Einführung: Gesetz Nr. 46 des Alliierten Kontrollrates in Deutschland über die Auflösung des Staates Preußen

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von: Gilbert Gornig, 2011


Das Kontrollratsgesetz Nr. 46 betreffend die Auflösung Preußens verkündete der Kontrollrat am 25. Februar 1947 im Gebäude des preußischen Kammergerichts in Berlin-Schöneberg. Darin heißt es, dass der Staat Preußen, seine Zentralregierung und alle nachgeordneten Behörden hiermit aufgelöst werden. Gebiete, die ein Teil des Staates Preußen waren und die gegenwärtig der Oberhoheit des Kontrollrates unterstehen, sollen die Rechtsstellung von Ländern erhalten oder Ländern einverleibt werden. Staats- und Verwaltungsfunktionen sowie Vermögen und Verbindlichkeiten des früheren Staates Preußen sollen auf die beteiligten Länder übertragen werden. Das Kontrollratsgesetz ist darauf zurückzuführen, dass die alliierten Mächte nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges in Preußen, wie schon Churchill 1943 betont hatte, „die Wurzel allen Übels“ sahen.

Rechtswirkung

Mit diesem Kontrollratsgesetz wurde letztlich der bereits erfolgte Untergang Preußens, eingeleitet durch den sogenannten Preußenschlag 1932 und vollendet im Jahre 1934 durch die Verreichlichung der Länder, lediglich bestätigt.

Am 11. Juli 1932 beschloss die seit dem 1. Juli 1932 amtierende Reichsregierung unter Reichskanzler Franz von Papen, das sozialdemokratisch regierte Preußen zu annektieren. Reichspräsident Hindenburg unterschrieb aber vorsorglich am 14. Juli 1932 eine Notverordnung, mit der man Preußens Regierung absetzen und den Reichskanzler – als Reichskommissar – an ihre Stelle setzen konnte. Der Platz für das Datum auf der Verordnung wurde nicht ausgefüllt. Am 17. Juli 1932 bot sich ein Grund, die Notverordnung in Anwendung zu bringen. An diesem Sonntag tobte im preußischen Altona bei Hamburg anlässlich eines Demonstrationszuges der Nationalsozialisten eine Straßenschlacht zwischen der SA und dem Rotfront-Kämpferbund. Die Kommunisten schossen von den Dächern und es gab über 15 Todesopfer und über hundert Schwerverletzte. Mit der nun auf den 20. Juli 1932 datierten Notverordnung[1] wurde die preußische Staatsregierung unter dem sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Otto Braun abgesetzt und der Reichskanzler Franz von Papen wurde Reichskommissar für das Land Preußen. Man warf Braun vor, das Land finanziell nicht in den Griff zu bekommen, mit den Kommunisten zu konspirieren und die innere Sicherheit Preußens nicht gewährleisten zu können. Dieser „Preußenschlag“ führte zu einer Entmündigung Preußens. Das Bundesland wurde zu einer Verwaltungseinheit degradiert.

Mit dem Zweiten Gesetz zur Gleichschaltung der Länder mit dem Reich (Reichsstatthaltergesetz) vom 7. April 1933[2] hatte sich Hitler die Möglichkeit verschafft, die Landesregierungen eigenmächtig zu ernennen und zu entlassen. Hitler übernahm das Amt des Reichsstatthalters und übertrug am 11. April die Befugnisse auf den neuen Ministerpräsidenten Preußens, Hermann Göring, der gleichzeitig auch Innenminister wurde.

In Art. 1 des Gesetzes über den Neuaufbau des Reichs vom 30. Januar 1934[3] wurden die Volksvertretungen der Länder aufgehoben (Art. 1). Die Hoheitsrechte der Länder gingen auf das Reich über (Art. 2 Abs. 1), die Landesregierungen unterstanden der Reichsregierung (Art. 2 Abs. 2) und die Reichsstatthalter der Dienstaufsicht des Reichsministers des Inneren (Art. 3). Das Handbuch über den preußischen Staat für das Jahr 1934 nennt als oberste Staatsbehörden noch den Ministerpräsidenten, das Staatsministerium und den Staatsrat. Die preußische Verfassung von 1920 wurde jedoch nie außer Kraft gesetzt, sondern nur in Teilen ersetzt, ergänzt und insgesamt politisch entwertet. Im Übrigen konnte die Reichsregierung neues Verfassungsrecht setzen und der Reichsminister des Innern zur Durchführung des Gesetzes über den Neuaufbau die erforderlichen Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften erlassen. Nach § 1 Abs. 1 der Verordnung über die deutsche Staatsangehörigkeit vom 5. Februar 1934[4] fiel die Staatsangehörigkeit in den deutschen Ländern fort. Die Landesregierungen trafen Entscheidungen auf dem Gebiet des Staatsangehörigkeitsrechts im Namen und Auftrage des Reichs. Nach dem Gesetz vom 14. Februar 1934[5] wurde der Reichsrat aufgehoben. Die Vertretungen der Länder beim Reich entfielen, die Mitwirkung des Reichsrats in Rechtsetzung und Verwaltung ebenfalls. Begründet wurde die Aufhebung damit, dass Aufgabe des Reichsrats nach Art. 60 der Weimarer Verfassung die Vertretung der deutschen Länder bei der Gesetzgebung und Verwaltung des Reichs war. Da durch das Gesetz vom 30. Januar 1934 die Hoheitsrechte der Länder auf das Reich übergegangen und die Landesregierungen der Reichsregierung unterstellt waren, blieb für eine mit den Befugnissen des Reichsrats ausgestattete Körperschaft kein Raum mehr.

Es wird behauptet, mit dieser Verreichlichung seien die deutschen Länder und damit auch Preußen als Träger völkerrechtlicher Rechte und Pflichten untergegangen. Es wird aber auch vertreten, dass von einem staatsrechtlichen Untergang der Länder nicht die Rede sein könne und alle Länder formal bis mindestens 1945 bestehen blieben. Begründet wird dies mit der Fortgeltung der überkommenen Länderverträge über den Zeitpunkt der Verreichlichung hinaus. In der Tat führt die amtliche Mitteilung aus dem Jahre 1934 vier Ländervereinbarungen über die Bestrafung von Forst-, Jagd-, Fisch- und Feldfreveln in den Grenzbezirken und über Zoll- und Steuerstrafsachen an der badisch-schweizerischen Grenze als weiterbestehend an. Es wird betont, dass 1934 „jedenfalls vom Ausland her gesehen“ der Zustand hinsichtlich der Länder kaum ein anderer war als zuvor. Sieht man also die Länder nach wie vor als Vertragspartner an, spricht dies für die Fortexistenz der deutschen Länder über den Zeitpunkt der Verreichlichung hinaus. Reste des preußischen Behördenapparates, wie das Preußische Finanzministerium oder die Archivverwaltung existierten sogar bis zum Ende des „Dritten Reiches“ weiter. Die von den Ländern untereinander oder mit dem Reich geschlossenen Verträge und Verwaltungsabkommen wurden nach dieser Auffassung durch den Übergang der Hoheitsrechte der Länder auf das Reich nicht berührt. Nach einer Entscheidung des Reichsgerichts vom 13. August 1936 sollen jedoch die alten Verträge seit dem Gesetz vom 30. Januar 1934 nicht mehr rechtsverbindlich sein, weil damals die Länder ihren Charakter als Staaten verloren hätten.

Diese Ansicht wird teilweise abgelehnt, weil sie darauf hinausliefe, dass völkerrechtliche Verträge, die von innerstaatlichen Rechtsgemeinschaften abgeschlossen worden sind, durch innerstaatliches Staatsrecht einseitig beseitigt werden könnten. Dieser ablehnenden Auffassung schloss sich das Oberlandesgericht München 1981 an, als es den Fortbestand einer konkursrechtlichen Übereinkunft des Königreichs Bayern mit Schweizer Kantonen aus dem Jahre 1834 bejahte. Die Vertragskontinuität über das Jahr 1934 hinaus lässt sich jedoch dann erklären, wenn man bereits seit der Fusion der deutschen Staaten 1867/1871 deutscherseits das Reich als Vertragspartner ansähe. Es kann dann ein Untergang der Länder durch die Verreichlichung 1934 angenommen werden. Die Verträge gelten entweder nach 1934 nicht mehr fort, so dass sie auch nicht als Beleg für eine Fortexistenz der Länder herangezogen werden können, oder die Verträge binden das Reich, seitdem die Länder bei der Fusion der deutschen Staaten 1870/71 zum Deutschen Reich in bestimmten Sachgebieten ihre Völkerrechtsunmittelbarkeit verloren haben, so dass auch das Fortgelten der Verträge nicht die Fortexistenz der Länder als Staaten belegen kann. Mit dem Gesetz vom 30. Januar 1934 haben jedenfalls die Länder ihren Charakter als Staaten durch die Beseitigung ihrer Volksvertretungen und die Unterstellung der Landesregierungen unter die Reichsregierung verloren. Durch den damit verbundenen Verlust der Hoheitsrechte waren die Länder zu bloßen Gebietskörperschaften höherer Art des zum Einheitsstaat gewordenen Reiches herabgesunken.

Zum Kontrollratsgesetz

Wegen des bereits erfolgten Untergangs Preußens als Gliedstaat des Deutschen Reiches wird man dem Kontrollratsgesetz nur deklaratorische Bedeutung zubilligen können. Immerhin sind auf ehemaligem preußischem Gebiet bereits deutsche Staaten gebildet worden. Vielleicht wollten die Alliierten eher eine Tradition als eine Staatsmacht vernichten, als sie 1947 de iure abschafften, was de facto gar nicht mehr bestand. Mit dem berühmten Gesetz Nr. 46 des Alliierten Kontrollrats vom 25. Februar 1947 wurde also ein längst Verblichener abermals exekutiert. Es waren also nicht die Hohen Kommissare Generalleutnant Lucius D. Clay, Generalleutnant Brian Hubert Robertson, Armeegeneral Pierre Koenig und Marschall Vasilij Danilovič Sokolovskij, sondern der Marschall Paul von Hindenburg, der Generalleutnant Kurt von Schleicher und der Kanzlerkommissar Franz von Papen, die Preußens Untergang bewirkten.

Preußen war schon längst zerstört, eines besonderen Beschlusses über die Auflösung des preußischen Staates hätte es nicht bedurft. Nachdem Schlesien, Ostpreußen, Pommern, Teile Brandenburgs von Russen und Polen de facto annektiert worden waren, die Briten in der von ihnen besetzten Zone bereits das Land „Rheinland-Westfalen“ organisiert hatten, war auch das Territorium des ehemaligen Preußen bis zur völligen Unkenntlichkeit verändert. Teilweise waren neue Verwaltungseinheiten an seine Stelle getreten. Es war wohl die Sowjetunion, die den letzten vernichtenden Schlag gegen Preußen führen wollte. Frankreich, Großbritannien und die Vereinigten Staaten beteiligten sich gleichgültig, arglos. Golo Mann bezeichnet die formelle Auflösung des preußischen Staates als einen „Fußtritt, den siegreiche Esel einem längst toten Löwen gaben. Sie glaubten, sie hätten ihn getötet, aber das war ein Irrtum. Sie glaubten, der Nazismus hätte seine Wurzeln im Preußentum gehabt. Das war zu höchstens einem Zehntel richtig und zu gut neun Zehnteln falsch“.[6]

Resümee

Auch wenn Preußen 1945 nur noch ein Verwaltungsbezirk war, so galt das doch auch für die anderen deutschen Länder, auf deren Hüllen man beim Neuanfang selbstverständlich zurückgriff. Preußen hingegen, das sich einst über viele dieser Länder erhoben hatte, verlor alle seine Kernprovinzen, aus denen zum Teil die Bevölkerung vertrieben wurde, und es gab keine Politiker, die es wagten, Preußens Bewahrung zu fordern. Alles Preußische war diskreditiert. Weder die Bundesrepublik Deutschland noch die DDR fühlten sich als sein Nachfolger, und nicht einmal eine Regionalbezeichnung Preußen existiert mehr.

Diese Radikalität des Verschwindens ist ein erstaunlicher Befund in Anbetracht der Rolle, die Preußen in Deutschland und in Europa gespielt hatte. Letztlich war es viel Ehre für den längst am Boden liegenden preußischen Staat, dass vier Großmächte nach dem Weg von Versailles über Moskau nach Jalta einen längst Verstorbenen nochmals vernichteten. Ein Gegenstück für das Reich hat dieser Alliierte Kontrollratsbeschluss nicht gefunden.

  1. RGBl. 1932 I, S. 377.
  2. RGBl. 1933 I, S. 173.
  3. RGBl. 1934 I, S. 75.
  4. Ebd., S. 85.
  5. Ebd., S. 89.
  6. Golo Mann, Das Ende Preußens. In: Otto Büsch, Wolfgang Neugebauer (Hrsg.), Moderne preußische Geschichte: 1648–1947; eine Anthologie. De Gruyter, Berlin 1981, S. 243–261, hier S. 260-261.
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