Einführung:Hugo Conwentz, ''Die Gefährdung der Naturdenkmäler und Vorschläge zu ihrer Erhaltung''

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von: Friedemann Schmoll, 2014


Die Begründungen und Argumente, die Hugo Conwentz zur Erhaltung der Natur anführte und sein Programm für ihre Bewahrung waren im Vergleich zum heutigen Verständnis von Natur- und Umweltschutz recht eng gefasst. Es ging dem Biologen und Museumsmann zunächst nicht um die ästhetischen Dimensionen von Natur und Landschaft, die zum Beispiel bereits 1836 zum Schutz des Drachenfelses im Siebengebirge gegen Nutzungsinteressen von Steinhauern geführt hatten. Er berief sich auch nicht auf das Recht auf soziale Teilhabe an der Natur zu Zwecken der Rekreation, wie dies etwa Wilhelm Wetekamp 1898 vor dem preußischen Abgeordnetenhaus gefordert hatte. Dem umfassenden Heimatschutz, der eine vertraute Welt aus Natur, Geschichte und Tradition gegen die Veränderungen der Industriemoderne verteidigen wollte und sich 1904 auf Initiative von Ernst Rudorff zum „Bund Heimatschutz“ zusammenschloss, stand Conwentz distanziert gegenüber. Es ging ihm auch nicht um eine ethische Verantwortung des Menschen gegenüber seinen natürlichen Lebensgrundlagen oder um ein ökologisches Verständnis von Natur, sondern anfänglich nur um das Sammeln und Bewahren von biologisch definierten Reliktnaturen und Memorialinseln vergangener Naturzustände - eben um „Naturdenkmale“: „Obschon hiernach eigentlich nur jungfräuliche Gelände, sowie Pflanzen und Tiere, die ohne Mitwirkung des Menschen an ihren Standort gelangten, als Naturdenkmäler angesehen werden sollen, wird der Begriff derselben hier und dort etwas erweitert werden müssen, da völlig unberührte Landschaften, bei uns wie in anderen Kulturstaaten, kaum noch bestehen.“[1]

Damit kann Conwentz also weniger als umfassender Natur- oder gar Umweltschützer verstanden werden. Es ging in dieser Phase der Naturschutzgeschichte nicht um Fragen, wie etwa die Beziehungen zwischen Ökonomie und Ökologie angemessen organisiert werden könnten. Der frühe Naturschutz beschäftigte sich auch kaum oder nur am Rande mit modernen Umweltbelastungen wie der industriellen Verunreinigung von Gewässern, Hygieneproblemen in Großstädten oder den Emissionsbelastungen durch die Industrie. Es ging ihm primär um die Rettung jener vorgefundenen Natur, über die sich die Industrialisierung nun rücksichtslos hinwegzusetzen schien. Die Natur, welche Conwentz als erhaltenswert klassifizierte, war eine Natur aus Raritäten und Relikten, die quasi nach einem Arche-Noah-Prinzip erhalten werden sollten: einzelne Tier- und Pflanzenarten, überschaubare Lebensräume wie Moore, bemerkenswerte Einzelbäume oder geologische Besonderheiten wie Findlinge. Conwentz zielte mit seiner Arbeit weniger auf eine Ablehnung oder Korrektur der Industrialisierungsfolgen, sondern eher um eine Kompensation der Verluste: „Es ist keine Frage, daß die Industrie nicht um einen Schritt zurückgedrängt werden soll, um wissenschaftliche Denkwürdigkeiten und Schönheiten der Natur zu bewahren. Wenn aber die Industrie den Weg fand, so gross zu werden, muss sie auch Mittel erfinden, allzu nachteilige Einwirkungen von der umgebenden Natur fernzuhalten.“[2]

Seine defensive Haltung mag angesichts der Dimensionen moderner Naturzerstörung unangemessen erscheinen. Andererseits führte die politische Zurückhaltung von Conwentz dazu, dass die Naturfrage in Staat und Gesellschaft rasch als Frage des Allgemeinwohls etabliert werden konnte. Naturschutz wurde als gesellschaftliche Frage einerseits aufgewertet, gleichzeitig aber klein gehalten. Die eng geführten Begründungszusammenhänge führten indes bald zur Erkenntnis, dass eine solche Naturdenkmalpflege angesichts des Destruktionspotentials moderner Zivilisationen und der Dimensionen der Naturzerstörung in Industriegesellschaften ungenügend bleiben musste. Kritik am „conwentzionellen“ Naturschutz, der nichts anderes sei als „Pritzelkram“ (Hermann Löns), kam bald von zahlreichen Naturschutzvereinen.

Dies führte rasch zu einer Erweiterung von Naturschutzbegründungen und Handlungskonzepten. Die Aufmerksamkeit galt bald nicht mehr nur einzelnen „Naturdenkmalen“, sondern Naturschutzgebieten, Bannwäldern oder reservatsähnlichen Naturparks und noch vor dem Ersten Weltkrieg internationalen Koordinierungsversuchen auf einer ersten Weltnaturschutzkonferenz 1913 in der Schweiz.[3] Der Naturschutz erwies sich dabei nicht als eine homogene Bewegung, sondern als eine Gesamtheit heterogener Strömungen, die alle das Anliegen der Naturerhaltung vereinte: Heimatschutz, Vogelschutz, Wander- und Tourismusvereine, naturkundliche Vereine, Flügel der Reformbewegungen und viele andere mehr.

Bald nach der Veröffentlichung seiner Denkschrift avancierte Hugo Conwentz 1906 zum ersten Leiter der „Staatliche Stelle für Naturdenkmalpflege in Preußen“. In der Grauzone zwischen staatlicher Verwaltung und Gesellschaft baute er in kürzester Zeit ein dichtes Netz von ehrenamtlichen Kommissionen und beratenden Gremien auf. Die gesellschaftliche Lage des Naturschutzes zwischen dem Kaiserreich und dem Aufbruch der ökologischen Bewegungen um 1970 war dadurch gekennzeichnet, dass er zwar einerseits quer durch alle politischen Lager als gesellschaftliche Aufgabe betrachtet wurde. Andererseits blieben seine rechtlichen Einflussmöglichkeiten und seine finanziellen Ressourcen begrenzt. Conwentz verortete den Naturschutz zwischen Staat und Gemeinwesen. Es gelang nicht, die staatlichen Institutionen mit rechtlichem Einfluss und finanziellen Möglichkeiten auszustatten – ein Erbe, das den staatlichen Naturschutz bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts prägen sollte.

1919 wurde der Schutz von Natur und Landschaft in Artikel 150 der Weimarer Verfassung ausdrücklich als staatliche Fürsorgepflicht und als Angelegenheit des Gemeinwohls anerkannt: „Die Denkmäler der Kunst, der Geschichte und der Natur sowie die Landschaft genießen den Schutz und die Pflege des Staates.“ Nach dem Tod von Conwentz 1922 übernahm Walther Schoenichen die Leitung der „Staatlichen Stelle“ in Preußen. Hatte Conwentz als Paläobotaniker das Selbstverständnis des Naturschutzes streng an naturwissenschaftliche Überlegungen gebunden, so vertrat sein Nachfolger den völkischen Flügel des Naturschutzes, der in der Erhaltung einer intakten Natur vor allem die Voraussetzung für ein „gesundes“ Volkstum wähnte.

In einzelnen Handlungsfeldern des Naturschutzes hatte es bereits seit dem Kaiserreich verbindliche rechtliche Rahmenbedingungen gegeben, so durch das Reichsvogelschutzgesetz von 1888 oder durch Denkmal- und Landschaftsschutzgesetze in mehreren deutschen Einzelstaaten seit Beginn des 20. Jahrhunderts. Die Forderung nach verbindlichen rechtlichen Grundlagen für den gesamten Naturschutz wurde indes lange erfolglos erhoben. Erst das von Hermann Göring handstreichartig durchgesetzte, allerdings teils auf Gesetzesentwürfen aus der Weimarer Republik basierende Reichsnaturschutzgesetz von 1935 schuf verbindliche Rechtsgrundlagen. Gleichzeitig wurde die „Staatliche Stelle für Naturdenkmalpflege in Preußen“ in die „Reichsstelle für Naturschutz“ umgewandelt. Der Naturschutz im Nationalsozialismus war geprägt von der Ambivalenz aus ideologischer Aufwertung einerseits und faktischem Bedeutungsverlust anderseits.[4] Zunächst fügte er sich in die Blut- und Bodenmystik ein und fungierte als ein Element der ideologischen Herrschaftssicherung des Nationalsozialismus. Angesichts der Modernisierungsschübe durch die Autarkie- und Großraumpolitik, die Rationalisierung der Land- und Forstwirtschaft und die massive Intensivierung der Ressourcennutzung im Zuge der agrarischen „Erzeugungsschlachten“ im Nationalsozialismus blieb das Anliegen der Naturbewahrung trotz aller völkischen Aufladungen de facto vernachlässigt.

Das Reichsnaturschutzgesetz wirkte in der BRD nach 1945 als Landesrecht fort. In der BRD auf dem Weg zur Konsumgesellschaft und in der DDR aufgrund des massiven Zwangs zur intensiven Ressourcennutzung spielten Naturschutzfragen in der Nachkriegszeit keine nennenswerte Rolle. In der BRD fiel das „Europäische Naturschutzjahr 1970“ in eine Phase wachsenden Unbehagens gegenüber den Folgen der Industriegesellschaft mit ihrer Planungs- und Machbarkeitseuphorie. Die ökologische Wende der 1970er Jahre mit den wachsenden Protesten gegen Großtechnologien und Naturausbeutung (Luftverschmutzung, Atomkraftwerke, Waldsterben etc.), führte indirekt zur Gründung der ökologisch orientierten Partei der Grünen, nachdem Natur und Umwelt bereits seit 1970 in der sozial-liberalen Koalition unter Willy Brandt zu einem prominenten Politikfeld geworden waren. Die umweltpolitische Wende zog nicht zuletzt eine Zusammenführung der bislang stets getrennten Handlungsfelder von Natur- und Umweltschutz nach sich. Bis dahin hatte sich der retrospektiv orientierte Naturschutz vor allem der Erhaltung vormoderner Kulturlandschaften, seltenen Lebensräumen und bedrohten Tier- und Pflanzenarten gewidmet, während sich Hygiene und Umweltschutz auf solche Belastungen konzentrierten, die das menschliche Leben in wissenschaftlich-technischen Zivilisationen betrafen.

  1. Hugo Conwentz, Die Gefährdung der Naturdenkmäler und Vorschläge zu ihrer Erhaltung. Borntraeger, München/Berlin 1904, S. 6
  2. Ebd., S. 72
  3. Paul Sarasin, Über die Aufgaben des Weltnaturschutzes. Denkschrift gelesen an der Delegiertenversammlung zur Weltnaturschutzkommission in Bern am 18. November 1913. Helbing & Lichtenhahn, Basel 1914.
  4. Joachim Radkau/Frank Uekötter (Hrsg.), Naturschutz und Nationalsozialismus. Campus, Frankfurt a. M. 2003.

[Русская версия отсутствует]