Oberkommando der Wehrmacht, Anordnungen für die Behandlung sowjetischer Kriegsgefangener in allen Kriegsgefangenenlagern, 8. September 1941

Abschrift

Anlage zu Tagebuch-Nr. 3058/ 41g.

vom 8.9.41

Geheim!

Anordnungen

für die Behandlung sowjetischer Kr. Gef. in

allen Kriegsgefangenenlagern.

[I.] Behandlung der sowjet. Kr. Gef. im allgemeinen.

Der Bolschewismus ist der Todfeind des nationalsozialistischen Deutschland. Zum ersten Male steht dem deutschen Soldaten ein nicht nur soldatisch, sondern auch politisch im Sinne des Völker zerstörenden Bolschewismus geschulter Gegner gegenüber. Der Kampf gegen den Nationalsozialismus ist ihm in Fleisch und Blut übergegangen. Er führt ihn mit jedem ihm zu Gebote stehenden Mittel: Sabotage, Zersetzungspropaganda, Brandstiftung, Mord. Dadurch hat der bolschewistische Soldat jeden Anspruch auf Behandlung als ehrenhafter Soldat und nach dem Genfer Abkommen verloren.

Es entspricht daher dem Ansehen und der Würde der deutschen Wehrmacht, dass jeder deutsche Soldat dem sowjetischen Kriegsgefangenen gegenüber schärfsten Abstand hält. Behandlung muß kühl, doch korrekt sein. Jede Nachsicht und sogar Anbiederung ist strengstens zu ahnden. Das Gefühl des Stolzes und der Überlegenheit des deutschen Soldaten, der zur Bewachung sowjet. Kr. Gef. befohlen ist, muss jederzeit auch für die Öffentlichkeit erkennbar sein.

Rücksichtsloses und energisches Durchgreifen bei den geringsten Anzeichen von Widersetzlichkeit, insbesondere gegenüber bolschewistischen Hetzern, ist daher zu befehlen. Widersetzlichkeit, aktiver oder passiver Widerstand muß sofort mit der Waffe (Bajonett, Kolben und Schusswaffe) restlos beseitigt werden. Die Bestimmungen über den Waffengebrauch der Wehrmacht können nur beschränkt gelten, da sie die Voraussetzung beim Einschreiten unter allgemein friedlichen Verhältnissen geben. Bei den sowjet. Kr. Gef. ist es schon aus disziplinaren Gründen nötig, den Waffengebrauch sehr scharf zu handhaben. Wer zur Durchsetzung eines gegebenen Befehls nicht oder nicht energisch genug von der Waffe Gebrauch macht, macht sich strafbar.

Auf flüchtige Kr. Gef. ist sofort ohne vorherigen Haltruf zu schiessen. Schreckschüsse dürfen niemals abgeg[e]ben werden. Die bisher bestehenden Bestimmungen, insbesondere H.Dv.38/11, Seite 13 usw. werden insoweit aufgehoben. Auf der anderen Seite ist jede Willkür untersagt. Der arbeitswillige und gehorsame Kr. Gef. ist korrekt zu behandeln. Vorsicht und Misstrauen dem Kr. Gef. gegenüber ist jedoch niemals ausser Acht zu lassen. Waffengebrauch gegenüber sowjet. Kr. Gef. gilt in der Regel als rechtmässig.

Jeder Verkehr der Kr. Gef. mit der Zivilbevölkerung ist zu verhindern. Dies gilt insbesondere für das besetzte Gebiet. Auf die Trennung des KR. Gefr.-Führerpersonals (Offiziere und Unteroffiziere), die bereits durch das Feldheer durchgeführt ist, ist auch im Gebiet der Wehrmachtbefehlshaber und im Reichsgebiet schärfstens zu achten. Jede Verständigung zwischen Führerpersonal und Mannschaften, auch durch Zeichen, muss unmöglich gemacht werden.

Aus geeigneten sowjet. Kr. Gef. ist eine Lagerpolizei in den Lagern und auf den grösseren Arbeitskommandos zu bilden, die zur Durchführung der Ordnung und Erhaltung der Disziplin vom Kommandanten eingesetzt wird. Zur wirksamen Durchführung ihrer Aufgaben darf die Lagerpolizei innerhalb der Drahtumzäunung mit Stöcken, Peitschen oder ähnlichem ausgerüstet werden. Die Verwendung solcher Schlagwaffen durch deutsche Soldaten wird ausdrücklich verboten. Durch bessere Verpflegung, Behandlung und Unterkunft soll ein Ausführungsorgan im Lager geschaffen werden, das die Tätigkeit der deutschen Wehrmannschaft stark entlastet.

II. Behandlung von Volkstumangehörigen.

Auf Grund der bisherigen Befehle hat bereits in der bisherigen "Heimatorganisation" (Gen. Gouvernement und W.K.I) sowie in den Lagern des Reiches eine Aussonderung der Kr. Gef. nach ihrer Volkstumzugehörigkeit stattgefunden. Es kommen hierfür folgende Volkstumzugehörige in Frage:

Volksdeutsche,

Ukrainer,

Weissrussen,

Polen,

Litauer,

Letten,

Esten,

Rumänen,

Finnen,

Georgier.

Soweit eine Aussonderung aus besonderen Gründen noch nicht durchgeführt werden konnte, ist diese umgehend nach zuholen. Dies gilt besonders für die in den Gebieten der Wehrmachtbefehlshaber neu anfallenden Kr. Gef.

Folgende Volkstumangehörige werden beschleunigt in ihre Heimat entlassen werden:

Volksdeutsche,

Ukrainer, Weissruthenen,

Letten,

Esten,

Litauer,

Rumänen,

Finnen.

Über die Durchführung dieser Entlassungen ergehen Sonderbefehle.

Sofern bei einzelnen dieser Volkstumangehörigen zu vermuten ist, dass sie auf Grund ihrer Einstellung dem deutschen Volke und dem Nationalsozialismus schädlich oder gefährlich werden können, sind sie von der Entlassung auszunehmen und ist mit ihnen nach Ziff. III zu verfahren.

III. Aussonderung von Zivilpersonen und politisch unerwünschten Kr. Gef. des Ostfeldzuges.

1. Absicht.

Die Wehrmacht muss sich umgehend [v]on allen denjenigen Elementen unter den Kr. Gef. befreien, die als bolschewistische Triebkräfte anzusehen sind. Die besondere Lage des Ostfeldzuges verlangt daher besondere Massnahmen, die frei von bürokratischen und verwaltungsmässigen Einflüssen verantwortungsfreudig durchgeführt werden müssen.

2. Weg zur Erreichung des gesteckten Zieles.

A. Ausser der in den Kr. Gef.-Lagern erfolgten Gliederung nach Nationalitäten, s. Ziff. II, sind die Kr. Gef. (auch Volkstumangehörige) sowie die in den Lagern vorhandenen Zivilpersonen wie folgt auszusondern:

a) politische Unerwünschte,

b) politisch Ungefährliche,

c) politisch besonders Vertrauenswürdige (die für den Einsatz zum Wiederaufbau der besetzten Gebiete verwendungsfähig sind.).

B. Während die Trennung nach Nationalitäten, Führerpersonal usw. durch die Lagerorgane selbst vorgenommen wird, stellt zur Aussonderung der Kr. Gef. hinsichtlich ihrer politischen Einstellung der Reichsführer SS

Einsatzkommandos der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes.

zur Verfügung. Sie sind dem Chef der Sicherheitspolizei und des SD unmittelbar unterstellt, für ihren Sonderauftrag besonders geschult und treffen ihre Massnahmen und Ermittlungen im Rahmen der Lagerordnung nach Richtlinien, die sie von diesen erhalten haben.

Den Kommandanten, besonders deren Abwehroffizieren, wird strengste Zusammenarbeit mit den Einsatzkommandos zur Pflicht gemacht.

3. Weitere Behandlung der nach Ziff. 2 ausgesonderten Gruppen.

A. Militärpersonen.

Über die als "politisch unerwünschten Elemente" Ausgesonderten entscheidet das Einsatzkommando der Sicherheitspolizei und des SD. Sollten einzelne als verdächtig angesehene sich später als unverdächtig herausstellen, so sind sie zu den übrigen Kr. Gef. im Lager zurückzuführen. Dem Ersuchen des Einsatzkommandos auf Herausgabe von weiteren Personen ist stattzugeben. Offiziere werden vielfach als „politisch Unerwünschte“ der Aussonderung unterliegen. Zu den Militärpersonen rechnen auch solche Soldaten, die in Zivilkleidung gefangen wurden.

B. Zivilpersonen.

Soweit unverdächtig, ist ihre baldige Zurückführung ins besetzte Gebiet anzustreben. Den Zeitpunkt hierfür gibt der zuständige Wehrmachtbefehlshaber (bezw. der Befehlshaber des rückwärtigen Heeresgebietes) nach Zustimmung der zuständigen Dienststelle des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD. an. Grundlegend für die Rückführung ist der gesicherte Einsatz in Arbeit am Heimatort oder in besonders aufzustellenden Arbeitsformationen. Für die Bewachung während der Rückführung trägt der Wehrmachtbefehlshaber (bezw. der Befehlshaber des rückwärtigen Heeresgebietes) die Verantwortung. Nach Möglichkeit stellt das Lager Begleitkommandos. Politisch unerwünschte Zivilpersonen sind wie unter A) zu behandeln.

C. Vertrauenswürdige Personen sind zur Aussonderung der politisch Unerwünschten und zu sonstigen Arbeiten der Lagerverwaltung heranzuziehen.

(Auf Volksdeutsche wird besonders hingewiesen, jedoch ist damit zu rechnen, dass auch unter diesen sich Elemente befinden, die als "politisch Unerwünschte" zu gelten haben).

Erscheinen die vertrauenswürdigen Personen für den Einsatz zum Wiederaufbau im besetzten Gebiet besonders geeignet, so darf einem Freigabeersuchen des Einsatzkommandos der Sicherheitspolizei und des SD nur dann widersprochen werden, wenn ein abwehrmässiges Interesse an einer bestimmten Person besteht.

IV. Arbeitseinsatz sowjet. Kr. Gef.

1.) Allgemeines.

Sowjet. Kr. Gef. dürfen nur in geschlossenen Kolonnen unter strengster Absonderung von Zivilpersonen und Kr. Gef. anderer Nationalitäten eingesetzt werden. (Kolonnenmässiger Einsatz). Es kommen nur Arbeitsstellen in Frage, an denen die Kr. Gef. unter ständiger Aufsicht der Wachmannschaften arbeiten können. Die Trennung von Zivilpersonen und Kr. Gef. anderer Nationalitäten muss nicht nur in der Unterkunft, sondern auch an der Arbeitsstätte durchgeführt werden. Es ist dabei zu bedenken, dass die Wachmannschaften am sofortigen Waffengebrauch nicht durch die Rücksicht auf etwa anwesende Dritte behindert werden dürfen.

2. Besondere Bestimmungen für den Arbeitseinsatz im Reichsgebiet.

Oberster Grundsatz für den Einsatz sowjet. Kr. Gef. im Reichsgebiet ist die unbedingte Sicherheit deutschen Lebens und deutschen Gutes.

Die Verantwortung für den ordnungsgemässen Arbeitseinsatz der sowj. Kr. Gef. tragen hier ausschliesslich die den Einsatz verfügenden Wehrmachtdienststellen.

Der Einsatz hat daher in erster Linie bei wehrmachteigenen Arbeiten zu erfolgen. Für den Einsatz im Zivilen Sektor können die örtlichen Arbeitseinsatzbehörden Vorschläge machen, die Entscheidung liegt entgegen den Bestimmungen über den Einsatz der übrigen Kr. Gef. bei den Wehrmachtdienststellen. Wo an einer zivilen Arbeitsstelle nicht alle Voraussetzungen für die ständige Bewachung und unbedingte Trennung von der Zivilbevölkerung erfüllt sind, darf der Einsatz nicht genehmigt werden. Fällt eine der Voraussetzungen später fort, ist das Arbeitskommando sofort zurückzuziehen.

Im übrigen ist die Verfügung OKW/Kriegsgef. (I5) Nr. 5015/41 vom 2.8.41 genauestens zu beachten. Verstösse gegen dieselbe sind nachdrücklich zu ahnden.

3. Bewachung.

Für die Bewachung der sowjet. Kr. Gef. sind möglichst gut ausgebildete, energische und umsichtige Wachmannschaften einzuteilen und ständig durch den A.O. des M.Stammlagers zu schulen.

Auf je 10. Kr. Gef. muss mindestens ein Wachmann eingesetzt werden. Es darf aber niemals nur ein Wachmann allein eingesetzt werden. Sollte ein Arbeitskommando nur eine Stärke bis zu 10 Mann haben, so müssen zur Bewachung zwei Wachmänner verwendet werden. Die Ausrüstung der Wachmannschaften mit Handgranaten ist anzustreben. Die Bewachungsmannschaften grösserer Kolonnen müssen auch mit M.G.s oder Maschinenpistolen ausgestattet werden.

Die Arbeitsstellen sind häufig durch geeignete Offiziere oder erfahrene Unteroffiziere zu kontrollieren. Sie haben für unbedingte Befolgung der gegebenen Befehle Sorge zu tragen.

Das als Anlage beigefügte Merkblatt ist zum Gegenstand häufiger und eingehender Belehrung zu machen.

Die Unterkünfte sowjet. Kr. Gef. auf Arbeitskommandos sind auch des Nachts ständig zu bewachen und durch Aufsichtsorgane von Zeit zu Zeit zu überprüfen.

V. Schlußbemerkungen.

Die Kommandeure der Kriegsgef. sind persönlich dafür verantwortlich zu machen, dass die vorstehenden Anordnungen von den unterstellten Einheiten mit aller Schärfe eingehalten werden. Diese Aufgabe darf auch durch den Wechsel von Dienststellen unter keinen Umständen unterbrochen oder beeinträchtigt werden. Es sind daher alle neu herangezogenen und eingesetzten Dienststellen und Einheiten eingehend über den Inhalt der Anordnungen zu belehren.

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Hier nach: Anordnungen für die Behandlung sowjetischer Kriegsgefangener in allen Kriegsgefangenenlagern. Abschrift als Anlage zum Schreiben des Oberkommandos der Wehrmacht vom 8. September 1941 (Tagebuch-Nr. 3058/ 41 geh.), Original, BArch RW 6/279, Bl. 15-20.