Gesetz über Arbeitslosenvermittlung und Arbeitslosenversicherung, 16. Juli 1927

Einleitung

Bereits um 1900 hatten die Organisationen der Arbeiterbewegung, aber auch bürgerliche Sozialpolitiker sowie einzelne staatliche Träger die Einrichtung einer staatlichen Arbeitslosenversicherung gefordert. Die Reichsregierung lehnte jedoch entsprechende Vorstöße im Reichstag mehrfach ab. Viele Gewerkschaften zahlten daraufhin ihren Mitgliedern eine Unterstützung im Falle der Arbeitslosigkeit; außerdem errichteten einzelne Städte Arbeitslosenkassen. Erst die politische Entwicklung nach dem Ersten Weltkrieg führte zu einer positiven Entscheidung von Seiten der Reichsregierung, deren Umsetzung gleichwohl noch einige Jahre benötigte.

Im Rahmen der "Demobilisierung" und nur als vorübergehende Lösung wurde mit der Verordnung über Erwerbslosenfürsorge vom 13. November 1918 eine Unterstützung eingeführt, die als reine Fürsorgeleistung ausschließlich bedürftigen Arbeitslosen zustand. Finanziert wurde sie zur Hälfte vom Reich, zu einem Drittel vom Bundesstaat und zu einem Sechstel von der Kommune, die sie in der Regel auch auszahlte. Schon die Erwerbslosenfürsorge forderte von den Arbeitslosen Arbeitsfähigkeit und Arbeitswilligkeit, gegebenenfalls auch einen Berufs- und Ortswechsel. Wirtschaftskrisen, insbesondere die Inflation von 1924, verzögerten die Verwirklichung des Versicherungsprinzips, also einer einkommensunabhängigen Leistung nach Beitragszahlung. Insgesamt zwei Gesetzentwürfe scheiterten 1920 und 1922 im Reichstag vor allem an der Frage der Trägerschaft der Versicherung. Zwar wurde im Oktober 1923 vorab die Beitragspflicht durch Arbeitnehmer und Arbeitgeber eingeführt, jedoch erhielten weiterhin nur Bedürftige die Leistung. Auch verband man die Auszahlung der Unterstützung organisatorisch mit den öffentlichen Einrichtungen der Arbeitsvermittlung, den Arbeitsämtern (auch "Arbeitsnachweisämter" genannt). Schließlich beschloss der Reichstag am 7. Juli 1927 das Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung mit einer selten großen Mehrheit (355 von 417 Stimmen).

Organisation

Neben der Einführung der Arbeitslosenversicherung brachte das Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung eine neue Organisation der Arbeitsverwaltung. Nach dem Arbeitsnachweisgesetz vom 22. Juli 1922 gab es für die öffentliche Arbeitsvermittlung bereits einen dreistufigen Aufbau, der allerdings geteilte Zuständigkeiten enthielt: Die Arbeitsämter gehörten zur Verwaltung der Gemeinden und Kreise, die Landesämter für Arbeitsvermittlung waren Landesbehörden, während das Reichsamt für Arbeitsvermittlung dem Reichsarbeitsministerium nachgeordnet war. Eine reichsweit einheitliche Arbeitsmarktpolitik war so nur schwer möglich, denn Richtlinien der Reichsregierung oder des Reichsamtes für Arbeitsvermittlung scheiterten oft an den Eigeninteressen der mittleren und unteren Verwaltungsebenen. Aus diesem Grund setzte der Reichsarbeitsminister – gegen den Widerstand der Kommunen und Kreise – als Träger der öffentlichen Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung eine "Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung" durch (§ 1). Als Körperschaft des öffentlichen Rechts gliederte sich die Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung in die Hauptstelle (mit Sitz in Berlin) und dieser unmittelbar nachgeordnete Landesarbeitsämter sowie Arbeitsämter (§ 2 f.). Die Kommunen und Landkreise sowie die Bundesstaaten verloren somit ihren direkten Einfluss, sie wurden dafür aber auf allen drei Ebenen in den drittelparitätisch besetzten Selbstverwaltungsorganen als Vertreter der öffentlichen Körperschaften beteiligt – neben den Gewerkschaften und Arbeitgebern (§ 4 f.). Präsident der Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung wurde Dr. Friedrich Syrup, der bereits seit 1920 das Reichsamt für Arbeitsvermittlung geleitet hatte. Der Reichsminister führte die Aufsicht über die Reichsanstalt (§ 47), der Haushalt bedurfte der Zustimmung der Reichsregierung (§ 43).

Arbeitsvermittlung und Berufsberatung

Für die Durchführung der Aufgaben der Arbeitsvermittlung brachte das Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung keine wesentlichen Neuerungen. Das Arbeitsnachweisgesetz, das in das neue Gesetz aufging, hatte bereits bestimmt, wie die Arbeitsvermittlung durchzuführen war: unentgeltlich, unparteilich, neutral, tariforientiert, unter Berücksichtigung der Eignung des Arbeitsuchenden sowie nach sozialen Gesichtspunkten. Die Berufsberatung einschließlich der Lehrstellenvermittlung wurde nun auch Pflichtaufgabe der Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung und hatte nach denselben Grundsätzen zu erfolgen. Die gewerbsmäßige Arbeitsvermittlung wurde ab 1. Januar 1931, die gewerbsmäßige Berufsberatung bereits mit Inkrafttreten des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung verboten.

Arbeitslosenversicherung

Nach § 87 hatte Anspruch auf die Arbeitslosenunterstützung, wer

1. arbeitsfähig, arbeitswillig, aber unfreiwillig arbeitslos war,

2. die Anwartschaft erfüllt und

3. den Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung noch nicht ausgeschöpft hatte.

Die Anwartschaft war erfüllt, wenn der Arbeitslose in den letzten zwölf Monaten während sechsundzwanzig Wochen in einer versicherungspflichtigen Beschäftigung gestanden hatte (§ 95). Die Unterstützung wurde dann für maximal sechsundzwanzig Wochen gewährt (§ 99), jedoch erst nach Ablauf von sieben Tagen nach der Arbeitslosmeldung (sog. Karenzzeit, § 110 f.). Die Arbeitslosenunterstützung bestand aus der "Hauptunterstützung" und gegebenenfalls aus "Familienzuschlägen" für Angehörige (§ 103). Die Höhe der Arbeitslosenunterstützung richtete sich nach dem vorangegangenen Arbeitsentgelt (§ 104 ff.). Der Arbeitslose war während des Bezugs der Unterstützung auch kranken- und rentenversichert (§ 117 ff., 129 f.).

Finanziert wurde die Unterstützung von den Versicherten und ihren Arbeitgebern zu gleichen Teilen (§ 143); der Beitragshöchstsatz lag anfangs bei insgesamt drei Prozent vom Arbeitsentgelt (§ 153).

Vorrang vor der Zahlung der Unterstützung hatte die Vermittlung in Arbeit (§ 131); auch konnten die Arbeitsämter zur Beendigung der Arbeitslosigkeit die Kosten beruflicher Fortbildung und Umschulung übernehmen (§ 137). Nach neunwöchiger Arbeitslosigkeit sollte ein Facharbeiter in einen anderen Beruf vermittelt werden (§ 173). Für Arbeitslose unter 21 Jahren war die Unterstützung von einer Arbeitsleistung abhängig zu machen (§ 91).

Die Reichsanstalt konnte durch Darlehen oder Zuschüsse öffentliche Notstandsarbeiten bzw. "wertschaffende Arbeitslosenfürsorge" fördern (§ 139).

Arbeitslose, die keinen Anspruch (mehr) auf die Arbeitslosenunterstützung hatten, erhielten eine ebenfalls zeitlich befristete Krisenunterstützung, sofern sie bedürftig waren. Vier Fünftel deren Aufwandes trug das Reich, der Rest die Gemeinde (§ 167).

Arbeitslose, die weder Anspruch auf die Arbeitslosenunterstützung noch auf die Krisenunterstützung hatten, erhielten bei Bedürftigkeit Leistungen der Wohlfahrtspflege, aus Mitteln der jeweiligen Gemeinde. Die Unterstützung der Arbeitslosen stand somit auf drei Säulen.

Die Arbeitslosenversicherung in der Weltwirtschaftskrise

Der Erfolg der neuen Sozialversicherung war jedoch nur von kurzer Dauer. Die 1929 einsetzende Weltwirtschaftskrise brachte die Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung umgehend in finanzielle Engpässe. Der Beitragssatz von höchstens drei Prozent war auf eine durchschnittliche Arbeitslosenzahl von etwa 700.000 berechnet. Daher benötigte die Reichsanstalt bald finanzielle Darlehen von Seiten der Reichsregierung (§ 163). Mit dem Anstieg der Arbeitslosenzahlen und der Ausgaben ging die Zahl der Beschäftigten und deren Beitragszahlungen entsprechend zurück. Schon 1929 überstieg die Zahl der Arbeitslosen im Jahresdurchschnitt 1,9 Millionen und erreichte 1932 schließlich den Jahresdurchschnitt von 5,6 Millionen, nicht mitgerechnet die "unsichtbare Arbeitslosigkeit" von ca. 1,5 Millionen. Beitragserhöhungen und Leistungskürzungen folgten. Wegen der Beitragssatzerhöhung kam es im Frühjahr 1930 zum Bruch der Großen Koalition unter Reichskanzler Hermann Müller (SPD). Die Spar- und Deflationspolitik der Regierung Brüning verschärfte die Entwicklung. Das Reich entzog der Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung jegliche finanzielle Hilfe. Einerseits erhöhte man den Beitragssatz ab Oktober 1930 auf 6,5 Prozent, andererseits erschwerte man rigoros den Leistungsbezug: Die Voraussetzungen für den Leistungsbezug wurden verschärft, bestimmte Personengruppen wie Jugendliche und Frauen gänzlich vom Bezug ausgeschlossen, die Karenzzeit verlängert und die Leistungen selbst in Höhe und Dauer erheblich reduziert. Als Folge dieser Sanierungsmaßnahmen erhielten von den 5,6 Millionen Arbeitslosen im Jahr 1932 nur noch 19,4 % die Arbeitslosenunterstützung (1928/29 noch 67,5 %), 25,9 % (7,7 %) die Krisenunterstützung, 36,6% (24,8 %) die gemeindliche Wohlfahrtspflege, 18,2 % blieben ohne Unterstützung; 1933 verschoben sich diese Anteile weiter zu Ungunsten der Arbeitslosen. Die soziale Notlage der Millionen Arbeitslosen und ihrer Angehörigen verschärfte sich ins Unermessliche und förderte so auch die politische Radikalisierung im Reich. Infolge der rigiden Sparmaßnahmen und der Verlagerung der Leistungen auf die Kommunen erzielte die Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung im Haushaltsjahr hingegen einen Überschuss von 372,8 Millionen Reichsmark.

Gleichschaltung und Arbeitslenkung in der NS-Zeit

Das nationalsozialistische Regime schaltete auch die Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung umgehend gleich und schaffte die Selbstverwaltung ab. Schließlich verlor die Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung Ende 1938 auch den Rest ihres halbautonomen Status, als sie in das Reichsarbeitsministerium eingegliedert wurde. Zuvor war sie schrittweise in eine Arbeitslenkungsbehörde mit weitgehenden Kompetenzen gegenüber den Arbeitnehmern und Betrieben umgestaltet worden. Auf der Grundlage verschiedener Instrumente wie Arbeitsbuch und Dienstpflichtverordnung steuerte sie den Arbeitseinsatz in der Gesamtwirtschaft nahezu total. Zum Beispiel musste ab September 1939 für Einstellungen und Entlassungen zuvor die Zustimmung des Arbeitsamtes eingeholt werden. Gleichzeitig wurde auch das Versicherungsprinzip wieder abgeschafft. Die wenigen Arbeitslosen erhielten – trotz stabil gehaltenem Beitragssatz von 6,5 Prozent – die Unterstützung nur noch bei Bedürftigkeit. Die angesammelten Überschüsse wurden für andere Zwecke ausgegeben. Bis zum Kriegsende koordinierte die Arbeitsverwaltung die Rekrutierung und den Einsatz der weitgehend zwangsrekrutierten ausländischen Arbeitskräfte aus den von der Wehrmacht besetzten Gebieten.

Dieter G. Maier