Alfred Graf von Schlieffen, Denkschrift "Krieg gegen Frankreich" (Schlieffen-Plan)

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Alfred Graf von Schlieffen, Denkschrift „Krieg gegen Frankreich“ (Schlieffen-Plan)Альфред Граф фон Шлиффен, меморандум «Война против Франции» (План Шлиффена)
Dezember 1905
декабрь 1905
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Der Schlieffen-Plan gilt bis heute als einer der kühnsten Operationspläne der Militärgeschichte. Er wurde vom Chef des Großen Generalstabs der preußisch-deutschen Armee um die Jahrhundertwende entwickelt und zielte er darauf ab, einen Zweifrontenkrieg gegen Frankreich und Russland zu führen und zu gewinnen. Das französische Heer sollte nach einem schnellen Vorstoß durch das neutrale Belgien von überlegenen deutschen Kräften umfasst und vernichtet werden, bevor die russische Armee vollständig mobilisiert und kampfbereit war. Dann sollten die siegreichen deutschen Armeen – falls Russland nach der französischen Niederlage nicht ohnehin zur Aufgabe bereit war – nach Osten verlegt werden, um dort weiter zu kämpfen.


[Русская версия отсутствует]


von: Michael Epkenhans, 2010


Kaum ein militärischer Aufmarschplan hat die Gemüter seit dem Ende des Ersten Weltkrieges so erhitzt wie der Schlieffen-Plan. Entwickelt vom ehemaligen Chef des Großen Generalstabs der preußisch-deutschen Armee, Generaloberst Alfred Graf von Schlieffen, sah dieser Plan vor, Frankreich innerhalb von vier bis sechs Wochen niederzwingen, um sich dann Russland „zuwenden“ zu können.

Ausgangspunkt all dieser Planungen des Generalstabschefs war die Erkenntnis, dass das Deutsche Reich, das seit dem Abschluss der russisch-französischen Allianz von 1892/94 im Kriegsfalle einen Zweifrontenkrieg würde führen müssen, diesen so schnell wie möglich gewinnen musste. Einen langen Krieg gegen beide Großmächte, darüber war Schlieffen sich im Klaren, konnte das Reich nur verlieren.

Die Mittellage des Deutschen Reiches war einerseits eine große Gefahr, andererseits enthielt sie aber auch Vorteile. Bereits 1901 hatte Schlieffen auf der Schlussbesprechung der Generalstabsreise Ost seinen Offizieren erklärt: „Deutschland hat den Vorteil, dass es in der Mitte zwischen Frankreich und Russland liegt und diese Bundesgenossen voneinander trennt. Es würde sich aber dieses Vorteils begeben, sobald es sein Heer teilen und hierdurch jedem einzelnen seiner Gegner an Zahl unterlegen sein würde. Deutschland muss daher bestrebt sein, zuerst den einen niederzuwerfen, während der andere nur beschäftigt wird; dann aber, wenn der eine Gegner besiegt ist, muss es unter Ausnutzung der Eisenbahn auch auf dem anderen Kriegsschauplatze eine Überlegenheit an Zahl heranführen, die auch dem anderen Feinde verderblich wird. Der erste Schlag muss mit voller Kraft geführt werden, und es muss eine wirkliche Entscheidungsschlacht stattfinden [...].“[1]

Seit Übernahme des Amtes des Generalstabschefs 1891 hatte Schlieffen konsequent auf die Offensive gesetzt. Er entwickelte mehrere Szenarien, die der geographischen Lage Deutschlands wie auch den möglichen Plänen des Gegners bzw. dessen Möglichkeiten Rechnung zu tragen versuchten.

Da Russland aufgrund der Weite des Raumes und des angesichts der schlechten Verbindungen erwarteten langsamen Aufmarsches erst nach Wochen voll kampffähig sein würde, plante Schlieffen, zunächst Frankreich mit einem schnellen, vernichtenden Schlag gleich zu Beginn zu besiegen. Dies schien ihm möglich, wenn man die starken französischen Befestigungslinien in Lothringen umging, anstatt sie frontal anzugreifen. Relativ schwache deutsche Kräfte sollten dort „nur“ die Grenze sichern, nicht aber selbst zur Offensive antreten. Stattdessen beabsichtigte Schlieffen, unter Verletzung der belgischen und auch niederländischen Neutralität, in einer großen Zangenbewegung das französische Heer mit einem starken rechten Flügel von hinten zu umfassen und zu schlagen. Anschließend sollten die siegreichen deutschen Truppen nach Osten verlegt werden, um gegen Russland zu kämpfen, es sei denn – und das war die Hoffnung – dieses würde angesichts der französischen Niederlage auf die Weiterführung des Krieges verzichten.

Die Planung dieser großen Umfassung war Schlieffens „Lebenswerk“, das er im Februar 1906 in einer Denkschrift unter dem Titel „Krieg gegen Frankreich“ seinem Nachfolger, Generaloberst Helmuth von Moltke d. J. übergab. Ob Schlieffen zur Umsetzung seines Planes unter günstigen Bedingungen sogar zur Führung eines Präventivkrieges gegen Frankreich bereit war, diesen in den Jahren 1904/05, als Russland aufgrund des Krieges gegen Japan schwer unter Druck stand, sogar aktiv herbeizuführen versuchte, ist in der Forschung umstritten. Eindeutige Beweise dafür gibt es nicht. In der Diskussion über den Schlieffen-Plan wird auch die Flexibilität Schlieffens übersehen. Zwar hatte die schnelle Umfassung Priorität – vor allem seit 1904/05, als deutlich wurde, dass die französische Armee sich defensiv, nicht offensiv verhalten würde –, gleichwohl war Schlieffen bereit, auch über andere Szenarien nachzudenken. Dies belegen seine Planungen in den Jahren zuvor und seine Flexibilität hinsichtlich des Ortes der Entscheidungsschlacht – östlich oder westlich von Paris – und möglicher Schwerpunktverlagerungen, die sich aus Änderungen der politischen Gesamtlage ergeben konnten. Dass der Plan nur funktionieren würde, wenn die deutsche Festung Metz weiter ausgebaut und das Heer entsprechend verstärkt werden würde, war Schlieffen ebenfalls klar.

Schlieffens Nachfolger, Generaloberst Helmuth von Moltke, hat dessen Grundgedanken übernommen, gleichwohl einige nicht unwesentliche Änderungen vorgenommen, die seiner Überzeugung Rechnung tragen sollten, dass die Franzosen keineswegs nur defensiv operieren und der Krieg länger dauern würde. Dazu gehörte unter anderem der Verzicht auf einen Durchmarsch durch die neutralen Niederlande – diese sollten als „Luftröhre“ im Falle eines längeren Krieges die Einfuhr kriegswichtiger Güter ermöglichen –, der Verzicht auf einen Ostaufmarsch im Frühjahr 1913 zugunsten einer Verstärkung des linken deutschen Flügels in Lothringen sowie detaillierte Planungen für einen Überfall auf die belgische Festung Lüttich, um den Vormarsch durch Belgien zu beschleunigen. Für den Fall eines massiven französischen Angriffs nach Lothringen war Moltke sogar bereit, auf die Umfassung durch Belgien zu verzichten, da er in diesem Falle ebenfalls die Vernichtung der französischen Armee für gesichert hielt.

Viele Zeitgenossen haben – nach der deutschen Niederlage – in der Denkschrift Schlieffens einen meisterhaften Plan gesehen, der, wenn er von Schlieffens Nachfolger nur richtig umgesetzt worden wäre, den schnellen Sieg und nicht die katastrophale Niederlage nach einem zermürbenden, vierjährigen Stellungskrieg gebracht hätte. Diese Deutung, die nicht zuletzt einen Sündenbock für die erlittene Schmach suchte und diesen im 1916 gestorbenen Moltke fand, übersieht freilich, dass auch Schlieffens Plan von Variablen ausging, die im Zeitalter der Massenheere immer fragwürdiger wurden. Zudem war das deutsche Heer keineswegs stark genug, um die vorgesehene Zangenbewegung wie geplant durchführen zu können.

Auch Historiker haben immer wieder über den Schlieffen-Plan gestritten, ja sogar seine Existenz mit zum Teil „abenteuerlichen“ Begründungen bestritten. Von einem nachträglichen Konstrukt kann freilich keine Rede sein. Jüngere Forschungen haben vielmehr gezeigt, dass Schlieffen das Szenario immer wieder auf Generalstabsreisen und Kriegsspielen geprobt hat, um seine Grundidee zu überprüfen. Die stark befestigte französische Hauptstadt Paris sollte dabei – je nach Lage – entweder westlich oder östlich umgangen werden.

Unter anderem an diesem Versuch scheiterte 1914 der Schlieffen-Plan. Nachdem die vorstoßenden deutschen Armeen den Kontakt untereinander verloren hatten und die englisch-französische Armee in die entstandene Lücke eingebrochen war, musste Schlieffens Nachfolger sie in aller Eile zurückziehen, um sie nicht ihrerseits der Gefahr einer Umfassung mit katastrophalen Folgen auszusetzen. Schlieffen, der sich bis zuletzt mit seinem Plan befasst hatte, lebte zu diesem Zeitpunkt nicht mehr: Er war im Januar 1913 nach langer schwerer Krankheit gestorben. Einfluss auf die letzten Planungen hat er, so sehr er sich dieses manchmal gewünscht haben mag, nicht mehr nehmen können. Sein Nachfolger und dessen Berater haben ihn nicht mehr gefragt.

  1. Zitiert nach: Gerhard P. Groß, There was a Schlieffen Plan. In: Hans Ehlert, Michael Epkenhans u.a. (Hrsg.), Der Schlieffenplan. Analysen und Dokumente. Paderborn 2006, S. 155.

[Русская версия отсутствует]


Der Schlieffen-Plan[ ]

Denkschrift des Grafen Schlieffen.

Berlin, Dezember 1905

Krieg gegen Frankreich.

In einem Kriege gegen Deutschland wird sich Frankreich besonders solange es auf eine wirksame Unterstützung Rußlands nicht rechnen kann, voraussichtlich zunächst auf die Verteidigung beschränken. [Am Rand Anmerkung von General v. Moltke: "Das offensive oder defensive Verhalten Frankreichs wird im wesentlichen bestimmt werden von dem Casus belli. Wenn Deutschland den Krieg herbeiführt, wird Frankreich sich voraussichtlich defensiv verhalten. Wird dagegen der Krieg von Frankreich gewollt und herbeigeführt, so wird es aller Wahrscheinlichkeit nach denselben offensiv führen. Will Frankreich die verlorenen Provinzen wiedererobern, so muß es in dieselben einmarschieren, also offensiv werden. Ich halte es nicht für ganz ausgemacht, daß Frankreich sich unter allen Umständen defensiv verhält. Die Grenzfestungen, bald nach dem 70/71 Krieg angelegt, bringen allerdings den defensiven Gedanken zum Ausdruck. Dieser entspricht aber weder dem der Nation von jeher innewohnenden offensiven Geist, noch auch den jetzt in der französischen Armee herrschenden Lehren und Ansichten."]

Für diesen Zweck hat es sich schon seit langer Zeit eine zum großen Teil dauernd ausgebaute Stellung vorbereitet, in welcher die großen Festungen Belfort, Epinal, Toul und Verdun die Hauptstützpunkte ausmachen. Diese Stellung kann durch das zahlreiche französische Heer in ausreichender Weise besetzt werden und bietet dem Angriff große Schwierigkeiten. [Am Rand Anmerkung: "Frankreich: 995 Bat. 444 Esk. 705 Batt. ohne Territorialtruppen und Festungsbesatzungen. Deutschland: 971 Bat. 504 Esk. 801 Batt. ohne Landwehr, Landsturm und Festungsbesatzungen."]

Dieser wird sich nicht gegen die großen Festungen richten, deren Bezwingung einen großen Belagerungsapparat, viel Zeit und Kräfte u. zwar um so mehr erfordert, als eine Einschließung unmöglich und die Belagerung nur von einer Seite erfolgen kann. Der Angreifer wird vielmehr gegen die Zwischenräume vorgehen. Zwei von ihnen (Belfort-Epinal und Toul-Verdun) sind mit Sperrforts angefüllt, die aber von erheblicher Bedeutung nicht sind. Wesentlicher ist es, daß die Zwischenräume schon von Natur starke Stellungen bilden, in denen Abschnitt hinter Abschnitt liegt und die durch die großen Festungen auf ihren Flügeln den Angreifer an einer Umfassung verhindern, gleichzeitig ihn selbst aber mit einer solchen bedrohen.

Die meiste Aussicht auf einen Erfolg bietet ein Angriff auf den rechten Flügel der Moselforts (Fort Ballon de Servance). Die Überwindung der hier vorhandenen Geländeschwierigkeiten ist jedoch noch nicht genug vorbereitet. Auch wenn dies geschehen, wird man schwerlich einen Feldzug mit einer Belagerung von „Ballon de Servance“ eröffnen. In einer späteren Periode des Krieges kann jedoch die Wegnahme dieses Forts von Bedeutung sein.

Weiter kann mit Aussicht auf Erfolg das hauptsächlich durch Feldbefestigungen geschützte, leicht zu umfassende und zu bombardierende Nancy angegriffen werden. Ist jedoch die Stadt und die dahinter liegende Höhenstellung genommen (Forêt de Haye), so befindet man sich den Befestigungen von Toul gegenüber. Ein Angriff auf Nancy bietet fast nur den Vorteil, daß die Franzosen, um die lothringische Hauptstadt zu retten, sich vielleicht bestimmen lassen werden, aus ihren Befestigungen herauszutreten und sich zur Feldschlacht zu stellen. [Am Rand Anmerkung von General v. Moltke:"Daß die Franzos. Nancy nicht ohne Schlacht einer Beschießung preisgeben werden, halte ich für ganz sicher. Die Heeresleitung würde dies der öffentlichen Stimme gegenüber nie wagen dürfen."] Sie haben aber dann ihre schützenden Linien so nahe hinter sich, daß ihnen eine Niederlage keinen großen Schaden, dem Sieger keinen großen Erfolg bringt. Es ist ein abgeschlagener Ausfall aus einer Festung, der dem Belagerer wie dem Verteidiger ungefähr dieselben Verluste bereitet, die Lage beider aber ziemlich unverändert läßt.

Ein Frontalangriff auf die Stellung Belfort-Verdun bietet daher wenig Aussicht auf Erfolg. Einer Umfassung südlich müßte ein siegreicher Feldzug gegen die Schweiz und eine Bezwingung der Juraforts vorausgehen, zeitraubende Unternehmungen, während welcher die Franzosen nicht müßig bleiben würden. [Am Rand Anmerkung von General v. Moltke:"Sie sind natürlich nur denkbar unter gleichzeitigem Angriff auf die Front."]

Gegen eine nördliche Umfassung beabsichtigen die Franzosen die Maas zwischen Verdun und Mézières zu besetzen, den eigentlichen Widerstand wollen sie jedoch, wie es heißt, nicht hier, sondern hinter der Aisne etwa zwischen St. Ménehould und Rethel leisten. Eine Zwischenstellung hinter der Aire scheint auch noch in Aussicht genommen zu sein. Greift die deutsche Umfassung noch weiter herum, so stößt sie auf eine starke Höhenstellung, deren Stützpunkte die Festungen Reims, Laon und La Fère bilden.

Die Deutschen finden somit vor sich: [Am Rand Anmerkung:"Karte 1."]

1.) Die Stellung Belfort, Epinal, Toul, Verdun mit einer Verlängerung längs der Maas bis Mézières, vorgeschoben sind Truppen an die Vogesen, an die Meurthe, nach Nancy und an die Côtes Lorraines zwischen Toul und Verdun.

2.) Die Zwischenstellung an der Aire.

3.) Die Stellung an der Aisne.

4.) Die Stellung Reims-La Fère.

Wenig vertrauensvoll wird man an einen Angriff auf diese vielen starken Stellungen gehen. Mehr versprechend als der Frontalangriff mit Umfassung des linken Flügels scheint ein von Nordwesten gegen die Flanken bei Mézières, Rethel, La Fère und über die Oise gegen den Rücken der Stellung gerichteter Angriff zu sein.

Um zu diesem zu gelangen, muß die belgisch-französische Grenze auf dem linken Maasufer mit den befestigten Plätzen Mézières, Hirson, Maubeuge, 3 kleinen Sperrforts, Lille und Dünkirchen bewältigt und, um so weit zu kommen, die Neutralität von Luxemburg, Belgien und den Niederlanden verletzt werden.

Die Verletzung der Neutralität von Luxemburg wird abgesehen von Protesten keine Folge von Bedeutung haben. Die Niederlande erblicken in dem mit Frankreich verbundenen England nicht weniger einen Feind als Deutschland. Ein Abkommen mit ihnen wird sich erzielen lassen. [Am Rand Anmerkung von General v. Moltke: "Wenn unsere Diplomatie das fertig bringt, ist ein großer Vorteil erreicht. Wir brauchen die holländischen Bahnen. Holland als Bundesgenosse wäre von unschätzbarem Wert."]

Belgien wird sich voraussichtlich widersetzen. Seine Armee [Am Rand Anmerkung:"5 Divisionen."] wird sich bei einem Vorgehen der Deutschen nördlich der Maas programmäßig nach Antwerpen zurückziehen und muß dort eingeschlossen [Am Rand Anmerkung von General v. Moltke:"Einer Einschließung Antwerpens wird mögl. bald die förml. Belagerung folgen müssen."] werden, wo möglich auch nördlich durch Sperrung der Schelde, um die Verbindung mit der See und mit England abzuschneiden. [Am Rand Anmerkung: "3 Armeekorps."] Für Lüttich und Namur, denen nur eine schwache Besatzung zugedacht ist, wird eine Beobachtung ausreichen. [Am Rand Anmerkung von General v. Moltke:"Lüttich u. Namur haben an und für sich keine Bedeutung. Sie sind zwar schwach besetzte, aber widerstandsfähige Plätze. Sie sperren die Maasbahn, mit deren Benutzung während des Krieges also nicht gerechnet werden darf."] Die Zitadelle von Huy wird genommen oder unschädlich gemacht werden können.

Wenn die Deutschen unter Sicherung gegen Antwerpen, Lüttich und Namur vorrücken, so finden sie eine befestigte, aber nicht in so ausgedehnter und gründlicher Weise befestigte Grenze vor sich, wie es die gegen Deutschland gerichtete ist. Wollen die Franzosen sie verteidigen, so müssen sie Armeekorps und Armeen aus der ursprünglichen Front nach der bedrohten Front schieben und zurückgehaltene Reserven, z. B. die Korps an der Alpengrenze dorthin vorführen. Es ist aber zu hoffen, daß ihnen dies nicht in ausgiebiger Weise gelingt. Sie werden daher wahrscheinlich auf den Versuch, eine so übermäßig lange Linie zu besetzen, verzichten und mit allen Truppen, die sie zusammenraffen können, die Offensive gegen die drohende Invasion ergreifen. Mögen sie angreifen oder sich verteidigen, so ist es nicht unwahrscheinlich, daß es in der Nähe der Grenze Mézières-Dünkirchen zum Zusammenstoß und Kampf kommt, und für diesen Kampf sich möglichst stark zu machen, ist die Aufgabe der Deutschen. Wenn auch dieser Kampf nicht erfolgen und die Franzosen hinter der Aisne bleiben sollten, so wird doch ein starker deutscher rechter Flügel auch für die ferneren Operationen von größtem Wert sein.

Wenn man die linken Flanken der französischen Stellungen bei Mézières, Rethel und La Fère und darüber hinaus aus den Rücken des Feindes angreifen will, so scheint es zweckmäßig, ausschließlich auf dem linken Maasufer durch Belgien vorzugehen, jenseits Namur links zu schwenken und sich dann zum Angriff zu entwickeln. Zu einem Marsch in so schmaler Front fehlen aber die Wege und noch mehr fehlen die Eisenbahnen, um die Truppen in eine solche Front zu bringen.

Die Bedingungen, welche die Eisenbahnen auferlegen, führen zu einem Aufmarsch des deutschen Heeres der Hauptsache nach in der Linie Metz-Wesel. Hier sollen 23 Armeekorps, 12 ½ Reservekorps und 8 Kavallerie-Divisionen versammelt werden, um demnächst mit einer Linksschwenkung gegen die Linie Verdun-Dünkirchen vorzurücken. Dabei sollen die Reservekorps des nördlichen Flügels die rechte Flanke, vorzugsweise gegen Antwerpen, die Reservekorps des südlichen Flügels die linke Flanke gegen ein Vorgehen des Feindes auf dem linken Moselufer aus der Linie Toul-Verdun decken. – Der Angriff wird sich demnach nicht ausschließlich gegen die Flanken, sondern auch gegen den linken Teil der Front richten.

Rechts der Mosel sind 3 ½ Armeekorps, 1 ½ Reservekorps und 3 Kavallerie-Divisionen geblieben. Sie sollen zunächst durch einen Angriff auf Nancy möglichst viele feindliche Kräfte auf sich und von der Verstärkung der nördlichen Front abziehen, später aber bei der Deckung der linken oder bei der Verstärkung der rechten Heeresflanke mitwirken.

Den Stützpunkt für die Deckung der linken Flanke soll Metz bilden, nicht das Metz von heute, auch nicht dasjenige wie es nach den letzten Projekten erweitert werden soll, sondern ein größtenteils feldmäßig befestigtes Metz, dessen Umfang im allgemeinen durch den Lauf der Mosel, Saar und Nied gegeben ist, das eine starke Besatzung von Landwehrtruppen mit einer zahlreichen schweren Artillerie erhält und in den Stand gesetzt wird, einen erheblichen Teil der feindlichen Macht auf sich zu ziehen.

Der Schlachterfolg des deutschen Heeres soll wo möglich durch Umfassung mit dem rechten Flügel erzielt werden. [Am Rand Anmerkung:"Karte 2."] Deshalb ist er tunlichst stark zu machen. Zu diesem Zweck sollen 8 Armeekorps und 5 Kavallerie-Divisionen auf 4 Straßen die Maas unterhalb Lüttich überschreiten und in Richtung Brüssel-Namur vorgehen, ein 9. Armeekorps (XVIII) soll sich ihnen nach Übergang über die Maas oberhalb Lüttich anschließen. Es muß dazu die Zitadelle von Huy, in deren Bereich es die Maas zu überschreiten genötigt ist, unschädlich machen.

Den 9 Armeekorps folgen 7 Reservekorps, die ihrer Mehrheit nach zur Einschließung von Antwerpen, im übrigen zunächst zur weiteren Deckung der rechten Flanke bestimmt sind.

Außerdem bleibt noch eine Verstärkung durch 2 der auf dem rechten Moselufer gebliebenen Armeekorps, die mit der Eisenbahn (deutschen und belgischen), sobald die Linien frei und in Betrieb genommen sind, herangeführt werden können, vorbehalten. Sie können die Entscheidung bringen.

6 Armeekorps und 1 Kavalleriedivision, denen 1 Reservedivision folgt, werden gegen die Maasstrecke Mézières-Namur in Marsch gesetzt. Haben diese den Fluß überschritten, so werden 15-17 Armeekorps links der Maas vereinigt sein.

8 Armeekorps und 2 Kavalleriedivisionen gehen gegen die Maasfront Mézières-Verdun vor. 5 Reservekorps übernehmen in Anlehnung an Metz die Deckung der linken Flanke.

10 Landwehrbrigaden folgen nördlich, 6 südlich der Maas, 6 befinden sich außer der Kriegsbesatzung von Metz, 3 ½ am Oberrhein, 1 im Unterelsaß.

Es ist anzunehmen, daß der deutsche Aufmarsch sich ungestört vollzieht. Höchstens könnte es notwendig werden, die Ausladung der Reservekorps des äußersten linken Flügels, die jetzt an und hinter der Saar oberhalb Saarbrücken erfolgen soll, zurückzunehmen.

Auch der Vormarsch des gesamten Heeres links der Mosel wird planmäßig angetreten werden können. Ob aber das französische Heer links oder rechts der Maas oder auf beiden Ufern uns entgegenkommen, oder ob und wo es unseren Angriff erwarten wird, ist völlig ungewiß. Es ist aber jedenfalls von Bedeutung, daß nördlich der Maas die Enge zwischen Brüssel und Namur vor einem Zusammenstoß mit dem Feinde durchschritten wird, damit jenseits die Entwicklung der 9 Armeekorps ohne Störung sich vollziehen kann. Es kommt also darauf an, den Vormarsch des rechten deutschen Flügels nach Möglichkeit zu beschleunigen. Der Vormarsch der übrigen Heeresteile wird sich, da eine Linksschwenkung erfolgen muß, nach links immer mehr verlangsamen.

Die auf dem rechten Maasufer vorgehenden deutschen Armeen müssen darauf gefaßt sein, daß jeden Tag ein Zusammenstoß mit dem Feinde noch diesseits des Flusses erfolgen kann. Jederzeit muß eine Front hergestellt werden können, welche genügend ist, auch einen überlegenen Feind wenigstens abzuwehren. Das wird erschwert durch die Festungen Longwy und Montmédy, die wo möglich genommen, mindestens unschädlich gemacht werden müssen, durch die Waldgebirge, welche das Land südlich der Semois durchziehen und durch die umfangreichen Waldgebiete nördlich dieses Flusses. Eine beständige Aufmerksamkeit und eine geeignete Verteilung der Marschstraßen ist den Armeeführern nötig und um so leichter zu erreichen, als die Tagesmärsche nur kurz zu sein brauchen. [Am Rand Anmerkung von General v. Moltke:"Welche Korps kommen in betracht, welche Führer?"] Die Truppe wird ihre Aufgabe nur erfüllen können, wenn sie für die Bewegung und das Gefecht im Walde und im Gebirge geübt ist.

Wenn die Deutschen den französischen Festungsgürtel links der Maas durchbrochen haben, sei es nach einer glücklichen Schlacht auf belgischem Gebiet, sei es nach einem gelungenen Angriff auf die befestigte Stellung, sei es endlich ohne ernstlichen Widerstand gefunden zu haben, so werden sie sich ihrer Absicht gemäß gegen die linken Flanken der französischen Stellungen bei Mézières, Rethel und La Fère wenden. Die vorgeschobene Stellung an der Maas Mézières-Verdun wird recht bald geräumt werden. In den Stellungen an der Aisne und zwischen Reims und La Fère werden aber auch die Franzosen den Angriff auf ihre linken Flanken nicht unbeweglich abwarten. Sie werden vielmehr entweder sich eine neue Stellung aussuchen oder sie werden einen Gegenangriff machen. Letzteres ist für uns das Erwünschtere. Vorausgesetzt, daß die 2 Korps vom rechten Moselufer herangeholt worden sind, haben die Deutschen ihre Kräfte, so gut es unter den obwaltenden Verhältnissen nur irgend möglich ist, vereinigt. Sie marschieren geschlossen. Ihr linker Flügel ist tunlichst gut angelehnt, ihr rechter ist stark. Es ist nicht wahrscheinlich, daß die Franzosen, welche ihre Korps erst zusammenziehen mußten, das gesamte Heer so gut geordnet haben. Die Lage, in welche sie durch die feindliche Umgehung durch Belgien gebracht worden sind, wird sie zu Übereilungen und zu mehr oder weniger ungerechtfertigten Detachierungen veranlaßt haben. Nachdem die belgischen und französischen Festungen der Nordgrenze sowie das ungünstige Gelände der Ardennen überwunden ist, muß die Lage der Deutschen als die günstigere angesehen werden, wenn die Franzosen ihnen entgegengehen. Weniger günstig wird ihre Lage, wenn die Franzosen den Angriff ihrer Gegner in einer Stellung oder hinter einem Flußlauf abwarten.

Es wäre nicht unmöglich, daß eine im südlichen Belgien oder im nördlichen Frankreich geschlagene Armee hinter der Somme, die durch einen Kanal mit der Oise bei La Fère verbunden ist, zum erneuten Widerstand halt machte. Dies würde zu einem Marsch des deutschen rechten Flügels auf Amiens oder gar auf Abbeville führen.

Sehr wahrscheinlich ist dies jedoch nicht. Durch das Vorgehen der Deutschen gegen die Maasstrecke Verdun-Mézières und weiter westlich in Richtung über Hirson werden die Franzosen in ihren Stellungen hinter die Aisne und zwischen Reims und La Fère festgehalten werden. Diese Stellungen sind aber nicht haltbar, wenn die Deutschen aus der Richtung Lille-Maubeuge geraden Weges gegen die linke Flanke und Rücken vormarschieren.

Die Franzosen müssen diese Flanke decken oder sie müssen hinter die Marne oder Seine zurückgehen. Letzteres werden sie nur ungern tun wollen. Sie werden sich schwerlich entschließen, das nördliche Frankreich ohne heißen Kampf aufzugeben. Wenn sie daher nicht durch eine Gegenoffensive ihre Ehre retten, so werden sie doch wohl vorziehen, eine Defensivflanke hinter der Oise zwischen La Fère und Paris zu bilden, als daß sie ein großes, reiches Land, ihre schönen Festungen und die Nordfront von Paris preisgeben.

Man wird kaum sagen können, daß eine Stellungnahme hinter der Oise unmöglich ist. Da die Hauptstellung Belfort-Verdun nur schwach besetzt zu bleiben braucht, so werden die verfügbaren Kräfte zur Verteidigung der Aisne und Oise ausreichen. Die Stellung hinter der Oise soll in der Front wenig widerstandsfähig sein, aber sie ist links an eine so kolossale Festung wie Paris angelehnt. Wird sie auch in der Front bewältigt, geht auch der Verteidiger hinter die Marne oder die Seine zurück, so muß sich der Sieger bequemen, Paris zunächst auf der Nordfront, dann auf noch anderen Fronten einzuschließen und sieht sich gezwungen, mit wesentlich geschwächten Kräften den Angriff gegen einen an Zahl überlegenen Gegner fortzusetzen.

Um diesen aus seiner neuen Stellung herauszubringen, wird er die linke an Paris angelehnte Flanke umgehen und damit wieder starke Kräfte zur Einschließung der West- und Südfront der Riesenfestung verwenden müssen.

Eine Sache ist klar: Wenn die Franzosen uns nicht den Liebesdienst erweisen, uns anzugreifen, und müssen wir gegen die Aisne, Reims-La Fère und die Oise vorgehen, so sind wir gezwungen, gleichgültig ob unsere Feinde die Aisne-Oise Stellung halten, oder ob sie hinter die Marne oder Seine zurückgehen, mit einem Teil unseres Heeres ihnen zu folgen, mit einem anderen Paris südlich zu umgehen und diese Festung einzuschließen. Wir tun also gut daran, uns bei Zeiten auf einen Übergang über die Seine unterhalb der Oisemündung und auf eine Einschließung von Paris zunächst auf der West- und Südfront einzurichten. Diese Vorbereitungen mögen getroffen werden, wie sie wollen, so werden wir uns überzeugen, daß wir für eine Fortsetzung der Operationen in dieser Richtung zu schwach sind. Wir werden die Erfahrung aller früheren Eroberer bestätigt finden, daß der Angriffskrieg sehr viele Kräfte erfordert und sehr viele verbraucht, daß diese ebenso beständig abnehmen, wie diejenigen des Verteidigers zunehmen, und alles dies ganz besonders in einem Lande, das von Festungen starrt.

Die aktiven Korps müssen für die Schlacht unberührt erhalten bleiben und dürfen nicht für den Etappendienst, die Belagerung und Einschließung der Festungen verwendet werden.

Wenn die Deutschen bis zur Oise gekommen sind, so reicht ihr Etappengebiet rechts bis zur Meeresküste und zur Seine unterhalb Paris. [Am Rand Anmerkung:"Karte 4."] In der Front wird es begrenzt von der Oise und der Aisne bis zur Maas unterhalb Verdun. Der Lauf der Etappengrenze von dort bis zum Rhein hängt von den Fortschritten ab, welche die Franzosen etwa auf dem rechten Moselufer gemacht haben. Das Etappengebiet umfaßt Luxemburg, Belgien, einen Teil der Niederlande und das nördliche Frankreich. In diesem ausgedehnten Raume müssen zahlreiche Festungen belagert, eingeschlossen oder beobachtet werden. Dazu werden links der Mosel die verfügbaren 7 ½ Reservekorps und 16 Landwehrbrigaden bis auf höchstens 2 ½ Reservekorps und 2 Landwehrbrigaden, welche zur Verstärkung der Frontdeckung, von Flanke und Rücken des Hauptheeres dringend erforderlich sind, verbraucht werden. [In der Fußnote Anmerkung: "Eine Armee zur Deckung gegen eine Landung der Engländer bei Dünkirchen, Calais, Boulogne zurückzulassen, ist unter keinen Umständen möglich. Sollten die Engländer landen und vorgehen, so würden die Deutschen halt machen, sich nötigenfalls verteidigen, eine genügend große Zahl von Korps ausscheiden, die Engländer schlagen und dann wiederum die Operation gegen die Franzosen fortsetzten."]

Es sind gerechnet:

Zur Einschließung von Antwerpen 5 Reservekorps (vielleicht nicht genügend),

Zur Beobachtung von

Lüttich 2 Landwehrbrigaden

Namur 2 [Landwehrbrigaden]

Maubeuge 2 [Landwehrbrigaden]

Lille 3 [Landwehrbrigaden]

Dünkirchen 3 [Landwehrbrigaden]

Mézières 1 [Landwehrbrigade]

Givet 1 [Landwehrbrigade]

Hirson 1 [Landwehrbrigade]

Longwy 1 [Landwehrbrigade]

Montmédy 1 [Landwehrbrigade]

Es müssen aber noch die Eisenbahnen, soweit sie für den Nachschub des Heeres erforderlich sind, gesichert, die großen Städte, die volk- und fabrikreichen Provinzen Belgiens und des nordwestlichen Frankreichs besetzt werden. Das ganze Gebiet muß dem Heere einen gesicherten Rückhalt gewähren. Dazu muß der Landsturm herangezogen werden. Steht das Gesetz dieser Maßregel entgegen, so muß es bei eintretender Mobilmachung schleunigst geändert werden.

Noch andere Truppen müssen beschafft werden. Wir haben ebensoviele Ersatzbataillone wie Infanterie-Regimenter. Aus ihnen und den noch verfügbaren Mannschaften der Reserve, erforderlichenfalls auch der Landwehr, müssen wie 1866 vierte Bataillone und aus ihnen und Ersatzbatterien ebenfalls wie 1866 Divisionen und Armeekorps gebildet werden. 8 Armeekorps werden sich auf diese Weise herstellen lassen. Diese Neuaufstellungen dürfen nicht erst in Angriff genommen werden, wenn der Bedarf sich in empfindlichster Weise fühlbar macht, nicht erst, wenn die Operationen notgedrungen ins Stocken geraten, sondern unmittelbar im Anschluß an die Mobilmachung der übrigen Truppen.

Wir müssen also einmal den Landsturm in Bewegung bringen, um das ganze Etappengebiet von Belfort bis Maastricht zu besetzen, wir müssen die in den Festungen verbliebene Landwehr nachziehen, und wir müssen ferner zum mindesten 8 Armeekorps bilden. Das ist das Notdürftigste, was wir zu tun verpflichtet sind. Wir haben die allgemeine Wehrpflicht und das Volk in Waffen erfunden und den anderen Nationen die Notwendigkeit, diese Institutionen einzuführen, bewiesen. Nachdem wir aber unsere geschworenen Feinde dahin gebracht haben, ihre Heere ins Ungemessene zu vermehren, haben wir in unseren Anstrengungen nachgelassen. Wir pochen noch immer auf unsere hohe Einwohnerzahl, auf die Volksmassen, die uns zu Gebote stehen, aber diese Massen sind nicht in der vollen Zahl der Brauchbaren ausgebildet und bewaffnet. [Am Rand Anmerkung:"Die Tatsache, daß Frankreich mit 39 Millionen Einwohnern 995 Bat. zum Feldheere stellt, Deutschland mit 56 Millionen aber nur 971, spricht eine vernehmliche Sprache."]

Am nötigsten sind die 8 Armeekorps auf oder hinter dem rechten Heeresflügel. Wieviele dort hinzubringen sind, hängt von der Leistungsfähigkeit der Eisenbahnen ab. Diejenigen, welche nicht auf dem linken Maas- und Sambreufer durch Belgien und Nordfrankreich nachgeführt werden können, müßten südlich Lüttich-Namur an die Maas zwischen Verdun und Mézières gebracht werden. Wenn auch dies nicht vollständig zu ermöglichen ist, so können die Übrigen nach Bedarf bei Metz und auf dem rechten Moselufer Verwendung finden.

Es muß darauf gerechnet werden, daß zum Vorgehen gegen die Stellung der Aisne-Oise-Paris

Armeekorps 25
Reservekoprs 2 ½
Neugebildete Korps 6
[ges.] 33 ½ Korps


zur Verfügung stehen. Von diesen ist mehr als ? zur Umgehung von Paris erforderlich und zwar werden 7 Armeekorps auf die eigentliche Umgehung, 6 neue Korps auf die Einschließung von Paris auf der West- und Südfront in Ansatz gebracht. Wie der Vormarsch gegen und der Angriff auf die Stellung gedacht ist, geht aus Karte 3 hervor.

Wenn der Feind standhält, erfolgt der Angriff auf der ganzen Linie, besonders aber gegen das von zwei Seiten eingeschlossene La Fère und nach einem Erfolg weiter auf Laon und auf das nach Westen offene Reims. Auf der ganzen Linie werden die Korps wie im Belagerungskrieg von Stellung zu Stellung an den Feind heranzukommen suchen, sei es bei Tage, sei es bei Nacht vorgehen, sich eingraben, wieder vorgehen, wieder eingraben und dabei alle Mittel moderner Technik anwenden, die geeignet sind, den Feind hinter seinen Deckungen zu erschüttern. Nie darf der Angriff, wie es im Ostasiatischen Kriege geschah, zum Stillstand kommen.

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Frankreich muß als eine große Festung betrachtet werden. Von der äußeren Enceinte ist der Teil Belfort-Verdun fast uneinnehmbar, die Strecke Mézières-Maubeuge-Lille-Dünkirchen aber nur lückenhaft befestigt und vor der Hand fast gar nicht besetzt. Hier müssen wir in die Festung einzudringen versuchen. Ist uns dies gelungen, so wird sich eine 2. Enceinte, wenigstens das Stück einer solchen zeigen, nämlich anschließend an Verdun: die Stellung hinter der Aisne-Reims und La Fère. Dieses Stück Enceinte kann aber südlich [Wort durchgestrichen und am Rand Anmerkung:"nördlich", sowie darunter Zusatz in eckiger Klammer:"Korrektur Moltkes, offenbares Verschreiben Schlieffens"] umgangen werden. Der Festungserbauer hat wohl mit einem Angriff der Deutschen von südlich der Maas-Sambre her, aber nicht mit einem solchen von nördlich dieser Flußlinie her gerechnet. Dem Mangel durch Verlängerung der befestigten Linie Reims-La Fère über Péronne längs der Somme abzuhelfen, wird es zu spät sein. Der Verteidiger kann der drohenden Umgehung durch eine Offensive um den linken Flügel der Stellung bei La Fère herum begegnen. Dieser Gegenangriff, der von einem Vorgehen aus der ganzen Front Verdun-La Fère begleitet sein kann, wird hoffentlich mißlingen. Der geschlagene Verteidiger kann dann noch die Oise zwischen La Fère und Paris zu halten suchen. Die Verteidigungsfähigkeit dieser Flußstrecke wird angezweifelt. Ist dieser Zweifel begründet oder verzichten die Franzosen auf die Verteidigung der Oise und lassen sie die Deutschen mit reichlichen Kräften über den Fluß herüberkommen, so ist die zweite Enceinte Verdun-La Fère nicht mehr zu halten. La Fère, Laon und das im Westen offene Reims, die ganze auf einen Angriff von Nordosten her berechnete Höhenstellung wird genommen und die Aisnestellung geräumt werden müssen. Damit werden die Maasforts zwischen Verdun und Toul, die einem Angriff von Westen her nur geringen Widerstand entgegensetzen können, preisgegeben. Verdun und Toul werden isolierte Festungen. Das ganze gegen Deutschland gerichtete französische Befestigungssystem droht zusammenzustürzen. Es ist daher doch fraglich, ob die Franzosen die Oise nicht trotz aller Mängel der Stellung zu halten suchen und ob sie nicht mit Erfolg Widerstand leisten können. In diesem Falle muß Paris südlich umgangen werden. Dies wird auch dann nötig, wenn die Franzosen die Oise und Aisne geräumt und sich hinter die Marne, die Seine, zurückgezogen haben. Läßt man sie in dieser Richtung weiterziehen, so würde dies zu einem endlosen Kriege führen. Es muß durchaus versucht werden, die Franzosen durch Angriffe auf ihre linke Flanke in östliche Richtung gegen ihre Moselfestungen, gegen den Jura und die Schweiz zu drängen. Das französische Heer muß vernichtet werden.

Das Wesentliche für den Verlauf der gesamten Operationen ist, einen starken rechten Flügel zu bilden, mit dessen Hilfe die Schlachten zu gewinnen und in unausgesetzter Verfolgung den Feind mit eben diesem starken Flügel immer wieder zum Weichen zu bringen.

Wenn der rechte Flügel sehr stark gemacht wird, so kann dies nur auf Kosten des linken geschehen, dem dadurch wahrscheinlich die Aufgabe zufällt, gegen Übermacht zu kämpfen.

Die Anstrengungen müssen für den rechten Flügel sehr große sein, wenn ein Erfolg erzielt werden soll. Im allgemeinen sind aber die zu benutzenden Straßen sehr gut. Auch die Unterbringung würde bei zahlreichen Ortschaften befriedigen, wenn nicht die Korps des rechten Flügels so massiert marschieren müßten, daß auch die dichteste Bevölkerung für die Unterbringung nicht ausreicht.

Dagegen kann es an Verpflegung kaum fehlen. Das reiche Belgien und das reiche Nordfrankreich können viel liefern und unter einen zweckmäßigen Druck gestellt, werden sie auch von außerhalb Vorräte herbeischaffen, an denen es ihnen etwa fehlen sollte.

Eine erhöhte Inanspruchnahme seiner Kräfte wird vielleicht Belgien bestimmen, von allen Feindseligkeiten abzusehen, seine Festungen auszuliefern und dafür dem Lande alle die Vorteile zu verschaffen, die bei einem Kampf zweier Gegner der dritte als Unbeteiligter genießt.

Bei Beginn des Krieges sollen auf dem rechten Moselufer 3 Armeekorps, 1 Reservekorps mit 3 Kavalleriedivisionen Nancy angreifen. Ob dieser Angriff gelingen wird, hängt wesentlich davon ab, ob die Franzosen sich hier auf die Verteidigung beschränken oder ob sie ihrem Prinzip getreu zum Gegenangriff vorgehen. Tun sie das letztere, so würde der hauptsächlichste Zweck des Angriffes auf Nancy, nämlich Fesselung möglichst starker Kräfte an der französischen Ostfront, erreicht sein. Je mehr Truppen die Franzosen für den Gegenangriff verwenden, desto besser ist es für die Deutschen. Diese dürfen sich nur nicht in hartnäckige Gefechte einlassen, sondern müssen ihre Aufgabe darin finden, einen möglichst starken Feind nach sich zu ziehen und mit Hilfe des erweiterten Metz festzuhalten. Eine Gefahr kann für die auf dem rechten Moselufer abgetrennte Armee kaum entstehen, dagegen würde für das deutsche Hauptheer Schaden erwachsen, wenn die Armee des rechten Moselufers die Überlegenheit der Zahl besäße. Möglichst viel französische Kräfte durch möglichst wenig deutsche Kräfte zu fesseln, muß das Bestreben sein.

Wenn die Franzosen nicht zum Gegenangriff schreiten, so müssen 2 Armeekorps so bald als möglich auf den äußersten Flügel des deutschen Heeres nach Belgien überführt werden. Es kommt alles darauf an, auf diesem Flügel stark zu sein. Nur dann kann man mit ruhigem Gewissen der Entscheidung entgegensehen, wenn 25 Armeekorps auf dem linken Moselufer zur Schlacht, in der man nicht stark genug sein kann, verfügbar gemacht worden sind.

Die wenigen Truppen, welche auf dem rechten Moselufer verbleiben, nämlich:

1 Armeekorps

1 Reservekorps

30. Reservedivision (Straßburg)

event. 2 neue Korps, Landwehrbrigaden am Oberrhein und aus Metz, wenn dieses nicht angegriffen wird.

59. Ldw. Brigade (Unterelsaß)

6 Jägerbataillone in den Vogesen.

müssen nach Möglichkeit verstärkt werden. Noch bieten die Festungsbesatzungen Material zu Neuformationen. Auch kann der süddeutsche Landsturm zur Deckung des Landes links des Rheins, zur Absperrung von Belfort usw. verwendet werden. Eine neue Armee muß gebildet werden, die den Auftrag erhält, gegen die Mosel zwischen Belfort und Nancy vorzugehen, während die 5 Reservekorps des linken Flügels und 2 Landwehrbrigaden Verdun abschließen und die Côte Lorraine angreifen.


Wenn die Franzosen im Verlauf des Aufmarsches hören, daß die Deutschen am Niederrhein, an der niederländischen und belgischen Grenze sich versammeln, so werden sie an der Absicht des Feindes, auf Paris zu marschieren, nicht zweifeln und sich wohl hüten, entweder mit allen oder den hauptsächlichsten Kräften zwischen Straßburg und Metz vorzugehen oder vollends über den Oberrhein in Deutschland einzufallen. Das würde bedeuten: Die Besatzung verläßt die Festung in dem Augenblick, wo die Belagerung eröffnet werden soll. Tun sie trotzdem das eine oder das andere, so kann dies den Deutschen nur willkommen sein. Ihre Aufgabe wird dadurch erleichtert. Am vorteilhaftesten für sie würde es sein, wenn die Franzosen zum Einbruch in Süddeutschland den Weg durch die Schweiz wählen wollten. Es wäre dies ein Mittel, uns einen Bundesgenossen zu verschaffen, dessen wir sehr bedürfen und der einen Teil der feindlichen Streitkräfte für sich in Anspruch nähme.

Es wird sich für die Deutschen empfehlen, ihren Operationsplan in allen diesen Fällen so wenig wie möglich zu ändern. Die untere Mosel zwischen Trier und Koblenz muß indes gesichert, die Strecke zwischen Mosel und Maas in der Höhe von Diedenhofen gesperrt werden. Das deutsche Heer sucht die allgemeine Linie Koblenz-La Fère mit Reserven auf dem rechten Flügel zu erreichen. Das rechte Rheinufer von Koblenz aufwärts wird von rückwärts besetzt. Mit dem rechten Flügel wird angegriffen. [Am Rand Anmerkung: "Karte 5 u. 5a"]

Gehen die Franzosen über den Oberrhein, so wird ihnen im Schwarzwald Widerstand geleistet. Die von rückwärts heranzuführenden Truppen werden am Main und an der Iller versammelt.

Die Deutschen können, wenn sie auf ihren Operationen verharren, sich versichert halten, daß die Franzosen schleunigst umkehren werden und zwar nicht nördlich sondern südlich von Metz in der Richtung, von welcher die meiste Gefahr droht. Es ist daher geboten, daß die Deutschen auf dem rechten Flügel so stark wie möglich sind, denn hier ist die Entscheidungsschlacht zu erwarten. [Am Rand Anmerkung: "Karte 6. Übersichtskarte der Operation."]

[Am Textende Anmerkung: "Unterschrift: Graf Schlieffen"]

Hier nach: Generalfeldmarschall Alfred Graf von Schlieffen. Denkschrift "Krieg gegen Frankreich", Dezember 1905, Abschrift des verloren gegangenen Originals im Nachlass Friedrich von Boetticher, Bundesarchiv-Militärarchiv N 323 / 19.


[Русская версия отсутствует]


Generalfeldmarschall Alfred Graf von Schlieffen. Denkschrift "Krieg gegen Frankreich", Dezember 1905, Abschrift des verloren gegangenen Originals im Nachlass Friedrich von Boetticher, BArch N323/19, Online.

Фельдмаршал Альфред Граф фон Шлиффен. Меморандум «Война против Франции», декабрь 1905 г., копия утраченного оригинала в поместье Фридриха фон Бёттихера, BArch N323/19, онлайн.

Hans Gotthard Ehlert/Michael Epkenhans u. a. (Hrsg.), Der Schlieffenplan: Analysen und Dokumente (=Zeitalter der Weltkriege 2). Schöningh, Paderborn 2006.

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Schlieffen, A. G. von Dienstschriften des Chefs des Generalstabes der Armee Generalfeldmarschall Graf von Schlieffen, Bd. 2: Die großen Generalstabsreisen-Ost-aus den Jahren 1891–1905 [Служебные документы начальника Генерального штаба сухопутных войск фельдмаршала графа фон Шлиффена. Том 2: Главные поездки Генерального штаба - Восток - за 1891-1905 гг.] / под ред. Generalstab des Heeres. Berlin: Mittler und Sohn, 1938.

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