Aleksej Radakov, "Die Analphabeten und die Lesekundigen". Plakat, Petrograd 1920

Zusammenfassung

Die Oktoberrevolution von 1917, die die kommunistische Gesellschaftsordnung in Rußland und eine grundlegende Modernisierung von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft herbeiführen sollte, fand in einem Land statt, dessen Bevölkerung über die Hälfte analphabetisch war. Zwar waren 1920 in den Städten nur noch 26,5% illiterat, der Anteil der Analphabeten auf dem Land betrug jedoch 62,2%. Da die Bolschewiki den Zusammenhang zwischen Bildung, kommunistischer Gesinnung und politischem Aktivismus einerseits, zwischen Bildung und dem wirtschaftlichen Fortschritt ande-rerseits erkannt hatten, gehörte die Alphabetisierung der Bevölkerung zu einer ihrer vorrangigen politischen Zielen. Sie sollte außerdem die Bedingungen für die Verbrei-tung von Technik und neuen Kommunikationsmedien, wie Post, Telephon, Zeitung und Radio sowohl unter der gesellschaftlichen Elite, als auch unter der Arbeiter- und Bauernbevölkerung schaffen. Der Neue Mensch – das "höhere soziokulturelle Ziel des Sozialismus" (Hildermeier) besaß – darin bestand für die Bolschewiki kein Zwei-fel – eine moderne Bildung. Der XI. Allrußländische Sowjetkongreß plante den Ab-schluß der Alphabetisierungskampagne, in deren Zuge die Lese- und Schreibkompe-tenz ebenso wie bolschewistische Weltanschauung vermittelt werden sollten, für 1927, d.h. den 10. Jahrestag der "Großen Sozialistischen Oktoberrevolution". Zu diesem Zweck richtete das Volkskommissariat für Bildungswesen nicht nur "Liquidations-punkte des Analphabetentums", wie Lesehütten und Alphabetisierungskurse ein. Für die Alphabetisierung wurde auch anhand von Prinmedien, wie politischen Plakaten geworben. Dabei handelte es sich um ein Propaganda- und Agitationsmittel, durch das eine vorwiegend illiterate Bevölkerung angesprochen werden konnte. In bunt aufgemachten Bildern und einfachen Botschaften wurden die Nachteile des Analpha-betentums plakatiert sowie die direkten Vorteile der Lese- und Schreibfähigkeit auf-gezeigt und hervorgehoben. Das Plakat "Die Analphabeten und die Lesekundigen" (1920) von Aleksej Radakov ist ein Schlüsseldokument für die Alphabetisierungsbe-mühungen der Bolschewiki und die von ihnen angestrebte Kulturrevolution.