Einführung:DIE GRÜNEN. Das Bundesprogramm von 1980 in der zweiten Fassung
Entstehungsgeschichte und Bedeutung für die Partei „Die Grünen“[ ]
Das „Bundesprogramm“ entstand in der turbulenten Anfangsphase der wenige Wochen zuvor gegründeten Bundespartei „Die Grünen“. So heterogen die dabei vertretenen Gruppierungen waren, so wenig geschlossen, präzise und zusammenhängend war das Programm. Auf dem Saarbrücker Programmparteitag wurde im Eiltempo verhandelt, der Entscheidungsprozess über das Programm war in vielerlei Hinsicht zufällig. Die Partei befand sich in einer Phase grundlegender Richtungsentscheidungen, sie hatte noch keine gefestigte Identität gefunden. Vielmehr war die Formulierung und Verabschiedung des Programms gerade ein Mittel dazu. Insofern ist die Bezeichnung „Bundesprogramm“ zutreffend, denn es ging weniger um das Grundsätzliche als um das Verbindende.
In der Gründungsphase der Bundespartei kämpften mehrere Richtungen sowie zahlreiche Gruppierungen und Vorgängerparteien in einem verwirrenden Hin und Her um die Vorherrschaft bei den Grünen.[1] Wichtig waren zum einen die bürgerlich-konservativen oder bürgerlich-national orientierten Ökologen. Zu ihren führenden Köpfen gehörten Herbert Gruhl, ehemaliger CDU-Politiker und Vorsitzender des „Bunds für Umwelt und Naturschutz Deutschland“ (BUND), August Haußleiter mit der „Aktionsgemeinschaft Unabhängiger Deutscher“ (AUD) sowie der rechtskonservative Biobauer Baldur Springmann.
Doch auch die so genannten bunten und alternativen Listen (AL) mit ihren insgesamt linken Positionen drängten in die neue Partei hinein. Diese Listen hatten sich vor allem in den Großstädten aus einer Vielzahl unterschiedlicher Initiativen und politischer Gruppierungen zu Wahlbündnissen zusammengeschlossen. Darunter waren Vertreter der Alternativkultur, Frauengruppen, verschiedenste Minderheitenorganisationen, Bürgerinitiativen und Ökologievertreter, soziale Selbsthilfegruppen, Gewerkschafter, aber auch Vertreter linker und kommunistischer Parteien. Deren eher undogmatische Richtung wurde im Prozess der Programmformulierung von Ernst Hoplitschek und Manfred Zieran vertreten, die links-dogmatischen Positionen von Jürgen Reents.
Aber auch Anthroposophen, die sich im „Achberger Kreis“ auf der Suche nach einem „Dritten Weg“ zusammengefunden hatten, rangen um Einfluss. Milan Horacek zählte sich ebenso dazu wie der Künstler Joseph Beuys mit seiner „Freien Internationalen Universität“. Auch christlich orientierte Personen, etwa Christa Nickels, engagierten sich.
Sieg und Niederlage der einzelnen Positionen im Programm blieben in den Bewertungen der Forschung umstritten: Sieht van Hüllen in nicht wenigen Punkten eine Verschiebung des endgültigen Programmtextes hin zu sozialistischen, gar marxistischen Positionen, so liegt das Programm für Wiesenthal auf einer ausgewogeneren Linie alternativ-ökologischer Orientierungen.[2]
Eindeutig war allerdings die Niederlage des bürgerlichen Parteiflügels, der in der Vor- und Gründungsgeschichte der Grünen seit 1977 eine maßgebliche Kraft gewesen war. Die Verabschiedung des Programms in der vorliegenden Fassung war einer der Wendepunkte für die Abkehr Gruhls und der Bürgerlichen von den Grünen und ihre spätere Formierung in der neuen Ökologisch-Demokratischen Partei (ÖDP). Damit war es nicht gelungen, ökologisch orientierte Politik dauerhaft in nur einer Partei zu bündeln. Über die Programmformulierung verfestigte sich das politische Spektrum der Grünen als links, ökologisch und bunt-alternativ. Damit einher ging ein massiver Mitgliederaustausch in der jungen Partei. Bürgerliche und Konservative gingen, die Vertreter der bunten und alternativen Listen kamen.
Der Konflikt zwischen „Realos“ und „Fundis“, der die Grünen seit 1983 prägt, ist im Bundesprogramm von 1980 noch nicht ausgeprägt. Der spätere Konflikt zielte auf die taktische Frage einer Regierungskoalition mit der SPD, beruhte aber auf unterschiedlichen Grundauffassungen: Während die „Fundis“ um Rainer Trampert und Jutta Ditfurth von einer Systemkrise in Gesellschaft, Wirtschaft und Politik ausgingen, die letztlich einen Systemwandel als Lösungsstrategie erforderte, hielten die „Realos“, angeführt u.a. vom späteren Bundesaußenminister Joschka Fischer, die Ziele der Grünen durch eine Abfolge von Reformschritten für erreichbar. Das Bundesprogramm kennt diesen Gegensatz schon deshalb nicht, weil zum Zeitpunkt seiner Entstehung die Möglichkeit einer Regierungsbeteiligung noch in weiter Ferne lag.
Im Text werden systemische Ursachen der Krisen genannt oder schwingen zumindest implizit in vielen Passagen mit, ohne aber Zentrum eines einheitlichen Begründungsschemas zu sein. Der äußerst umfangreiche, oft ins Detail gehende Forderungskatalog des Programms mischt kleinere Einzelmaßnahmen, die im bundesrepublikanischen parlamentarischen System der achtziger Jahre prinzipiell durchsetzbar waren, mit Detailforderungen, die nur nach grundsätzlichen Umwälzungen des Rechts-, Wirtschafts- und Politiksystems der Republik einlösbar gewesen wären.
Diese Gegensätze wurden im Programm nicht thematisiert und blieben unausgetragen. Insofern bot das Bundesprogramm dem Konflikt zwischen „Realos“ und „Fundis“, der das folgende Jahrzehnt der Partei prägte, einen gemeinsamen Bezugsrahmen, er konnte sich in seinen Grenzen entwickeln. Erst der weitgehende innerparteiliche Sieg des Realo-Flügels in den neunziger Jahren mit Regierungsbeteiligungen in Ländern und im Bund führte nach 22 Jahren zu einem neuen Programm, dem „Grundsatzprogramm“ von 2002, in dem Systemumwälzungen keine Rolle mehr spielen.
Das Verhältnis zu den Neuen sozialen Bewegungen[ ]
Die Grünen sind vor allem aus den Neuen sozialen Bewegungen hervorgegangen, also aus der Umwelt- und Antiatomkraftbewegung, den Alternativen, der Frauenbewegung, der Dritte-Welt-Bewegung, der Friedensbewegung usw. Diese Bewegungen hatten sich aber keineswegs nur in den Grünen parteipolitisch organisiert, wenn sie überhaupt in die organisierte Politik gegangen sind. Anhänger der Bewegungen gingen auch in die SPD und in geringerem Maße in andere Parteien. Oft blieben sie weitgehend in die Gesellschaft der Bundesrepublik integriert, nur das Anliegen ihrer Bewegung drängte sie zum Aufbegehren und zu neuen Partizipationsformen im gegebenen politischen System.
Das Bundesprogramm von 1980 ist also nicht der programmatische Basistext der Neuen sozialen Bewegungen. Es ist es aber für den Teil von ihnen, der Lösungswege für die analysierten Probleme im parlamentarischen System sah und zugleich keine Integrationsmöglichkeiten in die bestehenden Parteien mehr empfand. Das Bundesprogramm steht für eine milieuartige Alternativkultur, die dennoch politisch beteiligungswillig war. In dieser Mischung lag die zeithistorische Bedeutung und Entwicklungsmöglichkeit der Grünen.
Wesensmerkmale des Programms[ ]
Das Bundesprogramm wirkt unfertig. Einzelne Themenfelder waren noch nicht ausgearbeitet; die Präambel wird als Entwurf bezeichnet. Die Ausführlichkeit und Fundiertheit der einzelnen Passagen variiert. Die argumentative Qualität der Abschnitte entspricht dem damaligen Stand der Arbeitsgruppen in der Partei und den beteiligten sozialen Bewegungen.[3] Dem Programm fehlte die durchgängig gestaltende, also zentrierende Kraft. Insofern spiegelt es den Aufbruch der Partei und die unentschiedenen Machtverhältnisse in ihr wider. Es markiert den Beginn, weniger die weitere Entwicklung eines neuen Segments im Parteiensystem der Bundesrepublik.
Dennoch und zugleich erhebt das Programm den Anspruch einer umfassenden Gesellschaftsanalyse und eines umfassenden Lösungskonzepts. Es umfasst tendenziell alle Bereiche, mit denen sich auch eine regierungstragende Fraktion auseinandersetzen müsste, und begründet damit von Anbeginn der Partei an deren Selbstverständnis, in machttragender Position die Gesellschaft umzugestalten. So sehr es aus einer inneren Oppositions- und Anti-Haltung heraus formuliert erscheint, so selbstbewusst, gestaltungsfordernd und wahrheitsüberzeugt ist es zugleich. Bei aller Brüchigkeit formt es einen dichten grün-alternativen Vorstellungskosmos, in dem sich der seit den sechziger Jahren entwickelnde Wertewandel der westdeutschen Gesellschaft verdichtet manifestiert erscheint.
Singulär in der Reihe der Parteiprogramme der Bundesrepublik ist das Bundesprogramm bis heute durch seinen umfassenden gesellschaftlichen Ansatz, der weit über das Politische hinausgeht: Viele der erhobenen Forderungen sind politisch gar nicht umsetzbar. Sie können nur von den Mitgliedern der Gesellschaft selbst erfüllt werden, wie etwa die Vermeidung diskriminierender Haltungen, partizipatorische Aktivität oder verändertes Konsumverhalten.
In eigenartigem Kontrast dazu, aber eigentlich komplementär dazu, erscheint die Staatsfixiertheit des Bundesprogramms: Zentrale politische Eingriffe sind das Standardmittel, mit dem die Gesellschaft verändert werden soll. Sie beruhen auf Mehrheitsentscheidungen der politisch Aufgeklärten, und hier liegt das Bindeglied zum individuellen Ansatz. Die Berufung auf den Staat und das politische System ist signifikant.
Wirtschaft, Wissenschaft und Militär erscheinen dagegen als jeweils monolithische Gegner, als das Andere, von dem sich die Partei abgrenzt und dem die Verursachung aller Krisen zugeschoben wird. Eigengesetzlichkeiten dieser gesellschaftlichen Subsysteme, aus denen sich Anforderungen oder Notwendigkeiten an Politik, Gesellschaft und Einzelnen ergeben, werden nicht gesehen oder thematisiert. Es geht durchgängig darum, alle Lebens- und Gesellschaftsbereiche aus der Basissicht der Beteiligten oder Betroffenen heraus dem politischen Willen zu öffnen, sie steuerbar zu machen, um sie durch Reformen umfassend zu humanisieren. Diese Humanität entspricht der abendländischen Wertegeschichte, und ihre Besonderheit liegt nicht in ihren Inhalten, sondern in ihrer Unbedingtheit, losgelöst von gesellschaftlichen Umständen und Zwängen sowie Interessen.
Die Wirkungsgeschichte des Programms[ ]
Das Bundesprogramm selbst betont seinen vorläufigen Charakter und proklamiert eine kontinuierliche Programmdiskussion durch die Parteimitglieder. Tatsächlich sind dem Bundesprogramm bis heute in rascher Folge eine Vielzahl weiterer programmatischer Texte gefolgt, die die politischen Positionen in den einzelnen Politikfeldern immer wieder in andere Richtungen verschoben haben. Dabei wurden zum Teil aber auch die Positionen des Bundesprogramms wieder eingenommen.[4]
Auch der Umgang der Parteimitglieder und der Parteieliten selbst mit dem Programm blieb undogmatisch. Zwar bildeten die dort formulierten vier „Grundsätze“ – ökologisch, sozial, basisdemokratisch und gewaltfrei – über zwanzig Jahre hinweg und mangels eines Nachfolgeprogramms einen Bezugspunkt zur Selbstvergewisserung. Allerdings hatten sich die Grünen vor allem in den neunziger Jahren von vielen Aussagen ihres Bundesprogramms verabschiedet, lange bevor das Grundsatzprogramm von 2002 eine neue programmatische Zusammenfassung brachte. Exemplarisch für diese Abläufe waren die Debatten und Beschlüsse über Militäreinsätze und Krieg, insbesondere die Debatte um den Kosovo-Einsatz im Jahr 1999. Überhaupt verhinderte schon die basisbezogene, unhierarchische politische Kultur der Grünen eine zentralisierende, disziplinierende und dauerhafte Wirkung des Bundesprogramms.
Spezifische Bedeutungen des Bundesprogramms für die deutsche Zeitgeschichte[ ]
So begrenzt die Bindung der Grünen an ihr Bundesprogramm von 1980 auch war, markiert es doch den Beginn jener Partei, der es als erste und einzige vor der Wende von 1989/90 gelang, in das seit den fünfziger Jahren stabilisierte und geschlossene System der bestehenden Parlamentsparteien einzudringen und sich in ihm zu behaupten. Diese grundlegende Veränderung des Parteiensystems, die weitreichende und tiefgreifende Auswirkungen auf alle anderen Parteien hatte, entschied über die politische Reintegration eines guten Teils der Generationen zwischen der 68er-Studentenbewegung und den Neuen sozialen Bewegungen. Hatten sich die politisch Aktiven der Jahrgänge 1945 bis 1965 zunächst in großer Zahl im Protest abgewandt, so begann mit den Grünen für sie die Rückkehr in den eingespielten repräsentativen Parlamentarismus der Bundesrepublik, wenn auch zunächst in Form einer „Anti-Parteien-Partei“. Unter diesem von Petra Kelly, einer der zentralen Gründungsfiguren der Partei, geprägten Begriff stellten die Grünen das etablierte Parteien- und Parlamentssystem massiv in Frage. Die Integration der Partei vollzog sich dann in einem zwanzigjährigen Weg der inneren Anpassung bis hin zum Grundsatzprogramm von 2002.
Das Bundesprogramm von 1980 setzte Themen und eine Agenda, die bis heute für alle Industrienationen relevant geblieben sind. Die humanistischen und ökologischen Forderungen wiesen gerade in ihrer ungestümen Unbedingtheit, wie sie in der Frühphase einer Partei üblich ist, auf Wahrnehmungslücken der damals etablierten Politik hin. Sie brachte unbearbeitete Probleme zurück in den öffentlichen Diskurs und eröffneten damit die Chance, Legitimationsdefizite des wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Systems zu beheben, die in der sich modernisierenden bundesrepublikanischen Gesellschaft seit den fünfziger Jahren entstanden waren. Die Krisendiagnose im Programm ist in weiten Teilen bis heute gültig geblieben, die Debatten um die thematisierten Probleme halten an. Die Verbindung von Ökologie und Ökonomie, Frauenemanzipation, die Legitimität pluraler Lebensstile und der erhöhte Rechtfertigungsdruck für politische Akteure sowie die Öffnung politischer Verhandlungs- und Entscheidungsabläufe sind einige der Beispiele aus dem Beitrag der Grünen zum öffentlichen Diskurs, der zugleich zu einer freieren politischen Kultur in der Bundesrepublik beigetragen hat. Tatsächlich lassen sich viele der Detailforderungen des Bundesprogramms als inzwischen „erledigt“, als eingelöst abhaken. Erfolgreich war insbesondere auch die „Ökologisierung“ des Bewusstseins. Insofern erwies sich das Programm als realgeschichtlich wirkungsmächtig.
Zeittypisch und damit überholt erscheint dagegen die Katastrophenannahme, aus der heraus das Programm teilweise geschrieben wurde. Nicht durchgängig, aber immer wieder geht es von einer finalen Gesamtkrise der Industriegesellschaft der Bundesrepublik, ja der Menschheit aus. Die Unbedingtheit der eigenen Überzeugungen, der selbstverständliche Wahrheitsanspruch, der in linken Gruppierungen seit 1968 üblich, nach den achtziger Jahren aber kaum noch anzutreffen war, basiert auf dieser Krisensicht. Letztere gab dem Handeln grüner Akteure eine über demokratischen Mehrheitsentscheidungen stehende, lediglich selbst zugesprochene Legitimität.
Insgesamt konserviert das Bundesprogramm von 1980 die Träume und Hoffnungen, die Werte und Ziele jener jungen Generation, die in der Bundesrepublik wie in allen westlichen Ländern von einem grundlegenden Wertewandel geprägt war. Es ist damit ein hervorragender Spiegel des Sehnsuchts- und Seelenzustands in diesem Teil der westdeutschen Gesellschaft. Eigenartig verschränkt sich im Programm der in die Zukunft gerichtete, grenzenlose Glaube an die Gestaltungsfähigkeit der Gesellschaft zugunsten humaner Werte mit der seit den frühen siebziger Jahren hereingebrochenen Erfahrung, dass sowohl das industrielle Wachstum als auch die Belastbarkeit der Umwelt deutliche Grenzen besitzen. Erstmals lag einem parteipolitischen Programmtext die Überzeugung vom Ende traditioneller Wachstumserwartungen zugrunde.
Von den radikalen Forderungen, die aus den Neuen sozialen Bewegungen in das Programm von 1980 hineingetragen wurden, ist wenig geblieben. Das gilt insbesondere für die Forderung nach Unterordnung der Wirtschaft unter eine generelle Humanisierung der Gesellschaft. Die Grünen sind nach wie vor eine kleine Partei und Fraktion mit begrenzten Handlungsmöglichkeiten. Die Anpassung von Programm und Partei an die Mehrheitsgesellschaft der Bundesrepublik und deren seit 1980 unveränderte wirtschaftliche und politisch-institutionelle Grundstruktur überwiegt bei weitem den Einfluss der Grünen auf die Gesellschaft.[5]
Zur Forschung[ ]
Das Bundesprogramm wurde in der politikwissenschaftlichen Forschung vor allem in den achtziger Jahren diskutiert, bevor es durch den Schwenk der Gesamtpartei zum „Realo“-Kurs an Aufmerksamkeit verlor. Gute zeithistorische Einordnungen liegen aufgrund der Gegenwartsnähe der grünen Parteigeschichte hingegen noch nicht vor. Van Hüllen beschreibt den Entstehungsprozess des Programms wohl immer noch am detailliertesten und kritisiert seine Inhalte auf anregende, wenn auch politisch wertende Art.[6] Raschke, der die Neuen sozialen Bewegungen und die Grünen seit ihrer Entstehung politikwissenschaftlich begleitet hat, sieht in den Grünen eine „ideologische Rahmenpartei“ und wirft dem Programm vor, geringe analytische Tiefe und zu viele Formelkompromisse aufzuweisen.[7] Diese Kritik übersieht jedoch die spezifische Entstehungssituation des Programms und seine Funktion als erstes einigendes Band einer zunächst heterogenen politischen Sammlungsbewegung. Wiesenthal ordnet das Bundesprogramm von 1980 in die nachfolgende Programmentwicklung bis Anfang der neunziger Jahre ein und sieht in der Fragmentierung der programmatischen Entwicklungen der Partei eine Behinderung ihrer politischen Handlungsfähigkeit.[8] Das trifft zu, doch erscheint aus historischer Sicht die Entstehungs- und Reifungsgeschichte der Grünen als eher ungewöhnlich schnell und auf dem Wählermarkt, in den Parlamenten und Regierungen recht erfolgreich. Aus der Perspektive der Regierungsposition der Grünen seit 1998 betrachtet dann Egle das Programm von 1980 nur mehr als überholte Altlast.[9]
International erweisen sich Markovits und Gorski als sehr gute Kenner der Grünen. Ihre Beschreibung des Programms von 1980 erhellt durch den Blick von außen in besonderer Weise deutsche geistesgeschichtliche und politische Traditionen.[10] Grüne und ökologische Parteien sind ein internationales, inzwischen sogar ein weltweites Phänomen. Die deutschen Grünen waren dabei nicht die erste Partei, und gerade in der Transformationsperiode der osteuropäischen Länder seit 1989 spielten ökologische Bewegungen und Parteien oft eine wichtige, wenn auch meist kurzlebige Rolle.[11] Das Bundesprogramm von 1980 war das erste Programm jener grünen Partei, die im internationalen Vergleich die einflussreichste Position in ihrer Gesellschaft und ihrem politischen System erringen konnte. Dies hatte neben der Stärke der Neuen sozialen Bewegungen in Deutschland viele Ursachen, die über die Grünen hinausgehen: deutsche Geistestraditionen, der besonders scharfe Generationenbruch in Reaktion auf den Nationalsozialismus, Wahlrecht und -system, die vielfältigen parlamentarischen Chancen im deutschen Föderalismus und der Koalitionsmechanismus.
- ↑ Lilian Klotzsch/Richard Stöss, Die Grünen. In: Richard Stöss (Hrsg.), Parteien-Handbuch: die Parteien der Bundesrepublik Deutschland, 1945–1980, Bd. II: FDP bis WAV. Westdeutscher Verlag, Opladen 1983, S. 1509–1598, hier S. 1513-1539.
- ↑ Rudolf van Hüllen, Ideologie und Machtkampf bei den Grünen: Untersuchung zur programmatischen und innerorganisatorischen Entwicklung einer deutschen „Bewegungspartei“. Bouvier, Bonn 1990, S. 263-274; H. Wiesenthal, Programme. In: Joachim Raschke, Gudrun Heinrich (Hrsg.), Die Grünen: Wie sie wurden, was sie sind. Büchergilde Gutenberg, Frankfurt a. M./Wien 1993, S. 95–130, hier S. 104-130.
- ↑ van Hüllen, op. cit., S. 265-281; Andrei S. Markovits/Philip S. Gorski, Grün schlägt rot: Die deutsche Linke nach 1945. Rotbuch, Hamburg 1997, S. 231-263.
- ↑ Wiesenthal, op. cit., S. 105-125.
- ↑ Joachim Raschke, Machtwechsel und soziale Bewegungen. In: Forschungsjournal Neue Soziale Bewegungen, 11:1 (1998), S. 25–47.
- ↑ Van Hüllen, op. cit., S. 259-281.
- ↑ Raschke/Heinrich, op. cit., S. 131-139.
- ↑ Wiesenthal, op. cit., S. 95-130.
- ↑ Christoph Egle, Lernen unter Stress: Politik und Programmatik von Bündnis 90/Die Grünen. In: Christoph Egle, Tobias Ostheim u. a. (Hrsg.), Das rot-grüne Projekt: eine Bilanz der Regierung Schröder 1998–2002. Westdeutscher Verlag, Wiesbaden 2003, S. 93–116, hier S. 96.
- ↑ Markovits/Gorski, op. cit., S. 173-278.
- ↑ Heinrich-Böll-Stiftung (Hrsg.), Die Grünen in Europa: Ein Handbuch. Westfälisches Dampfboot, Münster 2004.
[Русская версия отсутствует]