Adolf Hitler, Rede bei der Eröffnung des neu einberufenen Reichstags ["Tag von Potsdam"], 21. März 1933

Einführung

Mit seiner Regierungserklärung am 21. März 1933 in der Potsdamer Garnisonkirche trat Reichskanzler GlossarAdolf Hitler knapp sieben Wochen nach dem Antritt seiner Kanzlerschaft zum ersten Mal vor den deutschen Reichstag. Doch kam die zäsurensetzende Bedeutung des "Tags von Potsdam" in der blaß bleibenden Rede inhaltlich kaum zum Ausdruck. Hitlers Ausführungen variierten ein allgemein gehaltenes Bekenntnis zur Verschmelzung von ‚alter Größe und junger Kraft’ und kreisten darum, den politischen Neuanfang in die Traditionslinien der deutschen Nationalgeschichte einzugliedern. Nur wenige Andeutungen etwa auf den ‚eisernen Zwang’ der Tagesnot und die ‚Unschädlichmachung’ politischer Gegner ließen das Gewaltpotential des nationalsozialistischen Regimes durchschimmern; im übrigen beschränkte Hitler sich auf vage Willensbekundungen zur Überwindung bisheriger sozialer und politischer Schranken nach innen und zur Aussöhnung mit den einstigen Kriegsgegnern nach außen. Reichstagsabgeordnete aller Parteien – mit Ausnahme der für vogelfrei erklärten GlossarKPD-Vertreter und der geschlossen fernbleibenden Fraktion der GlossarSozialdemokraten – hörten zusammen mit dem Reichspräsidenten Paul von Hindenburg eine Regierungserklärung, die auf eine erfolgreiche Verbindung von brauner Massenbewegung und deutschnationalen Eliten zur Überwindung von Parlamentarismus und ‚Weimarer System’ schließen ließ.

Der eigentliche Charakter der Regierungserklärung Hitlers vom 21. März wird erst aus ihrem historischen Kontext heraus erkennbar. Die Wochen seit dem 30. Januar 1933 waren von einer pseudolegalen Bemäntelung der rasch voranschreitenden Machtergreifung gekennzeichnet, in der der Terror von rechts insbesondere mit der Schaffung einer nationalsozialistischen Hilfspolizei in Preußen und der auf den GlossarReichstagsbrand vom 27. Februar 1933 folgenden Glossar"Notverordnung zum Schutze von Volk und Staat" staatliche Legitimation fand. Während sich Hitler im Kabinett zu dieser Zeit noch einer Mehrheit von Nicht-Nationalsozialisten gegenübersah, die auf den Rückhalt GlossarHindenburgs rechneten, verschob die vom Straßenterror unterstützte staatliche Verfolgung politischer Gegner das politische Kräfteverhältnis schon entscheidend, bevor noch die halbfreien Reichstagswahlen vom 5. März die parlamentarische Machtbasis der Nationalsozialisten, die 43,9% der Stimmen erreichten, weiter verbreitete. Zusammen mit ihrem deutschnationalen Koalitionspartner vermochte die GlossarNSDAP nun eine von präsidialen Vollmachten unabhängige Koalitionsregierung zu bilden, besaß aber nicht die für eine Verfassungsänderung benötigte Zweidrittelmehrheit, um die Weimarer Republik auf legalem Wege in eine Diktatur zu verwandeln.

Hierzu bedurfte es parallel zur GlossarGleichschaltung der Länder, die sich in den kommenden Wochen vollzog, eines GlossarErmächtigungsgesetzes, das die Billigung des gesamten bürgerlichen Lagers fand. Die Eröffnung des neugewählten Reichstags am 21. März 1933 bot eine besondere Möglichkeit, den Widerstand gegen eine parlamentarische Selbstentmachtung weiter zu schwächen. Da der ausgebrannte Reichstag als Tagungsraum nicht zur Verfügung stand, nutzte die Reichsregierung die Gelegenheit, um die Eröffnungsfeier nach Potsdam in die Garnisonkirche zu verlegen, die sich als Hohenzollernsche Hofkirche und letzte Ruhestätte der großen Preußenkönige des 18. Jahrhunderts wie kein anderer Ort zur Demonstration nationaler Einheit unter nationalsozialistischer Führung eignete. Nicht in der Formulierung konkreter Pläne erfüllte Hitlers Regierungserklärung daher den ihr zugedachten Sinn, sondern in der eingängigen Beschwörung einer nationalen Gemeinschaft unter Ausschluß der Linken, die die schwankenden Abgeordneten aus dem Zentrum und den übrigen bürgerlichen Parteien zur Zustimmung zu dem Ermächtigungsgesetz, dessen Verabschiedung zwei Tage später vorgesehen war, bewegen sollte.

Doch läßt Hitlers Regierungserklärung vordergründig auch eine konkurrierende Deutung zu, die sie nicht als bloße Zwischenetappe der nationalsozialistischen Machtergreifung interpretiert, sondern als Ausdruck ihrer erfolgreichen Bändigung. In ihrer betont moderaten Diktion schien sie glänzend die Hoffnung des kleineren Koalitionspartners und vor allem des Vizekanzlers Franz von Papen zu bestätigen, daß die "nationale Revolution" sich erfolgreich in ruhige Bahnen lenken lassen würde. Tatsächlich konnte Glossarvon Papen nicht ohne Grund den Verlauf des "Tags von Potsdam" als Erfolg des sogenannten "Zähmungskonzepts" feiern: Er hatte dafür gesorgt, daß Hitler in Zivil und nicht im Braunhemd in die Garnisonkirche einzog, und die spalierstehenden Menschenmassen hatten den greisen Präsidenten nicht weniger umjubelt als seinen frischgebackenen Kanzler. Der kurz zuvor ernannte Propagandaminister GlossarJosef Goebbels hingegen verstand es, die Potsdamer Feierstunde über den Rundfunk als ein Massenereignis zu inszenieren, das die ganze Nation weit über das rechtsstehende Lager hinaus mobilisierte, und am Ende war es dieser Druck, der den "Tag von Potsdam" und Hitlers Regierungserklärung ganz gegen ihren Wortlaut zu einem weiteren Etappensieg der NS-Bewegung auf dem Weg zur totalen Macht werden ließ.

Martin Sabrow