Verlobungs- und Heiratsbefehl der SS

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Verlobungs- und Heiratsbefehl der SSПриказ СС о помолвке и браке
31. Dezember 1931
декабрь 31, 1931
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Bis 1930 war die Schutzstaffel der NSDAP eine Unterabteilung der SA und unterschied sich praktisch kaum von ihrer „Mutterorganisation“. Erst 1931 bildete die SS eine Sonderidentität aus, die sie schließlich zur radikalsten Täterorganisation des Nationalsozialismus machte. Dieses neue Selbstverständnis kam explizit im Heiratsbefehl vom 31. Dezember 1931 zum Ausdruck, dem ersten der sogenannten Grundgesetze der SS. Heinrich Himmler wies darin die ihm unterstellten SS-Mitglieder an, ihre zukünftigen Bräute vor der Verlobung rassisch und erbbiologisch prüfen zu lassen. Auf diese Weise sollte sichergestellt werden, dass sich in der SS der „Neuadel“ der kommenden „germanisch-nordischen Herrenrasse“ versammelte. Der Heiratsbefehl markierte damit letztlich den Übergang vom „Rassegedanken […] zur Rassetat“ (Zitat Richard Walther Darré von 1932), die letztlich im Massenmord des Holocaust kulminierte.


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von: Bastian Hein, 2010


In den 1990er Jahren lenkte zunächst die sogenannte neue Täterforschung den Blick über den Kreis der prominenten Naziführer hinaus auf die vielen hunderttausend Deutschen, die unmittelbar Mitschuld an den NS-Verbrechen, allen voran an der planmäßigen Ermordung der europäischen Juden, trugen. Darüber hinaus wandte sich die sozialgeschichtliche Forschung verstärkt der Frage zu, warum offensichtlich Millionen dem Charisma des „Führers“ erlagen, dadurch seine „Machtergreifung“ ermöglichten und ihm willig bis in den Untergang des Dritten Reiches folgten, während nur eine kleine Minderheit den Mut hatte, Widerstand zu leisten. Eine weitere Forschungsströmung untersucht die NSDAP, ihre Gliederungen und Verbände neuerdings nicht mehr allein als Herrschaftsinstrumente, sondern analysiert sie auch in ihrer Funktion als Bindeglieder zwischen der Parteispitze und der deutschen „Volksgemeinschaft“. Diese historische Doppelfunktion ist bei der Schutzstaffel besonders augenfällig: Sie war sowohl Dachorganisation des Sicherheitsdienstes, der KZ-Wächter, der Glossar:Gestapo und der Einsatzgruppen, als auch Brücke zur Massenbasis von über 200 000 deutschen Männern, die freiwillig Dienst in der SS leisteten.

Bis ca. 1930 gab es nahezu keinen Unterschied zwischen der SS und der ungleich größeren SA, deren Führung die SS seit 1926 unterstand. Erst als sich die SS in den beiden sogenannten Stennes-Revolten von 1930 und 1931, in denen ein Teil der SA gegen den „Legalitätskurs“ Hitlers und die Dominanz der politischen Organisation der NSDAP revoltierte, bedingungslos gegen die Abtrünnigen und hinter die Parteiführung stellte, begann sie eine Sonderidentität auszuprägen. Diese wurde vom Reichsführer der SS, Heinrich Himmler, in seinem Heiratsbefehl vom 31. Dezember 1931 explizit zum Ausdruck gebracht. Der Text, dessen eigentlicher Inhalt sich in zwei bis drei Sätzen zusammenfassen ließe, war viel mehr als ein sachlicher Befehl. Zum einen wies er bereits rein äußerlich darüber hinaus. In der Form von zehn Geboten gehalten, weckte er Assoziationen zum biblischen Dekalog und erhob damit Anspruch auf unhintergehbare, kollektive und zeitübergreifende Gültigkeit. Zum anderen wählte Himmler als Erlassdatum den 31. Dezember, also den Übergang vom alten zum neuen Jahr, der später von der SS als Julfest in ritualisierter Form begangen wurde. In allen späteren SS-eigenen Sammlungen von „Grundgesetzen“ der Schutzstaffel stand der Heiratsbefehl an erster Stelle.

Sein einleitender Satz bot eine doppelte Definition der SS: Erstens sollte sie ein „ausgewählter Verband“ sein und gegenüber der wachsenden Zahl der NS-Organisationen eine Elitestellung einnehmen. Zweitens hatten die „Auserwählten“ nur aus „deutschen nordisch-bestimmten Männern“ zu bestehen. Mit diesem Bekenntnis zur „nordischen Lehre“, die Hans F. K. Günther und andere deutsche Rassetheoretiker als Sonderform des Arierkults propagierten, definierte sich die SS als rassistische Organisation. Der „Blutsgedanke“ wurde damit zum Kern ihres Selbstverständnisses. Im zweiten und dritten Satz konkretisierte sich das in Richtung eines Zuchtprojekts: Die „nordischen“ Männer der SS sollten sich nur mit ebenso ausgewählten Frauen fortpflanzen. Der auf diese Weise entstehende „Sippenverband“, so die Hoffnung, würde künftig Garant zur „Aufnordung“ des angeblich von rassischer Degeneration bedrohten deutschen Volks werden.

Zu diesem Zweck kündigte der Heiratsbefehl bereits ein systematisches, im neu zu schaffenden „Rasseamt“ institutionalisiertes und strafbewehrtes Umsetzungsverfahren an. Damit ging die SS nicht nur über die in der Weimarer Republik durchaus üblichen theoretischen Planspiele der rassistischen Splittergrüppchen hinaus. Sie definierte sich sogar als explizit aktivistische Organisation, die als erste schon vor der „Machtergreifung“ den Schritt vom „Rassegedanken […] zur Rassetat“ wagte, wie das Richard Walther Darré, der führende „Blut-und-Boden-Experte“ des Nationalsozialismus und erste Chef dieses „Rasseamtes“, 1932 in einem privaten Schreiben formulierte.

Die eigentliche Verwirklichung des Plans begann circa 1934/35, nachdem das „Rasseamt“ „Rassereferenten“ in allen Oberabschnitten der SS eingesetzt hatte und die Behörde selbst zum „Rasse- und Siedlungshauptamt“ aufgewertet worden war. Sowohl neue SS-Rekruten als auch angehende Verlobte von SS-Angehörigen mussten bis 1939 in zehntausenden Fällen ein aufwendiges Prüfungsverfahren über sich ergehen lassen. Sie wurden von Ärzten und Rasseprüfern der SS untersucht, mussten mögliche erbbiologische „Mängel“ ihrer Verwandtschaft melden, und schließlich urkundlich belegen, dass keiner ihrer Vorfahren bis ins Jahr 1800 zurück Jude war. Obwohl diese neue Praxis von zahlreichen Kompromissen relativiert wurde – u.a. der Tatsache, dass man die über 200 000 Männer, die bereits zur SS gehörten, nicht nach den gleichen strengen Kriterien nachmusterte –, stellte der hier betriebene Aufwand doch den Willen der SS unter Beweis, ihren verstiegenen Rassismus in die Praxis umzusetzen.

Der Heiratsbefehl stellte zudem einen wichtigen Schritt der SS in Richtung einer im wahrsten Sinne des Wortes totalitären Organisation dar, die ihre Mitglieder nicht nur politisch mobilisierte, sondern ganzheitlich erfasste. So eröffnete die Anweisung den SS-Führern die Möglichkeit, sich in die Ehe, das Sexualleben bzw. das Fortpflanzungsverhalten der ihnen untergebenen Männer einzumischen. Die Notwendigkeit, die SS-Angehörigen von der Sinnhaftigkeit des Heiratsgenehmigungsverfahrens zu überzeugen, bildete den Ausgangspunkt der umfassenden „dienstlichen Schulung“ der SS, die ebenfalls zunächst im Rasse- und Siedlungshauptamt organisiert wurde und eine SS-spezifische Lebenshaltung zu vermitteln suchte. Schließlich wurden die SS-Männer und ihre Familien in eine feste Abfolge von Ritualen eingebunden. Sie strukturierten nicht nur den Jahresablauf der SS-Angehörigen über die allgemeinen NS-Feste hinaus. Als zentrale Zäsuren prägten sie auch den persönlichen Lebenslauf der Männer (Überführung von der Hitlerjugend in die SS, Vereidigung auf Hitler, Eheweihen). Hierzu wurden jeweils geradezu liturgische Vorgaben vor allem im Rasse- und Siedlungshauptamt entwickelt, bei deren Durchsicht die Deutung des Nationalsozialismus als politische Religion an Plausibilität gewinnt.

Nach der Ernennung Himmlers zum Chef der deutschen Polizei im Jahr 1936 und dann vor allem im Zweiten Weltkrieg wurde diese totalitäre Organisation in zunehmendem Maße in den Dienst der „Ausmerze“ gestellt. Jetzt füllten zur SS gehörende Gestapo- und Polizeibeamte die Konzentrationslager nicht mehr nur mit politischen Gegnern, sondern mit allen, die nicht in die Gesellschaftsutopie des Nationalsozialismus passten, also mit „Asozialen“, „Zigeunern“, Homosexuellen und immer mehr auch mit Juden. In den besetzten Gebieten Mittel- und Osteuropas selektierten die im Heiratsverfahren geschulten „Rasseprüfer“ der SS das „wertvolle Blut“, das sie „eindeutschen“ wollten, von all jenen, die sie als minderwertig empfanden und zur Versklavung bzw. Vernichtung freigaben. Spätestens mit dieser Vorgehensweise vollzog die SS den Zivilisationsbruch und reservierte sich so den unrühmlichen Platz in der Geschichte, den ihr Himmler schon im trotzigen letzten Satz des Heiratsbefehls vom 31. Dezember 1931 zugewiesen hatte.


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Der Reichsführer-SS

München, den 31. Dezember 1931

SS-Befehl – A – Nr. 65
[ ]

1. Die SS ist ein nach besonderen Gesichtspunkten ausgewählter Verband deutscher Nordisch-bestimmter Männer.

2. Entsprechend der nationalsozialistischen Weltanschauung und in der Erkenntnis, daß die Zukunft unseres Volkes in der Auslese und Erhaltung des rassisch und erbgesundheitlich guten Blutes beruht, führe ich mit Wirkung vom 1. Januar 1932 für alle unverheirateten Angehörigen der SS die "Heiratsgenehmigung" ein.

3. Das erstrebte Ziel ist die erbgesundheitlich wertvolle Sippe deutscher Nordisch-bestimmter Art.

4. Die Heiratsgenehmigung wird einzig und allein nach rassischen und erbgesundheitlichen Gesichtspunkten erteilt oder verweigert.

5. Jeder SS-Mann, der zu heiraten beabsichtigt, hat hierzu die Heiratsgenehmigung des Reichsführers-SS einzuholen.

6. SS-Angehörige, die bei Verweigerung der Heiratsgenehmigung trotzdem heiraten, werden aus der SS gestrichen; der Austritt wird ihnen freigestellt.

7. Die sachgemäße Bearbeitung der Heiratsgesuche ist Aufgabe des "Rassenamtes" der SS.[1]

8. Das Rassenamt der SS führt das "Sippenbuch der SS", in das die Familien der SS-Angehörigen nach Erteilung der Heiratsgenehmigung oder Bejahung des Eintragungsgesuches eingetragen werden.

9. Der Reichsführer-SS, der Leiter des Rassenamtes und die Referenten dieses Amtes sind ehrenwörtlich zur Verschwiegenheit verpflichtet.

10. Die SS ist sich darüber klar, daß sie mit diesem Befehl einen Schritt von großer Bedeutung getan hat.

Spott, Hohn und Mißverstehen berühren uns nicht; die Zukunft gehört uns!

Der Reichsführer SS

gez. H. Himmler

Hier nach: SS-Befehl – A – Nr. 65, in: Sammlung von Befehlen des Heiratsamtes im Rasse- und Siedlungshauptamt-SS über grundsätzliche Fragen und über die Bearbeitung der Verlobungs- und Heiratsgesuche in den Hauptabteilungen, Berlin ca. 1943, Loseblattsammlung, Dokument I/1a.

  1. Die sachgemäße Bearbeitung der Heiratsgesuche wird jetzt vom Heiratsamt durchgeführt.

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Sammlung von Befehlen des Heiratsamtes im Rasse- und Siedlungshauptamt-SS über grundsätzliche Fragen und über die Bearbeitung der Verlobungs- und Heiratsgesuche in den Hauptabteilungen, Berlin ca. 1943, Loseblattsammlung, Dokument I/1a. Bayerische Staatsbibliothek München. Gemeinfrei (amtliches Werk).

Sammlung von Befehlen des Heiratsamtes im Rasse- und Siedlungshauptamt-SS über grundsätzliche Fragen und über die Bearbeitung der Verlobungs- und Heiratsgesuche in den Hauptabteilungen, Berlin ca. 1943, Loseblattsammlung, Dokument I/1a. Bayerische Staatsbibliothek München. Общественное достояние (официальный документ).

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Die SS, Himmler und die Wewelsburg [СС, Гиммлер и замок Вевельсбург] / под ред. J. E. Schulte. Paderborn: Schöningh, 2009 (=Schriftenreihe des Kreismuseums Wewelsburg 7).

Heinrich Himmler: Geheimreden 1933 bis 1945 und andere Ansprachen [Генрих Гиммлер: Секретные речи 1933 - 1945 гг. и другие выступления] / под ред. B. F. Smith, A. F. Peterson. Berlin: Propyläen, 1974, онлайн.