Beschluß des Plenums des CK der KPSS "Über die Antiparteigruppe Malenkov G.M., Kaganovič L.M., Molotov V.M.", 29. Juni 1957

Einführung

Gegen 1957 stieß der politische Kurs GlossarChruščevs zunehmend auf Widerstand des konservativen Teils der Parteiführung. Unzufriedenheit riefen sowohl das Bestreben hervor, den Auswirkungen des Glossar"Personenkultes" auf breiterer Basis nachzugehen, als auch die Weigerung Chruščevs, bei wichtigen Beschlüssen die Kollegen zu Rate zu ziehen. Schritt für Schritt war es Chruščev gelungen, die Positionen seiner Gegner zu schwächen. GlossarMalenkov hatte seinen Posten des GlossarVorsitzenden des Ministerrates (1955) verloren, GlossarMolotov den des GlossarAußenministers (1956). Sie blieben jedoch Mitglieder des GlossarPräsidiums des CK. Die Meinungsverschiedenheiten erreichten einen derartigen Spannungsgrad, daß Malenkov gegenüber seinem Anhänger GlossarM. Saburov meinte: "Wenn wir sie nicht beseitigen, so beseitigen sie uns."

Bereits im Mai 1957 war die Mehrheit der Präsidiumsmitglieder des CK der Meinung, daß der Posten des GlossarErsten Sekretärs des CK der KPSS abzuschaffen und Chruščev auf den Posten des GlossarLandwirtschaftsministers zu versetzen sei. Aus diesem Anlaß wurden auch mit GlossarVerteidigungsministerGlossarŽukov Konsultationsgespräche geführt. Žukov sprach sich zwar dafür aus, daß Chruščevs Macht eingeschränkt werden sollte, hielt es aber für notwendig, die Aufarbeitung des GlossarStalinismus fortzusetzen, und dieser Umstand fiel bei seiner Entscheidung schwerer ins Gewicht.

Am 18. Juni verlangte eine Gruppe von einflußreichen Mitgliedern des Präsidiums, eine Sitzung einzuberufen. Chruščevs Gegner hatten darin das Übergewicht; die Kollegen im Präsidium des CK unterstellten ihm Voluntarismus und die Schaffung eines neuen Personenkults. Die Mitglieder des Präsidiums V. Molotov, Malenkov, GlossarN. Bulganin, GlossarK. Vorošilov, GlossarM. Pervuchin und M. Saburov schlossen sich diesem Urteil an. Malenkov stellte bei Chruščev Glossar"zinov'evistische" ideologische Mängel fest. Aber Bulganin leitete die Sitzung nicht entschlossen genug, und so gelang es Chruščev, die Diskussion auf den nächsten Tag zu verschieben. So begann sich das Kräfteverhältnis zu verändern. Die Kunde vom Konflikt verbreitete sich unter den Spitzenkadern der Parteielite.

Am 19. Juni beschloß das Präsidium des CK – trotz der Einwände GlossarMikojans sowie der Mehrheit der Mitgliedskandidaten des Präsidiums und der GlossarCK-Sekretäre – die Amtsenthebung Chruščevs. Schon seit der Stalinzeit gehorchten das CK und die Parteitage immer blindlings den Entscheidungen der höchsten Parteiführung – des GlossarPolitbüros und dann des Präsidiums.

Um Zeit zu gewinnen, setzten Chruščev und seine Anhänger die Auseinandersetzung bis zum 21. Juni fort. Während die Debatten stattfanden, setzte das Sekretariat des CK seine Mitglieder, die auf Chruščevs Seite standen, über den ausgebrochenen Konflikt in Kenntnis. Eine wichtige Rolle spielte die Entscheidung des Verteidigungsministers Žukov, Chruščev zu unterstützen. Eine große Gruppe von CK-Mitgliedern – bestehend aus Parteifunktionären und Generälen – erschien vor den Türen des Präsidiums und verlangte, daß man sie empfange. Dies löste eine Schockwirkung unter den Mitgliedern des Präsidiums aus, die das Vorgehen der CK-Miglieder mit einem Militärputsch verglichen. Chruščev widersprach, indem er betonte, daß das Präsidium ein Diener des Plenums sei: "Das sind keine Panzer, das sind Mitglieder des CK. [...] Wir sind Diener des Plenums, das Plenum ist der Herr." Seinerseits versicherte Žukov, daß die Armee dem CK unterstehe. Somit wurde den CK-Mitgliedern deutlich, daß sie jetzt die obersten Richter im Konflikt der "Führer" seien.

Es wurden Unterschriften von 42 CK-Mitgliedern gesammelt, die verlangten, ein Plenum durchzuführen, da im Präsidium Meinungsverschiedenheiten aufgetreten seien. Unter dem Druck einiger Dutzender CK-Mitglieder und angesichts des Umstandes, daß in den eigenen Reihen keine Einheit bestand, war das Präsidium des CK gezwungen, der Durchführung des Plenums zuzustimmen. Es wurde für den nächsten Tag einberufen – jetzt mußten sich die Anhänger Chruščevs beeilen. Einige CK-Mitglieder, die bereit waren, Chruščev zu unterstützen, beförderte man mit Militärflugzeugen nach Moskau.

Das GlossarSekretariat des CK bereitete das Plenum vor, stellte die Tagesordnung auf und bestimmte die Referenten. Am 22. Juni erstattete GlossarM. Suslov einen Bericht über den Konflikt, der in einem Chruščev gegenüber freundlichen Ton gehalten war. Dies gab dem Plenum die Grundstimmung vor. Die Mehrheit stand auf Chruščevs Seite. In seiner Rede berichtete Žukov ausführlich über die Teilnahme Molotovs, Malenkovs und GlossarKaganovičs an der Organisation der Glossarstalinschen Repressionen. Es wurden Dokumente vorgelegt, in denen die Teilnehmer des aktuellen Kampfes gegen den "Personenkult Chruščevs" die Strafmaßnahmen gegen die sowjetischen Militärführer in den Jahren 1937-1938 abgesegnet hatten. Daraufhin meinte Molotov ironisch: "Du bist bei uns völlig sauber, Genosse Chruščev". Fakten, die die "Opposition" kompromittierten, wurden auch in anderen Reden vorgebracht.

In seiner Gegenrede wagte es Malenkov nicht, über vergleichbare Verbrechen Chruščevs zu berichten. Statt Chruščev zu kritisieren, sah er sich gezwungen, den Großteil seiner Rede zur Rechtfertigung seiner selbst zu benutzen. Die Versuche Malenkovs, als Fürsprecher demokratischer Positionen der Glossar"kollektiven Führung" aufzutreten, wirkten nicht überzeugend und widersprachen den Vorstellungen der GlossarNomenklatura, wie regiert werden sollte. Man ließ ihn nicht vom Platz aus sprechen und beschuldigte ihn sogar der "Verschwörungstätigkeit". Malenkov verwies auf Chruščevs "hitzigen Charakter", der ihm später auch auf dem Oktoberplenum des CK von 1964 zum Vorwurf gemacht werden sollte. Als sie zwischen den persönlichen Mängeln Chruščevs und den politischen Mängeln Malenkovs und Molotovs zu wählen hatten, zogen es einflußreiche CK-Mitglieder vor, Chruščev vieles zu verzeihen – nur vorübergehend, wie sich herausstellen sollte.

In seiner Kritik an Chruščev ließ sich Kaganovič zu einer Rechtfertigung GlossarStalins verleiten, was dem CK, das auf dem XX. GlossarParteitag der KPSS gewählt worden war, ebenfalls mißfiel. Als Chruščev mit ihm stritt, warf er seinen Gegnern vor, die Macht an sich reisen zu wollen, um die Dokumente zu vernichten, die sie kompromittierten. Die Aufdeckung des GlossarStalinkultes wurde in der Tat zur Triebfeder des Kampfes innerhalb der Partei.

Danach wurde eine Wochenendpause in der Arbeit des Plenums verkündet; während dieser Zeit führte das Sekretariat eine zusätzliche Aufklärungsarbeit unter den CK-Mitgliedern durch.

Am 25. Juni wurde die Zerschlagung der Widersacher Chruščevs vollendet. Bulganin, Vorošilov, Pervuchin und Saburov, die Malenkov ursprünglich unterstützt hatten, schätzten das Kräfteverhältnis neu ein, änderten ihre Haltung und gestanden im Plenum ihre Fehler. Die konservative Position wurde nur von V. Molotov entschieden verteidigt. Nach seinen Worten, "legte Genosse Chruščev die Beine auf den Tisch". Für das Wiederaufleben des "Personenkultes" und den "Verstoß gegen die kollektive Führung" wurde Chruščev auch vom Kandidat des Präsidiums GlossarD. Šepilov kritisiert. Er versuchte jedoch, die Meinungsverschiedenheiten nicht als politische, sondern als technische darzustellen.

Die Opponenten wurden ständig durch Repliken aus den Sitzungsreihen unterbrochen, man ließ sie im Grunde genommen nicht reden. "Du bist ein Schurke!", rief man Šepilov zu. Veteranen der stalinschen Säuberungen wie GlossarA Andreev und GlossarS. Budennyj erfaßten die gegenwärtige Lage und versuchten sogar, die Terminologie der 1920er und 1930er Jahre auf die aktuelle Gruppierung anzuwenden, indem sie Molotov und Malenkov mit den Fraktionsführern der 1920er Jahre verglichen.

Die Mehrheit der CK-Mitglieder, die nach dem Krieg und nach dem XX. Parteitag gewählt worden waren, sprachen sich gegen den Angriff auf Chruščev aus. Das CK-Plenum wurde bis zum 29. Juni 1957 fortgesetzt. In dieser Phase traten später einflußreiche konservative Politiker wie GlossarL. Brežnev und M. Suslov für die Reformen ein.

Letztendlich wurden auf dem Juni-Plenum des CK der KPSS 1957 die mächtigen Mitstreiter Stalins Molotov, Kaganovič, Malenkov und Šepilov, der "sich ihnen angeschlossen hatte", zur "Antiparteigruppe" erklärt. Sie wurden ihrer Ämter enthoben und auf zweitrangige Posten abgeschoben. Molotov wurde als Botschafter in die Mongolei geschickt, Malenkov als Direktor eines Wasserkraftwerks nach Ust'-Kamenogorsk, Kaganovič als Direktor eines Werks für Kaliumgewinnung in den Ural, Šepilov als Direktor des Wirtschaftsinstituts nach Kirgisien. 1961/1962 wurden sie aus der Partei ausgeschlossen. Vorošilov, so beschloß man, sollte unter Berücksichtungen seiner historischen "Verdienste" pro forma verziehen werden.

Im Unterschied zu früheren Zeiten wandte man aber keine strafrechtlichen Repressionen an. Darin dokumentiert sich einmal mehr der Übergang vom Totalitarismus zu einem milderen autoritären Regime nach dem XX. Parteitag.

Die reuigen Konservativen verloren ebenfalls ihren realen Einfluß. 1958 verlor Bulganin sein Amt als Regierungsoberhaupt, das von Chruščev selbst übernommen wurde. Pervuchin und Saburov wurden vom Plenum auf einen niedrigeren Posten versetzt.

Der Beschluß "Über die Antiparteigruppe Malenkov G.M., Kaganovič L.M., Molotov V.M." rühmte die Erfolge der CK-Politik, vor deren Hintergrund die Unzufriedenheit der "Gruppe" als Verschwörung dargestellt wurde, die das Ziel verfolgte, die Linie der Partei, den "Personenkult" zu entlarven, zu sabotieren. Einige Aussagen von Gruppenmitgliedern, mit denen sie sich gegen den Vorwurf verteidigen wollten, sie hätten den Zerfall der UdSSR geplant (vier Jahre zuvor wurden ähnliche Vorwürfe gegen GlossarBerija erhoben), nahm der Beschluß zum Vorwand und unterstellte ihnen, die Rechte der Republiken verletzt zu haben. Hinter diesen "Nörgeleien" standen jedoch auch gewichtigere Diskrepanzen zwischen dem früheren Zentralismus der Stalinzeit und den Versuchen, flexiblere Formen für die Leitung des Sowjetsystems zu finden. In diesen Zusammenhang gehörten auch die Unterstellungen, die "Gruppenmitglieder" hätten den Bürokratismus unterstützt, die Wirtschaftsreformen und die friedliche Außenpolitik sabotiert. Die Autoren des Beschlusses führten diese Meinungsverschiedenheiten nicht auf soziale Erscheinungen, sondern auf den Konservatismus im Denken der "Antiparteigruppe" und die Entfremdung ihrer Mitglieder vom Volk zurück. Zum Ziel der Gruppe wurde das Bestreben erklärt, das Land in einen Zustand, wie er vor dem XX. Parteitag geherrscht hatte, zurückzuversetzen. Die "intriganten Handlungsmethoden" der Gruppe, das "geheime Komplott", das auf die Ablösung der Führung gerichtet war, gestatteten es, den GlossarBeschluß des X. Parteitages (1921) zum Verbot von Fraktionen und Gruppenbildungen, auf dessen Grundlage die Zerschlagung der antistalinschen Opposition ins Werk gesetzt worden war, gegen die "Gruppe" anzuwenden.

Der Beschluß wurde nur in Auszügen veröffentlicht. Weitere Fakten über die Teilnahme der höchsten Parteiführer an den stalinistischen Repressionen, sowie die Disziplinarmaßnahmen, die gegen die "reuigen Sünder" Bulganin, Pervuchin und Saburov verhängt worden waren, wurden nicht publik gemacht. Es kam darauf an zu zeigen, daß gegen Chruščev eine kleine Gruppe von Parteiführern und nicht die Mehrheit des CK-Präsidiums aufgetreten war. In der Folgezeit ging es jedoch mit der Karriere aller Mitglieder der "Gruppe" bergab. Als letzter verlor auch Vorošilov sein hohes Staatsamt: 1960 wurde er seinen Posten als GlossarVorsitzender des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR enthoben.

Lange Zeit stützten sich die Untersuchungen über das Juni-Plenum von 1957 auf widersprüchliche Erinnerungen und Gerüchte, die in der sowjetischen Elite kursierten. Nach der Veröffentlichung der Dokumente wurden die Hintergründe des Kampfes in den Reihen der sowjetischen Machtelite und seine konkreten Formen erkennbar. Heute machen Historiker auf die Widersprüchlichkeit der Standpunkte beider Seiten aufmerksam. Während die einen an Prinzipien der "kollektiven Führung" und des Glossar"demokratischen Zentralismus" appellierten, forderten die anderen die "Geschlossenheit der eigenen Reihen" und stellten die positive Erfahrung der stalinschen Jahrzehnte in den Vordergrund. Dennoch markierte das Plenum einen weiteren Schritt in der Abkehr vom totalitären System. Der Kreis jener Personen, von denen die Entscheidung in wichtigsten politischen Fragen abhing, erweiterte sich, auch die Selbsteinschätzung der Parteielite veränderte sich.

Die Bereitschaft, sich dem Parteiapparat der mittleren Ebene im Kampf gegen die "Ranggleichen" anzuvertrauen, rettete Chruščev, sie begünstigte jedoch auch den Aufstieg der Parteifunktionäre, die jetzt viel einflußreicher wurden als unter Stalin. Gleichzeitig wurde die Rolle der kollektiven Führung von Parteioligarchen für eine gewisse Zeit schwächer, was das Regime der persönlichen Macht Chruščevs auf der einen und den realen Einfluß des Parteiapparats auf der anderen Seite stärkte. In den 1960er Jahren hatte sich der Gegensatz zwischen diesen beiden Kräften zugespitzt; er gipfelte 1964 in der Amtsenthebung Chruščevs. Auf dem Oktoberplenum 1964 warfen die früheren Verteidiger Chruščevs, Brežnev und Suslov, ihm nun die gleichen Dinge vor, wie die "Antiparteigruppe" von 1957. Doch jetzt, sieben Jahre später, stellte sich das Plenum mit Enthusiasmus hinter die damit begründete Rücktrittsforderung.

Aleksandr Šubin

(Übersetzung aus dem Russ. von L. Antipow)