Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich ["Ermächtigungsgesetz"], 24. März 1933
Einführung
Das "Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich" umfaßt fünf Artikel. Art. 1 verleiht der Reichsregierung die pauschale Vollmacht zur Reichsgesetzgebung. Art. 2 erlaubt dabei die Abweichung von der Reichsverfassung, sofern nicht die Institutionen des Reichstags und des Reichsrats sowie die Rechte des Reichspräsidenten betroffen sind. Art. 3 regelt die Ausfertigung der Gesetze durch den Reichskanzler und die Verkündung im Reichsgesetzblatt. Art. 4 gibt der Reichsregierung volle Freiheit zum Abschluss außenpolitischer Verträge. Art. 5 begrenzt die Gültigkeit der Ermächtigung auf vier Jahre und bindet sie zudem an die "gegenwärtige Reichsregierung".
Das Ermächtigungsgesetz für die Regierung Adolf Hitler steht im Kontext einer seit dem Ersten Weltkrieg in zahlreichen Staaten verbreiteten Tendenz zur "Entparlamentarisierung" der Gesetzgebung. Im deutschen Kaiserreich verabschiedete der Reichstag parallel zu den ersten Kriegskrediten am 4. August 1914 eine Ermächtigung, die dem Bundesrat – und damit indirekt der kaiserlichen Regierung – eine Vollmacht zur Gesetzgebung auf dem Verordnungsweg übertrug. Auch nach dem Übergang zur Weimarer Republik griffen die Regierungen immer wieder zum Mittel gesetzesvertretender Rechtsverordnungen. Der vorläufige Höhepunkt dieser Entwicklung fiel in die Inflations- und Staatskrise des Jahres 1923, als der Reichstag den Kabinetten Gustav Stresemann und Wilhelm Marx jeweils weitreichende Ermächtigungsgesetze zugestand. So ermächtigte das Gesetz vom 8. Dezember 1923 die Regierung, "die Maßnahmen zu treffen, die sie im Hinblick auf die Not von Volk und Reich für erforderlich und dringend erachtet" – eine Formulierung, an die der Titel des Ermächtigungsgesetzes von 1933 anknüpfte.
Als "verfassungsdurchbrechende" Gesetze benötigten die weitgefassten Ermächtigungen in Anlehnung an Art. 76 der Weimarer Verfassung eine qualifizierte 2/3-Mehrheit (Anwesenheit von 2/3 der Mitglieder des Reichstags und Zustimmung von 2/3 der Anwesenden). Bereits seit 1922 hatte sich zudem Art. 48 der Verfassung, der dem Reichspräsidenten eine weitreichende militärische und zivile Ausnahmegewalt verlieh, unter Reichspräsident Friedrich Ebert zu einem legislativen Notinstrument der Regierung entwickelt. Mit dem Übergang zu einem Präsidialregime im Jahr 1930 lebte diese vom Reichspräsidenten ausgehende Notverordnungspraxis während der Weltwirtschaftskrise erneut auf. Die Reichskanzler Heinrich Brüning, Franz von Papen und Kurt von Schleicher stützten sich auf die Bereitschaft des Reichspräsidenten Paul von Hindenburg, Art. 48 permanent anzuwenden.
Als Hitler am 30. Januar 1933 mit der Reichskanzlerschaft betraut und ein konservativ-nationalsozialistisches Kabinett der "Nationalen Konzentration" gebildet wurde, diente dies aus Perspektive Hindenburgs auch dem Ziel, das präsidentielle Notverordnungsregime einzuschränken und zu einer Regierungsweise zurückzukehren, die sich auf parlamentarische Mehrheiten stützt. Angesichts des radikalen Machtanspruchs der Nationalsozialisten war damit der Weg zu einem neuen Ermächtigungsgesetz vorgezeichnet. In Hitlers Konzept einer "legalen" Machtergreifung spielte dieses Instrument spätestens seit 1932 eine zentrale Rolle. Die sofort nach Antritt der Kanzlerschaft durchgesetzten und im Zeichen wachsender Repression stehenden Neuwahlen brachten am 5. März 1933 zwar eine Regierungsmehrheit (288 Nationalsozialisten und 52 Deutschnationale bei insgesamt 647 Abgeordneten), die Erreichung einer qualifizierten 2/3-Mehrheit blieb aber unsicher.
Das neugewählte Parlament trat am 23. März zur Beratung der Ermächtigungsvorlage zusammen. Tagungsort war die Kroll-Oper, die als Ersatz für das am 27. Februar ausgebrannte Reichstagsgebäude genutzt wurde. Der Prozess der nationalsozialistischen "Machtergreifung" war zu diesem Zeitpunkt bereits weit vorangeschritten. In Deutschland herrschte ein innenpolitisches Klima des Terrors und der Täuschung. Während Hitler den bürgerlichen Eliten eine trügerische Kontinuität zur preußisch-deutschen Monarchie vorgaukelte – so wurde am 21. März zur Eröffnung des neuen Reichstags der sogenannte "Tag von Potsdam" zelebriert –, war die Verfolgung politischer Gegner in vollem Gange und die Gleichschaltung der Länder bereits vollzogen. Das wichtigste Instrument hierfür bildete die auf der Grundlage von Art. 48 erlassene "Verordnung zum Schutz von Volk und Staat" ("Reichstagsbrandverordnung") vom 28. Februar, die eine Suspendierung der Grundrechte mit sich brachte und der Reichsregierung die Möglichkeit gab, "vorübergehend" die Befugnisse der obersten Landesbehörden wahrzunehmen. Eine erste Weichenstellung für die Annahme des Ermächtigungsgesetzes hatte bereits insofern stattgefunden, als die 81 Reichstagsabgeordneten der KPD inzwischen fast alle verhaftet bzw. in den Untergrund oder ins Exil getrieben worden waren.
Ob die qualifizierte Mehrheit für die Ermächtigung ohne weitere Manipulationen erreicht werden konnte, lag vor allem an der Zentrumsfraktion, die über 73 Abgeordnete verfügte. Hitler erlangte ihre Zustimmung, indem er führenden Vertretern des Zentrums unter anderem einen maßvollen Einsatz der Ermächtigung, die Wahrung des institutionellen Reichsgefüges und den Schutz katholischer Interessen in Aussicht stellte. Hitlers Reichstagsrede zur Begründung des Ermächtigungsgesetzes bestärkte derartige Illusionen noch. Viele Parlamentarier des Zentrums und anderer bürgerlicher Parteien hofften, durch die Zustimmung zur Ermächtigung den offenen Staatsstreich zu verhindern und einen gewissen politischen Einfluss zu behalten. Hinzu kam ein Klima der nationalen "Sammlung", aber auch der Einschüchterung, das angesichts der Präsenz von SA- und SS-Truppen über dem Plenum lag.
Die Zentrumsfraktion stimmte schließlich ebenso wie die "Regierungsparteien" NSDAP und DNVP sowie die kleineren Fraktionen und Gruppen (BVP, DVP, Deutsche Staatspartei, Volksdienst und Deutsche Bauernpartei) geschlossen für das Gesetz. Mit "Nein" votierte allein die SPD-Fraktion, aus der ebenfalls bereits eine Reihe von Abgeordneten verhaftet bzw. abgetaucht war. Otto Wels begründete die Entscheidung seiner Partei mit einer mutigen Rede, die in einem Bekenntnis zu Demokratie und Rechtsstaat gipfelte. Schließlich wurde die Ermächtigung mit 444 zu 94 Stimmen gebilligt. Da bereits alle deutschen Länder von den Nationalsozialisten beherrscht waren, passierte das Gesetz noch am selben Abend widerspruchslos den Reichsrat. Am folgenden Tag, dem 24. März, wurde das "Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich" im Reichsgesetzblatt veröffentlicht und trat somit in Kraft.
Das Ermächtigungsgesetz wurde dreimal verlängert: Am 30. Januar 1937 verlieh der Reichstag, der nur noch eine akklamative Funktion besaß, der legislativen Pauschalermächtigung erneut eine vierjährige Geltungsdauer. Der sogenannte "Großdeutsche Reichstag", der 1938 nach dem Anschluß Österreichs und der Annexion des Sudetenlandes gebildet worden war, wiederholte diesen Vorgang bereits zwei Jahre später, am 30. Januar 1939. Am 10. Mai 1943 schließlich gab Hitler dem Ermächtigungsgesetz per Führererlass unbegrenzte Geltungskraft.
Die Bedeutung des Ermächtigungsgesetzes für das NS-Regime lag auf mehreren Ebenen:
a) Das Ermächtigungsgesetz hatte Auswirkungen auf das Machtgefüge in den ersten Monaten des "Dritten Reiches". Die Regierung Hitler erhielt legislative Handlungsfreiheit und damit die Unabhängigkeit von Reichstagsmehrheiten, aber auch von der präsidentiellen Diktaturgewalt des Art. 48. Während Notverordnungen nach Art. 48 vom Reichspräsidenten unterzeichnet werden mussten und theoretisch von einer Reichstagsmehrheit außer Kraft gesetzt werden konnten, stand nun der Erlass von Verordnungen mit Gesetzeskraft ganz in der Zuständigkeit der Reichsregierung. Die weitgehende Entmachtung des Reichspräsidenten raubte zudem den ohnehin schwachen Versuchen der konservativen Kabinettsmitglieder, Hitlers Machtanspruch zu "zähmen", die letzte Stütze.
b) Das Ermächtigungsgesetz wurde bereits zeitgenössisch zu einem Symbol der von den Nationalsozialisten verkündeten "Nationalen Revolution". Es markierte in demonstrativer Weise die Überwindung der Weimarer Demokratie und schob dem Reichstag die demütigende Aufgabe zu, den entscheidenden Übergang selbst zu vollziehen. Triumphierend titelte daher der "Völkische Beobachter" am 25. März 1933: "Die Kapitulation des parlamentarischen Systems vor dem neuen Deutschland".
c) Mit dem Ermächtigungsgesetz wurde eine neue Grundlage der "Regierungsgesetzgebung" geschaffen. Diese Grundlage war nicht mehr nur – wie bei den Weimarer "Vorläufern" – auf einen akuten Notstand bezogen, sondern blieb langfristig gültig. Da jederzeit von der formal fortbestehenden Weimarer Verfassung abgewichen werden konnte, bildete sie eine Art Verfassungsersatz. Die im Ermächtigungsgesetz genannten Restriktionen erwiesen sich dabei schon bald als leere Versprechungen: Der Reichstag, dessen gesetzgebende Funktion nur theoretisch fortbestand, wurde zum NS-Organ umgestaltet, der gleichgeschaltete Reichsrat im Februar 1934 beseitigt, und die Rechte des Reichspräsidenten waren spätestens mit Hindenburgs Tod im August 1934 hinfällig.
d) Zweifellos hätte die Usurpation der vollen Gesetzgebungsgewalt durch das NS-Regime auch ohne den formellen Schritt einer Ermächtigung stattgefunden. Allerdings wäre dann die Fassade der Legalität, die den Prozess der "Machtergreifung" umgab, sehr schnell zusammengebrochen. Die wohl wichtigste Bedeutung des Ermächtigungsgesetzes lag daher wiederum auf der symbolischen Ebene: Obwohl die Art und Weise seines Zustandekommens höchst fragwürdig war, erweckte das Ermächtigungsgesetz gegenüber den konservativ-liberalen Eliten im Innern, aber auch gegenüber dem Ausland den trügerischen Eindruck eines halbwegs "legalen" Machtübergangs, was die Stabilisierung der neuen Herrschaft zweifellos erleichterte.
In einer weiter gefassten Perspektive sind auch die Wirkungen zu beachten, die das Ermächtigungsgesetz vom 24. März 1933 nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland entfaltet hat. Klar erkennbar sind die verfassungsrechtlichen Konsequenzen: Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland enthält eine strenge Beschränkung legislativer Ermächtigungen – die in der Komplexität des modernen Staates kaum vermeidbar sind –, wobei eine Spezifizierung nach "Inhalt, Zweck und Ausmaß" verlangt wird (Art. 80, Abs. 1). Zudem wurde eine Sicherung eingebaut, um den Kernbestand des Föderalismus, der parlamentarischen Demokratie und des Rechtsstaates vor Verfassungsänderungen zu schützen und eine erneute pseudo-legale Beseitigung der freiheitlichen Ordnung zu verhindern (Art. 79, Abs. 3).
Schwerer zu bemessen ist der Einfluss, den das Thema "Ermächtigungsgesetz" nach 1945 auf den allgemeinen Umgang mit der NS-Vergangenheit gewonnen hat. Im Westen Deutschland veranschlagte man die Bedeutung des Gesetzes meist als relativ gering und banalisierte die Zustimmung der bürgerlichen Mitte als "politischen Irrtum". Eine derartige Einschätzung vertrat beispielsweise auch Theodor Heuss, der 1933 als Reichstagsangeordneter der Staatspartei für das Ermächtigungsgesetz votiert hatte und dann als Bundespräsident nicht zuletzt deswegen polemischen Angriffen aus der DDR ausgesetzt war. Inwieweit die im Westen Deutschlands vorherrschende milde Bewertung des parlamentarischen Abstimmungsverhaltens vom 23. März 1933 auf die generelle Auseinandersetzung mit eigener Verantwortung und Schuld abgefärbt hat – so eine jüngst von E.W. Becker vertretene Auffassung – bedarf der weiteren Untersuchung.
Die wichtigsten Vorgänge bei der Bewilligung des Ermächtigungsgesetzes und die grundlegenden Aspekte seiner politischen und verfassungsrechtlichen Bedeutung sind bis Anfang der 1960er Jahre vor allem von K.D. Bracher und H. Schneider geklärt worden. Seither hat es in der Forschung immer wieder Fortschritte in Teilaspekten gegeben. So kann die These, daß die Zustimmung der Zentrumsfraktion zum Ermächtigungsgesetz in einem direkten Zusammenhang mit der Aussicht auf ein Konkordat gestanden habe, nach partieller Öffnung der vatikanischen Akten zum Pontifikat Pius XI. nicht mehr aufrechterhalten werden. Generell herrscht seit einiger Zeit der Trend, die verfassungsrechtlichen und parlamentarismusgeschichtlichen Voraussetzungen des "Gesetzes zur Behebung der Not von Volk und Reich" stärker in den Blick zu nehmen. Dies gilt für die "Vorläufer"-Gesetze der Weimarer Republik ebenso wie für die "zwiespältige" Einstellung zur parlamentarischen Demokratie (Becker), die für das Abstimmungsverhalten der bürgerlichen Mitte durchaus von Bedeutung war. Lohnende Forschungsfelder bilden auch der Vergleich mit den pauschalen Ermächtigungen, die es während der Zwischenkriegszeit in anderen Staaten gegeben hat, sowie die Frage nach dem Ort des Ermächtigungsgesetzes von 1933 in der deutschen "Erinnerungskultur" nach 1945.
Thomas Raithel