Sergej Ėjzenštejn, Aleksandr Nevskij, Mosfil'm 1938

Zusammenfassung

Sergej Ėjzenštejns sowjetischer Spielfilm Aleksandr Nevskij von 1938 bringt ein Nationalepos auf die Leinwand, in dem zusammen mit der Gestalt des Helden, des mittelalterlichen Fürsten Aleksandr Jaroslavič, auch die naturwüchsige Kraft und intuitive Weisheit des russischen Volkes gerühmt werden. Die Entstehungszeit und Entstehungsbedingungen dieses Films lassen überdies keinen Zweifel, dass hier nicht nur die Fortdauer der nationalen Kräfte und der reichen Volkstradition Russlands durch die Jahrhunderte bis in die Sowjetzeit vorgeführt werden sollte, sondern zugleich auch eine Identifikation des souveränen Volksführers Aleksandr Nevskij mit Josif Stalin intendiert war.

Der Schlüsselcharakter dieses Films liegt zum einen in der emotionalen Überzeugungskraft der Bilder und Bildmontagen, mit denen es Ėjzenštejn gelingt, den Brückenschlag vom Mittelalter zum 20. Jahrhundert in Szene zu setzen. Zum anderen dokumentiert er den Übergang zwischen zwei unterschiedlichen Geschichtsverständnissen: der frühsowjetischen, von Michail N. Pokrovskij bestimmten Traditionsfeindlichkeit, die auch die Rolle des Individuums in der Geschichte leugnete und nur materialistisch bestimmte Beweggründe des historischen Verlaufs gelten ließ, und dem seit Mitte der dreißiger Jahre aufkommenden, auf historische Begründung angewiesenen Patriotismus Stalinscher Prägung, der ein individuelles Heldentum propagierte. Letzteres unterstützt der Film vorbehaltlos. Gemäß der Ideologie des Sowjetsozialismus gilt jedoch weiterhin die Devise, dass der politische und militärische Führer von der kollektiven geistigen, körperlichen und emotionalen Kraft des Volkes getragen sei. Das ist auch die inhaltliche Botschaft dieses Films.