Einführung: Besprechungsprotokoll der Wannsee-Konferenz: Unterschied zwischen den Versionen

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Heydrich griff mit diesem Plan eine alte, durch die „Nürnberger Gesetze“ vom Herbst 1935 nur vordergründig zum Stillstand gebrachte Diskussion in der Parteileitung auf, die nach der Gründung des Frankfurter Instituts zu Erforschung der Judenfrage im März 1941 im Hinblick auf den bevorstehenden Krieg gegen die Sowjetunion wieder aufgelebt war. Im Sommer 1941 bemächtigte sich Heydrichs RSHA dieses Diskurses zur (geographischen) „Gesamtlösung“ sowie (genealogischen) „Endlösung der Judenfrage“. Legitimiert durch die Ermächtigung Görings an Heydrich vom 31. Juli, stellte Eichmann bereits am 13. August einigen Ministerialbeamten den Plan vor, „den Personenkreis jüdischen Blutes, der aus den europäischen Völkern herausgenommen werden soll, eindeutig zu bestimmen“.
Heydrich griff mit diesem Plan eine alte, durch die „Nürnberger Gesetze“ vom Herbst 1935 nur vordergründig zum Stillstand gebrachte Diskussion in der Parteileitung auf, die nach der Gründung des Frankfurter Instituts zu Erforschung der Judenfrage im März 1941 im Hinblick auf den bevorstehenden Krieg gegen die Sowjetunion wieder aufgelebt war. Im Sommer 1941 bemächtigte sich Heydrichs RSHA dieses Diskurses zur (geographischen) „Gesamtlösung“ sowie (genealogischen) „Endlösung der Judenfrage“. Legitimiert durch die Ermächtigung Görings an Heydrich vom 31. Juli, stellte Eichmann bereits am 13. August einigen Ministerialbeamten den Plan vor, „den Personenkreis jüdischen Blutes, der aus den europäischen Völkern herausgenommen werden soll, eindeutig zu bestimmen“.


Daher kam Heydrichs am 20. Januar 1942 vorgestellter Plan zur „Endlösung der Mischlingsfrage“ für die anwesenden Staatssekretäre nicht überraschend. Die Realisierung dieses Projektes implizierte einen enormen Klassifikations- bzw. Verwaltungsaufwand, den Heydrich offenkundig als neue Domäne des RSHA etablieren wollte. Insofern erweist sich das vorgestellte Projekt als größter Schritt Heydrichs in Richtung auf die Übernahme einer regional unbegrenzten Zuständigkeit in der Judenfrage. Für die eroberte Sowjetunion („besetzte Ostgebiete“), von Alfred Rosenberg als Kolonialminister verwaltet, konnte Heydrich in dieser Hinsicht bereits gewisse Fortschritte verzeichnen. Neun Tage nach der „Wannsee-Konferenz“ wurde bei einer Besprechung im Ostministerium beschlossen, eine Verordnung zum (östlichen) Judenbegriff einzuführen, in welcher „Halbjuden“ als Juden galten. Seit August 1941 hatte innerhalb des Ostministerium ein Tauziehen eingesetzt, ob für die „besetzten Ostgebiete“ noch der reichsrechtliche Judenbegriff der „Nürnberger Gesetze“ gelten sollte oder ob die östlichen „Halbjuden“ allesamt zu Juden erklärt werden sollten, zumal als Verkörperung einer gefährlichen, asiatisch-slawischen Blutmischung. Erst nach Heydrichs Tod sollte Himmler im Juli 1942 dafür sorgen, dass die debattierte Verordnung zum östlichen Judenbegriff eingefroren wurde. Gerade diese Debatte macht deutlich, auf wie entsetzlich groteske Weise Theorie und Praxis in der „Judenfrage“ parallel liefen: Während man im Ostministerium über die Reichweite des Judenbegriffs diskutierte, wurden die Juden bereits von den SS-Einsatzgruppen ermordet.
Daher kam Heydrichs am 20. Januar 1942 vorgestellter Plan zur „Endlösung der Mischlingsfrage“ für die anwesenden Staatssekretäre nicht überraschend. Die Realisierung dieses Projektes implizierte einen enormen Klassifikations- bzw. Verwaltungsaufwand, den Heydrich offenkundig als neue Domäne des RSHA etablieren wollte. Insofern erweist sich das vorgestellte Projekt als größter Schritt Heydrichs in Richtung auf die Übernahme einer regional unbegrenzten Zuständigkeit in der Judenfrage. Für die eroberte Sowjetunion („besetzte Ostgebiete“), von Alfred Rosenberg als Kolonialminister verwaltet, konnte Heydrich in dieser Hinsicht bereits gewisse Fortschritte verzeichnen. Neun Tage nach der „Wannsee-Konferenz“ wurde bei einer Besprechung im Ostministerium beschlossen, eine Verordnung zum (östlichen) Judenbegriff einzuführen, in welcher „Halbjuden“ als Juden galten. Seit August 1941 hatte innerhalb des Ostministerium ein Tauziehen eingesetzt, ob für die „besetzten Ostgebiete“ noch der reichsrechtliche Judenbegriff der „Nürnberger Gesetze“ gelten sollte oder ob die östlichen „Halbjuden“ allesamt zu Juden erklärt werden sollten, zumal als Verkörperung einer gefährlichen, asiatisch-slawischen Blutmischung. Erst nach Heydrichs Tod sollte {{#set:Glossar=Himmler, Heinrich}} [[Glossar:Himmler, Heinrich|Himmler]] im Juli 1942 dafür sorgen, dass die debattierte Verordnung zum östlichen Judenbegriff eingefroren wurde. Gerade diese Debatte macht deutlich, auf wie entsetzlich groteske Weise Theorie und Praxis in der „Judenfrage“ parallel liefen: Während man im Ostministerium über die Reichweite des Judenbegriffs diskutierte, wurden die Juden bereits von den SS-Einsatzgruppen ermordet.


Gegen Heydrichs am 20. Januar 1942 vorgestellten Plan der (genealogischen) „Endlösung der Judenfrage“ protestierte vor allem das Innenministerium, das ''pro domo'' agierte, da seine Abteilung I (Staatsangehörigkeitsfragen) seit den „Nürnberger Gesetzen“ „federführend in der Behandlung der Judenfrage“ war. Staatssekretär Wilhelm Stuckart präsentierte einen Gegenplan: alle qua Alter noch zeugungsfähigen „Halbjuden“ zwangsweise zu sterilisieren, sie jedoch auf Reichsboden zu behalten, weiterhin behaftet mit allen Einschränkungen des Mischlingsstatus. Die Mischehen seien per Gerichtsurteil für geschieden zu erklären (wodurch die Deportationsfähigkeit des jüdischen Partners sichergestellt würde). Stuckarts Hauptargument lautete, dass Heydrichs Projekt eine „unendliche Verwaltungsarbeit“ erfordere, ein zugkräftiger Einwand, da er auf die Äußerung Hitlers vom 7. Juni 1941 verweist, der die Judenfrage, wenn überhaupt, während des Krieges nur mit geringem Verwaltungsaufwand behandelt wissen wollte.
Gegen Heydrichs am 20. Januar 1942 vorgestellten Plan der (genealogischen) „Endlösung der Judenfrage“ protestierte vor allem das Innenministerium, das ''pro domo'' agierte, da seine Abteilung I (Staatsangehörigkeitsfragen) seit den „Nürnberger Gesetzen“ „federführend in der Behandlung der Judenfrage“ war. Staatssekretär Wilhelm Stuckart präsentierte einen Gegenplan: alle qua Alter noch zeugungsfähigen „Halbjuden“ zwangsweise zu sterilisieren, sie jedoch auf Reichsboden zu behalten, weiterhin behaftet mit allen Einschränkungen des Mischlingsstatus. Die Mischehen seien per Gerichtsurteil für geschieden zu erklären (wodurch die Deportationsfähigkeit des jüdischen Partners sichergestellt würde). Stuckarts Hauptargument lautete, dass Heydrichs Projekt eine „unendliche Verwaltungsarbeit“ erfordere, ein zugkräftiger Einwand, da er auf die Äußerung Hitlers vom 7. Juni 1941 verweist, der die Judenfrage, wenn überhaupt, während des Krieges nur mit geringem Verwaltungsaufwand behandelt wissen wollte.

Aktuelle Version vom 22. Oktober 2024, 16:24 Uhr


von: Cornelia Essner, 2024


Eingangs der Besprechung, die Reinhard Heydrich ursprünglich für den 9. Dezember 1941 anberaumt hatte, präsentiert sich der Chef der SS-Sicherheitspolizei und SS-Sicherheitsdienstes, Leiter des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA) und stellvertretende Reichsprotektor für Böhmen und Mähren, in einer neuen Funktion. Aufgrund der Ermächtigung Görings vom 31. Juli 1941, berichtete Heydrich, sei er jetzt zuständig für die „Vorbereitung der Endlösung der europäischen Judenfrage“, wozu vor allem die „Evakuierung nach dem Osten“ von elf Millionen Juden zähle. Das den Deportierten bestimmte Schicksal beschreiben folgende Sätze: „[...] im Osten zum Arbeitseinsatz kommen [...] unter Trennung der Geschlechter [...] straßenbauend [...], wobei zweifellos ein Großteil durch natürliche Verminderung ausfallen wird. Der [...] Restbestand wird [...] entsprechend behandelt werden müssen, da dieser [...] bei Freilassung [...] Keimzelle eines neuen jüdischen Aufbaues [...] werde.“[1]

Im Unterschied zu den vorangegangenen mörderischen Massakern an der jüdischen Bevölkerung der besetzten Sowjetunion sprechen diese Zeilen von einer etappenweisen Vernichtung. Mit „entsprechender Behandlung des Restbestandes“ kann sowohl Zwangssterilisierung gemeint sein als auch die Gaskammern, die sich gerade im Versuchsstadium befanden. Aber offenbar plante Heydrich am 20. Januar 1942 für die Mehrheit der westeuropäischen Juden eine andere ‚Behandlung’ als die, die den Ostjuden zuteilwurde, wobei zu diesem Zeitpunkt lediglich die Deportation der deutschen Juden in die „besetzten Ostgebiete“ begonnen hatte. Da das RSHA einen eigenen – bisher allerdings nicht aufgefundenen – „Generalplan Ost“ entwickelte, der die Deportation aller Bevölkerungsgruppen, die als nicht „germanisierbar“ galten, insbesondere der westeuropäischen Juden, nach Sibirien vorsah (was Heydrich in einer Rede in Prag am 4. Februar 1942 auch erwähnte), lässt sich vermuten, dass sich die zitierten Zeilen auf diesen Plan beziehen.

Es ist der – von der Forschung bisher vernachlässigte – zweite Teil des Protokolls, der Heydrichs Hauptanliegen enthält, nämlich seinen Plan, generell auch alle „Mischlinge 1. Grades“ zu deportieren. Der Plan, „die Mischlinge 1. Grades [...] im Hinblick auf die Endlösung der Judenfrage den Juden gleichzustellen“[2] bedeutete, sie nun dem Judenbegriff der „Nürnberger Gesetze“ zu unterstellen und damit erst „deportationsfähig“ zu machen. Denn die zweifelsfreie Anwendung des Judenbegriffs war seit Herbst 1935 Grundlage aller Ausgrenzungs- und Verfolgungsmaßnahmen. Der Gleichstellungsplan sah nur zwei Ausnahmen vor: Kinder von „Mischlingen 1. Grades“, die als „Mischlinge 2. Grades“ galten (d. h. wenn ein Elternteil „deutschblütig“ war) oder wenn „höchste Instanzen der Partei oder des Staates auf irgendwelchen Lebensgebieten Ausnahmegenehmigungen“ erteilt hatten. Die wenigen von der Deportation auszunehmenden Mischlinge müssten sich jedoch einer ‚freiwilligen’ Sterilisation unterziehen, müssten also ihr Heimatrecht gegen ihr Reproduktionsrecht eintauschen. Danach würden diese sterilisierten Träger „jüdischen Blutes“ wie „Deutschblütige“ behandelt werden, also nicht mehr der Judengesetzgebung unterstehen. Die „Mischlinge 2. Grades“ dagegen, so der Plan, würden umgekehrt generell zu den „Deutschblütigen“ sortiert werden und nur im Ausnahmefall unter den Judenbegriff fallen.

Hinter diesem kompliziert anmutenden Klassifikationsschema verbarg sich ein simples ideologisches Projekt: Es ging erstens darum, ein für alle Mal die Träger „jüdischen Blutes“ in Europa zu bestimmen und zweitens, diese Menschen fortzuschaffen. Damit wäre die „Judenfrage“ gelöst: deportiert, evakuiert, verdrängt.

Heydrich griff mit diesem Plan eine alte, durch die „Nürnberger Gesetze“ vom Herbst 1935 nur vordergründig zum Stillstand gebrachte Diskussion in der Parteileitung auf, die nach der Gründung des Frankfurter Instituts zu Erforschung der Judenfrage im März 1941 im Hinblick auf den bevorstehenden Krieg gegen die Sowjetunion wieder aufgelebt war. Im Sommer 1941 bemächtigte sich Heydrichs RSHA dieses Diskurses zur (geographischen) „Gesamtlösung“ sowie (genealogischen) „Endlösung der Judenfrage“. Legitimiert durch die Ermächtigung Görings an Heydrich vom 31. Juli, stellte Eichmann bereits am 13. August einigen Ministerialbeamten den Plan vor, „den Personenkreis jüdischen Blutes, der aus den europäischen Völkern herausgenommen werden soll, eindeutig zu bestimmen“.

Daher kam Heydrichs am 20. Januar 1942 vorgestellter Plan zur „Endlösung der Mischlingsfrage“ für die anwesenden Staatssekretäre nicht überraschend. Die Realisierung dieses Projektes implizierte einen enormen Klassifikations- bzw. Verwaltungsaufwand, den Heydrich offenkundig als neue Domäne des RSHA etablieren wollte. Insofern erweist sich das vorgestellte Projekt als größter Schritt Heydrichs in Richtung auf die Übernahme einer regional unbegrenzten Zuständigkeit in der Judenfrage. Für die eroberte Sowjetunion („besetzte Ostgebiete“), von Alfred Rosenberg als Kolonialminister verwaltet, konnte Heydrich in dieser Hinsicht bereits gewisse Fortschritte verzeichnen. Neun Tage nach der „Wannsee-Konferenz“ wurde bei einer Besprechung im Ostministerium beschlossen, eine Verordnung zum (östlichen) Judenbegriff einzuführen, in welcher „Halbjuden“ als Juden galten. Seit August 1941 hatte innerhalb des Ostministerium ein Tauziehen eingesetzt, ob für die „besetzten Ostgebiete“ noch der reichsrechtliche Judenbegriff der „Nürnberger Gesetze“ gelten sollte oder ob die östlichen „Halbjuden“ allesamt zu Juden erklärt werden sollten, zumal als Verkörperung einer gefährlichen, asiatisch-slawischen Blutmischung. Erst nach Heydrichs Tod sollte Himmler im Juli 1942 dafür sorgen, dass die debattierte Verordnung zum östlichen Judenbegriff eingefroren wurde. Gerade diese Debatte macht deutlich, auf wie entsetzlich groteske Weise Theorie und Praxis in der „Judenfrage“ parallel liefen: Während man im Ostministerium über die Reichweite des Judenbegriffs diskutierte, wurden die Juden bereits von den SS-Einsatzgruppen ermordet.

Gegen Heydrichs am 20. Januar 1942 vorgestellten Plan der (genealogischen) „Endlösung der Judenfrage“ protestierte vor allem das Innenministerium, das pro domo agierte, da seine Abteilung I (Staatsangehörigkeitsfragen) seit den „Nürnberger Gesetzen“ „federführend in der Behandlung der Judenfrage“ war. Staatssekretär Wilhelm Stuckart präsentierte einen Gegenplan: alle qua Alter noch zeugungsfähigen „Halbjuden“ zwangsweise zu sterilisieren, sie jedoch auf Reichsboden zu behalten, weiterhin behaftet mit allen Einschränkungen des Mischlingsstatus. Die Mischehen seien per Gerichtsurteil für geschieden zu erklären (wodurch die Deportationsfähigkeit des jüdischen Partners sichergestellt würde). Stuckarts Hauptargument lautete, dass Heydrichs Projekt eine „unendliche Verwaltungsarbeit“ erfordere, ein zugkräftiger Einwand, da er auf die Äußerung Hitlers vom 7. Juni 1941 verweist, der die Judenfrage, wenn überhaupt, während des Krieges nur mit geringem Verwaltungsaufwand behandelt wissen wollte.

Das Protokoll der Besprechung vom 20. Januar erweckt den Eindruck, als ob Stuckarts Gegenplan kein großes Gewicht besessen hätte, was jedoch nicht der Realität entsprach. Die große Bedeutung des Stuckartschen Projekts zeigt sich schon darin, dass es bei der von Heydrich anberaumten Folgebesprechung (zwischen Ministerialbeamten und Repräsentanten des RSHA) am 6. März 1942 unter Vorsitz Eichmanns ausführlich diskutiert wurde. Dabei ging es vor allem um das Für und Wider jenes rassenbiologischen Theorems, das Stuckart in einem Rundbrief an die Teilnehmer der „Wannsee-Konferenz“ erläuterte und das die Ministerialbürokratie ähnlich bereits bei der Ausarbeitung der „Nürnberger Gesetze“ vertreten hatte: Wenn man die „Mischlinge“ unter den Judenbegriff subsumiere und dementsprechend deportiere, bestehe die Gefahr, dass diese als Träger einer wertvollen deutschen „Erbmassenhälfte“ sich zu Anführern eines „fremdvölkischen“ Widerstandes im Osten aufschwingen könnten.

Aus dem Protokoll der Besprechung vom 6. März geht hervor, dass allein dem Führer die Entscheidung zugeschrieben wurde, zwischen den beiden Plänen zur „Endlösung der Mischlingsfrage“ zu entscheiden. Eine Gesprächsnotiz Mitte Dezember 1941 aus dem Ostministerium belegt, dass Heydrich das „Ergebnis“ der (verschobenen) Staatssekretärbesprechung „zur Grundlage seines Vortrages beim Reichsmarschall (also Göring) bzw. dem Führer und seines Vorschlages auf Abänderung der Nürnberger Gesetze für Deutschland verwenden wollte“. Um dieses Ziel zu erreichen, musste Heydrich jedoch enorme Widerstände überwinden, da Hitlers strikte Abneigung gegen jegliche Änderung der „Nürnberger Gesetze“ und ihres Judenbegriffs bekannt war. Deshalb leitet Heydrich am 20. Januar 1942 seine vorgestellte „Lösung der Mischehen- und Mischlingsfragen“ mit der Bemerkung ein: „Im Zuge der Endlösungsvorhaben sollen die Nürnberger Gesetze gewissermaßen die Grundlagen bilden...“[3]

Am 27. Oktober 1942 fand zwischen Ministerialbeamten und Repräsentanten des RSHA eine dritte Besprechung zur „Endlösung der Mischlingsfrage“ statt. In dem Dreivierteljahr seit der ersten Besprechung vom 20. Januar 1942 war die Deportation immer effizienter organisiert worden, wobei die Deportationszüge – nun aus ganz Europa – nicht mehr in die „besetzten Ostgebiete“ unter Rosenberg fuhren, sondern vor allem nach Auschwitz, gelegen in den „eingegliederten Ostgebieten“. Heydrich war Anfang Juni 1942 den Folgen eines Attentates erlegen, und Himmler fungierte seitdem als Chef des RSHA. Am 27. Oktober wurde ein neuer Plan als beschlossen präsentiert, der offenbar von Himmler kam und an Stuckarts Projekt anknüpfte. „Neue Erkenntnisse […] auf dem Gebiet der Unfruchtbarmachung werden es wahrscheinlich ermöglichen, die Sterilisation in vereinfachter Form […] schon während des Krieges durchzuführen. Mit Rücksicht hierauf wurde dem Vorschlag, sämtliche fortpflanzungsfähige Mischlinge 1. Grades unfruchtbar zu machen, zugestimmt.“ Mit dem nicht näher bezeichneten neuen Sterilisationsverfahren war jene Röntgenkastration gemeint, von deren Anwendbarkeit Himmler wenige Monate zuvor im Hinblick auf die ca. zwei bis drei Millionen „gut arbeitsfähigen“ Juden gehört hatte. Jedoch beabsichtigte man am 27. Oktober, die Sterilisation der Halbjuden mit dem Schein der Freiwilligkeit zu umgeben, wollte die Reproduktionsfähigkeit weiterhin gegen das „gnadenweise Belassen“ im Reich eingetauscht sehen.

Die seit dem 20. Januar 1942 durch Heydrichs Initiative breit geführte Diskussion über die (genealogische) „Endlösung der Judenfrage“ wurde am 27. Oktober 1942 wieder eingefroren. Der Beschluss zur Zwangssterilisation vom 27. Oktober 1942 wurde nicht umgesetzt. Auch die Zwangsscheidung der Mischehen wurde nicht eingeführt, obwohl bis Oktober 1943 entsprechende Gesetzesentwürfe zirkulierten. Verstummt war die Diskussion um die „Endlösung der Mischlingsfrage“ jedoch noch nicht. Während die Ermordung der „Volljuden“ aus ganz Europa im Sommer 1943 ihrem Höhepunkt zustrebte, verlagerte sich das Tauziehen um die „Judenfrage“ – wer als Jude zu gelten hatte – wieder auf den alten Kern von Partei und SS. Eine halluzinatorisch anmutende Debatte über die genealogische Grenze des „jüdischen Blutes“ wurde in Denkschriften ausgetragen. So überdauerte die völkische „Judenfrage“ selbst den Völkermord.

  1. S. 7-8 des Protokolls.
  2. S. 10-13.
  3. S.10.
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