Rede des Reichsführers SS bei der SS-Gruppenführertagung in Posen am 4. Oktober 1943.

Einführung

GlossarHeinrich Himmler legte die Rede als Lagebesprechung "zu Beginn des fünften Kriegsjahres" an. "Nüchtern" und "wahrheitsgetreu" wollte er die GlossarSS-Führer über die gegenwärtige Situation, das bisher Erreichte und seine Pläne für die Zukunft informieren. Tatsächlich handelte es sich um den Versuch des SS-Chefs, einerseits seine Gruppenführer auf den von ihm bestimmten Kurs einzuschwören. Andererseits bot er der SS-Elite die Chance zur Selbstvergewisserung in einer kritischen Zeit. Diese Beobachtung soll an vier Punkten illustriert werden, nämlich anhand von Himmlers Aussagen erstens zur Kriegslage und politischen Situation, zweitens zum GlossarVernichtungskrieg gegen die Sowjetunion, drittens zum GlossarMassenmord an den europäischen Juden und viertens zum Selbstverständnis der SS.

Die Rede selbst steht im Zusammenhang mit drei weiteren Kriegsreden des SS-Chefs vom Oktober 1943, in welchen er ebenfalls zur Kriegslage und den Aufgaben der SS im Krieg Stellung nahm: Rede des GlossarReichsführers SS vor den Reichs- und GlossarGauleitern in Posen vom 6.10.1943, Rede des Reichsführers SS vor den Befehlshabern der GlossarWehrmacht in Bad Schachen vom 14.10.1943 und Rede des Reichsführers SS vor SS und Parteivertretern in Posen vom 24.10.1943. Himmlers erste "Posener Rede" jedoch zeichnet sich durch ihre Deutlichkeit und Ausführlichkeit bei der Schilderung von Judenmord und innerer Situation der SS aus. Das lag daran, dass die Rede speziell auf die SS-Generalität zugeschnitten war.

Kriegslage und politische Situation:

Im Oktober 1943 war der Krieg für das Deutsche Reich de facto nicht mehr zu gewinnen. Dies zeigte sich vor allem an der Ostfront und den Gebietsgewinnen der Roten Armee im Herbst 1943 (Ukraine, Kaukasus). Daran änderten auch die forcierten deutschen Rüstungsanstrengungen nichts mehr, die jedoch weiterhin das Leben und die Gesundheit hunderttausender GlossarZwangsarbeiter und Häftlinge der GlossarKonzentrationslager zerstörten. Auch im Westen sah sich das Deutsche Reich unter Druck, hatte doch Italien unter Marschall GlossarPietro Badoglio Anfang September 1943 einen Waffenstillstand mit den Alliierten ausgehandelt. Der Abfall des einstigen Verbündeten zwang die Deutschen zum Handeln: Italien wurde besetzt und der abgesetzte Diktator GlossarBenito Mussolini befreit. Der "Verrat" Italiens, der auf die "rassische Unterlegenheit" und politischen Unzuverlässigkeit der Italiener zurückgeführt wurde, bildete denn auch ein Thema der Ausführungen des SS-Chefs. Er diente ihm als Beispiel, um Defätismus und Feigheit zu geißeln. Himmler erklärte, so etwas dürfe sich nicht wiederholen. Weiterhin beschäftigte sich der Reichsführer SS mit dem Verlauf der Kämpfe an der Ostfront und der Kriegslage allgemein und verkündete Zuversicht: Russland werde bald an "Blutverlust" und Hunger zugrunde gehen. England und Amerika hingegen würden bei einer verlustreichen Invasion des europäischen Festlandes den Rückhalt ihrer Bevölkerungen verlieren. So sollten die SS-Generäle auf den Endsieg eingeschworen werden, wenngleich diese über die gegenläufige Kriegsrealität sehr wohl im Bilde waren.

Doch nicht nur die äußere Front galt es zu stützen. Auch im Inneren des Reiches mussten Kampfeswille und Kriegsbegeisterung mühsam aufrechterhalten werden. Wie der SS-Chef selbst einräumte, stellte das oftmals ein erhebliches Problem dar. Himmler selbst, seit dem 24. August 1943 nicht nur SS- und Polizeichef, sondern auch Innenminister des Deutschen Reiches, betrachtete sich nunmehr als "Garant der inneren Front". Mit harter Hand gelte es wie in der SS so auch im gesamten Reich gegen Korruption, Defätismus und Autoritätsverlust vorzugehen. Tatsächlich hatte Himmler zwar einerseits die Machtmittel, den Druck im Inneren zu verstärken. Andererseits galt die Hauptanstrengung jedoch nach wie vor dem Krieg. Das schloss einen allzu harten Kurs gegenüber der "GlossarVolksgemeinschaft" aus.

"Slawische Untermenschen – deutsche Herrenmenschen"

Unmissverständlich skizzierte Himmler in der Rede seine Einstellung zur Bevölkerung der besetzten Sowjetunion. Bei den Slawen handelte es sich für ihn um "GlossarUntermenschen", "Tiere", "Bestien". Ihr Leben und Sterben war für ihn nur soweit von Bedeutung, als es der deutschen Kriegführung nutzte. Berüchtigt ist sein Diktum, dass es ihn nicht interessiere, "ob beim Bau eines Panzergrabens 10.0000 russische Weiber an Entkräftung umfallen oder nicht", sondern lediglich, ob der Graben auch fertig werde.

Diese Ausführungen hatten eine reale Grundlage. Erstens wurde der Krieg als Vernichtungskrieg gegen die Zivilbevölkerung geführt, der zu immens hohen Opfern führte. Zweitens ließen die Deutschen Millionen Sowjet-Bürger als Arbeitssklaven schuften. Drittens vertrat die offizielle Hunger-Politik der Besatzer das Ziel, die deutsche Wehrmacht aus dem Lande zu ernähren – ohne Rücksicht auf die Bedürfnisse der einheimischen Bevölkerung.

Die Geringschätzung der Slawen ergab sich aus dem genuinen GlossarRassismus der SS. Die Slawen seien ein Mischvolk, "rassisch minderwertig", unzivilisiert, nicht schöpferisch veranlagt. Der SS als einer "rassischen Elite" predigte Himmler, dass Sentimentalität gegenüber Nicht-Germanen fehl am Platze sei. Man habe nur für das eigene Volk und das eigene Blut zu sorgen. Ein besonders perfides Beispiel für den Rassismus des Reichsführers SS liefert seine Forderung, alles (durch Mischung mit Deutschen entstandene) "gute Blut" aus den Völkern Osteuropas herauszuholen und "ihnen, wenn notwendig, die Kinder [zu] rauben". Tatsächlich ließ die SS während des Zweiten Weltkrieges zehntausende "rassisch hochwertige" Kinder aus Südost- und Osteuropa ins Reich verschleppen, wo sie unter falschen Identitäten in deutsche Pflegefamilien gegeben wurden.

"Die Judenevakuierung"

Das Kernelement der "Posener Rede" stellen zweifellos Himmlers Äußerungen über den Judenmord als "niemals geschriebenes und niemals zu schreibendes Ruhmesblatt" der SS-Geschichte dar. Indem er die Ermordung des jüdischen Volkes, für die ja maßgeblich die SS verantwortlich war, offen ansprach, bot er Rechtfertigung und Entlastung zugleich. Der Massenmord erschien in den Worten Himmlers als rational begründbare, notwendige Maßnahme bei der Erneuerung Europas unter deutscher Herrschaft. Für den SS-Chef war er benenn- und aussprechbar, wiewohl er nie offen zur Mehrung des Ruhmes der SS werde dienen können. Ferner erhielten die SS-Kommandeure Lob für gezeigte Härte im Angesicht des Mordens und die Versicherung, sie seien dabei "anständig geblieben". Sie hätten "diese schwerste Aufgabe in Liebe zu ihrem Volk erfüllt", ohne dabei seelischen oder charakterlichen Schaden genommen zu haben. Dieses "unverdorben sein" der SS-Granden wurde auch damit begründet, dass man sich ja nicht am Besitz der Ermordeten bereichere, sondern alles beschlagnahmte Vermögen dem Reich zur Verfügung gestellt werde.

Tatsächlich war die Ermordung der europäischen Juden im Herbst 1943 schon sehr weit fortgeschritten. In Westeuropa lief die Deportation der Juden auf Hochtouren, nach der Besetzung Italiens wurde auch dort und im ehemals italienisch dominierten Teil Frankreichs die Judenverfolgung radikalisiert. Ein Großteil der Juden Osteuropas war 1943 bereits tot, dort wurde die „GlossarEndlösung“ ungleich schneller, brutaler und umfassender umgesetzt. In der besetzten Sowjetunion waren die meisten Juden bei den Massenerschießungen des Sommers/Herbstes 1941 ums Leben gekommen. Und auch die "GlossarAktion Reinhard", die Ermordung der Juden des Generalgouvernements, war schon im Frühjahr 1943 abgeschlossen, die Zerstörung der letzten Ghettos dort erfolgte bis Winter 1943. Den GlossarWarschauer Ghettoaufstand vom Frühjahr 1943 schließlich hatten SS und Wehrmacht mit der brutalen Liquidierung des größten europäischen Ghettos beantwortet.

Insgesamt fielen fast sechs Millionen europäische Juden der nationalsozialistischen Massenvernichtung zum Opfer.

Vor diesem Hintergrund diente Himmlers Bilanz des Vernichtungsgeschehens weniger der Begründung weiterer Mordmaßnahmen, sondern sie wurde von ihm geschickt dazu genutzt, die Reihen der SS-Elite zusammenzuschweißen. Aufgrund ihrer Verantwortung für den Massenmord hatte die SS keine andere Wahl, als für den "GlossarEndsieg" zu kämpfen. Ganz ähnlich äußerte sich GlossarAdolf Hitler nur wenige Tage später vor den Reichs- und Gauleitern in der "GlossarWolfsschanze": Im Krieg gehe es um Sein oder Nichtsein, man habe alle Brücken hinter sich abgebrochen, Deutschland bleibe nur der Weg nach vorne.

"Wir selbst"

Ein bisher wenig beachtetes, gleichwohl umfangreiches und aussagekräftiges Kapitel der Rede bilden Himmlers Bemerkungen zur SS im Krieg. Hier betonte der SS-Chef die Bedeutung der Glossarrassischen Auslese für die SS als "Elite" des deutschen Volkes und als neue Oberschicht eines germanischen Volkes, gegründet auf "Blut, Auslese, Härte". Daneben rief Himmler die SS dazu auf, sich zu Werten wie Treue, Gehorsam und Kameradschaft zu bekennen, was zugleich eine implizite Kritik an Missständen innerhalb der SS beinhaltete. Für die Zeit nach dem Krieg entwarf der Reichsführer SS ein verheißungsvolles Panorama: In 20 bis 30 Jahren habe die SS die Führungsschicht für ganz Europa zu stellen und auf dem Wege ländlicher Siedlung die eroberten Gebiete dauerhaft in deutschen GlossarLebensraum zu transformieren. Ziel dieser Siedlungsbewegung sei es, die Grenze des deutschen Einflussbereichs bis zum Ural auszudehnen.

Was hier wie pure Phantasmagorien des SS-Chefs im Angesicht der vorhersehbaren militärischen Niederlage klingt, hatte durchaus einen realen Hintergrund. In umfänglichen Umsiedlungsplanungen für Osteuropa hatte Himmler seit 1941 die Eindeutschung der eroberten Gebiete planen lassen. Das bekannteste Konzept, der so genannte GlossarGeneralplan Ost von 1942, projektierte die Eindeutschung weiter Teile Osteuropas auf der Grundlage von Millionenopfern unter der "slawischen" Zivilbevölkerung. Bereits während des Krieges wurden hierzu Hunderttausende Zivilisten zwangsumgesiedelt. Ferner galt in allen Umsiedlungsplänen die Ermordung der europäischen Juden als notwendige Bedingung einer dauerhaften "Germanisierung" Ostmitteleuropas.

Die Rede ist uns sowohl in gesprochener Form auf Tonträger auch als auch in schriftlicher Form als nachträgliche Abschrift erhalten, die redigiert wurde. Die beiden Texte weichen deshalb leicht voneinander ab.

Isabel Heinemann