal Pacelli, dem Kardinalstaatssekretär und ab 1939 Papst Pius XII., in erster Linie Alfredo Ottaviani, der spätere Präfekt des Heiligen Offiziums, und Giovanni Battista Montini, der spätere Papst Paul VI. Parallel zu den Verhandlungen setzte sich der Zerfall des krisengeschüttelten und von den Nationalsozialisten zunehmend verfolgen Zentrums fort, das sich dann am 5. Juli 1933, zwei Wochen vor dem Abschluss der Verhandlungen, auflöste, nachdem der letzte Parteivorsitzende, Prälat Ludwig Kaas, sich nach Rom abgesetzt hatte. Damit war das letzte Hindernis in den laufenden Konkordatsverhandlungen ausgeräumt.

Mit dem Konkordat erkannte das Deutsche Reich die Selbständigkeit der katholischen Kirche in Deutschland an, ihr Recht auf ungehinderten Briefwechsel mit dem Heiligen Stuhl und Papst Pius XI., auf die Herausgabe von Hirtenbriefen, Diözesanblättern und dergleichen sowie auf den Fortbestand des kirchlichen Vereinswesens und der Bekenntnisschulen. Auch das kirchliche Finanzwesen wurde unter den Schutz des Staates gestellt. Umgekehrt erklärte sich der Heilige Stuhl in Artikel 32 bereit, seinen Priestern und Ordensleuten die Tätigkeit in politischen Parteien zu untersagen, wodurch dem politischen Katholizismus in Deutschland endgültig das Rückgrat gebrochen wurde.

Die Folgen des Reichskonkordats werden bis heute ausgesprochen kontrovers diskutiert. Zwar wird man heute nicht mehr behaupten, der Vatikan habe sich von einer antikommunistischen und profaschistischen Tendenz leiten lassen. Dem widersprechen die vatikanischen Quellen, die eher ein hohes Maß an Skepsis gegenüber der deutschen Führung erkennen lassen. Auch war das Konkordat international gesehen kaum so bedeutsam, wie es manchmal dargestellt wird, obwohl sich nicht leugnen lässt, dass es einen Prestigegewinn für die nationalsozialistische Führung mit sich brachte. Wesentlich wichtiger waren die Folgen innerhalb des deutschen Katholizismus. Viele kirchentreue Katholiken reagierten unsicher und verstört auf den offenkundigen Kurswechsel Roms. Im Vatikan schien man der institutionellen Existenzsicherung der Kirche einen höheren Stellenwert zuzumessen als dem geistigen Kampf gegen eine antikatholische Lehre. Man kommt nicht umhin festzustellen, dass mit dem Konkordat die Chancen eines katholischen Widerstandes gegen den Nationalsozialismus rasch minimiert wurden. Das ändert indes nichts an einem hohen Maß verbleibender Widerständigkeit innerhalb des katholischen Milieus. Dessen ungeachtet bot das Konkordat auch Chancen. Die katholische Kirche verfügte damit über eine völkerrechtliche Basis, die es ihr erlaubte, regimeferne Nischen zumindest partiell aufrechtzuerhalten. Allerdings verschlechterten sich die Beziehungen zwischen Staat und Kirche im Laufe der 1930er Jahre rapide. Dies führte 1937 dann zur Publikation der Enzyklika Mit brennender Sorge, die auf Veranlassung Papst Pius XI. von Kardinal Pacelli in deutscher Sprache verfasst und dann auf abenteuerlichen Wegen ins Reich geschafft worden war. In dieser Enzyklika wurde die kirchenfeindliche Politik der Nationalsozialisten in klaren Worten verurteilt, wobei man sich kirchlicherseits bei der Kritik auf das Konkordat von 1933 berief.

Das Reichskonkordat von 1933 gilt auch heute noch, wenngleich mit Einschränkungen im schulischen Bereich. Da das Grundgesetz die Schulhoheit auf die Länder übertragen hat, können einzelne Länder schulrechtliche Bestimmungen etwa über den Religionsunterricht erlassen, die nicht mit dem Inhalt des Reichskonkordats übereinstimmen. Zudem hat sich die Frage der konfessionellen Bekenntnisschulen seit den 1970er Jahren weitgehend erledigt. Ganz in Übereinstimmung mit Artikel 32 des Konkordats dürfen katholische Priester und Ordensleute bis heute keiner Partei beitreten.


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