Karl Mannheim, ''Das Problem der Generationen''
Kein anderer Beitrag zur Generationenforschung hat die theoretische und methodische Ausrichtung dieses Forschungsfeldes so nachdrücklich geprägt wie Karl Mannheims Abhandlung zum „Problem der Generationen“ aus dem Jahr 1928. Der damals in Heidelberg lehrende Soziologe brachte mit Generation die gesellschaftliche Erfahrung des Werte- und Kulturwandels auf den Begriff, indem er sie mit der generativen Erneuerung von Gesellschaften zusammenführte. In bewusster Abgrenzung zu biologistischen Gesellschaftstheorien unternahm Mannheim den Versuch, eine zwar nicht in erster Linie quantifizierbare, aber dennoch messbare Rhythmik gesellschaftlicher Veränderung herauszuarbeiten. Sein generationelles Ordnungsmodell verspricht, historischen Wandel durch Rückbindung an die Generationenzugehörigkeit der Akteure besser erklären zu können.
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Der Beitrag von Karl Mannheim zum „Problem der Generationen“ gilt mittlerweile über Fachgrenzen hinweg als kanonisch. Im „steten Neueinsetzen neuer Kulturträger“ sah Mannheim ein zentrales Erklärungspotential für die „beschleunigten Umwälzungserscheinungen der unmittelbaren Gegenwart“. Im Unterschied zu biologistischen Gesellschaftstheorien unternahm Mannheim den Versuch, generationellen und sozialen Wandel theoretisch miteinander zu verbinden. Sein direkter Bezug zu damals aktuellen Fragen der politischen und gesellschaftlichen Neuordnung zeigt bereits, wie stark sein Generationenentwurf von den Definitions- und Theorieanstrengungen der Zwischenkriegszeit geprägt war. Doch trotz dieser zeitgenössischen Verankerung stellt Mannheims Aufsatz bis heute einen Schlüsseltext für die disziplinübergreifende Generationenforschung dar.
Generation war für Mannheim zunächst einmal keine Gruppe im soziologischen Sinne, sondern ein bloßer Zusammenhang. Es handele sich um ein Miteinander von Individuen, die sich zwar untereinander verbunden fühlten, ohne jedoch eine konkrete Gemeinschaft zu bilden. Darin ähnele eine Generation dem Phänomen der Klassenlage. Jeder Mensch befinde sich in einer bestimmten Generationenlagerung, die er nicht einfach wie einen Verein verlassen könne und die dem Einzelnen sowohl spezifische Möglichkeiten eröffne wie auch Beschränkungen auferlege. Diese Lagerung sei unumstößlich, ob man nun „davon weiß oder nicht, ob man sich ihr zurechnet oder diese Zurechenbarkeit vor sich verhüllt“. Die Differenz zwischen generationeller Lagerung und Generationenzusammenhang lag für Mannheim in der kulturell verfassten Bewusstseins- und Erlebnisschichtung, die es ermöglichten, dass Menschen verwandter Jahrgänge eine ähnliche Perspektive auf Ereignisse ausbildeten.
Gemeinsamer kultureller Kontext, chronologische Gleichzeitigkeit sowie die Wahrnehmung des Geschehens aus der gleichen Lebens- und Bewusstseinsschichtung heraus gehörten für Mannheim zu den entscheidenden Voraussetzungen generationeller Vergemeinschaftung. Während die „verwandte Generationslagerung nur etwas Potentielles ist“, so differenziert Mannheim, „konstituiert sich ein Generationszusammenhang durch eine Partizipation der derselben Generationslagerung angehörenden Individuen am gemeinsamen Schicksal und an den dazugehörenden, irgendwie zusammenhängenden Gestalten. Innerhalb dieser Schicksalsgemeinschaft können dann die besonderen Generationseinheiten entstehen“. Dabei handele es sich um eine verwandte Art des Mitschwingens und Gestaltens, die in ihrer konkreten Ausdrucksform durchaus unterschiedlich, sogar gegensätzlich sein könne, die aber auf einer gemeinsamen Grundstimmung basiere.
Mannheims Generationentheorie war innerhalb der Soziologie schulbildend. Bis heute ist ihr Einfluss auf soziologisches Denken erheblich, wenn es um altersspezifische Ordnungsmuster geht. Aber auch andere Fachdisziplinen wie die Geschichts- und Kulturwissenschaften berufen sich auf Mannheims Generationenentwurf. Obgleich sich sein Ansatz in zahlreichen Fallstudien als tragfähig erwiesen hat, sind in der Forschungspraxis aber auch konzeptionelle Schwierigkeiten deutlich geworden. Repräsentativität, Homogenität, Generalisierung, Nachträglichkeit – mit diesen Stichworten sind nur einige der Probleme umrissen, mit denen sich Generationenforscher konfrontiert sehen, wenn sie Mannheims Generationentheorie folgen. Wenn auch die Generationenforschung mittlerweile naturalisierte Entwicklungsgesetze des 19. Jahrhunderts hinter sich gelassen hat, dient Generation bis heute weiterhin als Instrumentarium, um vor allem eines zu tun: Geschichte zu ordnen. Gerade die Komplexität historischer Umbruchssituationen wie Revolutionen und Systemwechsel, aber auch die Heterogenität politischer und gesellschaftlicher Strömungen sowie die Dynamik von widerstrebenden gesellschaftlichen Kräften verdeutlichen, dass es theoretischer Grundlagen und systematisierender Begriffe bedarf, um historischen Wandel analysieren zu können.
Lange Zeit zählten Kategorien wie Klasse oder Schicht, später auch Geschlecht zu den zentralen Strukturprinzipien. Inzwischen gehört auch Generation zu den relevanten Größen. Zum einen wird der Generationenansatz dazu genutzt, zeitgleiche, aber konkurrierende Gesellschafts- oder Politikentwürfe an kollektive Handlungsträger zu binden, zum anderen wird geschichtlicher Wandel durch die Abfolge einander ablösender Generationen periodisiert. Solche Architekturen schaffen zwar Ordnung im historischen Durcheinander, konstruieren aber auch häufig eine schwer belegbare Kausalität. Ob Generation tatsächlich eine sinnvolle analytische Kategorie zur Periodisierung von Geschichte darstellt, ist daher zu Recht bezweifelt worden.
Zu einer kritischen Lektüre und Würdigung von Mannheims Text gehört auch, seinen Generationenentwurf geschlechtertheoretisch zu hinterfragen. Sprachanalytisch lässt sich zeigen, dass er seinen Generationenbegriff mit männlichen Kohorten verbindet, denn zweifellos sind es vor allem (junge) Männer, die bei Mannheim Geschichte machen. Damit entsprach der Soziologe dem zeitgenössischen politischen wie auch wissenschaftlichen Diskurs, der Generationen mehrheitlich als männliche Vergemeinschaftungsform entwarf. Daraus ergibt sich die Frage, was ein Generationenkonzept wie das von Mannheim eigentlich in den Blick bekommt und was durch sein theoretisches Raster fällt. Eine Historisierung seines Generationenentwurfs verdeutlicht, dass es sich nicht nur um ein geschlechterhierarchisches, sondern auch um ein auf nationale Rahmungen und soziale Eliten konzentriertes Konzept handelt, das auf bestimmte, kulturell codierte Muster gesellschaftlichen Handelns ausgerichtet ist. Historischer Wandel wird als ein im politisch-öffentlichen Raum hergestellter und durchzusetzender Prozess verstanden, an dem vorzugsweise Akteure beteiligt sind, die nach zeitgenössischen Vorstellungen ohnehin für die notwendige politische Gestaltungsmacht prädestiniert schienen: junge, bürgerliche Männer mit Bildungshintergrund und Aufstiegsambitionen. Diese zeittypische Variante des Generationenmodells macht darauf aufmerksam, dass die Rede von den Generationen stets dahingehend zu hinterfragen ist, wer sich wann, unter welchen Umständen und mit welchen Argumenten als Generationsangehöriger definiert und wer diese generationellen Zugehörigkeiten zu welchem Zeitpunkt und mit welchen Interessen entdeckt zu haben glaubt.
Die an Mannheims Generationentheorie orientierte Forschung sieht sich zudem mit wissenschaftlicher Kritik aus anderen Fachdisziplinen konfrontiert. Dem Verständnis, dass Generation primär eine Unterbrechungskategorie sei, halten Psychoanalytiker und Pädagogen entgegen, dass sich die soziologische Generationentheorie damit einer Fortschrittsgläubigkeit verschrieben habe und die für das Generationenverhältnis als grundlegend zu erachtende Gefühlserbschaft weitgehend vernachlässige. Solche Einwände verdeutlichen, dass es für eine reflektierte Generationentheorie heute unabdingbar ist, den Generationenbegriff fachübergreifend als erfahrungsgeschichtliche Kategorie aufzufassen. Denn es ist weitaus ergiebiger, die kommunikativen Bedingungen in den Blick zu nehmen, unter denen generationelle Selbstverortungen vorgenommen werden, als sie substantialistisch aufspüren zu wollen. Generation building ist ein überwiegend im öffentlichen Raum lokalisierter Vergemeinschaftungsprozess und somit Gegenstand und Ergebnis kollektiver Verständigungen. Solche Vergemeinschaftungen brauchen massenmedial verfügbare Identifikationsobjekte, damit potentielle Gemeinsamkeiten überhaupt verhandelt und tradiert werden können. Das trifft nicht nur für politische Generationen zu, sondern ebenso für generationelle Selbstdeutungen, die sich an kulturellen oder sozialen Lebensbedingungen orientieren. Solche oft diffusen Gemeinschaften brauchen zwar nicht das historische Großereignis, wohl aber die Erwartung, dass ein gemeinsames Lebensgefühl ausreicht, um sich in modernen Zeiten nicht allein zu fühlen.
Trotz seiner unbestrittenen Verdienste hat Mannheims Generationentheorie auch dazu beigetragen, dass gewisse begriffliche Unschärfen in der Generationenforschung forbestehen. Er entwarf Generation als eine wissenschaftliche Kategorie zwischen Kultur und Natur, und blieb eine explizite Abgrenzung zu Begriffen wie Generativität, Alterskohorte und Genealogie schuldig. Mit diesen Versäumnissen hat sich die Generationenforschung bis heute auseinanderzusetzen. Gleichzeitig gilt es den mittlerweile inflationären Gebrauch des Generationenbegriffs wissenschaftlich zu reflektieren. Denn in der Öffentlichkeit verkauft sich das Generationenetikett schlicht hervorragend, unabhängig davon, ob man wirklich etwas zu sagen hat. Wer generationell argumentiert, kann auf erhöhte Aufmerksamkeit in den Massenmedien hoffen. Diese Tendenz nicht nur als Substanzverlust zu beklagen, sondern als Phänomen von gesellschaftlicher Relevanz zu analysieren, gehört fächerübergreifend zu den Hauptaufgaben einer zukünftigen Generationenforschung.
Und eine zweite Herausforderung nimmt bereits Konturen an: Eine wieder stärkere theoretische Reflexion scheint auch deswegen unausweichlich, weil seit geraumer Zeit zu beobachten ist, dass der Generationenbegriff zunehmend in transnationalen Kontexten beansprucht und reflektiert wird. Während Mannheim noch eine an nationalen Referenzen orientierte Generationentheorie entwarf, steht die Generationenforschung heute vor der Herausforderung, generationelle Vergemeinschaftungen - wie die der 68er - in weltgesellschaftlichen Bezügen zu denken. Ob es sich bei der Studentenbewegung allerdings tatsächlich um die erste globale Generation handelte, werden empirische Fallstudien in den nächsten Jahren erst noch zu prüfen haben. Doch unabhängig davon stellen die gegenwärtig aufbrechenden Zugehörigkeits- und Gemeinschaftskonstruktionen in einer sich globalisierenden Welt neue Anforderungen an eine Generationentheorie, die sich ihrer wissenssoziologischen Traditionen verbunden weiß.
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Das Problem der Generationen.[ ]
I. Die Problemlage.[ ]
1. Die positivistische Fragestellung.[ ]
Auch bei dieser Frage ist die erste Pflicht des Soziologen die Problemlage zu sichten. Allzu oft hat er es mit heimatlos gewordenen Fragestellungen zu tun, mit Problemen, zu denen alle Wissenschaften ihr Scherflein beigetragen haben, bei denen aber über die Kontinuität der Problematik niemand gewacht hat. Aber nicht einfach „Dogmengeschichte“ des Problems gilt es hier zu geben, sondern die „innere Lage“ der Fragestellung zu skizzieren (Teil I), um auf diese Weise den eigenen Zugang zur Lösung zu sichern (Teil II).
Zwei Wege hatte die Fragestellung bei dem Problem der Generationen eingeschlagen: einen positivistischen und einen romantisch-historistischen. Zwei Arten des Welterlebens standen sich hierbei einander gegenüber und errangen sich von zwei Seiten her den Zugang zum Thema. Der erste Weg sah sein Ideal in der Quantifizierbarkeit der Problematik; er suchte die Grenzdaten des Mensch-Seins quantitativ zu erfassen. Der andere Weg hatte einen qualitativen Zugriff, verzichtete auf das mathematische Tageslicht und verinnerlichte das Problem. Zunächst sei vom ersten Wege die Rede.
Den Positivisten fesselt das Problem, weil er hier das Gefühl hat, bis an die Grenztatsachen des Mensch-Seins überhaupt vorgedrungen zu sein. Daß es Leben und Tod und eine begrenzte, zahlenmäßig erfaßbare Lebensdauer gibt, daß sich Generationen in bestimmten Abständen ablösen, darin scheint hier dem Positivisten die Rahmenform unseres Schicksals erfaßbar und noch mehr, zahlenmäßig fixierbar zu sein. Alle sonstigen Daten sind ja im menschlichen Leben bedingt, sie drücken nur die besonderen Verhältnisse aus. Sie können verschwinden, und mit ihnen schwindet nur eine bedingte Gestalt des historischen Seins. Denkt man sich aber diese Grenzdaten verändert, so hebt sich das Mensch-Sein in dem uns bekannten Sinne auf – Kultur, Schöpfung, Tradition verschwinden oder bekommen zumindest ein völlig anderes Gesicht.
Schon Hume hatte in diesem Sinne mit dem Gedanken der Datenänderung gespielt. Man denke sich – so sagte er – die Art und Weise der Generationsfolge beim Menschen verändert, etwa so, wie sie bei den Raupen und Schmetterlingen ist, wo die ältere Generation mit einem Schlage verschwindet und die nächste auf einmal erscheint. Ferner denke man sich den Menschen in allen Dingen als ein geistig hochstehendes Wesen, das in der Lage ist, die ihm genehme Regierungsform – das ist ja das zentrale Problem seiner Zeit – sich selbst zu wählen. Bei dieser seinsmäßigen Datenänderung wäre es möglich und angebracht, die Staatsform – ohne Rücksicht auf die Vorfahren und deren Gesetze – stets neu zu gestalten. Nur weil die Menschheit bei ihrer vorhandenen Gestalt in ihrer Generationsfolge einen kontinuierlichen Fluß darstellt – da ja in jeder Stunde, wo einer stirbt, ein anderer auf den Plan auftritt –, ist es nötig, auf die Kontinuität der Regierungsform zu achten. In dieser Überlegung erscheint also das Prinzip der politischen Kontinuität unmittelbar auf das biologische Grenzdatum der Kontinuierlichkeit in der Generationsfolge gestützt.
Auch Comte[1] spielte mit der Möglichkeit durch ein Andersdenken der Grenzdaten in der Generationsfolge und durch ein Andersdenken der durchschnittlichen Lebensdauer der Menschen, die Eigenart und das Tempo des Fortschritts – das war das große Problem seiner Zeit – zu beleuchten. Denken wir uns – so sagt er – die durchschnittliche Lebensdauer des Individuums verlängert oder verkürzt, so verändert sich mit dieser die Geschwindigkeit, das Tempo des Fortschrittes. Durch eine Verlängerung der Lebensdauer der Individuen würde das Tempo des Fortschrittes gehemmt; durch eine Verkürzung der Lebensdauer etwa auf die Hälfte oder ein Viertel ihres gegenwärtigen Maßes würde das Tempo des Fortschrittes in entsprechender Weise beschleunigt werden, und zwar deshalb, weil im ersteren Falle die hemmende, konservierend-bremsende Rolle der alten Leute infolge ihrer längeren Lebensdauer länger, im letzteren Falle durch ihr schnelles Verschwinden kürzer in Wirkung treten würde.
Wäre ein übermäßiges Retardieren von Schaden, so läge in einer zu großen Beschleunigung des Tempos die Gefahr der Unausgelebtheit und Verflachung der Lebensgehalte. Ohne also behaupten zu wollen, daß unsere Welt die beste aller Welten sei, meint Comte doch, daß unsere Lebensdauer – und damit verbunden – die durchschnittliche Generationsdauer von 30 Jahren ein notwendiges Korrelat unseres Organismus sei, daß ferner das langsame Fortschreiten der Menschheit in unmittelbarer Beziehung zu dieser organischen Beschränktheit stehe. Hier erscheint also das Tempo des Fortschrittes und das Vorhandensein konservierender wie reformierender Kräfte unmittelbar auf das biologische Faktum reduziert. Wahrlich, es ist dies ein Sehen des Problems bei Tageslicht. Alles ist beinahe mathematisch deutlich, alles ist klar in seine Elemente zerlegbar, die konstruktive Phantasie des Denkers feiert Triumphe, in freier Kombination der Faktoren sind auch die letzten konstanten Gegebenheiten des Mensch-Seins erfaßt, und das Geheimnis der Geschichte liegt beinahe auf der Hand.
Der Rationalismus der Klassik findet hier seine Fortsetzung im Rationalismus des Positivismus, das französische Denken kommt hier zu sich, und in der Tat sind die wichtigsten Träger des Problems vornehmlich Franzosen. Comte, Cournot, J. Dromel, Mentré und andere Autoren außerhalb Deutschlands sind Positivisten oder haben positivistischen Einfluß erfahren: Ferrari der Italiener, und O. Lorenz, der österreichische Geschichtsschreiber, wirkten zu einer Zeit, als die positivistische Welle Europa zu einer Einheit verband.[2]
Ihre Problemstellung hat irgendwo etwas Gemeinsames. Im Zentrum der Frage steht das Bestreben, ein generelles Gesetz der historischen Rhythmik zu finden, und zwar auf Grund des biologischen Gesetzes der begrenzten Lebensdauer des Menschen und der Gegebenheit der Altersstufen. Das Ziel ist, aus der Sphäre der Biologie heraus unmittelbar den formalen Wechsel der geistigen und sozialen Strömungen zu verstehen, die Gestalt des Fortschreitens des menschlichen Geschlechtes von den vitalen Unterlagen her zu erfassen. Hierbei wird alles womöglich vereinfacht, eine schematisierende Psychologie sorgt dafür, daß das Alter stets als das konservative Element und die Jugend nur in ihrem Stürmertum gesehen wird. Die Geistesgeschichte sieht in dieser Darstellung aus, als hätte man nur die „historischen Zeittafeln“ studiert. Die Schwierigkeit des Problems scheint nach diesen Vereinfachungen eben nur darin zu liegen: die durchschnittliche Zeit zu finden, in der im öffentlichen Leben eine frühere Generation durch die neue abgelöst wird und hauptsächlich, den natürlichen Anfang zu finden, wo man in der Geschichte den Einschnitt vorzunehmen hat, von wo aus man zu zählen hat. Die Dauer der Generationen wird jeweils verschieden bestimmt, manche setzen die Wirkungsdauer der Generation auf 15 Jahre (z. B. Dromel), die meisten aber auf 30; aus der Überlegung heraus, daß die ersten 30 Jahre die Bildungsjahre seien, das Eigenschöpferische im Individuum durchschnittlich erst dann beginne, und mit 60 Jahren der Mensch das öffentliche Leben verlasse.[3] Schwieriger ist schon, den natürlichen Anfang der Generationsfolgen zu finden, denn Geburt und Abgang der Menschen in der Gesellschaft erfolgt kontinuierlich, volle Intervalle gibt es nur in der einzelnen Familie, wo die Wartezeit der Kinder bis zur Heiratsfähigkeit eindeutig gegeben ist.
Hier liegt für diese Fragestellung das Zentrum; das übrige ist Anwendung auf die Geschichte, Exemplifizierung, aber auch hier erarbeitet der Wille zur klaren Sonderung manche wertvolle Ansätze zum Problem.
So hat insbesondere Mentré,[4] dessen Verdienst es auch ist, die erste historische Übersicht dieses Problems gegeben zu haben,[5] die Problemstellung auf eine solidere Basis erhoben. Einer Behandlung des Generationsphänomens bei den Tieren, auf Grund der Arbeit von Espinas (Les sociétés animales, Paris 1877) folgt eine Analyse desselben in der menschlichen Familienfolge. Erst von hier aus wird der Aufstieg in die komplizierteren Gebiete gewagt und das Problem der sozialen und geistigen Generationen untersucht.
Wichtig ist auch die Differenzierung des Problems, die es bei ihm dadurch erfährt, daß er (mit Lévy-Bruhl) die Unterscheidung zwischen „institutions“ und „séries libres“ trifft. Die Generationsrhythmik scheint eher in den „séries“, also in der Abfolge freier Gruppierungen der Menschen (Salons, literarische Gruppen usw.) wahrnehmbar zu sein, als etwa im Schoße der Institutionen, die Habitus, Aktionsweise durch Bestimmungen oder durch gemeinsame Werkleistungen im Voraus weitgehend festlegen und dadurch das Neue der heranwachsenden Generationen verdecken. Einen wesentlichen Teil seiner Untersuchungen erfüllt die Frage, ob es wohl eine vorherrschende Sphäre im historischen Geschehen gebe (wie etwa Politik, Wissenschaft, Recht, Kunst, Ökonomie usw.), die sozusagen als Dominante die übrigen bestimmt. Er kommt zum Ergebnis, daß es keine solche eindeutig vorherrschende, die übrigen in der Rhythmik bestimmende Sphäre gebe, denn alle besonderen Sphären seien eingesenkt in den Fluß der allgemeinen Geschichte, die sie alle von einem einheitlichen Zentrum aus bewegt,[6] wohl aber sei die ästhetische Sphäre am geeignetsten, den Totalwandel des Geistes widerzuspiegeln. Gerade die zentrale Analyse der Geschichte dieser Sphäre in Frankreich seit dem 16. Jahrh. scheint ihm zu ergeben, daß alle 30 Jahre wesentliche Wandlungen sich vollzogen haben.
Das im Vergleich zum Umfang eigentlich wenig ergiebige Buch bleibt als erste zusammenfassende Sichtung des Problems verdienstvoll, wenn man auch eine durchgehaltene Problemstellung mit nötiger Vertiefung vermißt. Die Franzosen interessiert übrigens in der jüngsten Epoche der Generationswechsel schon deshalb, weil man unmittelbar Zeuge war, wie die liberal-kosmopolitische Welle plötzlich verschüttet wurde durch das Aufsteigen einer nationalistischen Jugend. Der Generationswechsel schien unmittelbares Erlebnis zu sein und ein über das Fachwissenschaftliche hinausragendes Problem, das man in der lebendigen Wirklichkeit gelegentlich in Gestalt einer konkreten Umfrage mit beobachtendem Sinn verfolgte.[7]
Wenn auch bei Mentré ab und zu andeutungsweise Durchbrüche vorhanden sind, die die Transzendierung der rein quantitativen Betrachtung andeuten, so schließt mit ihm zunächst der eine Kreis der Generationsproblematik, deren Grundstimmung und Methode wir bisher zu charakterisieren versuchten. Nun gilt es eine andere Möglichkeit, die in diesem Problem liegt, näher ins Auge zu fassen.
2. Die romantisch-historische Fragestellung.[ ]
In eine völlig andere Atmosphäre gelangen wir, wenn wir den Spuren der Problemstellung in Deutschland folgen. Es gibt wohl kaum einen besseren Beweis für die These, daß die Art der Fragestellung und der Denkweise je nach Ländern, Epochen und dominierenden politischen Wollungen verschieden ist, als die Konfrontierung der Lösungen dieses Problems in den verschiedenen Ländern mit den jeweils herrschenden Strömungen. Zwar hatten noch Rümelin, der von der Statistik aus das Problem zu stellen versuchte, und O. Lorenz, der von der Genealogieforschung aus an die Lösung heranging, im wesentlichen der positivistischen Epoche ihren Tribut gezollt. Ein spezifisch „deutsches“ Gesicht aber bekam die Fragestellung, als Dilthey sich um eine Klärung bemühte. In Dilthey verjüngen sich jene Traditionen und Impulse, die in der Romantik und in der historischen Schule lebendig waren, in ihm brechen plötzlich und in erneuerter Gestalt Fragestellungen und Kategorien hervor, die gerade von diesem romantisch-historischen Boden aus die Geisteswissenschaften in Deutschland einst fundierten.
Ganz der historischen und politischen Strukturiertheit der beiden Länder entsprechend, differenzierten sich die dominierenden, die letzte Epoche beherrschenden Denkströmungen in Deutschland und in Frankreich.
In Frankreich wurde zur Dominante das positivistische, aus den Aufklärungstraditionen unmittelbar fließende Denken. Es beherrschte dort nicht nur die Naturwissenschaften, sondern fundierte auch die Geisteswissenschaften. Es wurde nicht nur von den oppositionellen Tendenzen getragen, sondern durchdrang auch Konservatismus und Traditionalismus. Ganz umgekehrt war die Gesamtlage in Deutschland, wo stets die von konservativen Impulsen getriebene Romantik und der Historismus das Heft in der Hand behielten. Hier konnten nur die Naturwissenschaften sich weitgehend im Zeichen des Positivismus konstituieren; die Geisteswissenschaften wurden historistisch-romantisch fundiert, und nur vorstoßweise und im wesentlichen nur von oppositionellen Strömungen getragen, gelang es dem Positivismus zeitweise sich durchzusetzen.
Im Zeichen dieser dominierenden Antithese, die man aber auch nicht übertreiben und pressen darf, wird beinahe um eine jede logische Denkkategorie gerungen, und auch das Generationsproblem erscheint nur als eine Etappe in dieser viel umfassenderen Kampagne. Man kann den hier vorherrschenden Unterschied und die Verschiedenheit zwischen französisch-positivistischer und deutsch-romantischer Fragestellung im Bereiche der Generationsproblematik gar nicht verstehen, wenn man ihn nicht in diesen größeren Zusammenhang einstellt.
Für den Liberalen, Positivisten, im erwähnten Sinne idealtypischen Franzosen ist das Generationsproblem zumeist ein Beleg für die geradlinige Fortschrittskonzeption.
Dieses aus modern-liberalen Impulsen erwachsene Denken hatte von Anfang an mit einem veräußerlichten, mechanisierten Zeitbegriff operiert und versuchte an der quantitativ meßbaren Zeit einen objektiven Maßstab für den geradlinigen Fortschritt zu finden. Auch die Abfolge der Generationen erschien hier eher als ein Geschehen, das die Geradlinigkeit der Zeitfolge nicht so sehr durchbrach, als es sie artikulierte. Das Wichtigste am Generationswechsel blieb, daß er als einer der wesentlichsten treibenden Faktoren im Fortschritt betrachtet wurde.
Aber gerade diese Fortschrittskonzeption wird Etappe für Etappe abgebaut, wenn man – auf die konservativen Beobachtungsimpulse zurückgreifend – im romantisch-historistisch fundierten deutschen Denken im Generationsproblem geradezu einen Gegenbeweis gegen die Linienhaftigkeit des historischen Zeitablaufes zu finden bestrebt ist.[8] Das Generationsproblem wird hier auf diese Weise zum Problem des Vorhandenseins einer nicht meßbaren, rein qualitativ erfaßbaren inneren Zeit.
Das relative Novum, das bei Dilthey erscheint, ist eben diese Gegenüberstellung von quantitativ meßbarer und nur qualitativ erfaßbarer innerer Erlebniszeit. Das Problem der Generationen interessiert Dilthey nach eigenem Zugeständnis vornehmlich, weil durch die Generationseinheit das übliche, nur äußerliche Gerüst des Verlaufs geistiger Bewegungen, das nur Stunden, Monate, Jahre, Jahrzehnte zur Grundlage hat, ersetzt werden kann durch eine „von innen abmessende Vorstellung“. Die Generationseinheiten ermöglichen eben ein nacherlebbares anschauliches Abmessen geistiger Bewegungen.[9]
Das zweite, was Dilthey ferner am Generationsphänomen feststellt, ist, daß nicht nur die Abfolge, sondern auch das Phänomen der Gleichzeitigkeit hier einen tieferen als den bloß chronologischen Sinn erhält. Gleichzeitig aufwachsende Individuen erfahren in den Jahren der größten Aufnahmebereitschaft, aber auch später die selben leitenden Einwirkungen sowohl von seiten der sie beeindruckenden intellektuellen Kultur als auch von seiten der gesellschaftlich-politischen Zustände. Sie bilden eine Generation, eine Gleichzeitigkeit, weil diese Wirkungen einheitlich sind. Gerade durch diese Wendung, daß Gleichzeitigkeit im Geistesgeschichtlichen nicht ein chronologisches Datum, sondern Gleichartigkeit der vorhandenen Einwirkungen bedeutet, gleitet die Fragestellung von einer Ebene, die in eine mystische Zahlenarithmetik umzuschlagen neigte, in das Gebiet der bloß durch das Verstehen erfaßbaren Innerzeitlichkeit.
Aus dem Problem des nur mathematisch Zählbaren wird ein Problem des Qualitativen, das nur nacherlebbar ist: Generationsabstand wird innerlich nacherlebbare Zeit, Generationsgleichzeitigkeit zu einem innerlichen Identisch-Bestimmtsein.
Von hier aus ist es nur ein Schritt zum Phänomenologen Heidegger, der gerade dieses Problem der qualitativen Verbundenheit vertieft und als Geschick dieses Verbundenseins zu bestimmen versucht. „Das Geschick setzt sich nicht aus einzelnen Schicksalen zusammen, sowenig als das Miteinandersein als ein Zusammenvorkommen mehrerer Subjekte begriffen werden kann. Im Miteinandersein in derselben Welt und in der Entschlossenheit für bestimmte Möglichkeiten sind die Schicksale im vorhinein schon geleitet. In der Mitteilung und im Kampf wird die Macht des Geschickes erst frei. Das schicksalshafte Geschick des Daseins in und mit seiner 'Generation' macht das volle eigentliche Geschehen des Daseins aus“.[10]
Aus denselben Wurzeln des qualitativen Zeitbegriffs, den wir schon im Diltheyschen Ansatz vorgefunden haben, erwächst die Problemstellung des Kunsthistorikers Pinder.[11] Bei Dilthey berührt erfreulich die weise Zurückhaltung, mit der er nur wirkliche Möglichkeiten, die der romantisch qualitative Zugriff verschafft, zur Geltung bringt. Er verstand es eben, auch vom Positivismus zu lernen. Pinder verfällt dagegen völlig der romantischen Verlockung, vertieft sehr vieles, versteht es aber nicht, den romantischen Zügellosigkeiten zu entgehen. Was Pinder vor allem am Generationsphänomen interessiert, ist die „Ungleichzeitigkeit des Gleichzeitigen“. In derselben chronologischen Zeit leben verschiedene Generationen. Da aber wirkliche Zeit nur die erlebte Zeit ist, leben sie alle eigentlich in einer qualitativ völlig verschiedenen inneren Zeit. „Jeder lebt mit Gleichaltrigen und Verschiedenaltrigen in einer Fülle gleichzeitiger Möglichkeiten. Für jeden ist die gleiche Zeit eine andere Zeit, nämlich ein anderes Zeitalter seiner selbst, das er nur mit Gleichaltrigen teilt“.[12]
Jeder Zeitpunkt ist deshalb eigentlich ein Zeitraum, er hat mehrere Dimensionen, da er ja stets von verschiedenen Entfaltungen der einzelnen daseienden Generationsschichten aus erreicht wird.[13] Das Zeitdenken muß also – um ein musikalisches Gleichnis Pinders anzuwenden – polyphon organisiert sein, in jedem „Zeitpunkt“ muß man die einzelnen Stimmen der einzelnen Generationen heraushören, die stets von sich aus jenen Punkt erreichen.
Ein zweiter Gedanke ist, daß jede Generation aus sich heraus eine eigene „Entelechie“ bilde, wodurch allein sie eigentlich erst zu einer qualitativen Einheit wird. Bestand die innere Einheit einer Generation bei Dilthey in der Gemeinsamkeit der Einflüsse geistiger und gesellschaftlicher Art, so war bei ihm die Verbindung noch nicht völlig qualitativ erfaßbar. Suchte Heidegger hier abzuhelfen durch den Begriff des die Einheit erst konstituierenden Geschicks, so stellt sich bei Pinder – aus den Traditionen der modernen Kunstgeschichte kommend – der Begriff der Entelechie ein.
Entelechie einer Generation ist nach ihm Ausdruck der Einheit ihres „inneren Zieles“, Ausdruck eingeborenen Lebens- und Weltgefühls. Von den kunstgeschichtlichen Traditionen aus gesehen ist die Generationsentelechie eine Übertragung des Rieglschen „Kunstwollens“[14] vom Phänomen der Stileinheit auf die Generationseinheit; wie denn der Rieglsche Begriff des Kunstwollens eine etwas ins Positivistische übersetzte Verjüngung und Fruchtbarmachung jener morphologischen Tendenzen war, die bereits im historistischen Volksgeistbegriff angelegt waren. Hatte man bisher hauptsächlich mit der Einheit „Zeitgeist“ gearbeitet, so erweist sich hier diese Einheit – in einer von Pinder so gern bevorzugten musikalischen Analogie ausgedrückt – als eine Scheinakkordik des vertikalen Zusammentreffens einzelner Töne, die zunächst verschiedenen Horizontalsystemen (primär den Generationsentelechien) einer Fuge angehören.[15] Die Generationsentelechien dienen also hier zur Destruktion der bisher überbetonten Zeiteinheit (Zeitgeist, Geist einer Epoche). Die Einheit einer Epoche hat keinen einheitlichen, treibenden Impuls, kein einheitlich formendes Prinzip, also keine Entelechie; ihre Einheit besteht höchstens in der Verwandtschaft der Mittel, die dieselbe Zeit den verschiedenen Generationsaufgaben zur Verfügung stellt. Es gibt Zeitfarben, „sie sind in Wahrheit vorhanden, aber etwa so, wie Lasuren über mehreren einander durchschimmernden Generations- und Lebensaltersfarben“.[16]
Wird also hier im wesentlichen durch die Leugnung des Vorhandenseins einer entsprechenden Entelechie die Einheitlichkeit einer Epoche geleugnet und dadurch der Zeitgeistbegriff relativiert und abgebaut, so werden die übrigen Einheiten, mit denen die Geistesgeschichte zu arbeiten pflegt, in ihrer Geltung belassen. Nach Pinder gibt es außer der Generationsentelechie noch Entelechien der Künste, Entelechien des Sprachlichen, Entelechien der Stile, Entelechien der Nationen, des Stammhaften, aber auch eine Entelechie des Europäertums und schließlich die Entelechien der Einzelnen.
Wie gestaltet sich nun bei Pinder das geschichtliche Geschehen? Durch ein Zusammenspiel der stetigen und der zeitlichen Faktoren. Die stetigen Faktoren sind: Kulturraum, Nation, Stamm, Familie, Individualität, Typus; die zeitlichen Faktoren sind die erwähnten Entelechien. „Behauptet wird eine Priorität des Wachstums vor den Erfahrungen ('Einflüssen', 'Beziehungen'). Behauptet wird, daß das kunstgeschichtliche Leben entsteht aus dem Zusammenwirken bestimmender Entelechien, die in geheimnisvollem Naturvorgange geboren werden, mit den (selbstverständlich ebenfalls wesentlichen) Reibungen, Einflüssen, Beziehungen, die in der tatsächlichen Entfaltung dieser Entelechien erfahren werden.“[17] Was hier zunächst ins Auge fällt, ist, daß wir in keiner Reihe der Faktoren das Gesellschaftliche auch nur im entfernten Sinne erwähnt finden.
Diese romantische Strömung in Deutschland überdeckt völlig die Tatsache, daß zwischen der naturalen Sphäre und der geistigen noch die Ebene der gesellschaftlich formierenden Kräfte liegt. Entweder ist man hier völlig spiritualistisch und läßt alles aus Entelechien hervorgehen (die es sicher gibt), oder aber man hat das Gefühl, man müßte doch auch etwas Realismus in die Sache bringen, und dann hält das unmittelbar Vitale, Rasse, Generation (die es sicher auch gibt) her und bringt in „geheimnisvollem Naturvorgange“ die geistigen Potenzen hervor. Geheimnisse gibt es sicher auch so noch in der Welt; aber man soll sie an ihrem Orte zur Geltung kommen lassen und nicht dort, wo man die Agglomerierung der Kräfte noch weitgehend aus dem gesellschaftlichen Geschehen verstehen könnte. Eine mitgestaltende Kraft haben wohl auch die gesellschaftlichen Beziehungen, in denen Menschen zunächst sich treffen, in ihren Gruppierungen, wo sie sich gegenseitig entzünden und wo ihre realen Kämpfe Entelechien schaffen und von hier aus auch Religion, Kunst usw. in Mitleidenschaft ziehen und weitgehend modellieren. Vielleicht wäre es doch auch lohnend zu fragen, ob es sich hier nicht nur um „Reibungen“, „Einflüsse“ und „Beziehungen“ handle, vielleicht strahlt auch aus diesen Faktoren schöpferische Kraft, bildende Gewalt, soziale Entelechie? Vielleicht vermitteln gerade diese, aus dem sozialen Miteinander und Gegeneinander strömenden Energien zwischen den sonst nur zufällig aneinander geratenden und sich kreuzenden übrigen Entelechien der Künste, Stile, Generationen usw.? Betrachtet man die Dinge nicht in diesem Sinne, und setzt man die höchsten Ausdrucksformen des Spiritualen ohne soziologisch-historische Vermittlung in Beziehung zur vitalen Sphäre, so kommt man allzu leicht zur Vermutung, daß entscheidende Generationen „Würfe der Natur“[18] sind, und „fast fühlt man sich versucht, vom Problem der Geburtszeiten aus auch noch das viel geheimnisvollere und schwierigere der Todeszeiten aufdämmern zu sehen“.[19] Um wie Vieles nüchterner, zugleich aber mehr wahren Forschungstrieb verratend, ist Diltheys Satz, der gleichsam solche Spekulationen vorwegnehmend sagt: „Inzwischen erscheint doch die Annahme als die natürlichste, daß im ganzen sowohl das Maß als auch die Verteilung der Anlagen für jede Generation unter im ganzen gleichen Bedingungen nationaler Tüchtigkeit dieselben sind, daß also aus jenen zwei Gruppen von Bedingungen[20] die Verteilung wie die Intensität der Leistungen zu erklären sein wird“.[21]
Wertvoll, geradezu genial sind bei Pinder der Gedanke der „Ungleichzeitigkeit des Gleichzeitigen“, der Gedanke der Entelechien; Gedanken, die aus dem romantisch-historischen Ansatz kommen und für die der Positivismus sicher kein Organ hat. Gefährlich und alle Wissenschaftlichkeit bedrohend werden aber seine Ausführungen, wenn er den analogisierenden Denkformen verfällt. Diese Denkweise geht eigentlich auf die naturphilosophischen Spekulationen der Renaissance zurück, wurde in der Romantik verlebendigt und bis ins Groteske gesteigert; gegenwärtig ist sie bei Pinder in Gebrauch, so oft er den biologischen Weltrhythmus deduziert. Auch ihm kommt es nunmehr darauf an, zahlenmäßig feststellbare Intervalle (wenn auch etwas elastischer gehalten) im historischen Geschehen zu fixieren und im Verlauf der Geschichte entscheidende Geburtsschichten mit Hilfe dieser magischen Generationsformel zu finden. Noch konstruktiver verfährt Joel,[22] dieser sonst so verdienstvolle Forscher. In seinen neuesten Ausführungen über den säkularen Rhythmus der Geschichte fühlt man sich geradezu an die romantischen Spekulationen erinnert.
Es ist überhaupt ein Fehlgriff, den die meisten Forscher begehen, zu meinen, ein wirkliches Generationsproblem gebe es nur dann, wenn man eine Generationsrhythmik mit ein für allemal fixierbaren zeitlichen Intervallen aufzuweisen imstande ist. Das Generationsproblem ist ein zu erforschendes und reichhaltiges Problem, auch dann, wenn die Intervallentheorie sich als unnachweisbar zeigen sollte.
Wir wissen es nicht, vielleicht gibt es auch einen säkularen Rhythmus in der Geschichte, vielleicht wird man ihn auch einmal erkennen. Wir sträuben uns aber dagegen, ihn auf einem fantasierend spekulativen Wege zu erfahren, – ganz besonders wenn diese biologisch oder geistig fundierte Spekulation nur ein Ausweg ist, um der Erforschung dessen, was näher liegt und erforschbar ist, der durchleuchtbaren Textur sozialen Geschehens und deren Einwirkungen auf das Generationsphänomen zu entgehen. Der biologische Rhythmus wirkt sich im Elemente des sozialen Geschehens aus; wenn man diese Formungsschicht völlig übergeht und unmittelbar alles aus dem Vitalen heraus zu erfassen sucht, so verschüttet man in der Lösungsweise des Problems alle fruchtbaren Keime, die in der Fragestellung so erfreulich und so verheißungsvoll vorhanden waren.[23]
II. Das soziologische Problem der Generationen.[ ]
Das Problem der Generationen ist ein ernst zu nehmendes und wichtiges Problem. Bei der Erkenntnis des Aufbaues der sozialen und geistigen Bewegungen ist es einer der unerläßlichen Führer. Seine praktische Bedeutung wird unmittelbar ersichtlich, sobald es sich um das genauere Verständnis der beschleunigten Umwälzungserscheinungen der unmittelbaren Gegenwart handelt. Es wäre schade, wenn außerwissenschaftliche Methoden das dabei ohne weiteres Erforschbare auf die Dauer verdecken würden.
Aus der vorangegangenen Sichtung der gegenwärtigen Problemlage ergibt sich wohl eindeutig, daß es an einer Einheitlichkeit der Problemstellung mangelt. Die geistes- und sozialwissenschaftlichen Disziplinen der einzelnen führenden Länder nehmen nur gelegentlich Kenntnis von den gegenseitigen Ergebnissen. So nahm ganz besonders die deutsche Forschung im Gebiete des Generationsproblems keine Kenntnis von der ausländischen Lage. Die Tatsache, daß stets verschiedene Einzelwissenschaften das Problem in Angriff genommen haben, führte eine Situation herbei, bei der man höchstens von interessanten Anläufen und Beiträgen zur Gesamtlösung, nicht aber von einer klaren Problemstellung und von einem zielbewußten Forschen sprechen kann.
In der Mannigfaltigkeit der Ansätze, die sich sowohl aus der Verschiedenheit der Denktraditionen der einzelnen Nationen, als aus der denkerischen Eigenart der verschiedensten Einzelwissenschaften ergibt, liegt zwar ein großer Reiz und Reichtum, auch kann ein so umfassendes Problem nur durch eine entsprechende Kooperation der verschiedensten Disziplinen und Nationen gelöst werden, aber eine Kooperation muß doch irgendwo planvoll und durch ein organisierendes Zentrum innerlich zusammengehalten werden. So ist der Stand des Problems der Generation ein eminentes Beispiel für die Planlosigkeit in den Sozial- und Geisteswissenschaften, wo jeder immer von neuem ansetzt (was bis zu einem gewissen Grade fruchtbar und notwendig ist), und nur ganz selten gefragt wird, ob denn diese verschiedenen Ansätze nicht als Elemente eines einheitlichen Problemzusammenhanges betrachtet werden könnten, wobei Rolle und Anteil der einzelnen Disziplinen an der Gesamtlösung überlegt werden könnte.
Eine Überorganisation der Geistes- und Sozialwissenschaften ist auch nicht wünschenswert, aber es müßte zu mindest doch überlegt werden, ob es nicht stets eine Disziplin je nach der besonderen Eigenart der Frage gibt, die dieses organisierende Zentrum abgeben könnte. Bei dem Problem der Generationen ist es wohl ohne Zweifel die Soziologie, die irgendwie den Problementwurf herauszuarbeiten hat. Diesmal scheint es gerade die Aufgabe der formalen Soziologie zu sein, die elementarsten und zugleich aber auch die grundlegenden Tatbestände am Generationsphänomen herauszuarbeiten. Innerhalb der Formalsoziologie aber liegt dieses Problem an der Grenze zwischen statischer und dynamischer Forschung. Während die Formalsoziologie bisher zumeist die Gruppenexistenz der Menschen überhaupt in der Statik untersucht hatte, scheint dieses Problem zu einer Gruppe von Fragestellungen zu gehören, die gerade die dynamikstiftenden Kräfte und die Wirksamkeitsordnung der dynamischen Komponenten im gesellschaftlichen Geschehen herauszuarbeiten hat. So wäre gerade hier der Übergang von der rein formal statischen zur formal dynamischen und von dort zur angewandt historischen Soziologie gegeben, die alle zusammen erst das Gesamtfeld soziologischer Forschung auszumachen vermögen.
Im folgenden sollen in formalsoziologischer Klärung die elementarsten Tatbestände am Generationsphänomen herausgearbeitet werden, ohne deren Klärung historische Forschung in dieser Richtung gar nicht ansetzen kann: Zugleich aber sollen alle bisher angehäuften Einsichten, die sich als zutreffend erwiesen haben, verwertet werden, während wir stillschweigend diejenigen fallen lassen, die uns nicht genügend fundiert erscheinen.
1. Konkrete Gruppe – soziale Lagerung.[ ]
Will man das Phänomen des Generationszusammenhanges auf seine Fundamentalstrukturen hin sich vergegenwärtigen, so gilt es, das spezifische Miteinander der in der Generationseinheit verbundenen Individuen zu klären.
Die Einheit einer Generation ist zunächst gar keine auf konkrete Gruppenbildung hinstrebende soziale Verbundenheit, wenn es gelegentlich auch dazu kommen mag, daß das Faktum der Generationseinheit zur bewußten einheitsstiftenden Unterlage konkreter Gruppenbildungen wird (z. B. die Jugendbewegung in der Moderne).[24] Ist dies der Fall, so sind diese Bildungen zumeist Bünde und bilden als solche nur dadurch ein Spezifikum, daß hier primär nicht irgendwelche objektiven Gehalte, sondern gerade der bewußtgewordene Generationszusammenhang zur Unterlage einer konkreten Gruppenformation wird.
Sehen wir aber von diesem speziellen Fall ab, wo der Generationszusammenhang zur Veranlassung von konkreter Gruppenbildung werden kann, so können wir zunächst den Generationszusammenhang eben als einen bloßen Zusammenhang in Gegensatz zu den konkreten Gruppenbildungen stellen.
Beispiele konkreter Gruppenbildungen sind etwa Zweckverbände, Familie, Sippe, Gesinnungsgemeinschaften usw. Alle diese konkreten Gruppenformen sind dadurch charakterisierbar, daß die ihnen zurechenbaren Individuen auch in concreto eine Gruppe bilden, sei es, daß diese Gruppeneinheit im wesentlichen durch vital, existentiell vorausgehende Bindungen der „Nähe“ fundiert sind oder durch bewußt gewollte Stiftung des „Kürwillens“ zustande kommen. Dem ersteren Typus entsprechen alle Gemeinschaftsgebilde (Familie, Sippe usw.), dem letzteren die „Gesellschaftsgebilde“.
Der Generationszusammenhang an sich läßt sich nicht charakterisieren als eine konkrete Gruppe im Sinne der Gemeinschaft, wo das voneinander in concreto Wissen Voraussetzung ist und deren geistig-seelische Auflösung erfolgt, wenn die äußere Nähe gesprengt ist. Der Generationszusammenhang ist aber auch nicht gesellschaftlichen Formationen – etwa Zweckverbänden – vergleichbar, wo bewußt gewollte Stiftung, Statutenhaftigkeit und Kündbarkeit das Bezeichnende sind und die Funktion haben, die äußere Nähe und die vital einfach daseiende Verbundenheit zu ersetzen.
Sprechen wir also von „konkreter Gruppe“, wenn entweder gewachsene oder gestiftete Bindungen Individuen zu einer Gruppe vereinigen, so ist der Generationszusammenhang ein Miteinander von Individuen, in dem man zwar auch durch etwas verbunden ist; aber aus dieser Verbundenheit ergibt sich zunächst noch keine konkrete Gruppe. Dennoch ist der Generationszusammenhang ein soziales Phänomen, dessen Eigenart beschrieben und erfaßt werden muß.
Vielleicht verhilft uns zur Klärung die Heranziehung einer ganz anders gearteten sozialen Kategorie, die zwar inhaltlich vom Generationszusammenhang grundverschieden ist, in bestimmten strukturellen Grundtatsachen aber eine Ähnlichkeit aufweist: wir denken an das Phänomen der Klassenlage. Unter Klassenlage könnte man, im weitesten Sinne des Wortes, verstehen eine schicksalsmäßig-verwandte Lagerung bestimmter Individuen im ökonomisch-machtmäßigen Gefüge der jeweiligen Gesellschaft. Man ist Proletarier, Unternehmer, Rentner usw. und man ist es, weil man das spezifische Schwergewicht einer besonderen Lagerung im gesellschaftlichen Gefüge (als sozialen Druck oder Chance) stets empfindet. Diese Lagerung im sozialen Raume ist nicht wie die Zugehörigkeit zu einem Verbande durch einen intellektuellen willensmäßigen Akt kündbar: man ist aber durch diese Tatsache auch nicht im selben Sinne vital schicksalsmäßig, mit allen Fasern seiner Existenz an eine konkrete Gruppe, wie in der Gemeinschaft, gebunden.
Man kann die Lagerung nur verlassen im individuellen oder kollektiven Aufstieg oder Abstieg; wobei es zunächst nebensächlich ist, ob durch Eigenverdienst, eigene Anstrengung oder durch soziale Konjunktur oder gar bloß durch Zufall.
Die Zugehörigkeit zu einem „Verbande“ erlischt durch Kündigung der Beziehung, die gemeinschaftlichen Bande hören auf, indem die geistigseelischen Beziehungen in uns oder auch in den übrigen Gliedern der Gruppe sich auflösen, die frühere Klassenlage verliert ihre Relevanz für uns, indem wir diese durch Änderung unserer wirtschaftlich machtmäßigen Position neu gestalten.
In einer Klassenlage befindet man sich; und es ist auch sekundär, ob man davon weiß oder nicht, ob man sich ihr zurechnet oder diese Zurechenbarkeit vor sich verhüllt.
Es gehört keineswegs immer zu einer Klassenlage ein Klassenbewußtsein, wenn auch das letztere unter bestimmten sozialen Bedingungen aus der ersteren aufsteigen kann, dieser dadurch ein besonderes Gepräge zu verleihen und aus der bloßen Klassenlage das Phänomen der „sich konstituierenden Klasse“ zu gestalten vermag.[25] Uns interessiert aber in unserem Zusammenhange an dem soeben analysierten Gebilde zunächst nur das Phänomen der Lagerung im sozialen Raume. Gegenüber den konkreten Gruppeneinheiten gibt es das Phänomen der verwandten Lagerung der Menschen im sozialen Raume – ein Moment, worin sich Klassenlage und Generationszusammenhang verwandt sind.
Wir haben also als ersten Schritt zur Analyse das Lagerungsphänomen gegenüber der Formation „konkrete Gruppe“ abgehoben, wobei zunächst so viel klar zu sein scheint, daß Generationszusammenhang auf einer verwandten Lagerung der einer Generation zurechenbaren Individuen im sozialen Raume beruht.
2. Abgrenzung der biologischen und soziologischen Fragestellung im Gebiete der Generationserscheinungen.[ ]
Die verwandte Lagerung im sozialen Raume ist nur bestimmbar durch die Nennung jenes Gefüges, in dem man und durch das man im gesellschaftlich-historischen Leben verwandt gelagert ist. Die Klassenlage war fundiert durch das Vorhandensein einer jeweilig sich verändernden, ökonomischen, machtmäßigen Struktur der Gesellschaft. Die Generationslagerung ist fundiert durch das Vorhandensein des biologischen Rhythmus im menschlichen Dasein: durch die Fakta des Lebens und des Todes, durch das Faktum der begrenzten Lebensdauer und durch das Faktum des Alterns. Durch die Zugehörigkeit zu einer Generation, zu ein und demselben „Geburtenjahrgange“ ist man im historischen Strome des gesellschaftlichen Geschehens verwandt gelagert.
Nun könnte man meinen, daß aus biologischen Strukturen unmittelbar das soziale Phänomen der Generationszusammengehörigkeit verstehbar und ableitbar ist. Das ist eben der Irrtum aller naturalistischen Theorien, daß sie unmittelbar aus diesen naturalen Gegebenheiten Soziologisches abzuleiten versuchen, bzw. in diese zunächst nur anthropologischen Tatsachen das soziale Phänomen aufgehen lassen möchten. Aus der Anthropologie und Biologie heraus sind nur das Faktum des Lebens und Sterbens, die begrenzte Lebensdauer und die mit dem Altern gegebenen körperlich-geistig-seelischen Wandlungen verstehbar, nicht aber jene Relevanz, die diese Urfakta jeweils für das gesellschaftlich-historische Miteinander bekommen.
Das soziologische Phänomen des Generationszusammenhanges ist fundiert durch das Faktum des biologischen Rhythmus der Geburten und des Todes. Durch etwas fundiert sein, bedeutet aber noch nicht, aus ihm ableitbar, in ihm enthalten sein. Das Phänomen, das durch ein anderes fundiert ist, könnte zwar nicht ohne es bestehen, es enthält aber in sich ein dem Fundierenden gegenüber unableitbares, qualitativ eigenartiges Superadditum. Gäbe es nicht das gesellschaftliche Miteinander der Menschen, gäbe es nicht eine bestimmt geartete Struktur der Gesellschaft, gäbe es nicht die auf spezifisch gearteten Kontinuitäten beruhende Geschichte, so entstünde nicht das auf dem Lagerungsphänomen beruhende Gebilde des Generationszusammenhanges, sondern nur das Geborenwerden, das Altern und das Sterben. Das soziologische Problem der Generationen fängt also erst dort an, wo auf die soziologische Relevanz dieser Vorgegebenheiten hin abgehoben wird. Hierbei ist die erste Aufgabe – um von dem Elementarphänomen auszugehen –, den Generationszusammenhang als besonderen Typus der sozialen Lagerung zu verstehen.
3. Die einer Lagerung „inhärierende Tendenz“.[ ]
Klassenlage und Generationslage (Zugehörigkeit zu einander verwandten Geburtsjahrgängen) haben also das Gemeinsame, daß sie als Folge einer spezifischen Lagerung der durch sie betroffenen Individuen im gesellschaftlich-historischen Lebensraume, diese Individuen auf einen bestimmten Spielraum möglichen Geschehens beschränken und damit eine spezifische Art des Erlebens und Denkens, eine spezifische Art des Eingreifens in den historischen Prozeß nahelegen. Eine jede Lagerung schaltet also primär eine große Zahl der möglichen Arten und Weisen des Erlebens, Denkens, Fühlens und Handelns überhaupt aus und beschränkt den Spielraum des sich Auswirkens der Individualität auf bestimmte umgrenzte Möglichkeiten. Aber mit dieser Fixierung der negativen Beschränkung ist noch nicht alles erfaßt. Es inhäriert einer jeden Lagerung im positiven Sinne eine Tendenz auf bestimmte Verhaltungs-, Gefühls- und Denkweisen, die aus dem eigenen Schwergewicht der Lagerung heraus vom Soziologen aus verstehend erfaßbar ist.
Wir wollen also in diesem Sinne, von einer, einer jeden Lagerung inhärierenden Tendenz sprechen, die aus der Eigenart der Lagerung selbst bestimmbar ist.
Für eine bestimmte Klassenlage gibt sich (in stets sich wiederholender Erfahrung) die Gesellschaft in einem bestimmten Aspekt, aber auch die den gesellschaftlich-geistigen Raum ausfüllenden Erlebnis-, Denk- und Gefühlsgehalte sind nicht „überhaupt“ da, sondern sie sind für jede Klassenlage nur in einem bestimmten „Aspekt“ vorhanden. Der Proletarier partizipiert äußerst wahrscheinlich in einer in seiner Schicht üblichen Weise an den Kulturgütern und nur an bestimmten Kulturgütern. Auch eine so einheitlich anmutende Geistigkeit, wie die kirchlich-mittelalterliche Kultur, bietet andere Gehalte dem theologisierenden Kleriker, andere dem Ritter, andere dem Mönch usw. Aber auch dort, wo und insofern dieselben geistigen Gehalte geboten werden, oder allen „zugänglich“ sind, ist eben diese Zugangsweise, die Art und Weise der Hinwendung, Verarbeitung, Weiterbildung noch immer mehr oder minder richtungsbestimmt. Wir pflegen in solchen Fällen zu sagen, die Zugangsweise sei jeweils durch spezielle Traditionen der betreffenden Schicht bestimmt. Aber auch die Traditionen von Lebenskreisen und sozialen Schichten sind nicht nur aus der Geschichte, sondern hauptsächlich aus der Lagerung der betreffenden Schichten im gesamtsozialen Spielraum verstehbar und erklärbar. In eine bestimmte Richtung hindrängende Traditionen halten sich nur so lange, als die Lagerung der tragenden Schicht im sozialen Raume im großen und ganzen dieselbe bleibt. Nicht aus der Geschichte einer bestimmten Tradition ergibt sich die konkrete Gestalt einer vorhandenen Einstellung oder eines Gehaltes, sondern letzten Endes aus der Geschichte jener Lagerung, in der diese entstanden sind und sich zu einer Tradition verfestigt haben.
4. Grundtatsachen im Gebiete der Generationserscheinungen.[ ]
Der Generationszusammenhang bedeutet also zunächst nach der bisherigen Beschreibung nicht mehr als eine besondere Art der gleichen Lagerung verwandter „Jahrgänge“ im historisch-sozialen Raume. War die Eigenart der klassenmäßigen Lagerung des näheren bestimmbar durch die Charakteristik der ökonomisch-sozialen Bedingungen, so ist die Generationslagerung ihrerseits durch Momente bestimmbar, die aus den Naturgegebenheiten des Generationswandels heraus bestimmte Arten des Erlebens und Denkens den durch sie betroffenen Individuen nahelegen.
Welche strukturelle Momente gerade durch das Generationsphänomen im Leben und Erleben gestiftet werden, kann man sich am klarsten vergegenwärtigen, wenn man sich gedanklich experimentierend fragt, wie würde menschlich gesellschaftliches Leben aussehen, wenn eine Generation ewig leben und keine weitere Generationsfolge stattfinden würde. Einer solchen utopisch konstruierten menschlichen Gesellschaft gegenüber ist die unsrige charakterisiert:[26]
a) durch das stete Neueinsetzen neuer Kulturträger;
b) durch den Abgang der früheren Kulturträger;
c) durch die Tatsache, daß die Träger eines jeweiligen Generationszusammenhanges nur an einem zeitlich begrenzten Abschnitt des Geschichtsprozesses partizipieren;
d) durch die Notwendigkeit des steten Tradierens (Übertragens) der akkumulierten Kulturgüter;
e) durch die Kontinuierlichkeit des Generationswechsels.
Dies sind die Grundphänomene, die allein aus der bloßen Tatsache des Vorhandenseins von Generationen folgen, wobei wir diesmal vom spezifischen Phänomen des körperlichen und geistigen Alterns absichtlich abstrahieren.[27] Am Leitfaden dieser Punkte wollen wir es nunmehr versuchen, die formal soziologische Relevanz dieser Elementar-Tatbestände herauszuarbeiten.
a) Das stete Neueinsetzen neuer Kulturträger. Im Gegensatz zu unserer utopisch konstruierten Gesellschaft ist unsere generationsmäßig sich erneuernde, in erster Reihe dadurch charakterisiert, daß Kulturschöpfung und -akkumulation nicht in denselben Individuen sich vollzieht, sondern stets „neue Jahrgänge“ einsetzen.
Das bedeutet zunächst, daß Kultur fortgebildet wird von Menschen, die einen „neuen Zugang“ zum akkumulierten Kulturgut haben. Bei der Veranlagung unserer seelischen Struktur bedeutet „neuartiger Zugang“ zugleich stets neuartige Distanzierung des Gegenstandes, neuartigen Ansatz bei der Aneignung, Verarbeitung und Fortbildung des Vorhandenen. Der „neuartige Zugang“ ist ein Phänomen, das im sozialen Leben auch sonst relevant ist und hier nur eine spezifische Realisation findet. Der „neuartige Zugang“ ist von großer Bedeutung im Leben des Einzelnen, wenn dieser durch Schicksale gezwungen wird, seine ursprüngliche Gruppe zu verlassen und in eine neue soziale Gruppe einzutreten: wenn ein Jüngling die Familie, ein Bauer das Land verläßt, um in die Stadt abzuwandern, wenn ein Emigrant die Heimat, ein sozial Aufstrebender den sozialen Stand oder die Klasse wechselt. Es ist bekannt, daß in allen diesen Fällen ganz augenfällig eine sehr wesentliche Änderung in der Bewußtseinshaltung eintritt; ein Wandel, nicht nur in der inhaltlichen Eigenart des rezipierten Stoffes, sondern ein Wandel in der seelisch-geistigen Einstellung. Alle diese Arten des „neuartigen Zuganges“ sind aber dadurch charakterisiert, daß sie sich jeweils im Rahmen eines individuellen Lebens abspielen, wogegen der „neue Zugang“, den das Phänomen der Generationsfolge stiftet, fundiert ist durch das Einsetzen neuer vitalkörperlich-seelischer Einheiten, die in der Tat ein „neues Leben“ beginnen. Während der Jüngling, Bauer, Emigrant, der Aufstrebende nur im beschränkten Sinne ein „neues Leben“ beginnen, ist hier der „neuartige Zugang“ zum sozial-kulturellen Gut nicht durch soziale Veränderungen, sondern durch vitale Bestimmungen gestiftet. Wir unterscheiden also dementsprechend zwei wesentlich verschiedene Typen des „neuartigen Zugangs“ zum sozialen Raume und zu dessen Gehalten: einmal den, der durch soziale Verschiebungen und den, der durch vitale Momente (Generationswechsel) fundiert ist. Der letztere ist potentiell viel radikaler, weil in neuen Trägern sich der Einstellungswandel vollzieht und historisch früher Angeeignetes für diese nicht mehr von derselben Relevanz ist.
Gäbe es keine Generationsfolge, so fiele das spezifische Phänomen des vital fundierten, „neuartigen Zuganges“ aus, und wären immer dieselben Menschen Träger und Fortbildner des Kulturgutes, so würden zwar aus sozialen Verschiebungen heraus „neuartige Zugänge“ möglich sein, aber diese radikalere Form des „neuartigen Zuganges“ würde fehlen. Es wäre viel wahrscheinlicher, daß einmal gesetzte Grundintentionen (Erlebniseinstellungen, Denkrichtungen) durchgehend bewahrt blieben, an sich ein Vorteil, aber mit einer bestimmten, fatalen Einseitigkeit belastet. Nur wenn diese utopischen Menschen auch ein utopisch totales Bewußtsein besäßen, wenn sie einerseits alles Erlebbare erleben, alles Wißbare wissen könnten und immer wieder die Elastizität besäßen, von neuem ansetzen zu können, wäre der Ausfall der Generationsfolgen einigermaßen kompensiert. Nur bei dieser „inneren Elastizität“ würde jener „neuartige Zugang“, den historische und soziale Verschiebungen stiften, ausreichen, um das innere und äußere Leben den neuen Verhältnissen entsprechend umzugestalten. Von diesem utopischen Gegenbild aus wird es sichtbar, daß in unserem sozialen Leben dem Faktum der Partialität jedes individuellen Bewußtseins gegenüber im Faktum des steten Neueinsetzens neuer Menschen geradezu eine Kompensation liegt. Das Neueinsetzen neuer Menschen verschüttet zwar stets akkumulierte Güter, schafft aber unbewußt nötige, neue Auswahl, Revision im Bereiche des Vorhandenen, lehrt uns, nicht mehr Brauchbares zu vergessen, noch nicht Errungenes zu begehren.
b) Das Wesentlichste des an zweiter Stelle hervorgehobenen Phänomens, des steten Abganges früherer Kulturträger ist hiermit bereits angedeutet. Das Absterben früherer Generationen dient im sozialen Geschehen dem nötigen Vergessen. Für das Weiterleben unserer Gesellschaft ist gesellschaftliche Erinnerung genau so nötig, wie das Vergessen und die neueinsetzende Tat.
Hierbei muß man sich aber vergegenwärtigen, in welcher Gestalt im Sozialen Erinnerung vorhanden ist und wie in der menschlichen Gesellschaft Kulturakkumulation sich vollzieht. Da alles Seelische und Geistige nur insofern wirklich vorhanden ist, als es stets aktuell produziert und reproduziert wird, haben vergangene Erlebnisse, Erfahrungen nur insofern Relevanz, als sie im gegenwärtigen Vollzug wirklich vorhanden sind. Vergangene Erlebnisse können hierbei (für unsere Betrachtungen kommen diesmal nur diese beiden Modalitäten in Betracht) in zweifacher Weise vorhanden sein:
α) als bewußte Vorbilder,[28] an denen man sich orientiert, wie etwa – nur um ein Beispiel zu nennen – die meisten späteren Revolutionen sich bewußt oder halbbewußt an der französischen Revolution orientierten, oder
β) unbewußt „komprimiert“, nur „intensiv“, „virtuell“, wie etwa in der konkreten Gestalt eines Werkzeuges alle vergangenen Erfahrungen, wie in einer spezifischen Erlebnisform (Sentimentalität etwa) die Geschichte des Seelenlebens virtuell enthalten ist. Jeder aktuelle Vollzug wirkt (meistens unbewußt) selektiv: paßt an vorhandene neue Situationen Hergebrachtes an, oder gestaltet Neues und entdeckt hierbei oft „Seiten“, eingebettete Möglichkeiten am Hergebrachten, die unmittelbar vorher nicht beachtet wurden.[29]
Auf den einfacheren Stufen des gesellschaftlichen Lebens wirkt sich eher eine unbewußte Selektion aus. Vergangenheit ist dort eher „komprimiert“, „intensiv“, „virtuell“ vorhanden. Auch auf der gegenwärtigen Stufe gesellschaftlichen Daseins wirkt sich in jenen tiefer gelagerten geistig-seelischen Beständen, für die das Tempo des Fortbildens nicht so relevant wird, diese unbewußt selektive Art aus. Bewußt-Machen, Reflexiv-Werden wird nur dort nötig, wo traditionalistisch halbbewußte Transformationen nicht mehr ausreichen. Rationalisiert, reflexiv gemacht, werden primär nur jene Sphären, die durch die Wandlungen des historisch-sozialen Gefüges fraglich geworden sind, wo ohne Reflexionen die nötige Transformation sich nicht mehr vollziehen würde und die Reflexion als eine Technik der Auflockerung angewandt wird.
In der für uns in erster Reihe sichtbaren, reflexiv gemachten Kulturebene liegen nur jene Elemente, die im Laufe des Lebensprozesses irgendwo und irgendwann selbst problematisch geworden sind, wobei garnicht gesagt ist, daß das einmal reflexiv und problematisch Gewordene nicht wieder ins Aproblematische, zum unangetasteten Lebensfond zurückzusinken vermag. Für alle Fälle: jene Form der Erinnerung, die in Gestalt der Reflexion die Vergangenheit besitzt, ist viel weniger relevant (schon ihrem Umfange nach unbedeutender) als jene, wo diese virtuell, intensiv vorhanden ist, und das reflexiv Gewordene ist viel eher Funktion des Unreflexiven, als umgekehrt.
Nun ist hier wesensmäßig zu unterscheiden zwischen angeeigneter Erinnerung und individuell selbsterworbener Erinnerung (sowohl bei den reflektierten als bei den nicht reflektierten Gehalten). Es besteht ein wesentlicher Unterschied, ob ich in eigenem, gewesenem Vollzug mir Erinnerungen erarbeite oder ob ich sie nur einfach übernommen habe. Nur wirklich selbst erworbene Erinnerung, in aktuellen Situationen wirklich erworbenes „Wissen“ besitze ich wahrhaft. Nur dieses Wissen „sitzt fest“, aber auch nur dieses bindet wirklich. Wäre es also einerseits wünschenswert, daß alles, was der Mensch an Seelischem und Geistigem besitzt, selbsterworbene Erinnerung wäre, so bestünde doch die Gefahr, daß die früheren Weisen des Habens und Aneignens jede spätere, neu hinzukommende Aneignung hemmen würden. Daß die Alten erfahrener sind als die Jungen, ist in Vielem ein Vorteil. Daß die Jugend weitgehend ohne Erfahrung ist, bedeutet für diese eine Minderung des Ballastes, eine Erleichterung des Weiterlebens. Alt ist man primär dadurch,[30] daß man in einem spezifischen, selbsterworbenen, präformierenden Erfahrungszusammenhang lebt, wodurch jede neue mögliche Erfahrung ihre Gestalt und ihren Ort bis zu einem gewissen Grade im vorhinein zugeteilt erhält, wogegen im neuen Leben die formierenden Kräfte sich erst bilden und die Grundintentionen die prägende Gewalt neuer Situationen noch in sich zu verarbeiten vermögen. Ein ewig lebendes Geschlecht müßte selbst vergessen lernen können, um das Fehlen neuer Generationen zu kompensieren.
c) Auch die dritte Grundtatsache, daß die Träger eines jeweiligen Generationszusammenhanges nur an einem zeitlich umgrenzten Abschnitt des Geschichtsprozesses partizipieren, ist ohne weiteres im Zusammenhang mit dem bisher Herausgearbeiteten explizierbar. Die bisher herausgearbeiteten Momente haben nur noch jene Phänomene hervorgehoben, die mit der steten „Verjüngung“ der Gesellschaft zusammenhängen. Aus neuer Lebenssubstanz heraus neu ansetzen, und aus einem neuen Erfahrungszusammenhang heraus neues Schicksal, neue präformierende Erwartungen formen sind Fähigkeiten, die nur durch reelles Neugeborenwerden zustande kommen. Im Gegensatz zu diesen, allein mit der gesellschaftlichen Verjüngung gegebenen Momenten, wird jetzt das früher schon angedeutete, aber noch immer nicht explizit analysierte Phänomen der „verwandten Lagerung“ genauer erfaßbar.[31]
Verwandt gelagert ist eine Generation zunächst dadurch, daß sie am selben Abschnitt des kollektiven Geschehens parallel teilnimmt. Dies ergäbe aber nur eine rein mechanisch äußerliche Bestimmung des Lagerungsphänomens. Wie vorher die Erinnerungsstruktur, so muß hier das Phänomen der Erlebnisschichtung herangezogen werden. Nicht das Faktum der in derselben chronologischen Zeit erfolgten Geburt, des zur selben Zeit, Jung-, Erwachsen-, Altgewordenseins, konstituiert die gemeinsame Lagerung im sozialen Raume, sondern erst die daraus erstehende Möglichkeit an denselben Ereignissen, Lebensgehalten usw. zu partizipieren und noch mehr, von derselben Art der Bewußtseinsschichtung aus dies zu tun. Daß das Faktum der chronologischen Gleichzeitigkeit nicht ausreicht, verwandte Generationslagerungen zu konstituieren, ist leicht beweisbar. Es wird niemand behaupten wollen, die chinesische und die deutsche Jugend um 1800 herum hätten sich in einer verwandten Lagerung befunden. Von einer verwandten Lagerung einer zur gleichen Zeit einsetzenden Generation kann also nur insofern gesprochen werden, als und insofern es sich um eine potentielle Partizipation an gemeinsam verbindenden Ereignissen und Erlebnisgehalten handelt. Nur ein gemeinsamer historisch-sozialer Lebensraum ermöglicht, daß die geburtsmäßige Lagerung in der chronologischen Zeit zu einer soziologisch-relevanten werde. Ferner ist hier in Betracht zu ziehen das erwähnte Phänomen der Erlebnisschichtung. Auch ältere noch präsente Generationen erleben Teilstrecken historischen Geschehens zusammen mit der heranwachsenden Jugend und sind dennoch nicht derselben Lagerung zuzurechnen. Ihr Herausfallen ist im wesentlichen aus dem Phänomen der andersgearteten Lebensschichtung verstehbar. Die Strukturiertheit menschlichen Bewußtseins ist durch eine bestimmtgeartete innere „Dialektik“ charakterisierbar. Es ist weitgehend entscheidend für die Formierung des Bewußtseins, welche Erlebnisse als „erste Eindrücke“, „Jugenderlebnisse“ sich niederschlagen, und welche als zweite, dritte Schicht usw. hinzukommen. Ferner: es ist ganz entscheidend für ein und dieselbe „Erfahrung“ und deren Relevanz und Formierung, ob sie von einem Individuum erlebt wird, das sie als einen entscheidenden Jugendeindruck, oder von einen anderen, das sie als „Späterlebnis“ verarbeitet. Die ersten Eindrücke haben die Tendenz, sich als natürliches Weltbild festzusetzen. Infolgedessen orientiert sich jede spätere Erfahrung an dieser Gruppe von Erlebnissen, mag sie als Bestätigung und Sättigung dieser ersten Erfahrungsschicht, oder aber als deren Negation und Antithese empfunden werden. Die im Laufe des Lebens gesammelten Erlebnisse akkumulieren sich eben nicht einfach durch Summation und Zusammenballung, sondern artikulieren sich im soeben beschriebenen Sinne „dialektisch“. Dieser spezifischen dialektischen Artikulation, die potentiell in jedem aktuell vollzogenen Handeln, Denken, Fühlen präsent ist, können wir hier nicht im einzelnen nachgehen (das „Antithetische“ ist nur eine Form der Angliederung späterer Erlebnisse an die früheren). So viel aber ist sicher: die Prädominanz der ersten Eindrücke bleibt auch dann lebendig und bestimmend, wenn der ganze darauffolgende Ablauf des Lebens nichts anderes sein sollte, als ein Negieren und Abbauen des in der Jugend rezipierten „natürlichen Weltbildes“. Denn auch in der Negation orientiert man sich grundlegend am Negierten und läßt sich ungewollt durch es bestimmen. Wenn man nun bedenkt, daß jedes konkrete Erlebnis sein Gesicht, seine bestimmte Gestalt durch dieses Sich-Orientieren an primären Erlebnissen erhält, so ist auch verständlich, welche Bedeutung diese erste Erlebnisschicht für die weitere Gestaltung der Bewußtseinsgehalte hat. Eine der weiteren mit dem soeben analysierten Phänomen verwandte Erscheinung ist die Tatsache, daß zwei nacheinander folgende Generationen stets einen jeweils anderen Gegner in der Welt und in sich bekämpfen. Während die Alten etwas noch in sich, oder in der Außenwelt bekämpften und alle ihre Gefühls- und Willensintentionen, aber auch die Begriffsklärungen auf diesen Gegner hin orientierten, ist dieser Gegner für die Jugend verschwunden. Die primäre Orientierung dieser Generation setzt ganz woanders ein. Aus diesem Sich-Verschieben des „Polarerlebnisses“ (durch dieses Verschwinden des inneren und äußeren Gegenspielers, an dessen Stelle stets ein anderer tritt) entsteht weitgehend jene nicht geradlinige Entwicklung im Geschichtsprozeß, die insbesondere in der Kultursphäre so oft beobachtet wurde. Diese aus dem Generationswechsel entstehende „Dialektik“ würde in unserer utopisch konstruierten Gesellschaft fehlen. Höchstens soziale Polaritäten – sofern vorhanden – könnten dort zu dialektisch wirkenden Momenten treiben. Menschen jener utopischen Gesellschaft hätten als primäre Erfahrungsschicht die historisch ersten Erfahrungen der Menschheit, und alles Hinzukommende wäre grundlegend an ihnen orientiert.
d) Die Notwendigkeit des steten Tradierens, Übertragens des ererbten Kulturgutes bedingt auch bestimmte Strukturen, die hier zumindest angedeutet werden müssen. Hier sei diesmal nur ein Moment herausgegriffen. Eine utopisch einmalige Generation würde die Notwendigkeit des Tradierens nicht kennen. Das Wesentlichste an jedem Tradieren ist das Hineinwachsenlassen der neuen Generation in die ererbten Lebenshaltungen, Gefühlsgehalte, Einstellungen. Das bewußt Gelehrte ist demgegenüber quantitativ und der Bedeutung nach von beschränkterem Umfange. Alle jene Gehalte und Einstellungen, die in der neuen Lebenssituation unproblematisch weiterfunktionieren, die den Fond des Lebens ausmachen, werden unbewußt, ungewollt vererbt, übertragen; sie sickern ein, ohne daß Erzieher und Zögling davon etwas wüßten. Was bewußt gelehrt, anerzogen wird, gehört zu jenem Bestand, der im Laufe der Geschichte irgendwann und irgendwo problematisch und reflexiv geworden ist. Deshalb ist auch jener Fond, der in der ersten Jugendzeit durch „Milieuwirkung“ einfach einsickert, oft die historisch älteste Schicht im Bewußtsein, die als solche die Tendenz hat, sich als natürliches Weltbild festzulegen und zu stabilisieren.[32]
In der ersten Jugendzeit nimmt man aber auch reflexive Gehalte weitgehend „unproblematisch“ ganz wie jene, tiefer lagernden Lebensbestände in sich auf. Der neue seelisch-geistige Lebenskeim, der im neuen Menschen latent vorhanden ist, kommt noch im eigentlichen Sinne gar nicht zu sich selbst. Mit dem 17. Lebensjahr,[33] oft etwas früher, oft später, eben dort, wo das selbstexperimentierende Leben beginnt, entsteht erst die Möglichkeit des In-Frage-Stellens. Das Leben wächst erst jetzt in die „gegenwärtige“ Problematik hinein und hat die Möglichkeit, sie als solche zu empfinden. Jene Schicht der Bewußtseinsgehalte und Einstellungen, die durch neue soziale und geschichtliche Lagerung problematisch und deshalb reflexiv geworden ist, wird erst jetzt erreicht; erst jetzt ist man wirklich „gegenwärtig“. Die kämpfende Jugend ringt um diese Bestände, und wenn sie noch so radikal ist, merkt sie nicht, daß sie ja nur diese reflexiv gewordene Oberschicht des Bewußtseins transformiert. Denn es scheint so zu sein, daß die tieferen Bestände sich nicht ohne weiteres auflockern,[34] und daß, wenn dies nötig wird, der Prozeß an der Ebene der Reflexion einsetzt und von hier aus Habituelles umgestaltet.[35] Das „Gegenwärtiger-Sein“ der Jugend bedeutet also, der gegenwärtigen Problematik (infolge des „potentiell neuartigen Zuganges“ usw.) näher zu sein, das eben in Auflockerung Begriffene als primäre Antithese zu erleben und mit diesem kämpfend sich zu verbinden. Während die alte Generation bei ihrer früheren Neuorientierung verharrt.
Von hier aus gesehen wäre adäquate Erziehung, Belehrung (im Sinne des völligen Übertragens der zum aktiven Wissen nötigen Erlebniszentren) insofern schwierig, als die erlebnismäßige Problematik der Jugend auf andere Gegenspieler abgestellt ist, als die ihrer Lehrer. Es spricht eben in solchen Fällen (abgesehen von den völlig exakten Wissenschaften) nicht der eine Repräsentant des Bewußtseins überhaupt zum anderen, sondern ein mögliches Zentrum der Lebensorientierung zum nachfolgenden. Diese Spannung[36] wäre bei der Tradierung lebendiger Lebenserfahrung beinahe unaufhebbar, gäbe es nicht auch die rückwirkende Tendenz: nicht nur der Lehrer erzieht den Schüler, auch der Schüler den Lehrer. Die Generationen stehen in ständiger Wechselwirkung.
e) Damit kommen wir zum nächsten Punkt: zum Phänomen der Kontinuierlichkeit im Generationswechsel, durch den auch gerade diese Rückwirkung reibungsloser erfolgt. Im Prozeß dieses rückwirkenden Ausgleichs stehen zunächst nicht älteste und jüngste Generationen, sondern die einander näherstehenden „Zwischengenerationen“ sich gegenüber. Die sind es, die einander in erster Reihe beeinflussen.[37]
Es ist eben zum Glück nicht so, wie es die meisten Generationstheoretiker wahrnehmen möchten, daß entscheidend etwa die dreißigjährigen Abstände sind; alle Zwischenstufen spielen mit, wirken, wenn auch nicht aufhebend, so doch ausgleichend auf die biologische Generationsdifferenzierung der Gesellschaft ein. Dieses Zurückstrahlen der Problematik der jüngeren Generation auf die älteren wird um so dominierender, als die Dynamik der Gesellschaft sich steigert. Statische Verhältnisse erzeugen den Gefühlswert der Pietät, die Jugend hat die Tendenz sich den Alten anzupassen, auch äußerlich älter zu erscheinen. Gesteigerte Dynamik ins Bewußtsein gehoben veranlaßt ältere Generationen, der Jugend gegenüber offen zu sein.[38] Dieser Prozeß kann sich soweit steigern, daß die ältere Generation durch eine in der Lebenserfahrung erworbene Elastizität in bestimmten Sphären umstellungsfähiger wird als mittlere Generationen, die ihre erste Lebenseinstellung noch nicht imstande sind aufzugeben.[39] So entspricht der Kontinuierlichkeit des Verschiebens der Verhältnisse, eine Kontinuierlichkeit in der an diesen Veränderungen in erster Reihe sich orientierenden Jugend. Immer kleinere Verschiebungen werden von der neu einsetzenden Jugend als neu und relevant erlebt und immer mehr Zwischenglieder neuartiger Impulse schieben sich zwischen älteste und jüngste Neuorientierung. Der Lebensfond, der unberührt zugrunde liegt, verbindet schon an und für sich, die stete Wechselwirkung zwischen Jung und Alt blendet die Differenzen ab und die Kontinuierlichkeit der Übergänge macht in stillen Zeiten die Transformation reibungslos. Alles in allem: gäbe es keine neuen Generationen im Gesellschaftsprozeß, wäre die Rückstrahlung des allein aus neuen Lebenskeimen und neuen Ansätzen Erfahrbaren nicht möglich, und gäbe es keine Kontinuierlichkeit in der Generationsfolge, so könnte sich dieser Ausgleich niemals reibungslos vollziehen.
[Teil II]
5. Generationslagerung, Generationszusammenhang, Generationseinheit.[ ]
Das sind im großen und ganzen jene Momente, die auf Grund einer abstrahierenden Analyse am Generationsphänomen als solchem ablesbar sind. Diese Momente würden die Generationswirkung bestimmen, wenn sie rein als Naturgegebenheit zur Geltung kämen und wenn das Generationsphänomen, als bloßes Lagerungsphänomen, vollgültig beschrieben wäre. Die „Generationslagerung“ ist aber noch nicht gleichzusetzen dem „Generationszusammenhang“.[40] Generationszusammenhang ist entscheidend mehr als bloße Generationslagerung, genau so, wie bloße Klassenlage noch nicht gleichzusetzen ist einer sich selbst konstituierenden Klasse. Die Lagerung enthält nur potentielle Möglichkeiten, die zur Geltung kommen, verdrängt werden oder aber in andere sozial wirkende Kräfte eingebettet, modifiziert zur Auswirkung kommen können. Wir kamen an das nunmehr zu behandelnde Phänomen bereits ganz nahe heran, als wir feststellen mußten, daß die bloß chronologische Gleichzeitigkeit nicht einmal dazu ausreicht, eine verwandte Generationslagerung zu konstituieren. Man muß im selben historisch-sozialen Raume – in derselben historischen Lebensgemeinschaft – zur selben Zeit geboren worden sein, um ihr zurechenbar zu sein, um die Hemmungen und die Chancen jener Lagerung passiv ertragen, aber auch aktiv nützen zu können. Nun ist aber der Generationszusammenhang noch mehr als die so umschriebene bloße Präsenz in einer bestimmten historisch-sozialen Einheit. Irgendeine konkrete Verbindung muß noch hinzukommen, um von einem Generationszusammenhang sprechen zu können. Diese Verbundenheit könnte man kurzweg eine Partizipation an den gemeinsamen Schicksalen dieser historisch-sozialen Einheit bezeichnen.[41] Eine nähere Beschreibung eben dieses Phänomens muß nunmehr unsere nächste Aufgabe sein.
Wir haben das Beispiel angeführt, daß sich die preußische Jugend um 1800 herum in keiner gemeinsamen Generationslagerung mit der chinesischen, desselben chronologischen Zeitabschnittes befand. Die Zugehörigkeit zur selben historischen Lebensgemeinschaft galt infolgedessen als oberstes Kriterium der Generationslagerung. Wo liegt aber die unterste Grenze? Sind etwa die in ganz entlegenen Gebieten lebenden Bauern, die damals kaum oder nur ganz wenig von den Gesamterschütterungen berührt worden sind, zum selben Generationszusammenhang zu rechnen, dem etwa zur gleichen Zeit die städtische Jugend zuzurechnen ist? Sicher nicht, und zwar insofern nicht, als gerade sie von jenen sozialen und geistigen Umwälzungen nicht erfaßt wurden, die diese städtische Jugend bewegte. Von einem Generationszusammenhang werden wir also nur reden, wenn reale soziale und geistige Gehalte gerade in jenem Gebiete des Aufgelockerten und werdenden Neuen eine reale Verbindung zwischen den in derselben Generationslagerung befindlichen Individuen stiften. Die erwähnte bäuerliche Jugend befindet sich also nur in der entsprechenden Generationslagerung, partizipiert aber nicht an dem betreffenden Generationszusammenhang. In derselben Generationslagerung befindet sie sich aber insofern, als sie potentiell in die neuen Schicksale einbezogen werden kann. Dies geschah auch wirklich in den Befreiungskriegen, deren Elan die ganze Nation irgendwie ergriff. In diesem Falle setzte sich für diese Bauernsöhne ihre bloße Generationslagerung in eine Partizipation am Generationszusammenhang um. So waren und überhaupt sind gleichaltrige Individuen nur insofern durch einen Generationszusammenhang verbunden, als sie an jenen sozialen und geistigen Strömungen Teil haben, die eben den betreffenden historischen Augenblick konstituieren, und insofern sie an denjenigen Wechselwirkungen aktiv und passiv beteiligt sind, die die neue Situation formen. – Ein solches Geben und Nehmen bestand damals beinahe zwischen allen Schichten, was die Begeisterung betrifft, auch was die nachfolgende religiöse Welle betrifft. – Wollen wir weiter diesen Leitfaden verfolgen, so stellt sich folgende Frage ein. Wenn wir nunmehr von allen jenen sozialen Schichten absehen, die am werdenden Neuen nicht teilnehmen, so ist noch immer fraglich, ob wir denn alle Gruppen, die an diesem werdenden Neuen wirklich teilnehmen, zur selben Generation zu rechnen haben. Ab 1800 steht z. B. (beiläufig gesprochen) immer klarer abhebbar eine romantische, im Laufe der Zeit immer konservativer werdende Gruppe einer rationalistisch-liberal werdenden Jugend gegenüber. Man kann bei weitem nicht sagen, daß diese Gruppen durch dieselben modernen Gehalte verbunden sind. Sollen wir in diesem Falle von einem einheitlichen Generationszusammenhange reden? Wir glauben, dies ohne weiteres tun zu können, wenn wir eine genauere terminologische Fixierung vornehmen. Sowohl die romantisch-konservative, als auch die liberal-rationalistische Jugend gehört demselben Generationszusammenhang an; denn romantischer Konservatismus und liberaler Rationalismus waren damals nur zwei polare Formen der geistigen und sozialen Auseinandersetzung mit demselben, sie alle betreffenden historisch-aktuellen Schicksal. Die gleichzeitige romantisch-konservative und liberal-rationalistische Jugend lebt in einem Generationszusammenhange, ist aber jeweils verbunden durch zwei verschiedene Generationseinheiten. Generationseinheit ist also eine viel konkretere Verbundenheit, als die, die der bloße Generationszusammenhang stiftet. Dieselbe Jugend, die an derselben historisch-aktuellen Problematik orientiert ist, lebt in einem „Generationszusammenhang“, diejenigen Gruppen, die innerhalb desselben Generationszusammenhanges in jeweils verschiedener Weise diese Erlebnisse verarbeiten, bilden jeweils verschiedene „Generationseinheiten“ im Rahmen desselben Generationszusammenhanges.
6. Die einheitstiftenden Faktoren im Gebiete der Generationserscheinungen.[ ]
Die Frage ist nun, was stiftet eine Generationseinheit? Worin liegt die größere Intensität der hier aufweisbaren Verbundenheit? Das Erste, was auffällt, wenn man eine bestimmte Generationseinheit ins Auge faßt, ist die weitgehende Verwandtschaft der Gehalte, die das Bewußtsein der einzelnen erfüllen. Gehalte haben – soziologisch gesehen – Bedeutsamkeit, nicht nur durch die in ihnen enthaltenen und erfaßten Inhalte, sondern durch das Faktum, daß sie die Einzelnen zur Gruppe verbinden, „sozialisierend“ zu wirken. Die Idee der Freiheit z. B. war für jene liberale Generationseinheit nicht allein wichtig durch die darin enthaltenen inhaltlichen Forderungen, sondern weil in diesen Inhalten und durch diese Inhalte räumlich und sonst zerstreute Individuen zu einer Einheit verbunden werden konnten.[42] Aber es sind nicht die Inhalte, die in erster Reihe verbinden; sondern noch mehr verbinden jene formenden Kräfte, durch die gestaltet, diese Inhalte erst wirklich ein Gepräge und eine Richtungsbestimmtheit erhalten. Vom geprägten Schlagwort bis zum ausgebauten System, von der scheinbar isolierten Geste bis zum gestalteten Kunstwerk, wirkt sich oft dieselbe Formierungstendenz aus, deren soziale Bedeutung eben darin besteht, daß durch sie und in ihr sich Individuen sozial zu verbinden vermögen. Die tief „emotionale“ Bedeutung eines Schlagwortes, einer echten Geste, eines Kunstwerkes besteht darin, daß man mit ihnen nicht nur die Gehalte, sondern auch die in sie eingesenkten Formungstendenzen und kollektiv verbindenden Grundintentionen in sich aufnimmt und durch diese sich mit den Kollektivwollungen verbindet.
Grundintentionen und Gestaltungsprinzipien sind das Allerwesentlichste, auch bei jeder Tradierung, denn nur diese wirken wahrhaft vergesellschaftend; und, was vielleicht noch wichtiger ist, diese sind wahrhaft fortsetzbar. Eine bloße Feststellung wirkt minimal vergesellschaftend und enthält nur in ganz bescheidenem Maße Keime der Fortsetzbarkeit. In einer wahrhaft vergesellschaftend wirkenden These lebt die Fortsetzbarkeit des Gedankens; in einer verbindenden Vision, in einem verbindenden Gefühl und Kunstwerk liegt die Richtung, in der Vision, Gefühl, Kunstwerk fortgebildet und in neuen Lebenslagen verlebendigt und existenziell uminterpretiert werden können. Deshalb ist auch Eindeutigkeit, zu scharfe Bestimmtheit kein unbedingter sozialer Wert; produktives Mißverständnis ist oft Form des Weiterlebens. Grundintentionen und Gestaltungsprinzipien sind die in erster Linie sozialisierenden Faktoren im gesellschaftlich-historischen Geschehen. In dies muß man hineinwachsen, wenn man wahrhaft am kollektiven Geschehen teilnehmen will.
Die moderne Psychologie stellt mit immer größerer Bestimmtheit fest, daß schon das menschliche Wahrnehmen „gestalthaft“ orientiert ist, daß wir schon bei der einfachsten Dingwahrnehmung nicht so verfahren, wie es die atomisierende, von Elementen aus konstruierende Psychologie angenommen hat, die von einer allmählichen Summierung der Einzeleindrücke (Sinnesdata) zu der Ganzheit gelangen wollte; sondern wir haben umgekehrt primär einen gestalthaften Gesamteindruck. Gilt also dieser Primat der „Totalität“, der „Gestalt“ bereits für die Dingwahrnehmung, so noch viel mehr für die Erfassung geistiger Gehalte. Die Notwendigkeit einer gestalthaften Orientierung des Menschen mag die mannigfachsten Ursachen haben – schon dadurch ist sie unter anderem nahegelegt, daß das menschliche Bewußtsein, seiner relativen Enge zufolge nicht die Unendlichkeit der zuströmenden Elemente zu verarbeiten vermag und deshalb stets zu einem gestalthaft abkürzenden, zusammenfassenden Verfahren zu greifen gezwungen ist. Das Gestaltsehen hat aber auch seine sozialen Ursachen, die gerade an diesem Orte herauszuarbeiten nötig sind. Da eine Dingwahrnehmung und deren logisch sprachlicher Ausdruck, aber auch alle sonstigen Gehalte niemals bloß für das einzelne, isolierte Individuum, das sie gerade intendiert, vorhanden sind, sondern auch für die dahinterstehende soziale Gruppe, so verläuft diese z. T. abkürzende, z. T. aber auch ergänzende Gestalterfassung stets in jener Richtung, in jener Einstellung, in der der betreffende „Gegenstand“ für die erwähnte historisch-soziale Gruppe da ist. Wir sehen Dinge bereits in einer bestimmten Gestalt, wir denken Begriffe in einer bestimmten Bedeutung. Die jeweilige Bestimmtheit ist durch die jeweils hinter uns stehende Gruppe gegeben. Hineinwachsen in eine Gruppe bedeutet nicht nur, jene Wertungen vollziehen, die diese Gruppe charakterisieren, sondern die Dinge in jenem „Aspekt“, die Begriffe in jener Bedeutungsnuance, die seelisch-geistigen Gehalte in jener Gestalt erfassen, in der sie für die Gruppe präsent sind. Sich mit einer Gruppe verbinden heißt ferner, jene Formungs- und Gestaltungsintentionen in sich aufnehmen, aus denen heraus neu auftauchende Eindrücke, Ereignisse in einer weitgehend vorgeschriebenen Richtung verarbeitet werden können.
Die soziale Bedeutung des Vorhandenseins dieser Formungsintentionen besteht darin, daß durch sie auch räumlich getrennte Individuen, die niemals in persönliche Berührung miteinander geraten, verbunden werden können. Während verwandte Generationslagerung nur etwas Potentielles ist, konstituiert sich ein Generationszusammenhang durch eine Partizipation der derselben Generationslagerung angehörenden Individuen am gemeinsamen Schicksal und an den dazugehörenden, irgendwie zusammenhängenden Gehalten. Innerhalb dieser Schicksalsgemeinschaft können dann die besonderen Generationseinheiten entstehen. Diese sind dadurch charakterisiert, daß sie nicht nur eine lose Partizipation verschiedener Individuen am gemeinsam erlebten, aber verschieden sich gebenden Ereigniszusammenhang bedeuten, sondern daß sie ein einheitliches Reagieren, ein im verwandten Sinne geformtes Mitschwingen und Gestalten der gerade insofern verbundenen Individuen einer bestimmten Generationslagerung bedeuten.
Im Rahmen desselben Generationszusammenhanges können sich also mehrere, polar sich bekämpfende Generationseinheiten bilden. Sie werden gerade dadurch, daß sie aufeinander, wenn auch kämpfend, abgestimmt sind, einen „Zusammenhang“ bilden. Die um 1810 herum am geistigen sozialen Generationszusammenhang partizipierende Jugend gehört zu ein und demselben Generationszusammenhang, gleichviel ob sie am damaligen Stadium der liberalen Ideen oder an dem zeitgenössischen Konservatismus partizipierte. Man gehörte aber innerhalb dieses Generationszusammenhanges zu einer jeweils verschiedenen Generationseinheit, je nachdem ob man an den konservativen oder liberalen Grundintentionen partizipierte.
Die Generationseinheit wirkt, eben durch diese ihr inhärierende Richtungsbestimmtheit viel konkreter verbindend auf die von ihr erfaßten Einzelnen. In der Tat entstehen auch ursprünglich solche neuen, geprägten, parteilich auch stellungnehmenden, generationsmäßigen Grundintentionen zumeist nicht freischwebend, ohne persönlichen Kontakt, sondern in konkreten Gruppen, wo Individuen in vitaler Nähe sich treffen, sich seelisch-geistig gegenseitig steigern und in dieser Lebensgemeinschaft die (der neuen Lagerung entsprechenden) Grundintentionen aus sich herausstellen. Solche Grundintentionen, Formierungstendenzen, in konkreter Verbindung einzelner Menschen einmal entstanden, sind später von dieser konkreten Gruppe auch abhebbar, haben eine in der Ferne wirkende, werbende und verbindende Kraft.
Die Generationseinheit, in dem von uns beschriebenen Sinne, ist nicht in Gestalt einer konkreten Gruppe vorhanden, wenn auch ihr Kern durch eine konkrete Gruppe gebildet wird, die von sich aus die wesentlichsten Anregungen, die fortbildbaren Keime in die Welt setzt. – So entstand z. B. der den modernen deutschen Konservatismus so wesentlich bestimmende Ideenkreis ursprünglich in der konkreten Vereinigung der „Christlich deutschen Tischgesellschaft“. Diese hat zum erstenmal alle jene irrationalen Strömungen aufgefangen und neu formiert, die der damaligen Zeitsituation und der besonderen generationsmäßigen Lagerung der jungen Konservativen entsprach. Von dieser konkreten Gruppe strahlten ursprünglich jene Ideen aus, die dann auch weitere Kreise zu werben imstande waren.
Daß solche zunächst aus einer konkreten Gruppe aufsteigenden Grundintentionen auch über die konkrete Gruppe hinaus eine werbende und verbindende Gewalt besitzen, liegt der Hauptsache nach daran, daß sie mehr oder minder adäquater Ausdruck der betreffenden Generationslagerung sind, daß also auch außerhalb dieser konkreten Gruppe lebende, aber in verwandter Lagerung sich befindende Individuen in ihnen den ihrer Lagerung im historischen Raume entsprechenden Ausdruck finden. Die Klassenideologie wird ursprünglich von enger verbundenen, konkreten Gruppen gestaltet und setzt sich nur insofern durch, als sie mehr oder minder adäquater Ausdruck und Formung der zu einer bestimmten sozialen Lagerung gehörenden typischen Erlebnisse ist. Genau so sind auch die eine Generationseinheit konstituierenden Grundintentionen und Formungstendenzen (die von einer solchen geschlossenen Gruppe in die Welt gesetzt werden), nur dann wirklich wirksam und expansionsfähig, wenn sie die typischen Erlebnisse der in derselben Generationslagerung befindenden Individuen zu gestalten imstande sind. Diese Fähigkeit aber erweist sich dadurch, daß es jener geschlossenen Gruppe gelingt, gerade jenem neuartigen Zugang und jener neuartigen „Erlebnis-Schichtung“, von der wir sprachen, Ausdruck zu verleihen. Aber auch insofern besteht eine gewisse Parallele zwischen dem Klassenphänomen und dem Generationsphänomen, als genau so, wie eine Klassenideologie in Epochen, die der betreffenden Ideologie günstig sind, über den adäquaten Träger – über die entsprechende Klassenlage – hinauszugreifen imstande ist,[43] auch bestimmte Generationsimpulse in den ihnen günstigen Zeitsituationen einzelne Glieder früherer oder späterer Jahrgänge zu erfassen fähig sind.
Aber wir können noch weiter gehen, es kommt sehr häufig vor, daß den wesentlichen Keim neuer Generationshaltungen einzelne, noch der vorangehenden Generation angehörige und in dieser noch isoliert dastehende Individuen, (Vorläufer)[44] in sich ausbilden und durch ihr Leben erarbeiten,[45] genau so, wie es möglich ist, daß die Vorläufer einer Klassenideologie noch weitgehend einer fremden Klasse angehören.
Alle diese Phänomene besagen nichts gegen die Gültigkeit der These, daß es einer bestimmten Generationslagerung zurechenbare, die Generationseinheiten erst schaffende, neue Grundimpulse gibt. Denn das Entscheidende in allen diesen Fällen ist, daß der wesentliche Träger dieser neuen Impulse ein Kollektivträger ist. Der reale Sitz der Klassenideologie bleibt nämlich die Klasse – ihre typischen Chancen und Hemmungen, die sich im Alltag stets auswirken – auch dann, wenn ihre Ideologie gelegentlich von klassenfremden Individuen geschaffen wird, oder wenn sie auch gelegentlich in ihrer Expansion über die dazugehörige Klassenlage hinaus sich ergießt. Der reale Sitz der neuen Impulse bleibt die Generationslagerung, (die eine bestimmte neue Art des Erlebens nahe legt, andere wieder selektiv ausschaltet) auch dann, wenn gelegentlich fremde Jahrgänge sie fördern mögen.
Nun aber ist noch das Folgende als das Wesentlichste zu beobachten. Nicht eine jede Generationslagerung, also nicht etwa ein jeder Geburtsjahrgang schafft aus sich heraus neue, ihm angemessene Kollektivimpulse, Formierungstendenzen. Wenn dies geschieht, so wollen wir von einem Aktivwerden der in der Lagerung schlummernden Potentialität sprechen. Eins scheint wahrscheinlich zu sein, daß die Häufigkeit des Aktivwerdens dieser Potentialität mit der Geschwindigkeit der gesellschaftlichen Dynamik zusammenhängt.[46] Wenn gesellschaftlich-geistige Umwälzungen ein Tempo einschlagen, das den Wandel der Einstellungen dermaßen beschleunigt, daß das latente kontinuierliche Abwandeln der hergebrachten Erlebnis-, Denk- und Gestaltungsformen nicht mehr möglich wird, dann kristallisieren sich irgendwo die neuen Ansatzpunkte zu einem, als neu sich abhebenden Impuls und zu einer neuen gestaltgebenden Einheit. Wir sprechen in solchen Fällen von einem neuen Generationsstil, von einer neuen Generationsentelechie.[47] Auch hier gibt es zwei Abstufungen. Es gibt zunächst den Fall, wo diese Generationseinheit einfach und unbewußt aus einem neuen, durch sie geschaffenen Impuls heraus ihre Werke und Taten gestaltet und nur intuitiv von einer Zusammengehörigkeit weiß, diese aber noch nicht als Generationseinheit ins Bewußtsein hebt. Dann aber gibt es den Fall, wo die Generationseinheit als solche bewußt gewertet und gepflegt wird: wie etwa bei der modernen Jugendbewegung in der neuesten Entwicklung, oder in bestimmtem Maße bereits bei ihrem Vorläufer, der Burschenschaftsbewegung, in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, die in vielem bereits diesen modernen Charakter aufwies.[48]
Daß die Beschleunigung der gesellschaftlichen Dynamik die Veranlassung zum Aktivwerden der in der Generationslagerung schlummernden Potentialität, zur Schaffung des neuen Generationsimpulses ist, beweist die Tatsache, daß weitgehend stabile, oder zumindest in ganz langsamer Transformation sich befindende Gemeinschaften – etwa das bäuerliche Leben – das Phänomen der sich abhebenden, von ganz neuen Entelechien gespeisten Generationseinheiten nicht kennt, da die neuen Generationen mit einer nicht sichtbar werdenden Allmählichkeit in die kontinuierlichen Abwandlungen hineinwachsen. Dort gibt es höchstens jene Affinität und Differenzierung, die das rein biologische Phänomen der Altersstufen schafft; ein Phänomen, das als vitales Faktum auch in der modernen Gesellschaft bestehen bleibt und als Attraktion wahrnehmbar wird, die die Jugend der Jugend, das Alter dem Gleichaltrigen gegenüber empfindet. Aus dem bloßen Phänomen der vitalen Hingezogenheit der Altersstufen zueinander würde das Generationsphänomen, die Generationseinheit im hier beschriebenen Sinne niemals entstehen.
Je beschleunigter also das Tempo der gesellschaftlich-geistigen Dynamik ist, um so mehr Chancen bestehen, daß bestimmte Generationslagerungen gerade aus ihrer neuen Generationslage heraus auf die Wandlungen mit einer eigenen „Entelechie“ reagieren. Andererseits kann ein zu stark beschleunigtes Tempo dazu führen, daß die Keime der Generationsentelechien sich gegenseitig verschütten. Wir, die Mitlebenden können vielleicht bei intensiver Aufmerksamkeit beobachten, daß verschiedene Jahrgänge in ihrer Reaktionsweise genau abgestuft nacheinander folgen und nebeneinander bestehen,[49] daß sie aber die fruchtbare, sich abhebende Ausformung neuer entsprechender Generationsentelechien und Gestaltungsprinzipien nicht erreichen können. Solche Generationen, die zur Ausgestaltung ihrer Generationsentelechie aus den erwähnten Gründen nicht kommen, schließen sich möglicherweise einer früheren Generation an, die die Formung bereits vollzogen hat, oder sie verbinden sich einer späteren Generation, die einer jüngeren Formung fähig ist. Ganz entscheidende Kollektivereignisse können hierbei „kristallisierend“ wirken, und es ist für das geistige Leben charakteristisch, daß Gestaltetes das Potentielle, das Freischwebende stets attrahiert; auch dann, wenn die noch ungeformten Impulse in ihrer unsicher tastenden Gestalt in manchem andersgeartet sein sollten als das attrahierende Zentrum. So können oft frühere oder spätere Generationsimpulse und -regungen durch das Vorhandensein einer geprägten Form fremder Generationen verdeckt werden.[50]
Aus all diesen Tatbeständen geht hervor, daß nicht einer jeden Generationslagerung eine ihr eigene Gestaltung und Formierungstendenz entsprechen muß, daß den im wesentlichen durch die biologische Rhythmik geschaffenen Lagerungen keineswegs eine ihnen korrespondierende Rhythmik der neuen Generationswollungen und Gestaltungsprinzipien entsprechen muß. Das Zentrum der meisten Generationstheorien aber besteht darin, daß sie einer naturalistisch quantifizierbaren Rhythmik der entscheidenden Geburten (die sie zumeist durch 30jährige Intervalle bestimmen) unvermittelt eine entsprechende Rhythmik im Geistigen parallel setzen wollen. Hierbei wird übersehen, daß das Aktivwerden der in der Generationslagerung schlummernden Potentialität von außerbiologischen und außervitalen Faktoren abhängt, und zwar in erster Reihe von der Eigenart der jeweils besonders gearteten gesellschaftlichen Dynamik. Ob alle Jahre, alle 30 Jahre, alle 100 Jahre, ob überhaupt rhythmisch ein neuer Generationsstil zustande kommt, das hängt von der auslösenden Kraft des gesellschaftlich-geistigen Prozesses ab. Es ist hierbei ein besonderes, für sich zu behandelndes Problem, ob diese gesellschaftliche Dynamik ihre Dominante in der ökonomischen oder in irgendeiner geistigen Sphäre hat. Wie man diese Frage im einzelnen beantworten will, ist zunächst völlig irrelevant. Wichtig ist aber, schon hier festzustellen, daß diese Gruppe der Wirkungsfaktoren darüber entscheidet, ob neue Generationsimpulse sich zu einer formierenden Einheit verdichten können, oder ob diese latent bleiben müssen. Die biologische Gegebenheit des Generationswechsels bietet nur die Möglichkeit dafür, daß Generationsentelechien überhaupt entstehen können – gäbe es keinen Generationswechsel, so würden wir das Phänomen der Generationsstile nicht kennen. Welche Generationslagerung in ihrer Potentialität aber aktiv wird, hängt von der gesellschaftlich-geistigen Strukturebene ab, also gerade von jener Ebene, die diese naturalistische und dann plötzlich wieder extrem spiritualistisch werdende Problemstellung stets zu überspringen pflegt.
Die formal-soziologische Klärung der Unterschiede, die zwischen Generationslagerung, Generationszusammenhang, Generationseinheit bestehen, ist wichtig und als Fundierung der Problematik unerläßlich, weil man ohne ihre Hilfe die hier dominierenden Verhältnisse gar nicht erfassen kann. Indem man nämlich ohne weitere Differenzierung einfach von „Generationen“ spricht, vermengt man biologisch-vitale Phänomene stets mit den entsprechenden, durch gesellschaftlich-geistige Mächte geformten Erscheinungen und kommt dadurch zu einer „Geschichtstabellensoziologie“, die auf Grund einer Vogelperspektive zu den erforderlichen historischen Zeitpunkten durchaus neue geistige Generationsströmungen durch Geschichtsklitterungen zu entdecken imstande ist.
Am meisten frei von solchen Vorurteilen war Kummer, der von der Möglichkeit sprach, daß in einem Jahrhundert je nach der vorliegenden Situation 3, 4, 5 geistige Generationen vorhanden sein können.[51] Wir glauben dieser zunächst nur intuitiv richtigen Sicht die nötige Fundierung gegeben und gezeigt zu haben, daß ohne Leugnung der Bedeutung der biologischen Gegebenheiten man der Gesamtproblematik nur gerecht werden kann, wenn man ihr Wesen nicht in einer Zahlenrhythmik sucht, sondern die biologischen Gegebenheiten zwar als die tiefstgelagerten Wirkungsfaktoren betrachtet, aber eben deshalb sie in ihrer Auswirkung nicht unmittelbar zu erfassen versucht, sondern erst im Elemente der sozialgeistigen Wirkungsfaktoren zu beobachten bestrebt ist.
Denn dies scheint das Eigentümliche am Geschichtsprozeß zu sein, daß die allerelementarsten, allervitalsten Wirkungsfaktoren am latentesten wirken und nur im Elemente der über sie gelagerten sozialen und geschichtlichen Ebene erfaßt werden können. Um es praktisch auszudrücken: Der Forscher kann die dem Generationsfaktor zurechenbaren Wandlungen nur dann erfassen, wenn er zunächst alle der historischsozialen Dynamik zurechenbaren Veränderungen abgehoben hat. Überspringt man diese „mittlere Sphäre“, so wird man alle jene Momente, die der sogenannten „Milieuwirkung“, der „Zeitsituation“ zuzurechnen wären, unmittelbar einem naturalistischen Faktor (Generation, Rasse, geographische Lage usw.) zuzurechnen geneigt sein.
Nicht darin liegt das Verfehlte dieser naturalistischen Versuche, daß sie das Naturale im menschlichen Leben betonen, sondern daß sie aus diesen Konstanten, das Dynamische unmittelbar erfassen wollen, und gerade jene mittlere Schicht, wo die Dynamik wirklich entsteht, überspringen und vergewaltigen. Die dynamischen Faktoren wirken auf der Basis der Konstanten – auf Grund der anthropologischen und landschaftlichen usw. Gegebenheiten – sie „verarbeiten“, gestalten aber jeweils anders jene Möglichkeiten, die in diesen liegen. Man muß sie, wenn man sie wirklich erfassen will, im Elemente dieser sie gestaltenden historisch-sozialen Potenzreihe aufsuchen. Die Naturalfaktoren, so auch der Generationswechsel stellen den fundamentalsten Spielraum historischsozialen Geschehens dar. Aber gerade weil sie Konstanten, also als solche immer vorhanden sind, kann aus ihnen der Wandel in seiner jeweiligen Besonderheit nicht erklärt werden. Ihre jeweilig sich verändernde Relevanz (die Art und Weise, wie ihr Vorhandensein stets anders verarbeitet wird) kann aber klar nur herausgehoben werden, wenn man gerade diese formende Schicht der gesellschaftlich-geistigen Kräfte genügend scharf ins Auge faßt.
7.
Die Bedeutung der Generationslehren bestand darin, daß sie das theoretische Interesse für diesen zweifellos wichtigen Faktor des menschlichhistorischen Geschehens immer wieder betonten. Ihre Einseitigkeit aber – dies kann man nunmehr zusammenfassend sagen – lag in dem Versuch, aus diesem einen Faktor die Gesamtdynamik im historischen Geschehen zu erklären, eine Einseitigkeit, die der Entdeckerfreude stets anhaftet und als solche auch entschuldbar ist. Die mannigfachen Geschichtstheorien, die in der letzten Epoche in solch üppiger Fülle entstanden sind, weisen stets diese Einseitigkeit auf: man hypostasiert ein Moment im historischen Geschehen zum tragenden Faktor der geschichtlichen Entwicklung. Die Rassentheorien, die Generationslehre, der Ökonomismus, die Volksgeistlehre usw., sie alle leiden an dieser Einseitigkeit, haben aber zweifellos das Verdienst, jeweils einen Faktor grell beleuchtet und ferner das Interesse für das Problem der geschichtsbildenden Strukturfaktoren wachgehalten zu haben. Darin besteht ihr Vorzug einer auf einmalige Kausalverflechtungen oder auf einmalige Gestalten eingestellten Geschichtsschreibung gegenüber, die das Interesse für die strukturell wirkenden Momente verdrängt und verdeckt hatte und deshalb allmählich zur Einsicht kommen mußte, daß aus der Geschichte eigentlich nichts zu lernen sei, da es sich ja dort stets nur um Einmaligkeiten handelt. Daß dem nicht so sei, fühlt ein jeder, der es sich erlaubt, über die Geschichte auch nachzudenken und im lebendigen Leben des Alltags von der Nähe sieht, daß hier jeder Neuanfang und jede überdurchschnittliche Persönlichkeit im Elemente eines gegebenen – wenn auch stets in Umwandlung begriffenen – strukturell beschreibbaren Spielraumes sich auszuwirken hat.
Wenn man die historische Dynamik in ihrem Aufbau sich vergegenwärtigen und hierbei nicht alles einem Faktor zuschreiben will, bleibt nur zu fragen, ob es keine Möglichkeit gibt, eine Ordnung der strukturellen Wirkungskomponenten entweder generell oder für bestimmte Epochen fixieren zu können. – Denn es ist gar nicht gesagt, daß die Relevanz der verschiedenen gesellschaftlichen und der übrigen die Geschichte gestaltenden Mächte (Wirtschaft, Macht, Rasse usw.) immer dieselbe bleiben muß. Dieses Gesamtproblem kann selbstverständlich diesmal nicht der Lösung entgegengeführt werden, es kann sich nur darum handeln, das uns beschäftigende Generationsproblem in seinem Verhältnis zu den übrigen geschichtsbildenden Faktoren etwas näher zu beleuchten.
Es ist das Verdienst Petersens mit jenem historischen Monismus gebrochen zu haben, der den meisten Generationslehren anhaftet. Er versucht das Generationsproblem in Verbindung mit den übrigen Geschichtsfaktoren (Stamm, Landschaft, Volksgeist, Zeitgeist, Gesellschaft usw.) im konkreten Falle der Romantik zu behandeln.
So erfreulich nun dieser Bruch mit einer monistischen Theorie ist, so wenig kann man [an] einer bloßen Nebeneinanderstellung dieser Faktoren, die als solche offenbar auch nur vorläufig ist, bestimmen, und auch die Behandlung des gesellschaftlichen Faktors muß den Soziologen, zumindest in dieser Gestalt, noch unbefriedigt lassen.
Spricht man von „Zeitgeist“, so muß man genau so klar wie bei den übrigen Faktoren sehen, daß der jeweilige „Zeitgeist“ nicht der Geist der ganzen Epoche ist; sondern was man als solchen zumeist ansieht und anspricht, seinen Sitz meistens in einer zu einem bestimmten Zeitpunkt zu besonderer Bedeutung gelangenden sozialen (einfachen oder zusammengesetzten) Schicht hat, die dann ihre geistige Prägung auch den übrigen Strömungen aufdrückt, ohne diese aber zu vernichten oder zu absorbieren.
Der Abbau des Zeitgeistbegriffes muß auch noch von einer anderen Seite her einsetzen, als von der Pinder ihn versucht hat. Für Pinder löste sich die Einheitlichkeit der Zeitgeistkonstruktion zugunsten der Realität der Generationsentelechien auf. Der Zeitgeist ist nach ihm nichts Einheitliches, denn es entspricht ihm keine reale, einheitliche Entelechie. Auch wir möchten leugnen, daß es eine solche Zeitgeistentelechie und eine aus ihr strömende Einheit des Geistes einer Epoche gibt, aber diese Relativierung muß zunächst und primär zugunsten der die Zeiteinheiten in Polaritäten spannenden Strömungsentelechien vollzogen werden.
Das 19. Jahrhundert hat keinen einheitlichen Zeitgeist, sondern diese Einheit ist im wesentlichen das Ergebnis (wenn man sie im Gebiete des Politischen verfolgen will)[52] der gegeneinander kämpfenden konservativ-traditionalistischen und liberalen Impulse, zu denen dann das Proletarisch-Sozialistische hinzukommt.
So weit in der Destruktion wie Pinder möchten wir allenfalls nicht gehen, der in der Zeiteinheit im Wesentlichen die zufällige, jeweilige Durchkreuzung der übrigen Entelechien zu sehen geneigt ist. (Scheinakkordik!) Einheitlich ist der Zeitgeist (und als eine dementsprechende Konstruktion hat dieser Begriff einen Sinn), insofern man ihn in einem dynamisch-antinomischen Sinne zu sehen imstande ist.
Die dynamisch-antinomische Einheit besteht aber darin, daß innerhalb einer Epoche die vorhandenen Polaritäten sich stets aneinander orientieren und die verschiedenen Standorte wirklich erst verstehbar sind, wenn man sie als verschiedengeartete Versuche der Bewältigung desselben Schicksals und der dazugehörigen sozialen und geistigen Problematik zu erfassen imstande ist.[53] Es handelt sich also hier nicht um eine zufällige Deckung zeitlich koexistierender Entelechien (wie bei Pinder), aber auch nicht um eine selbständige Entelechie (einheitliches Willenszentrum, Formungsprinzip, wie bei Petersen), die zu den übrigen als etwas selbständig Neues hinzukommt, sondern um ein Drittes, um ein dynamisches Spannungsverhältnis, das als solches in dieser seiner Eigenart erfaßt werden kann, aber keineswegs substantialisiert werden darf.
Wirkliche Entelechien weisen in erster Reihe die soeben erwähnten Strömungen auf. Eine jede dieser grundlegenden, vom gesellschaftlichen Aufbau aus wohl erklärbaren Polaritäten bildet aus sich heraus besondere Grundintentionen, die über den Generationswechsel hinaus als dauernde (wenn auch sich stets transformierende) Formungsprinzipien im sozialhistorischen Raume vorhanden sind. In diese umfassenderen, dauernden Entelechien der Strömungen bauen dann die zur Wirksamkeit gelangenden, neuen Generationseinheiten ihre Generationsentelechien ein und transformieren eben dadurch jeweils etwa die liberale, konservative und die sozialistische Strömungsentelechie. So daß man sagen kann, die Generationseinheiten sind zwar keine konstruierten Gebilde, sie strahlen jeweils eigene Entelechien aus; diese sind aber gar nicht an und für sich erfaßbar, sondern nur im Elemente dieser Strömungsentelechien. Weshalb auch noch hinzuzufügen ist, daß man die geistigen Generationen, die Generationseinheiten, gar nicht überhaupt fixieren und zählen kann, sondern nur innerhalb bestimmter Strömungen. Die Strömungsentelechie geht der Generationsentelechie voran, nur innerhalb ihrer kann die letztere zur Geltung kommen und abhebbar werden; womit nicht gesagt ist, daß jede der sich bekämpfenden Strömungen in einem gegebenen Zeitpunkte neue Generationsentelechien aufkommen lasse.
Es ist nicht so, daß es etwa in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts nur eine romantisch-konservative Generation[54] gab, der dann eine liberal-rationalistische (das junge Deutschland usw.) folgte, sondern genau ins Auge gefaßt ist es so, daß in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts es nur jener Jugend gelang, neue Generationsentelechien in die Welt zu setzen, die am romantisch-konservativen Pol erlebnismäßig verankert waren. Auch gelang es nur dieser Jugend, die Grundstimmung des Zeitalters weitgehend zu prägen; in den dreißiger Jahren kommt nicht etwa eine „neue Generation“ auf, die plötzlich wieder liberal-rationalistisch ist, sondern es gelingt erst jetzt der in der liberal-rationalistischen Linie stehenden Jugend, zu einer generationsmäßigen Neuformung der hinter ihnen stehenden Tradition zu gelangen. Die grundlegenden Polaritäten waren kontinuierlich da, auch gab es in allen Strömungen stets eine Jugend, nur die Möglichkeit schöpferischer Formung der Generationsimpulse trat einmal am romantisch-konservativen, dann am liberal-rationalistischen Pole auf.
Spricht man also, wie es Petersen[55] tut, von einem führenden, umgelenkten und unterdrückten Generationstyp, so ist damit etwas Richtiges und sehr Wichtiges gesehen, aber zufolge der ungenügenden soziologischen Differenzierung noch nicht endgültig präzisiert.
Bei Petersen werden überzeitliche Charaktertypen und „Zeitgeist“ (wobei der letztere als eine eindeutig bestimmbare Größe bei ihm erscheint) unmittelbar aufeinanderbezogen, als kämpften im historischen Leben in der Tat diese beiden Faktoren, und als wäre das Schicksal der einzelnen Individuen jeweils durch die Eigenart der gegenseitigen Durchdringung dieser beiden Komponenten bedingt. Fassen wir etwa nach Petersen einen emotionalen Typ, den er zugleich als „romantisch veranlagt“ betrachtet, besonders ins Auge und setzen wir voraus, daß dieser in einem Zeitalter lebt, dessen Zeitgeist romantisch ist, so kann durch das Zusammentreffen dieser Umstände eine Steigerung der Anlagen des betreffenden Individuums zustande kommen, wodurch dieses in diesem Zeitalter zum „führenden Generationstyp“ wird. Ein anderes Individuum dagegen, in dem Emotionales und Rationales der Anlage nach ursprünglich im Gleichgewicht standen, kann in einer romantischen Epoche ins Romantische hinübergezogen werden. Dieser wird den „umgelenkten Typus“ Petersens ergeben. Und nehmen wir schließlich ein drittes Individuum, das der Veranlagung nach ursprünglich rationalistisch ist, so wird dieses in einer romantischen Epoche den „unterdrückten Typus“ abgeben. Denn es bleibt ihm gar nichts anderes übrig, als entweder aus Mode, entgegen seiner Veranlagung, dem „Zeitgeist“ nachzugeben, was in Unfruchtbarkeit mündet, oder aber, wenn er hartnäckig auf eigenem Boden verharrt, in seiner Zeit ein Einsamer zu sein. Als solcher wird er entweder als Epigone der vorangehenden oder als Vorläufer einer zukünftigen Generation zuzurechnen sein.
Sieht man zunächst von der etwas schematisierenden Gleichsetzung von „emotional“ und „romantische Veranlagung“ usw. ab, so liegt sicher etwas Richtiges in der Unterscheidung führender, umgelenkter und unterdrückter Typen vor. Nur geraten keineswegs unmittelbar überzeitliche Charakteranlagen im übersozialen Raume und ein undifferenziert einheitlicher „Zeitgeist“ (denn einen solchen gibt es gar nicht) aneinander, sondern das einzelne Individuum wird primär geformt von jenen zeitgenössischen geistigen Einwirkungen und Strömungen, die gerade in jenen sozialen Lebenskreisen heimisch sind, denen es soziologisch zuzurechnen ist. Das will besagen, es wird zunächst gar nicht vom gesamten „Zeitgeist“ affiziert und attrahiert werden, sondern nur von jenen Strömungen der Zeit, die traditional und aktuell in seiner Umwelt vorhanden sind. Daß aber gerade diese Strömungen und nicht andere sich in seinem Lebenskreise festgelegt haben und sich auch aktuell halten, liegt im wesentlichen daran, daß die typischen Chancen dieser Lebenslage, in der seine Umgebung und auch es existiert, gerade in diesen Verhaltungsweisen ihren adäquaten Ausdruck finden. Es ist also keineswegs ein undifferenziert einheitlicher „Zeitgeist“, der einzelne Individuen und deren ursprüngliche Veranlagung fördert oder hemmt; sondern es handelt sich in konkreto stets nur um eine bestimmte Polarität im „Gesamtgeiste der Zeit“, gerade um jene, die in dem Kreise des betreffenden Individuums sich niedergeschlagen hat. Mit dieser besonderen Strömung hat sich die gegebene Charakterveranlagung des betreffenden Individuums in erster Reihe auseinanderzusetzen.
Wenn der Literaturhistoriker die Neigung hat, einmal die Tatsache zu übersehen, daß die meisten Menschen nur innerhalb einer bestimmten Strömung der Zeit stehen, zweitens zu übersehen, daß der „Zeitgeist“ stets gespalten vorliegt und nicht plötzlich ausschließlich romantisch, dann wieder ausschließlich rationalistisch wird, so liegt das daran, daß er sich primär an den Schicksalen von Literaten orientiert, also am Schicksal einer ganz spezifisch gearteten Schicht.
Nur die Literatenschicht, die in unserer Gesellschaft relativ sozialfreischwebend ist (was selbstverständlich auch ein soziologisches Merkmal ist), hat die Möglichkeit, zu schwanken, bald dieser, bald jener Strömung sich anzuschließen. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts schloß sie sich weitgehend stets jener Strömung an, deren neue Generation, durch Zeitverhältnisse unterstützt, in ihrer Geistigkeit gerade virulent wurde, d. h. wo eine Generationsentelechiebildung jeweils möglich war. Die Restaurationsepoche und die soziale und politische Schwäche des deutschen Bürgertums am Anfang des 19. Jahrhunderts begünstigte zunächst die Entelechiebildung am romantischkonservativen Pol der Jugend, durch die auch ein großer Teil der sozial freischwebenden Literatenschicht attrahiert wurde. Von den dreißiger Jahren an begünstigte die Julirevolution und die aufsteigende Industrialisierung das Virulentwerden neuer liberal-rationalistischer Entelechien in der sie tragenden Generation: ein großer Teil der Literaten erscheint nun im liberal-rationalistischen Lager.
Verfolgt man diese Entwicklung, indem man vornehmlich diese Literatenschicht ins Auge faßt, so sieht die Sache so aus, als gäbe es einmal nur einen romantischen, dann nur einen rationalistischen „Zeitgeist“, und man hat auch ferner den Eindruck, als würden ausschließlich diese Literaten, Dichter und Denker den „Zeitgeist“ bestimmen. Faktisch ist es so, daß die entscheidenden, die Richtung bestimmenden Wollungen gar nicht in ihnen verankert sind, sondern in den hinter ihnen stehenden viel kompakteren sozialen Trägern in ihrer polaren Gespaltenheit, die als solche ständig präsent sind. Diese, durch das Vordringen der einzelnen Strömungen verursachte Wellenbewegung im „ Zeitgeiste“ kommt nur dadurch zustande, daß durch Zeitverhältnisse bald dieser, bald jener Pol eine aktivwerdende Generation zu stellen imstande ist, die dann auch die „Mittelschichten“, ganz besonders aber diese sozial freischwebende Literatenschicht mit sich reißt. Die ungeheure Bedeutung dieser Literatenschicht (der ja oft die gewaltigsten Denker und Dichter zuzurechnen sind) wird dadurch nicht geleugnet, geben doch diese wirkliche Vertiefung und Form allen jenen Entelechien, die aus dem sozialen Raume auf diese Weise ausstrahlen. Wenn man sich ausschließlich an ihnen orientiert, dann kann man gerade diese Strömungsstruktur der geistigen Bewegungen nicht vollgültig erfassen. Den ganzen historisch-sozialen Strom in Betracht gezogen, gibt es also keine ausschließlich romantischen und keine ausschließlich rationalistischen Epochen, diese Polarität ist zumindest seit dem 19. Jahrhundert eindeutig vorhanden; man kann aber wohl davon sprechen, daß bald die eine Richtung, bald die andere das Heft in die Hand bekommt, zur Dominante wird. Dies bedeutet soziologisch gesehen – um es noch einmal zusammenzufassen – nur soviel, daß durch Zeitverhältnisse begünstigt, bald an einem Pol, bald am anderen eine Generationsentelechiebildung möglich wird, was stets die schwankenden mittleren Schichten, in erster Reihe aber die zeitgenössische Literatenschicht anzieht. Daraus ergibt sich aber, daß der sozial fest verankerte Mensch (welchem „Seelentyp“ er auch angehören mag) primär mit jener Strömung ringt, die in seinem Lebenskreise dominiert, der freischwebende Literat aber (zu welchem Seelentyp er auch gehören mag) hauptsächlich mit der zeitgenössischen Dominante zu ringen hat. Wie für das einzelne Individuum dieser Kampf zwischen individueller Veranlagung, sozial ihm adäquater Geisteshaltung und der in der betreffenden Epoche zur Dominante gesteigerten Strömung ausfallen wird, ist sicher individuell verschieden: nur eine sehr gewaltige Persönlichkeit wird aber die eigene persönliche Charakteranlage gegen eine polargerichtete Geisteshaltung des eigenen Lebenskreises (ganz besonders, wenn diese im Aufstreben begriffen ist) durchzuhalten imstande sein. Ein irrationalistisch veranlagter „Bürgerlicher“ wird in den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts genau so schwer „zu sich“ zu kommen imstande sein, wie es für einen rational veranlagten, der neuen Generation angehörigen Adligen schwer fallen mußte, gegen die neuaufsteigende Romantik und Religiosität seine rationalistische Lebensform zu wahren. Gegen die virulentwerdende neue Generationsentelechie sind in solchen Fällen am meisten jene gefeit, die durch ihre ältere Generationslagerung in die neue, in ihrem sozialen Lebenskreise neu aufsteigende Generationsentelechie nicht hineinzuwachsen vermögen oder wollen. – So konnte einem Friedrich Wilhelm III. und seinem Anhang, die meistens in der rationalistischen Orthodoxie, also in der älteren Form des Konservatismus aufgewachsen sind, die neue romantisch-pietistisch-religiöse Welle nichts anhaben. Sein Sohn dagegen, der Kronprinz und spätere Friedrich Wilhelm IV. war ausgeprägtester Exponent dieser Strömung. Aus all dem geht, von einer anderen Seite her noch einmal beleuchtet, klar hervor, daß man die Auswirkung des Generationsfaktors nicht unmittelbar und direkt feststellen kann, sondern nur im Elemente des sozial-historischen Geschehens.
Die Generationslagerung als Potentialität ist stets vorhanden, sie versucht sich stets zu verwirklichen, aber nicht im Elemente des Zeitgeistes überhaupt, sondern stets in jenen konkreten Strömungen, die jeweils vorhanden sind.[56] Ob diese Tendenz zur generationsmäßigen Entelechiebildung im Schoße jener Strömungen zur Realisation gelangt und an welchem Pole dies jeweils gelingt, hängt – wie wir gesehen haben – von historischen Schicksalen ab.
Zu diesen, die Generationsproblematik an und für sich schon zur Genüge komplizierenden Faktoren kommt noch ein Faktor hinzu, der in unseren Überlegungen bisher nicht zur Geltung kam.
Wir haben nämlich noch nicht die Tatsache in Erwägung gezogen, daß die neudurchbrechende Generationsentelechie nicht in allen Gebieten, in allen Sphären des Geistigen, dieselbe Möglichkeit hat durchzubrechen. Die einzelnen Sphären können jeweils förderlich und hemmend für den Durchbruch der Generationsentelechie werden. Man kann hier ganz sicher von einer Abstufung der einzelnen Sphären, je nach ihrer dokumentarischen Bedeutung für die Generationsentelechie, sprechen.
So ist es eindeutig feststellbar, daß die exakten Wissenschaften, für die die Relevanz der Weltanschauung viel geringer ist, die Generationsentelechien weitgehend verdecken.
Die „Zivilisationssphäre“[57] überhaupt verdeckt durch ihre geradlinige Entwicklungsstruktur viel mehr die hinter ihr stehenden willensmäßigen, erlebnismäßigen Wandlungen als die Kultursphäre. Innerhalb dieser hat wohl Pinder sicher recht, wenn er den sprachlichen Dokumentationen (Religion, Philosophie, Dichtung, Wissenschaft) eine andere Rolle zuschreibt als den bildenden Künsten und der Musik.[58]
Auch wird man hier genauer differenzieren und der Frage nachgehen müssen, wie weit die verschiedenen Strömungs- und Generationsimpulse und Formungsprinzipien eine Affinität zu bestimmten „Gattungen“ haben, und ob sie nicht solche für sich neu prägen. So hatte die romantische Generation ganz andere Gattungen geprägt und kultiviert als die liberale vormärzliche Generation.
Man muß auch die dokumentarische Kraft der gesellschaftlichen Formen des Zusammenlebens in Betracht ziehen. Auch hier gibt es verschiedene Formen des Beisammenseins, die bald diesen, bald jenen Strömungs- und Generationsintentionen genehmer sind. Auf die Tatsache, daß ein durch Statuten gestifteter Verband in viel geringerem Ausmaß die neuen Generationsimpulse widerzuspiegeln geeignet ist als die eher fluktuierenden Formen der Vergesellschaftung (die Salons etwa), hatte schon Mentre[59] hingewiesen.[60]
Es erweist sich also, daß genau so, wie die soziale und geschichtliche Ebene hemmend oder fördernd für den Durchbruch der Generationsentelechie sein kann, auch die „Sphären“, in denen sie am ehesten zum Ausdruck zu kommen vermögen, nicht eindeutig und im vorhinein bestimmt werden können. All dies bestätigt nur noch von einer anderen Seite her, daß gerade der Generationsfaktor, der geradezu mit naturgesetzlicher Regelhaftigkeit wirkt und vorhanden ist, am schwierigsten und nur auf Umwegen im Elemente des Geistig-Sozialen erfaßbar ist.
Das Generationsphänomen ist eines der grundlegenden Faktoren beim Zustandekommen der historischen Dynamik. Die Erforschung des Zusammenspiels der zusammenwirkenden Kräfte ist ein Aufgabenkreis für sich, ohne dessen Klärung die Geschichte in ihrem Werden nicht endgültig erfaßt werden kann. Nur durch eine strenge, vorangehende Analyse der Eigenart all der Komponenten, die hier relevant sind, kann eine solche Fragestellung gelöst werden.
Die formalsoziologische Analyse des Generationsphänomens kann dazu zunächst so viel beitragen, daß sie womöglich klar zeigt, was von dieser Komponente aus erklärt und was nicht unmittelbar aus ihr heraus erfaßt werden kann.
Zur Bibliographie des Generationsproblems.[ ]
(Theorie und Anwendung.)
1. Agathon, Les jeunes gens d’aujourd’hui, Plon Nourrit & Co. 1912.
2. Ageorges, La marche montante d’une génération (1890 bis 1910). 1912.
3. Bainville, Histoire de trois générations.
4. Brinckmann, A. E., Spätwerke großer Meister. Frankfurt 1925.
5. Boll, F., Die Lebensalter. Ein Beitrag zur antiken Ethologie und zur Geschichte der Zahlen. Berlin 1913.
6. Cournot, Considérations 1872.
7. Curtius, E. R., Die literarischen Wegbereiter des neuen Frankreich. Potsdam.
8. Dilthey, Über das Studium der Geschichte der Wissenschaften vom Menschen, der Gesellschaft und dem Staat (1875). Abgedr. Ges. Schr. Bd. V. S. 36-41. (Abgekürzt: Dilthey.)
9. Derselbe, Leben Schleiermachers. Bd. I. 2. Aufl. Berlin, Leipzig 1922.
10. Dromel, Justin, La loi des révolutions, les générations, les nationalités, les dynasties, les religions. 1862. Didier & Co.
11. Ferrari, G., Teoria dei periodi politici. 1874. Hoepli. Milano.
12. Heidegger, Sein und Zeit. Jahrb. f. Philosophie u. phänomenologische Forschg. Bd. VIII, Halle a. d. S. 1927. S. 384f.
13. Herbst, F., Ideale und Irrtümer des akademischen Lebens in unserer Zeit. Stuttgart 1823.
14. Honigsheim, P., Die Pubertät. In dieser Zeitschrift [Kölner Vierteljahrshefte für Soziologie] Jahrg. III (1924), Heft 4.
15. Grimm, Jacob, Über das Alter. Reclams Universal-Bibl. Nr. 5311.
16. Joel, K., Der säkulare Rhythmus der Geschichte. Jahrb. f. Soziologie, Bd. I. Karlsruhe 1925.
17. Kummer, F., Deutsche Literaturgeschichte des 19. Jahrhunderts. Dargestellt nach Generationen. Dresden 1900.
18. Lorenz, O., Die Geschichtswissenschaft in Hauptrichtungen und Aufgaben kritisch erörtert. Teil I. Berlin 1886. Teil II. 1891.
19. Mentré, F., Les générations sociales. Éd. Bossard. Paris 1920.
20. Nohl, H., Das Verhältnis der Generationen in der Pädagogik. Ersch. in „Die Tat“. Monatsschrift. Mai 1914.
21. Ortega I. Gasset: Die Aufgabe unserer Zeit. Einl. V. E. R. Curtius. Zürich 1928. Verl. d. Neuen Schweizer Rundschau. (Kap. I. Der Begriff der Generation.)
22. Petersen, J., Die Wesensbestimmung der Romantik. (Kap. 6. Generation.) Leipzig 1925.
23. Pinder, Kunstgeschichte nach Generationen. Zwischen Philosophie und Kunst. Johann Volkelt zum 100. Lehrsemester dargebracht. Leipzig 1926.
24. Derselbe, Das Problem der Generation in der Kunstgeschichte Europas. Berlin 1926. (Abgekürzt: Pinder.)
25. Platz, R., Geistige Kämpfe im modernen Frankreich. Kempten 1922.
26. Rümelin, Über den Begriff und die Dauer einer Generation (Reden und Aufsätze. I.) Tübingen 1875.
27. Schurtz, H., Altersklassen und Männerbünde. Eine Darstellung der Grundformen der Gesellschaft. Berlin 1902.
28. Spranger, Psychologie des Jugendalters. Leipzig 1925.
29. Scherer, W., Geschichte der deutschen Literatur. 3. Aufl. Berlin 1885.
30. Valois, G., D’un siècle à l’autre. Chronique d’une génération (1855-1920). Nouvelle libraire nationale. Paris 1921.
31. von Wiese, L., Allgemeine Soziologie, als Lehre von den Beziegungsgebilden. Teil I. Beziehungslehre. München u. Leipzig 1924.
32. Derselbe, „Väter und Söhne.“ Der Neue Strom. Jahrg. I. Heft 3.
33. Zeuthen, H. G., Quelques traits de la propagation de la science de génération en génération. Rivista di Scienza. 1909.
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Hier nach: Karl Mannheim, Das Problem der Generationen, in: Kölner Vierteljahrshefte für Soziologie 7 (1928), S. 157-185, 309-330.
- ↑ Vgl. zu den Hume- und Comte-Stellen die Quellenbelege bei Mentré S. 179 f. und S. 66 ff.
- ↑ Die genauen Titelangaben der bisher angeführten und noch zu zitierenden Werke über das Generationsproblem befinden sich in der Bibliographie, am Ende dieser Arbeit.
- ↑ Wissenschaftlich am besten fundiert scheint uns der Versuch Rümelins zu sein, der zunächst unabhängig von jeder geisteswissenschaftlichen Problematik, auf rein statistischem Wege die Generationsdauer im Volksganzen zu bestimmen versucht. Hierbei sind die folgenden beiden Faktoren bestimmend: das durchschnittliche Heiratsalter der Männer und die halbe Dauer der mittleren ehelichen Fruchtbarkeit. Durch Summierung dieser (in den verschiedenen Ländern und sozialen Lebenskreisen verschieden ausfallenden Daten) erhält er die Generationsdauer, die für Deutschland 36½, für Frankreich 34½ Jahre ergeben hat.
- ↑ Vgl. auch hier die genauen Titelangaben am Ende dieser Arbeit.
- ↑ Wir besprechen in diesem Kapitel nur jene Repräsentanten der Generationstheorie ausführlicher, die von Mentré noch nicht behandelt wurden.
- ↑ Mentré, S. 298.
- ↑ Vgl. hierzu u. a. die Bücher von Agathon, Bainville, Ageorges, Valois; vgl. auch E. R. Curtius, Platz, wo auch stets der Generationsgesichtspunkt bei der Darstellung berücksichtigt wurde.
- ↑ Über das konservative Zeiterleben vgl. K. Mannheim: Das konservative Denken. Archiv für Sozialwissenschaft u. Sozialpolitik. Bd. 57. H. ½ S. 98 ff. Gegen die Fortschrittskonzeption als geschichtliche Gesamtvorstellung z. B. Pinder, S. 138.
- ↑ Vgl. Dilthey, S. 36 ff.
- ↑ Heidegger, S. 384 f.
- ↑ Pinder. Vgl. insbes. Kapitel 7.
- ↑ Pinder, S. 21. Von Pinder kursiv.
- ↑ Pinder, S. 20 ebenda.
- ↑ Vgl. hierzu K. Mannheim, Beiträge zur Theorie der Weltanschauungsinterpretation. (Jahrbuch für Kunstgeschichte. Bd. I. Wien 1923. Ersch. auch in der Serie: „Kunstgeschichtliche Einzeldarstellungen“. Bd. 2. Herausgegeben vom „Kunsthist. Institut des Bundesdenkmalamtes“. Wien 1923. S. 38 ff.)
- ↑ Pinder, S. 98.
- ↑ Pinder, S. 159 f.
- ↑ Pinder, S. 154. Von Pinder gesperrt.
- ↑ Pinder, S. 30 .
- ↑ Pinder, S. 60.
- ↑ Gemeint sind Kulturzustand und die gesellschaftlich politischen Verhältnisse.
- ↑ Dilthey, S. 38.
- ↑ Joel, siehe die Bibliographie am Ende.
- ↑ Eine nüchternere Fundierung der drei Generationeneinheit, als der Einheit eines Jahrhunderts, hatte O. Lorenz versucht. Eine 600 Jahre-Rhythmik betont Scherer in seiner Literaturgeschichte. S. 18 ff. Auf die Lösungsversuche der modernen Literaturhistoriker Kummers und Petersen, ferner auch auf L. v. Wiese, kommen wir im nächsten Teil dieser Untersuchung zu sprechen.
- ↑ In diesem Zusammenhange müßte u. a. der strukturelle Unterschied zwischen den, durch K. Schurtz so genau geschilderten Altersklassen und Männerbünden bei den sog. „Primitiven“ einerseits und den modernen Generationsbewegungen andererseits genau herausgearbeitet werden.
- ↑ Es kann Thema einer historisch-soziologischen Untersuchung werden, auf welcher Stufe der Entwicklung und unter welchen Bedingungen aus Klassenlage Klassenbewußtsein aufsteigt, genau so kann es ein historisch-soziologisches Problem werden, wann sich neue Generationen ihrer generationsmäßigen Lagerung als solcher bewußt werden und gerade dieses Wissen zur Unterlage ihres Verbundenseins machen. Warum ist gerade in der jüngsten Zeit Generationseinheit ins Bewußtsein gehoben worden? Das wäre hierbei die in erster Reihe zu lösende Frage.
- ↑ Da den Geistes- und Sozialwissenschaften kein Experiment zur Verfügung steht, kann oft ein solches „Gedankenexperiment“ dazu verhelfen, die wichtigsten Faktoren zu isolieren.
- ↑ Über das „Jungsein“, „Altern“ und deren geistige Relevanz vgl. u. a. Spranger (bei diesem weitere Literatur über das Seelenleben der Jugendlichen, in diesem Zusammenhange auch Honigsheim), ferner A. E. Brinckmann (mit kunsthistorisch interpretativer Methode arbeitend), Jacob Grimm, F. Boll (mit historisch philologischer Methode arbeitend). Die Literatur über Jugendbewegung (da sie ein Problemgebiet für sich darstellt) ist in unserer Bibliographie nicht angeführt.
- ↑ Es ist hier nicht der Ort, die ganze Mannigfaltigkeit der Formen sozialer Erinnerung aufzuzählen. Hier werden mit absichtlicher Beschränkung und Vereinfachung die beiden polaren Möglichkeiten sozialer Erinnerung fixiert, wobei unter „bewußten Vorbildern“ in erweiterter Bedeutung, etwa auch jenes Gesamtwissen verstanden werden kann, welches in unseren Bibliotheken aufgestapelt liegt. Dieses in der Bibliothek vorhandene Wissen kommt aber für das Weiterleben stets nur insofern in Betracht, als es immer wieder aktualisiert wird. Aktualisiert aber kann es stets in den beiden Weisen da sein, als intellektuell das Handeln regulierendes Vor-Bild, Vor-Wissen, an dem man sich orientiert, oder aber als im Vollzug komprimiert vorhandene Erfahrung. Über die Instinktsphäre und über die insbesondere durch Freud behandelte verdrängte und unterbewußt mitpräsente Sphäre müßte noch gesondert gehandelt werden.
- ↑ Diese im Vollzug zustandekommende Neuentdeckung verschütteter Möglichkeiten am Hergebrachten macht es uns erst verständlich, daß oft reformierende und revolutionierende Bewegungen ihre neuen Wahrheiten an ältere anzuknüpfen vermögen.
- ↑ Wenn man – wie vorausgesetzt – diesmal von den vital biologischen Momenten körperlich-seelischen Alterns hier absieht.
- ↑ Daß das, in diesem Sinne angedeutete „Neuansetzen-Können“, nichts mit „Konservativ“ und „Progressiv“ zu tun hat, muß betont werden. Es ist nichts unrichtiger, als zu meinen – was die meisten Generationstheoretiker unkritisch voraussetzen –, daß die Jugend progressiv und das Alter eo ipso konservativ sei. Gegenwärtige Erfahrungen zeigen zur Genüge, daß die ältere, liberale Generation politisch progressiver zu sein vermag als etwa bestimmte jugendliche Kreise (Burschenschaften usw.). „Konservativ“ und „progressiv“ sind historisch-soziologische Kategorien, die an einer bestimmten konkretinhaltlichen historischen Dynamik orientiert sind, während „alt“ und „jung“, „generationsmäßig neuartiger Zugang“, formal-soziologisch gemeint sind. Ob eine bestimmte Jugend konservativ, reaktionär oder progressiv ist, entscheidet sich (wenn auch nicht ausschließlich, aber doch in erster Reihe) dadurch, ob sie am vorgefundenen Status der Gesellschaft von ihrem sozialen Orte aus Chancen der eigenen sozialen und geistigen Förderung erwartet. Ihr „Jungsein“, ihr „neuartiger Zugang“ aber erweist sich u. a. dadurch, daß sie innerhalb der nunmehr gewählten Strömung eine Transformation und Adaptation dieser an die neue Totallage leichter vollzieht; also innerhalb der konservativen Strömung eine der modernen Situation entsprechende Form dieser politisch-geistigen Richtung, innerhalb etwa des Sozialismus eine gegenwärtige Form dieser Tradition zu finden imstande ist. Auch dies ist ein wichtiger Beweis für die später noch ausführlich zu erhärtende Hauptthese dieses Aufsatzes, daß die vitalen Gegebenheiten (so die des Jung- und Altseins) nicht unmittelbar, inhaltlich geistige Verhaltensweisen involvieren (jung nicht unbedingt progressiv gleichzusetzen ist usw.), sondern nur formale Tendenzen, die allein im Elemente des Sozialen und Geistigen relevant werden können. Jede unvermittelte Gleichsetzung oder Verknüpfung biologischer Data mit geistigen Erscheinungen führt zu einem qui pro quo, das nur Verwirrung stiftet.
- ↑ Wann dieser Prozeß im Individuum abgeschlossen ist, wann der unbewußte Lebensfond (in dem auch die nationalen und landschaftlichen Eigenheiten ruhen, aus dem landschaftliche und nationale „Entelechien“ aufsteigen) kaum mehr sich bildet ist schwer zu bestimmen. Der Prozeß scheint abgeschlossen zu sein, wenn sich gerade dieser aproblematische Lebensfond kaum mehr ändert. Das Kind, der Jüngling, in ein neues Milieu gebracht, ist stets in der Lage, auch neuen Einwirkungen dieser Art gegenüber offen zu sein. Sie lassen ohne weiteres neue, unbewußte Seelenhaltungen, Gewohnheiten in sich einsickern, ändern Sprache und Dialekt. Der Erwachsene, in eine neue Lebenslage versetzt, transformiert bewußte Aspekte, Denk- und Verhaltungsweisen, „akklimatisiert“ sich aber niemals vom Grund aus in derselben Weise. Die fundamentalsten Verhaltungsweisen, der Seelenfond und im Äußeren, die Sprache und Dialekt bleiben meistens auf früherer Stufe stehen. Es scheint also ein indirektes Indizium für das Abgeschlossensein dieses Prozesses in der Sprache und Aussprache zu liegen. Wenn man feststellen kann, wann die Sprache, der Dialekt des Individuums abgeschlossen ist, hat man zumindest einen äußeren Anhaltspunkt für die Fixierung des Zeitpunktes, wo der Abschluß der Bildung auch des unbewußten Lebensfonds im Individuum anzusetzen sei. Nach den sprachwissenschaftlichen Forschungen A. Meillets ändert sich Alltagssprache, Dialekt des Individuums nach dem 25. Jahre kaum mehr. (A. Meillet, Méthode dans les sciences. Paris, Alcan, 1911; ferner ders., Introduction a l’étude comparative des langues indo-européennes, 1903; zit. bei Mentré, S. 306 ff.).
- ↑ Auch Spranger setzt einen erheblichen Einschnitt um das 17. Lebensjahr herum an (S. 145).
- ↑ Das „Vorauseilen“ der „Ideen“ der reellen Transformation gegenüber kann von hier aus verständlich gemacht werden. Hierbei ist an den französischen Begriff der Idee zu denken und nicht an das „Urbildhafte“ der „platonischen Idee“. Diese „moderne Idee“ hat eine auflockernde und das gesellschaftliche Gefüge in Bewegung setzende Tendenz. Sie ist nicht vorhanden in statischen Gesellschaftseinheiten, etwa in den noch in sich geschlossenen bäuerlichen Lebenskreisen, sofern man dort noch aproblematisch, vom unbewußt tradierten Fond zehrt. Dort kommt es auch nicht dazu, daß die neue Generation gerade durch eine solche Verbindung mit den Ideen, sich gegen die Alten abhebt. „Jungsein“ wirkt sich hier nur in der biologischen Differenzierung aus. Hierüber später.
- ↑ Die Reihenfolge des zur Geltungkommens der wirkenden Faktoren scheint die folgende zu sein. Zunächst verändern sich die „Verhältnisse“. Die aktuellen Vollzüge, auf diese Weise in eine neue Situation hineingestellt, transformieren sich zunächst unbewußt. Man versucht ein Eingehen auf die neue Lage, durch instinktive, nicht bewußt werdende Anpassung. (Der noch so orthodoxe, prinzipiengetreue Mensch paßt sich in den, nicht in den bewußten Beobachtungskreis fallenden Dingen in einem fort an.) Ist durch beschleunigte Dynamik des sozial-geistigen Prozesses, der Wandel allzu gewaltig, so daß unbewußte Anpassung nicht mehr ausreichen würde, „funktionieren“ die Vollzüge in der allzu plötzlich neugewordenen Situation nicht (wird etwas in diesem Sinne realiter problematisch), so reagiert das Bewußtsein mit Bewußtmachung, die in ihrer konkreten Gestalt der jeweilig historischen Bewußtseinsstufe: Mythos, Philosophie, Wissenschaft entspricht –, und es lockern sich von hier aus, – soweit dies möglich ist, die tieferen Seelenbestände auf.
- ↑ L. v. Wiese schildert diese Vater-Sohn-Opposition in sehr anschaulicher Weise. Äußerst wichtig ist der Hinweis, daß der Vater hierbei der Tendenz nach dazu gedrängt wird die „Gesellschaft“ dem Sohne gegenüber zu vertreten. (Allg. Soz. S. 196 ff.)
- ↑ Um auch ein gegenwärtiges Beispiel anzuführen, weist ein Leitartikel der Frankfurter Zeitung (8. Dezember 1927 Abendblatt) gelegentlich des Studentenrechtskonfliktes ziemlich genau diese bereits heute wahrnehmbare Verschiebung in der Lebensorientierung der Nachkriegsgeneration und der darauffolgenden Zwischengeneration nach: auch für den Ausgleich, der zwischen beiden sich vollzieht, findet man dort Belege.
- ↑ Als eine entsprechende Gegentendenz ist die Tatsache zu beachten, auf die L. v. Wiese (ebenda S. 197) aufmerksam macht, daß mit dem modernen Individualismus ein jeder mehr als früher sein eigenes Leben zu führen beansprucht.
- ↑ Auch ein Beweis dafür, daß die naturalen biologischen Faktoren, die das Alter endgültig charakterisieren, durch soziale Kräfte paralysiert werden, daß im Elemente des Sozialen biologische Gegebenheiten beinahe in ihr Gegenteil umgebogen werden können.
- ↑ Wir haben bisher Generation, Generationszusammenhang usw. undifferenziert benützt, zu einer genauen Bedeutungsdifferenzierung soll es erst jetzt kommen.
- ↑ Vgl. Das Heidegger-Zitat S. 164 [siehe Fn. 10] in der vorliegenden Untersuchung.
- ↑ Inhalte können sozial verbinden und differenzieren. Derselbe Begriff der Freiheit z. B. hatte in der liberalen „Generationseinheit“ eine ganz andere Bedeutung als in der konservativen. So können Bedeutungsanalysen als sichere Maßstäbe für die Differenzierung des Generationszusammenhanges in Generationseinheiten verwendet werden. Vergleiche die erwähnte Untersuchung Karl Mannheim, Das konservative Denken (Archiv für Sozialw. U. Sozialpolitik. Bd, 57, [1927] S. 90 ff.), wo der konservative Freiheitsbegriff in seiner spezifischen Bedeutung dem gleichzeitigen liberalen gegenüber herausgearbeitet wird.
- ↑ Es hatten z. B. in den 40er Jahren zur Zeit der Hochflut oppositioneller Ideen auch adelige Jünglinge an diesen Ideen partizipiert. Vgl. Marx, Revolution und Kontre-Revolution in Deutschland, 3. Aufl., Stuttgart 1913, S. 20 f., 25.
- ↑ Kummer hatte in seiner Literaturgeschichte eine ganz differenzierte Typik der Generationsträger herausgearbeitet; er unterscheidet stets: Vorläufer, Pfadfinder, Genies, selbständige Talente ohne führende Bedeutung, abhängige Talente, Ausläufer und Modetalente. S. 6 ff. und passim.
- ↑ So kann Nietzsche als Vorläufer der gegenwärtigen Neuromantik gelten. In Frankreich ist ein eminentes Beispiel Taine, der unter dem Eindruck der Ereignisse von 1870/71 die vaterländische Wendung vollzog und dadurch zum Vorläufer einer nationalistischen Generation wurde (vgl. Platz, S. 43 ff.). In solchen Fällen, wo es sich um Vorläufer handelt, gälte es in historisch-soziologischer Einzeluntersuchung festzustellen, wie die Erlebnisstruktur jener, die den Übergang zum Neuen in sich erarbeiten, dennoch völlig anders geartet ist als bei jener neuen Generation, die erlebnisgemäß gerade dort ansetzt, wo die Vorläufer erst endeten. Ein interessantes Beispiel ist diesbezüglich in der Geschichte des deutschen Konservativismus der Rechtsgelehrte Hugo, der als Begründer der „historischen Schule“ gelten kann. Dennoch vollzog er niemals jene irrationalistische Wendung, wie es die nächste Generation (Savigny) tat, die in ihrer Jugend den Befreiungskrieg miterlebte.
- ↑ Die Geschwindigkeit der gesellschaftlichen Dynamik wird ihrerseits keineswegs vom Generationswechsel verursacht, der ja stets konstant bleibt.
- ↑ Pinder hat eine primäre Orientierung an der Kunstgeschichte, sein Entelechiebegriff ist an den künstlerischen Gebilden abgelesen. Bei genauer Beschreibung müßte man abstufend differenzieren zwischen neuen Generationsimpulsen, Willenskeimen, Formungstendenzen, Gestaltungsintentionen, Entelechien usw. Auf der gegenwärtigen Stufe der Betrachtung können wir von diesen Unterschieden absehen, und wir verwerten deshalb öfters im folgenden der Einfachheit halber den Pinderschen zusammenfassenden Terminus der Entelechie.
- ↑ Wie sehr die Burschenschaften sich bereits als eine bewußte Jugendbewegung erlebten, mögen einige Sätze von Herbst im Sinne eines Quellenbelegs veranschaulichen. Die Burschenschaften fühlten sich als Nachbildner der griechischen εταιριαι. Herbst sagt: „Sie (scil. die Griechen) bildeten ihre εταιριαι in einem ähnlichen Sinne wie unsere Burschenschaften.“ Zur Stimmungscharakteristik der Bewegung vgl. etwa folgende Sätze: … „bei uns läßt man den Jüngling gerade am Scheidewege stehen und glaubt alles getan zu haben, wenn man ihm Gelegenheit gibt, mit einiger Gelehrsamkeit es dahin zu bringen, daß er mit leichter Mühe durch das Leben jagen kann. Wir sind nun überzeugt, daß das Leben höhere Anforderungen an uns macht, und wenn von oben herein diese Anforderungen nicht befriedigt wurden, so glaubten wir, uns selbst überlassen, ein Recht zu haben, unsere Lebensverhältnisse so zu ordnen, daß wir in ihnen unserer Überzeugung gemäß uns bilden und kräftigen können, welche uns die Vernunft und der Geist der Zeit gesetzt hat“ (S. 97).
- ↑ Vgl. den oben angeführten Leitartikel der „Frankfurter Zeitung“.
- ↑ Die Möglichkeit der Entelechiebildung hängt sicherlich auch mit der sozialen Geltungsmöglichkeit einer Altersstufe zu einem bestimmten Zeitpunkte zusammen. Eine Zuschrift an die „Vossische Zeitung“ (20. V. 1928 Nr. 21, Rubrik: Briefe an die Vossische Ztg.) berichtet über die gegenwärtig ungünstige Lage der „Zwischengeneration“, also der heute 30–50jährigen. Über das jeweilige Prestige des Alters vgl. die sehr richtigen soziologischen Bemerkungen bei Max Weber: Wirtschaft und Gesellschaft. S. 609.
- ↑ Kummer S. 2 ff. Kummer war Journalist, der in seinen freien Stunden sein Werk schrieb. Er kam zum Generationsproblem durch eine Kritik der literaturhistorischen Kategorien „Epigone“ und „Dekadenz“. Diese wollte er durch eine „natürlichere“ Einteilung ersetzen und fand dafür die Grundlage im Generationsphänomen. Die äußere Anregung verdankte er Erich Schmidt, der zusammen mit Haym, Stern und Bartels in der Literaturgeschichte jene Anregungen aufnahm, die bei Rümelin (1875) und O. Lorenz (1886) (der letztere auf Ranke zurückgreifend) auch lebendig waren. Bei Dilthey taucht das Problem zuerst 1865 auf, als er sich mit Novalis beschäftigte. R. Haym übernahm 1870 den Diltheyschen Generationsbegriff, als er seine „Romantische Schule“ herausgab (vgl. Kummer S. I f., Petersen S. 133). Kummers Darstellung ist sicher, vom ästhetischen Standpunkte aus gesehen, oft dürr und unzulänglich, das Blickfeld aber ist wohltuend erweitert; er achtet mehr, als im allgemeinen üblich, auf das gesellschaftliche Wechselspiel der Kräfte, das hinter den Werken steht. So ist die stete Berücksichtigung der Presseverhältnisse in diesem Zusammenhang erfreulich, wenn auch all dies nur als ein allzu schematischer Anfang zu werten ist.
- ↑ Wir bringen unsere Beispiele absichtlich aus der politisch-ideengeschichtlichen Sphäre, einmal um der Einseitigkeit, wonach die meisten Generationstheorien (insbesondere in Deutschland) sich entweder an der Literaturgeschichte oder an der Kunstgeschichte orientieren, ein Gegengewicht zu geben, und zweitens, weil wir der Ansicht sind, daß die Struktursituation der gesellschaftlich treibenden Impulse und auch die Generationsdifferenzierung hier am klarsten ablesbar wird. Die übrigen „Entelechien“, Stilwandlungen, müssen auch unserer Ansicht nach für sich untersucht werden, und keineswegs können die kunstgeschichtlichen und literaturgeschichtlichen Entelechien aus dem Politischen abgeleitet werden; aber ihr gegenseitiger Zusammenhang, ihre Affinitäten, können von hier aus am klarsten erfaßt und übersichtig gemacht werden. Der Künstler lebt zwar in erster Reihe in seiner künstlerischen Welt und deren Traditionen, aber als Mensch ist er stets verbunden mit den gesellschaftlich treibenden Kräften seiner Generation, auch wenn er politisch völlig indifferent sein sollte. Von hier aus transformiert er auch die im rein Künstlerischen liegenden Wollungen und Entelechien. Als Orientierungszentrum für die Übersicht des Gesamtgefüges scheint uns die politische Ideengeschichte in erster Reihe wichtig zu sein. Darüber ausführlicher weiter unten.
- ↑ Von uns aus gesehen ist der „Zeitgeist“ die kontinuierlich-dynamische Verkettung der aufeinanderfolgenden „Generationszusammenhänge“.
- ↑ Romantik und Konservativismus gingen übrigens nicht von Anfang an zusammen. Romantik war ursprünglich in Deutschland genau so wie in Frankreich eine revolutionäre Bewegung.
- ↑ Petersen S. 146 f.
- ↑ Das kann man auch bei der modernen „Jugendbewegung“ beobachten, die sich immer wieder sozial und politisch polarisiert. Sie ist als kohärente Erscheinung Beleg für das Phänomen „Generationszusammenhang“. Konkret erfaßbar wird sie aber nur in Gestalt sozialer und geistig sich differenzierender „Generationseinheiten“.
- ↑ Vgl. zu diesem Terminus Alfred Weber, Prinzipielles zur Kultursoziologie. (Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik 1920.)
- ↑ Pinder S. 156.
- ↑ Vgl. S. 160 [siehe Fn. 3] dieser Untersuchung.
- ↑ Über die spezifische Form des Kampfes der Jungen und der Alten in den Zünften spricht Schmoller in seinem Grundriß der allgemeinen Volkswirtschaftslehre. München und Leipzig 1923, Bd. II, S. 591.
Перевод статьи: Мангейм, К. Проблема поколений // Новое Литературное Обозрение, 1998, № 2.
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