Zwölf Thesen "Wider den undeutschen Geist" [Bücherverbrennung], 12. April 1933
Einleitung
Der symbolische Akt der Bücherverbrennung war ein Höhepunkt der frühen Repression im nationalsozialistischen Deutschland. Etwa fünfzig Städte waren Schauplatz ritueller Verbrennungsaktionen. Rechtsgerichtete Studenten, unterstützt von zahlreichen Professoren, entfernten große Stapel von Büchern intellektuell anspruchsvoller Autorinnen und Autoren, die der NS-Ideologie nicht entsprachen, aus Universitäts- und Leihbüchereien. Sie trugen sie in feierlichem Zug durch die Stadt, hin zu zentral errichteten Scheiterhaufen. Dort warfen sie, von Zuschauern bejubelt, die Bücher in die Flammen, wobei sie "Feuersprüche" mit Verbannungsformeln deklamierten. Die Bücherverbrennung bildete den öffentlichen Auftakt zur Entfernung aller den Nationalsozialisten nicht genehmer Literatur aus den öffentlichen Bibliotheken. Viele Autorinnen und Autoren waren schon in den Monaten zuvor aus Deutschland geflüchtet, viele wurden in den Folgejahren ins Exil getrieben, oft auch in den Tod, oder in Konzentrations- und Vernichtungslagern ermordet.
Die Verfasser der zwölf Thesen "Wider den undeutschen Geist!" vom April 1933 sind nicht namentlich bekannt. Die Führung der "Deutschen Studentenschaft" an der Berliner Friedrich-Wilhelm-Universität, der heutigen Humboldt-Universität, hatte eine erste Textfassung dem soeben neu berufenen Ordinarius für Philosophie und politische Pädagogik Alfred Baeumler vorgelegt, der sie korrigierte und teilweise verschärfte. Baeumler, Mitbegründer des antisemitischen "Kampfbundes für deutsche Kultur", hielt einen Monat später, am 10. Mai, dem Tag der Bücherverbrennung, eine demagogische Antrittsvorlesung. Diese mündete unmittelbar in den Marsch der Zuhörer zum Scheiterhaufen auf dem Opernplatz, dem heutigen Bebelplatz.
Die zwölf Thesen "Wider den undeutschen Geist!" erschienen am 13. April 1933 auf Plakaten und Flugblättern; eine Woche zuvor waren sie an 66 Autoren, Journalisten und Professoren sowie in Rundschreiben verschickt worden mit der Bitte um publizistische Unterstützung. Die 70 mal 47,5 Zentimeter großen, hochformatigem Plakate wurden auf dem Universitätsgelände in Berlin und anderen Städten an Wänden und am Schwarzen Brett angeschlagen sowie auf Litfasssäulen an öffentlichen Plätzen. Sie enthielten die zwölf Thesen in roter Frakturschrift und waren unterzeichnet "Die Deutsche Studentenschaft". Auf den Flugblättern hatten die zwölf Thesen das gleiche Erscheinungsbild. Vorbereitung und Ablauf der Aktion sind in Gerhard Sauders 1983 erschienenem Band "Die Bücherverbrennung. Zum 10. Mai 1933" auf den Seiten 71 bis 102 dokumentiert. Dort kann man die verschiedenen Fassungen der zwölf Thesen verfolgen, speziell die antisemitische Zuspitzung in der Plakat- und Flugblattfassung vom 13. April. So ist zum Beispiel in Punkt 6 die absurde Forderung zu lesen: "Jüdische Werke erscheinen in hebräischer Sprache. Erscheinen sie in Deutsch, sind sie als Übersetzung zu kennzeichnen." Neben einer Auswahl an zustimmenden Meinungen enthält Sauders Dokumentation auch die kritische Haltung zum Beispiel des Rektors der Berliner Universität und einzelner Professoren sowie einige scharfe, teils mit beißender Ironie formulierte Protestbriefe an die Deutsche Studentenschaft. Den "Artikeldienst" vom 6. April in der noch etwas weniger zugespitzten Fassung, der für die propagandistische Begleitung der "Aktion wider den undeutschen Geist" in den Medien sorgen sollte, wertet Sauder eher als Fehlschlag, da dieser Teil des Vorhabens schlecht und zu kurzfristig organisiert war und auch Professoren einbeziehen wollte, die zwar national gesinnt, aber mit der Tendenz der Thesen nicht einverstanden sein mochten.
Die zwölf Thesen "Wider den undeutschen Geist!" hatten einen schärferen antisemitischen Charakter als die "Feuersprüche", mit denen die "Rufer" die Bücher auf die Scheiterhaufen warfen. Die "Feuersprüche" diffamierten und verfemten die gesamte Vielfalt des von den Nationalsozialisten abgelehnten modernen Lebens und Geisteslebens, wie es sich in der Weimarer Republik hatte entfalten können: neben dem "jüdischen Schrifttum" auch "Liberalismus", "Internationalismus" und "Kulturbolschewismus" sowie Marxismus, Pazifismus, zeitgenössische Psychologie, kritischen Journalismus, das moderne Frauenbild und viele weitere Denkweisen, Wissenschaftsbereiche und demokratische Errungenschaften.
Die zwölf Thesen hingegen stellten die antisemitische Hetze ins Zentrum: "Unser gefährlichster Widersacher ist der Jude, und der, der ihm hörig ist." Im Rundbrief vom 8. April 1933 an die Einzelstudentenschaften nannte das zwei Tage zuvor eingerichtete "Hauptamt für Presse und Propaganda" der Deutschen Studentenschaft als Ziel der geplanten "Aufklärungsaktion" die "öffentliche Verbrennung jüdischen zersetzenden Schrifttums durch die Studentenschaften der Hochschulen aus Anlass der schamlosen Hetze des Weltjudentums gegen Deutschland… Der jüdische Geist, wie er sich in der Welthetze in seiner ganzen Hemmungslosigkeit offenbart, und wie er bereits im deutschen Schrifttum seinen Niederschlag gefunden hat, muss aus diesem ausgemerzt werden."
Die Geschichte dieser Hassdeklaration reicht weit zurück und hat viele Wurzeln. So hatte sich im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert in Deutschland die traditionelle, vor allem religiös motivierte Judenfeindschaft in einen völkischen Antisemitismus mit rassistischem Hintergrund verwandelt. Für alle möglichen als bedrohlich empfundenen sozialen Umbrüche und wirtschaftlichen Probleme im Zuge der Verstädterung und Industrialisierung wurden Juden verantwortlich gemacht; die bürgerliche Nationalbewegung entwickelte eine Auffassung von "Deutschtum" als "Germanentum", in dem Juden keinen Platz mehr haben sollten; wissenschaftliche Fortschritte und die Moderne in Kunst und Literatur wurden von rechtsgerichteten Agitatoren als "undeutsch" und "jüdisch zersetzt" bekämpft. Die "Schmutz- und Schund"-Kampagne, von selbsternannten Sittenwächtern in der Weimarer Republik gegen Presse- und Kunstfreiheit betrieben, beschwor die Gefährdung von Moral und gesellschaftlichen Normen durch "jüdische Zersetzung" und trug dazu bei, den Antisemitismus im Alltag der Menschen zu verankern. Schon damals wurden symbolische Verbrennungsakte inszeniert. Für die Bücherverbrennungen vom Mai 1933 wiederum diente das "Wartburgfest" der studentischen Burschenschaften im Jahr 1817 als Vorbild, bei dem in einer symbolischen Aktion Papierbündel mit Namen und Buchtiteln jener Autoren verbrannt wurden, die als Vaterlandsverräter angesehen wurden. Spätestens seit 1880 übte der völkische Antisemitismus in Burschenschaften und studentischen Verbindungen großen Einfluss aus.
Schon seit Ende des 19. Jahrhundert waren im gesamten Spektrum von Literatur und Wissenschaft jüdische Autoren präsent, vom konservativen Lager bis hin zu pazifistischen und anarchistischen Strömungen. Besonders in der Weimarer Republik waren avantgardistische Kunst, Architektur und Musik stark von jüdischen Protagonisten geprägt. Die meisten jüdischen Schriftsteller, Dichter, Wissenschaftler und Journalisten, die von den Bücherverbrennungen betroffen waren, verstanden sich jedoch als Teil der deutschen wie auch der Weltliteratur und nicht als jüdische Autoren, die spezifisch jüdische Themen behandelten. Viele wurden sich erst durch die Nürnberger Gesetze und die zunehmende gesellschaftliche Ausgrenzung ihrer jüdischen Herkunft bewusst.
Der frühe Terror der Nationalsozialisten hatte vor allem die politischen Gegner im Visier. Die Menschenjagden der SA in den ersten Monaten nach der Machtübernahme richteten sich gegen Kommunisten, Sozialdemokraten, Gewerkschaftler und parteilose Oppositionelle; diese wurden in frühe Konzentrationslager und Folterstätten gebracht und misshandelt, viele von ihnen zu Tode geprügelt. Unter ihnen waren viele jüdische Bürger, wie generell in der Weimarer Republik der Anteil der Juden im politischen und kulturellen Leben groß war. Auch von den Bücherverbrennungen waren, wie die Liste der "verbrannten Bücher" zeigt, Juden und Nichtjuden betroffen. Die Verbrennungs-Aktionen richteten sich gegen alle Autoren, die nicht der rückwärtsgewandten völkischen Ideologie der Nationalsozialisten entsprachen. Die zwölf Thesen "Wider den undeutschen Geist!" offenbaren jedoch, weitaus stärker als vergleichbare Pamphlete, eine spezifisch antisemitische Stoßrichtung, die sich schon sehr früh, kurz nach der Machtübernahme, zweieinhalb Jahre vor den Nürnberger Rassegesetzen, unter Duldung oder mit jubelnder Zustimmung breiter Bevölkerungskreise im öffentlichen Raum behaupten konnte und die Bücherverbrennungen wesentlich prägte. Die staatlich organisierte Judenverfolgung begann am 1. April 1933 mit der von der NS-Regierung inszenierten "Boykott"-Aktion und am 7. April mit dem Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" und dem darin enthaltenen "Arierparagraphen". Im Literaturbereich folgte, wie auf anderen kulturellen Gebieten, ein verschärfter bürokratischer Prozess von Ausgrenzungen, Verboten und Vertreibungen. Studenten und SA-Leute "säuberten" Bibliotheken und Buchhandlungen von "undeutschem Schrifttum". Schwarze Listen wurden erstellt und immer mehr erweitert. Verlage, Vertriebsfirmen und Buchhandlungen im jüdischen Besitz wurden "arisiert". Mit der Reichskulturkammer, in der alle Kulturschaffenden zur Zwangsmitgliedschaft verpflichtet waren, und speziell mit der Reichsschrifttumskammer für den Literaturbereich entstand eine riesige Kontrollbehörde, die dafür sorgte, dass Juden keine Aufträge und keine Arbeit mehr erhielten. Ab Sommer und Herbst 1935 wurden schließlich jüdische Buchhändler, Bibliothekare, Buchvertreter und Lektoren systematisch aus ihren Beschäftigungsverhältnissen entlassen oder verdrängt.
Die "Aktion wider den undeutschen Geist" im April 1933 war nicht vom Staat, sondern von der Studentenschaft ausgegangen; die erhoffte Unterstützung durch NSDASP und staatliche Stellen beschränkte sich zunächst auf einen finanziellen Zuschuss. Auch die Bücherverbrennungen selbst folgten keiner zentralen Anweisung der NSDAP. Trotz der "Feuerrede" des Reichsministers Joseph Goebbels auf dem Berliner Bebelplatz ist jedoch nicht eindeutig geklärt, ob das Ministerium für Volksaufklärung und Propaganda dabei wesentlich mitwirkte oder ob der schnelle Abbruch der Aktionen vielmehr darauf hindeutet, dass die beklemmenden, germanisches Brauchtum beschwörenden Feuerspektakel den Interessen der NSDAP – gerade im Blick auf die öffentliche Wahrnehmung im Ausland – eher entgegenstanden. Die meisten Historiker deuten die Bücherverbrennungen primär als studentisches Vorhaben; der Historiker Reinhard Rürup bezeichnete sie als "Tiefpunkt der deutschen Universitätsgeschichte". Die Zustimmung breiter Bevölkerungskreise zur demonstrativen Vernichtung der Bücher in angeblich reinigenden, "läuternden" Flammen und die bereitwillige Selbst-"Gleichschaltung" der meisten kulturellen Verbände und Institutionen weisen jedoch darauf hin, wie wirksam die frühe nationalsozialistische Radikalisierung in den verschiedenen Bereichen der Gesellschaft und gerade auch im Geistesleben Fuß fassen und auf welchen antimodernen und antisemitischen Vorstellungen sie aufbauen konnte.
Dies mag einer der Gründe für die schwierige Erinnerungsgeschichte dieses Themas sein. Gedenken und inhaltliche Aufarbeitung der Bücherverbrennungen waren in der unmittelbaren Nachkriegszeit noch höchst lebendig, gerieten jedoch im Zeichen des Ost-West-Konfliktes für Jahrzehnte in Vergessenheit. Dokumentationen, Ausstellungen, Erinnerungszeichen und Lesungen an den historischen Orten der Verbrennungsaktionen in zahlreichen Städten kamen durch das Engagement von Bürgergruppen seit den 1980er Jahren vertieft zustande. Die "Bibliothek" des Bildhauers Micha Ullman auf dem Berliner Bebelplatz, ein unterirdischer, rätselhafter, hermetisch abgeschlossener Raum mit leeren Betonregalen als Metapher des Verlusts, gilt eines der eindrucksvollsten Denkmäler der deutschen Memorialkultur.
Stefanie Endlich